Franz Marc: Landschaft mit Haus, Hund und Rind, Landscape with house, dog and cattle (1914)
Kommentare 0

George Tabori: Protest einer ewig jungen Sau

Weihnachten ist für mich und meine Freunde immer wieder ein Fest der Beklemmung, bedenkt man die unverminderte Beliebtheit von Schweinerippchen, Schweinswürsteln, Schweinshaxn oder das entsetzlichste Grauen, Spanferkel mit einem Apfel in der klaffenden Schnute.

Ich und meine Freunde sind nicht so naiv, dass wir die archaische, linguistische Infamie, mit der das Tierreich mit dem Bösen gleichgeschaltet wird, übersehen werden. Das »Menschliche« wird natürlich von den Menschen bis in alle Ewigkeit hochgehalten, während das »Tierische«, mit Ausnahme von Lämmern, Schmetterlingen oder Nachtigallen, als verwerflich oder gar kriminell hingestellt wird. Die Alltagssprache ist voller böser Bullen, läufiger Hündinnen, gefräßiger Raupen oder dummer Gänse oder Puten (besonders in dieser dunklen Jahrezeit). Die Schlange galt in früheren Zeiten als Symbol des Heilens und nicht nur als teuflische Verführerin, aber bald war nur noch von einem »Geschlecht von Vipern« oder von der am Busen genährten die Rede.

Lassen Sie mich, um die manngfaltige mataphorische Verleumdung zu veranschaulichen, Lears Aufschrei gegen den Missbrauch von Autorität anführen, als er vom »Hund im Amte« sprach; Unsinn oder Schwierigkeiten machen nennt men »Zicken machen«, und die Versprechungen der Politiker werden als Bockmist angeschwärzt. Heutzutage wird jede sich verweigernde junge Dame als bitch = Hündin bezeichnet, ganz zu schweigen von dem beliebtesten angelsächsischen Schmähwort son of a bitch = Sohn einer Hündin. Welch finstere Pathologie steckt hinter dem Brauch, des Menschen besten Freund, besonders die weibliche Ausprägung, zu beleidigen, indem man ihn auf ein beliebiges Objekt der Verwünschung reduziert?

Und was ist mit der marxistischen Utopie, wenn der Mensch aufhört, »des Menschen Wolf« zu sein? Ich und meine Freunde haben nur die besten Erfahrungen mit den letztgenannten Anarchisten gemacht, die nur der Hunger zum Töten treibt, wobei sie nie aufeinander losgehen, sondern auf irgendein verirrtes Schaf. Darüber sollten die Anti-Wölfe mal nachdenken, während sie am Sonntag ihre Lammrippchen verschlingen, mit oder ohne Knoblauch.

Die schlimmsten Opfer solch faschistoider Semantik sind von jeher meine Freunde und ich. Brutale Polizisten oder verwesende Juden bezeichnet man als Schweine, Zoten nennt man Schweinigelei, und Kleinkinder, die sich in die Höschen machen, bestraft man für diese »Schweinerei«. Es ist doch so – die Sprache, wie verzerrt oder lügenhaft auch immer, spiegelt einen Teil der Realität wider. Welche Endlösung in welch finsterer Zeit droht uns noch? Die Zeiten waren für mich und meine Freunde eh schon finster genug. Wenn Hitchcock Vögel als heimtückische Bedrohung präsentiert, ist das dann nicht eher eine Projektion uralter menschlicher Paranoia und das Zudecken der menschlichen Schuld an der Ausbeutung und Abschlachtung von Gottes nichtmenschlichen Kreaturen mit dem Hauptsymbol von Fließbändern in Schlachthöfen? Vorne gehen freundliche Kühe oder Pferde hinein und kommen am anderen Ende als Leim oder in einer Dose Hundefutter wieder heraus.

