Vassily Kandinsky: Composition IX, 1936, Musée National d’Art Moderne, Paris
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Sina Walden: Das Tier in Religion, Recht und Ethik

Ein Mann steht eines Morgens auf, sehr früh, rasiert sich vermutlich, frühstückt, steigt in ein bereitstehendes Flugzeug und fliegt in den Norden seines Landes. Dort begibt er sich plangemäß zu der Wohnung einer Familie, holt eine Mutter mit ihren zwei Kindern aus dem Tiefschlaf und erschießt alle drei nacheinander. Befriedigt läßt er sich wieder zurückfliegen und begibt sich zur gewohnten Arbeitszeit an seinen Schreibtisch.

Ein Terrorist? Ein psychopathischer Mörder? Ein Geheimagent im Dienst einer Diktatur? Aber er wird nicht gesucht, nicht verfolgt, ihm droht keine Strafe. Sein Name ist bekannt, seine Tat wurde nicht heimlich verübt. Im Gegenteil, sie steht in den Zeitungen der ganzen Welt. Der Mann genießt hohe Ehren in einem Land mit demokratischer Verfassung, höchste sogar, auch international: Zur Tatzeit war er Ministerpräsident der Republik Rußland. Warum aber wird er keiner Strafverfolgung ausgesetzt, warum erhebt sich keine weltweite Empörung? Nun, ganz einfach: Die von ihm ermordete Familie hieß Bär. Eine Bärenmutter mit ihren Kindern, die ahnungslos in ihrer Eishöhle in arktischer Einsamkeit im Winterschlaf lag. Und <b>Viktor Tschernomyrdin</b> hatte doch nur seinen Spaß gehabt.

Damit gerät die Tat, die uns eben noch so schrecklich schien, in eine andere Kategorie. Wir sind erleichtert. Viele werden schmunzeln. Wir sind doch alle Tschernomyrdin, &quot;ein jeglicher nach seiner Art&quot;. Mit unserer Zustimmung oder in unserem Auftrag, mit unserer Duldung erschießen schließlich Millionen Jäger Millionen Tiere, erstechen Millionen Schlächter Millionen Tiere. Wären die Opfer Angehörige der Gattung Mensch, hätten wir sofort die Vokabeln Mord, Massenmord, Lustmord zur Hand, samt den dazugehörigen Gefühlen und Gesetzen. Was millionenfach in den Versuchlabors geschieht, würden wir himmelschreiende Folter nennen, die millionenfache Gefangenhaltung von Tieren in Stallungen, Batterien, Käfigen, in Zoos und Zirkussen, in Kellerverliesen und Zierfischgläsern, an Stricken und Eisenketten, in Dunkelhaft, in lebenslanger Isolation oder in überfüllten Pferchen würde die Einstufung als &quot;schwerer Kerker&quot; verdienen, eine Strafmaßnahme, die in allen zivilisierten Staaten längst verboten ist, selbst für Schwerverbrecher.

Ich erspare Ihnen und mir Einzelheiten, die zu schildern ein Jahr oder eine Enzyklopädie nicht ausreichen würde. Sehr viele Einzelheiten sind aber allen bekannt, früher öfter durch eigene Anschauungen und Erzählungen, heute durch <u>alle</u> Informationsmedien, von der Boulevardzeitung, dem Fernsehen, dem Sachbuch bis zum Internet, auf jedem Verständnisniveau. Niemand, buchstäblich niemand, kann behaupten, er wüßte nichts von dem, was Tieren durch den Menschen widerfährt. <b><i>Wir haben von Kind an gelernt, das alles für selbstverständlich zu halten.</i></b> Ich erspare Ihnen auch Zahlenangaben, da jede/r weiß, daß es um Millionen geht, die sich zu Milliarden und Billionen summieren. Wir wollen eher den Blick darauf lenken, daß Leiden, Schmerzen und gewaltsamer Tod immer nur von Individuen, vom Einzelwesen, erlebt werden. Die Evokation der Millionen, Milliarden, Billionen dient aber dem Zweck zu betonen, daß es sich nicht um &quot;Peanuts&quot; handelt, um ein bißchen Tierquälerei, eher unbedeutend in einer auch sonst recht unvollkommenen Welt, ein randständiges Faktum, das man getrost einigen daran speziell Interessierten überlassen könnte. <b><i>Wir sprechen nicht von den Ausnahmen, sondern von der Regel.</i></b>

Und noch über die gigantische Größenordnung hinaus möchte ich behaupten, daß hier ein Problem von allergrundsätzlichster Bedeutung für das Selbstverständnis des Menschen gegeben ist, mit sehr konkreten Auswirkungen auf die sogenannte &quot;Natur&quot;, auf die kollektive Psyche und auf die Zukunft des Planeten.

