Doch, es hat einen gewissen Fortschritt gegeben. Der Vegetarier wird endlich nicht mehr als eine Art seltsames Tier betrachtet, als Objekt wissenschaftlicher Neugier und dümmlichen Staunens. Die vegetarische Ernährungsweise wird heute allgemein verstanden, obschon nur eine kleine Minderheit danach lebt; nach strengem Maßstab tatsächlich nur sehr wenige. In meinem Umkreis haben sich jedenfalls die inquisitorischen Fragen verloren, unter denen ich lange zu leiden hatte: »Warum denn? Und was isst du stattdessen? Woher nehmen Sie die Proteine? Sind es gesundheitliche oder gefühlsmäßige Gründe? Auch nicht mal gelegentlich= Was! Nicht mal Fisch?! Hast du nicht manchmal Lust auf ein Steak?« Weiterlesen
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George Tabori: Protest einer ewig jungen Sau
Weihnachten ist für mich und meine Freunde immer wieder ein Fest der Beklemmung, bedenkt man die unverminderte Beliebtheit von Schweinerippchen, Schweinswürsteln, Schweinshaxn oder das entsetzlichste Grauen, Spanferkel mit einem Apfel in der klaffenden Schnute. Weiterlesen
Marguerite Yourcenar: Wer weiß, ob die Seele der Tiere im Staub versinkt?
»Wer weiß, ob die Seele des Menschen hinaufsteigt und die Seele der Tiere im Staub versinkt?«
Kohelet (Der Prediger Salomo) III, 21 (1)
Eine Erzählung aus Tausendundeine Nacht berichtet, daß die Erde und die Tiere zitterten an dem Tag, an dem Gott den Menschen erschuf. Diese bewundernswerte poetische Vision gewinnt ihre ganze Bedeutung erst für uns, die wir weit besser als der mittelalterliche arabische Erzähler wissen, wie sehr die Erde und die Tiere Grund hatten zu zittern. Wenn ich Kühe und Pferde auf der Weide sehe, ein schönes Bild, das die Maler und Dichter aller Zeiten als »Idylle« empfunden haben, das aber leider in unseren westlichen Breiten selten geworden ist, wenn ich manchmal sogar ein paar Hühner zu sehen bekomme, die noch frei auf einem Bauernhof picken, dann sage ich mir: diese Tiere, die dem Appetit des Menschen geopfert werden oder zu seinem Dienst benutzt werden, gewiß, sie werden eines Tages einen elenden Tod sterben, geschlachtet, erschlagen, erwürgt oder, wenn es Pferde sind, die nicht in die Roßschlächterei gebracht werden, altem Brauch gemäß durch einen meist ungeschickten Schuss getötet, der so gut wie nie ein wirklicher »Gnadenschuß« ist, oder ausgesetzt in der Einsamkeit der Sierra, wie es noch immer die Bauern von Madeira machen, oder sogar (in welchem Land hat man mir das erzählt?) mit spitzem Stachel zu einer tiefen Schlucht getrieben, in die sie hinabstürzen und zerschmettern. Weiterlesen