Die Heilige Schrift als Alibi zu benutzen ist nichts als ein rhetorischer Trick, die Korrumpierung des göttlichen Vertrags. Wegen des menschlichen Unvermögens, in einem heißen Klima für kühle Lagerung zu sorgen, war Moses so weise, vom Genuss von Schweinefleisch abzuraten, aber bald verkam der vernünftige Rat zur Trichinen-Lüge. Die christliche Parabel des Perlen-vor-die-Säue-Werfens ist außer als Beispiel absurder Poesie ohne Wahrheitsgehalt. Denn denken wir einen Moment darüber nach, was ich und meine Freunde wirklich sind. Was, in Drei-Moby-Dicks-Namen, sollten wir von Perlen wollen? Außerdem, waren wir je Massen- oder Serienmörder, Babyficker oder betrügerische Politiker?

Was die gegenwärtige moralische Verwirrung betrifft – haben wir uns je an Hexenjagden, Denunziationen, Spitzeleien beteiligt, ist uns mangelnder Widerstand, Opportunismus oder die Art von idiotischer Farbenblindheit vorzuwerfen, die rot mit braun gleichsetzt? Und was ist mit der ästhetischen Ablehnung, der meine Freunde und ich ausgesetzt sind? Richtig, das ist Geschmackssache, aber ich kann einfach nicht verstehen, warum ich und meine Freunde, rosig und rund und knuddelig, ästhetisch als weniger befriedigend empfunden werden sollten als, sagen wir, die fromme Mutter Theresa oder Kanzler Kohl.

Jedenfalls haben wir, ich und meine Freunde, die Schnauze gestrichen voll von diesem ewigen Missbrauch der Tier- (und Pflanzen-) Rechte und nicht nur der verbalen Art. Was ist die Wahrheit? würde das Schwein Sokrates fragen. Dieses Weihnachtsfest beispielweise haben wir im Fernsehen mit ansehen können, wie man Truthähne in einen KZ-ähnlichen Pferch presst, wie Mäuse und Ratten und Hunde und Katzen und kleine Affen zum Ruhm der Pharmaindustrie der Folter ausgesetzt werden, wie harpunierte Wale elendiglich verenden, wie Möwen an dreckigem Öl verkleben, den alltäglichen Terror, die Geburt eines Judenjungen in einem schweinischen Stall, während gekochte, gebratene, geröstete Gänse, Hühner, Wachteln, Lämmer, Kälber, Kühe, Schweine und eine Vielfalt von Meerestieren von menschlichen Menschen verschlungen werden, die ihre tierischen Vorfahren und das evolutionäre Gebot nach Gerechtigkeit und Anständigkeit vergessen zu haben scheinen. Wenn Sie sich mit der verrückten Idee vom Überleben des Stärkeren zu entlasten versuchen, dann lehnen Sie sich ruhig zurück und warten auf die Invasion von ein paar krabbelnden Kriechtieren, sie sich durch ihr Herz nagen werden.

Und wenn jemand sagt, man sei ein Schwein, weil man eine Welt von Gulags und Hiroschima, die Ozonlöcher in den Menschenköpfen, die Gewalt auf den Straßen und in den Kinderzimmern gemacht habe, dann gestatten Sie mir, diese böse Vision zu korrigieren, indem wir die Rollen tauschen und ich sage: diese Weihnachten bin ich ein Mensch, weil ich keine meiner Decken an die frierenden Kurden, kein Stück Brot an die aufgeblähten Babies im Sudan geschickt, kein tröstendes Wort für das von Skinheads angezündete türkische Kind gefunden, keine Kerze zum Gedenken an einen toten Kroaten oder Serben entzündet habe, ja, diese Weihnachten bin ich sehr menschlich, denn ich habe nicht das tierische Rückgrat, auf den nächsten Marktplatz zu gehen und mich als Protest gegen eine Welt von Amokläufern, Menschheit genannt, in Brand zu setzen.

Mit allerbesten schweinischen Grunzern bin ich

Ihre Miss Piggy

(in Miss Piggys Abwesenheit diktiert und unterzeichnet von George Tabori).

• Über den Autor

George Tabori, Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler ungarischer Herkunft, geboren 1914, erhielt u.a. 1992 den Georg-Büchner-Preis.
Übersetzt von Ursula Grützmacher-Tabori

Zum Umgang mit den Tieren in der menschlichen Sprache siehe auch: »Aus dem Wörterbuch des Untiers« von Sina Walden und »Aus der Sprache der Mäster und Metzger« von Hannelore Jaresch.

Schreibe eine Antwort