Die Frage, die sich an das&nbsp;&#150; beliebige&nbsp;&#150; Beispiel des Bärentöters anschließt, lautet: Was unterscheidet Tiere so grundsätzlich von Menschen, daß unser moralisches Empfinden und unser Rechtssystem jene nicht nur geringer bewertet, sondern fast alles, was wir unter Moral und Recht verstehen, geradezu auf den Kopf stellt, wenn es um Tiere geht?

Da Moral&nbsp;&#150; und Rechtsbegriffe nicht unmittelbar aus der Natur hervorgehen, handelt es sich um Kulturgüter, die wie alles von Menschen Gemachte der geschichtlichen Entwicklung unterliegen. Der irgendwann einmal erfolgte Input entfaltet seine eigenen Gesetzmäßigkeiten, nebst vielfältigem Wildwuchs. Konventionen und Traditionen bilden sich auf religiösen, wirtschaftlichen, politischen oder zufälligen Fundamenten und haben oft ein zähes Eigenleben, auch wenn die Fundamente längst weggebrochen sind.

Die konstitutiven Faktoren unserer eigenen Kulturgeschichte sind, wie uns allen bekannt ist, die christlich-jüdische Religion und die griechisch-römische Antike. Wir müssen daher der Frage nachgehen, wo hier die Wurzeln liegen mögen, die das Tier von dem ethischen Kodex abgesprengt haben, der im menschlichen Bereich immerhin Errungenschaften wie das Bemühen um Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, die Berücksichtigung von Schwachen und Behinderten, die Ächtung der Grausamkeit, humanitären Einsatz oder die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte hervorgebracht hat. Ich nehme den Einwand vorweg, daß ja auch die Menschenrechte wahrhaftig nicht so herrlich funktionieren, wie sich das auf dem Papier der Verfassungen liest; und daß keineswegs jeder Mensch in allen Punkten alle ethischen Werte befolgt; und daß unser Jahrhundert als vorläufiger Endpunkt der abendländischen Kulturentwicklung mehr Leichenberge und Konzentrationslager produziert hat, als je ein Jahrhundert zuvor. Trotz dieser unbestreitbaren Tatsachen kann jedoch auch nicht bestritten werden, daß es ein Grundgerüst anerkannter Werte gibt, die in ruhigeren Zeiten durchaus wirkungsmächtig sind und auch bei starkem Gegenwind nicht ihre Gültigkeit verlieren. Uns beschäftigt hier nur die Frage, warum die Tiere nicht in dieses Grundgerüst elementarer Wertsetzungen eingebunden sind, wie es dazu gekommen ist, und ob sich daran etwas ändern läßt.

<newpage><h2>Mensch und Tier oder Menschen und Tiere</h2>
Wenn wir in den folgenden Überlegungen von &quot;Mensch&quot; und &quot;Tier&quot; sprechen, so ist das eine krasse Vereinfachung, die für die skizzenhafte Nachzeichnung der großen Linien unvermeidlich ist und die in den Denkgebäuden unserer Religions- und Philosophiegeschichte sowie im Sprachgebrauch des Alltags in der Regel ebenso kraß vorgenommen wird. Wir sollten aber im Hinterkopf behalten, daß es sich dabei um Abstraktionen handelt. Zu allen Zeiten hat es sehr verschiedene Menschen gegeben, feinfühlige und rohe, mitleidige und stumpfe, gehorsame und ungehorsame, nachdenkliche und zynische usw. in allen Schattierungen (und auch das sind nur vereinfachende Charakterisierungen). Kulturelle Prägungen haben aber immer die einen oder anderen Züge gefördert oder zurückgedrängt, häufig mit äußerst rigiden Methoden. Und die Prägbarkeit des Menschen ist nahezu grenzenlos, besonders wenn sich die Inhalte mit Vorteilen für ihn decken.

Das läßt sich für unser Thema besonders an der spontanen, der Menschengattung nicht minder als die Grausamkeit und der Egoismus angeborenen, Fähigkeit zu Mitleid verdeutlichen.

Ich möchte dazu eine Überlieferung der sibirischen Jugakiren erzählen: In diesem Volk zeigte ein Mädchen Mitleid mit dem von ihrem Bruder erlegten Hirsch. Daraufhin wurde sie von dem Dorfschamanen dazu verurteilt, zwischen zwei Hunden erhängt zu werden, wie Jesus zwischen zwei verachteten &quot;Schächern&quot;, weil ihr Mitgefühl dem Jagdglück Schaden zufüge. Da dieses Volk die Jagd als Nahrungsgrundlage gewählt hatte, diente die modellhafte Hinrichtung des Mädchens offensichtlich dem Zweck, als Warnung und Abschreckung gegen etwa aufkeimende Gefühle der Empathie zu wirken. Bei aller legendenhaften Verkleidung erkennt man hier deutlich das <b><i>zweckrationale</i></b> Motiv. Das <b><i>Mitleidsverbot</i></b> gegen Tierleid begegnet uns in vielen Varianten; in unserer Zeit z. B. als Abwertung des Gefühls in Form des Lächerlichmachens, des Vorwurfs der Sentimentalität, der Verrücktheit, bis hin zur gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen, die &quot;übertriebener&quot; Tierliebe geziehen und allein deswegen als Menschenfeinde verschrieen werden. In manchen Ländern verbüßen Tierbefreier/innen über zehnjährige Haftstrafen&nbsp;&#150; Menschen, die ihr Mitgefühl mit Tieren über das Eigentums&#187;recht&#171; von Tierquälern gestellt haben.

Zweckrationalität steht auch, um das hier vorwegzunehmen, hinter dem Dekret des Kirchenvaters <b>Augustin</b>, wonach wir den Tieren kein Mitgefühl, keine Gerechtigkeit und keine Achtung schulden, was auch von anderen Kirchenlehrern im Mittelalter, besonders von <b>Thomas von Aquin</b> und den <b>Scholastikern </b>beständig wiederholt und gepredigt wurde. Der <b><i>Zweck</i></b> ist hier&nbsp;&#150; neben der Verteidigung der liebgewordenen Gewohnheit des Fleischessens -, die Idee von der <b><i>Einzigartigkeit</i></b> der menschlichen Seele zu etablieren. Wer durch Gefühle, Gedanken oder Handlungen Tiere in die Nähe des Menschen rückt, versündigt sich daher an dieser Idee. Das gleiche Muster bedienen heute u.a. die Verteidiger der Vivisektion, die immerzu auffordern, die Tiere nicht zu &quot;vermenschlichen&quot;, (während die Grundlage ihrer Tätigkeit ja gerade die Ähnlichkeit ist.)

Aus der Geschichte des Jugakirenmädchens und zahlreichen anderen Legenden und Berichten aus allen Epochen sowie umgekehrt aus den aggressiven Attacken der Vertreter behaupteter oder angenommener <b><i>allein</i></b>menschlicher Interessen sehen wir aber auch, daß es die andere Seite, das dem Zweckrationalismus entgegengesetzte Fühlen und Denken und Handeln auch schon immer gab, sonst hätte man es nicht bekämpfen müssen. Wann immer wir im Folgenden von &quot;Mensch&quot; oder ganzen Völkern sprechen, sprechen wir von den zur Herrschaft gelangten, dogmatisierten Strömungen. Der Islam z.B. ist mit Sicherheit als tierverachtend einzustufen, aber vermutlich gibt es in Kairo und überall, wo man am Bayramfest buchstäblich im Blut der in jeder Familie geschlachteten Opfertiere watet, viele heimlich weinende Mädchen und viele mit zusammengebissenen Zähnen ihre Emotionen unterdrückenden Familienväter, die ihre Zweifel haben mögen, ob es wirklich der Ehre Allahs dient, wenn sie dem schreienden Lämmchen oder dem sich erbittert wehrenden Stier den Hals durchschneiden.

Auch &quot;das Tier&quot; gibt es natürlich nicht. Zoologisch gesehen gibt es Millionen Tierarten und unter diesen viele, die biologisch dem Menschentier um ein Vielfaches näherstehen als anderen Tierarten. So hat etwa der Schimpanse mit dem Menschen 98,4&nbsp;% der Erbsubstanz gemeinsam, ist also genetisch fast ebensoweit wie dieser z. B. von einem wechselwarmen Reptil oder von einem Fisch entfernt. Außerdem ergeben sich psychologisch ganz andere Voraussetzungen gegenüber Haus- Nutz- oder Wildtieren; und eine unübersehbare Bandbreite von individuellen Beziehungen und mehr oder minder zufälligen, religiös, ästhetisch oder durch Nützlichkeit oder Schädlichkeit begründeten Vorlieben bzw. Abneigungen erschwert zusätzlich die Verallgemeinerung auf den Begriff &quot;Tier&quot;. (Die Abgrenzung zur Pflanze soll uns hier nicht beschäftigen: wir nehmen sie nach dem neurologischen System vor, d.h. nach den uns bekannten schmerzleitenden und inneres Erleben bedingenden Organen.) Für das christliche Abendland, mit dem wir es heute zu tun haben, ist aber die Abwertung der <b><i>gesamten</i></b> Tierwelt charakteristisch. Nicht einmal Ochs und Esel, die bei der Geburt des Jesuskindes Zeugnis ablegten und es wärmten, wurden in den exklusiven Club der Besitzer einer unsterblichen Seele aufgenommen und daher nicht mit dem Anspruch auf Würde, Respekt und anständige Behandlung ausgestattet.

<newpage><h2>Vorchristliche Konzepte</h2>
<b><i>Wie</i></b> beliebig die Wertsetzungen sind, soll an dieser Stelle ein notwendigerweise stark verkürzter Rückblick auf einige vorchristliche Konzepte verdeutlichen, die unsere abendländische Kultur in ethischer oder religiöser Hinsicht nur am Rande berührt und kaum beeinflußt haben oder die von späteren Strömungen unfruchtbar gemacht wurden&nbsp;&#150; wie etwa die griechisch-römische Mythologie.

<h3>Ägypten</h3>
Beginnen wir im Alten Ägypten. Wenn wir einen Bildband ägyptischer Kunst durchblättern, fällt sofort die Fülle der tiergestaltigen Gottheiten auf. Ganz offensichtlich liegt dem eine andere Sichtweise auf die Tierwelt zugrunde. Tiere konnten heilig sein, göttlich sein, Götter sein. Der Schöpfungsgott Chnum wird als Widder dargestellt, die große Himmelsgöttin Hathor als Kuh oder mit einem Kuhkopf, Isis mit Kuhgehörn, der Isis und des Osiris Sohn Horus als Falke, der Totengott Anubis als Schakal und so in schier unüberschaubarer Zahl weiter in vielen regionalen Abwandlungen. Schadenstiftende und deshalb verdammte und preisgegeben Tiere kommen nach meiner Beobachtung überhaupt nicht vor, obwohl man sie sich in der Realität des Zusammenlebens im &quot;wilden&quot; Afrika ja nicht wegdenken kann. Nicht einmal das Krokodil verfällt dem Abscheu, es ist ein Gott. Vielleicht nicht alle Tierarten, aber offenbar die meisten, hatten einen geheiligten Status. Einen Zweckrationalismus kann man hier kaum erkennen&nbsp;&#150; allenfalls bei der Vergöttlichung der Katze als Göttin Bastet, deren Nützlichkeit als Mäusevertreiberin in dem Getreideland einleuchten würde. Aber da ihr Status sich nicht von dem der potentiell dem Menschen schädlichen Tiere unterscheidet, ist bei einer so modern&nbsp;&#150; trivialen Interpretation Vorsicht geboten. Die Schlange etwa ziert die Kopfbedeckung der Pharaonen und in der Praxis wurden Milchschälchen für Schlangen vor die Tür gestellt. Katzen wurden aus einem brennenden Haus als erste gerettet, wie der &quot;aufgeklärte&quot; griechische Historiker <b>Herodot</b>, der Ägypten im 5.Jh. v. Chr. bereiste, erstaunt berichtet. Er bezeugt auch, daß sich als Zeichen der Trauer um den Tod eines zum Haus gehörigen Hundes oder einer Katze alle Familienmitglieder kahlschoren. Die Ägypter waren ein Ackerbauervolk und hielten Tiere zur Arbeit, wohl auch zur gelegentlichen Ergänzung des Speiseplans durch Fleisch. Aber es ist schwer vorstellbar, daß sie so heilige Wesen wie den Stier, die Kuh, den Widder grausam behandelten oder mutwillig vernichteten, daß sie ihre Namen als Schimpfworte benutzten, oder Tiere überhaupt gewissenlos als Mittel zum Zweck betrachteten. Seine Götter und Göttinnen tritt man nicht in den Staub. Auf Tötung bestimmter Tiere stand die Todesstrafe. Der erste Satz des Bekenntnisses vor dem Totengericht, einer postmortalen Beichte, auf die man sich im Leben vorbereitete, lautet: &quot;Ich habe kein Tier mißhandelt&quot;.

<h3>Hinduismus</h3>
Auch alle indischen Religionen weisen den Tieren ihren Platz nicht unter den Füßen des Menschen zu. Der hinduistische Götterhimmel wimmelt von Tieren. Der besonders hochrangige Gott Ganesha ist sogar der Gott der Intelligenz und der Künste&nbsp;&#150; in Gestalt des Elefanten. (Er ähnelt in seinen Funktionen dem griechischen Apollon, der aber in Menschengestalt gedacht wird.) Die altindischen Veden wenden dem Haustier und insbesondere dem Rind eine so hohe Aufmerksamkeit zu, daß sich daraus das absolute Tötungsverbot des Hinduismus entwickelt hat und die quasi-religiöse Verehrung der Kuh, die sie auch ohne einen ritualisierten kultischen Status genießt. Das konsequente Rindfleischtabu in der Praxis ist für die Kuh vermutlich noch viel nützlicher… (Wenn <b>Gandhi</b> im 20. Jh. die Kuh als Mutter Indiens preist, läßt er bei aller Hymnik der Redeweise einen gewissen Nützlichkeitsaspekt anklingen&nbsp;&#150; die Kuh wird u. a. dafür gerühmt, daß sie die Kinder mit ihrer Milch ernähre, die Felder weich und fruchtbar mache und die Feuerstätten mit ihrem getrockneten Dung versorge. Das mag einen schonenden Umgang im ansonsten zulässigen Gebrauch tierlicher Kräfte und Fähigkeiten widerspiegeln, kann aber auch ein Zugeständnis an das Nützlichkeitsdenken der Engländer und des Westens sein, um ihnen die hohe Achtung vor der Kuh ein wenig begreiflich zu machen. Denn da das Verbot der Rindtötung längst auch alle anderen Tiere umfaßte, scheint eher eine spirituelle Motivation wahrscheinlich). Das absolute Tötungsverbot richtet sich nur an die höheren Kasten, besonders die Brahmanen. Die niederen und die kastenlosen Paria können ihr Karma mit Tiertötung und Tierfleischessen gelegentlich beschmutzen&nbsp;&#150; sie sind ohnehin noch sehr weit von der Erlösung.

Als Ganzes ist der Hinduismus ein für den westlichen Menschen fast undurchdringlicher Dschungel voller Verzweigungen und Widersprüche, auch zu unserem Thema. So gibt es die furchtbaren Blutopfer für die Göttin Kali (Durga), bei deren Festen sich auch Menschen vor ihren Wagen werfen und töten lassen, und andererseits die heiligen Ratten in Rajastan, etwa 20.000 allein im Tempelbereich Deshnoke, wo sie aus silbernen Schüsselchen mit süßem Reis gefüttert werden. (Deshnoke blieb übrigens als einziger Ort von der großen Pest des Jahres 1927 verschont, ebenso vor 2-3 Jahren von einer kleineren Pestepedemie in einer nahen Region, wie der insoweit unverdächtige &quot;Spiegel&quot; berichtete. Was wohl dafür spricht, daß Ratten die Pest nicht übertragen, wenn man sie nicht totschlägt.) So gibt es die Prüfung der Kindgöttin von Nepal, die (ähnlich wie der tibetische Dalai Lama) aus dem Volk erwählt wird: Das kleine Mädchen muß bei einer Tierschlachtung zusehen und darf keine Regung zeigen&nbsp;&#150; das ist das Zeichen ihrer Erwähltheit. Aber es gibt auch die Heiligen Affen, die in der modernen Großstadt Neu-Delhi frei herumtoben und manchmal die Büroangestellten der Ministerien zur Verzweiflung bringen, wenn sie ihnen durch das offene Fenster ihre Papiere oder das Frühstücksbrot klauen. Doch als der Stadtrat wegen solcher Vorfälle vor einigen Jahren beschloß, die Affen in ein anderes Gebiet zu verbringen, fand sich trotz der Zusicherung, daß der neue Wohnsitz, ein Park, den Tieren alle Freiheit ließe und daß keine Affenfamilie auseinandergerissen würde, niemand, auch nicht unter den Ärmsten der Armen, der bereit gewesen wäre, die gewaltsame Umsiedlung durchzuführen.

<h3>Buddhismus</h3>
Aber aus dem verwirrenden Hinduismus erwuchsen auch die leichter zugänglichen Blüten des Buddhismus und des Jainismus. <b>Gautama Buddha</b> lehrte im 6. Jh. v. Chr. die Verwandtschaft alles Lebendigen. Eng damit verbunden ist die Idee der Seelenwanderung, die besagt, daß jedes Tier einmal ein Mensch gewesen ist und wieder ein Mensch werden kann. Es ist hier nicht der Ort, sich mit der Seelenwanderungsidee auseinanderzusetzen. Nur insoweit ist sie für unser Thema interessant, als sie den erstaunlichsten und fruchtbarsten Ansatz für eine anständige Behandlung der Tiere geliefert hat, und auch die langlebigste. Sie ist auch heute wieder für manche europäischen und amerikanischen Tierschützer/innen die Quelle ihres Engagements, zuweilen auf dem Weg über diverse fragwürdige esoterische Vermittlung oder durch die direkte, zur Zeit sehr aktuelle, Hinwendung zum Buddhismus. Es ist von hier und heute aus schwer zu beurteilen, wie wörtlich die Reise der Seele von Körper zu Körper zu verstehen ist&nbsp;&#150; sicher nicht so, wie es sich einige in ihr Ego verliebte Schauspielerinnen oder Hausfrauen vorstellen, wenn sie glauben, einstmals als ägyptische Prinzessin schon auf dieser Welt geweilt zu haben. Man hat noch nie gehört, daß jemand sich als Ratte unter den Händen eines Vivisektors erlebt hat. Es wäre vielleicht denkbar, diesen Teil der Lehre Buddhas nach der Art zu interpretieren, die z.B <b>Eugen Drewermann</b> auf die Wunder und Legenden anwendet, die Jesus umranken&nbsp;&#150; nämlich unter der bildhaften Verkleidung den Kern herauszuschälen, der hier in der Einsicht in die tiefe Verwandtschaft, ja Einheit, aller Lebewesen liegen könnte. Wie bewußt die Buddhisten die Tiere in die Achtung vor dem Leben anderer einbeziehen, kann man in Asien z. B. daran sehen, daß auch Touristen vor dem Besuch eines buddhistischen Tempels alle Kleidungsstücke aus Leder, wie Schuhe, Taschen oder Gürtel, vor dem Eingang ablegen müssen.

<h3>Die Jaina</h3>
Als letzte der indischen Religionen oder Ideenlehren wollen wir noch kurz den Jainismus betrachten, einen Zweig des Buddhismus. Die Jaina vertreten und leben am konsequentesten die ebenfalls aus dem Füllhorn des Hinduismus stammende Lehre des <b>Ahimsa</b>, der Nichttötung und Nichtverletzung jedes menschlichen und tierlichen Lebens. Bei den Brachialpragmatikern unserer westlichen Kultur, die keine Fliege ungetötet lassen können und deren Lieblingswort &quot;übertrieben&quot; ist, ernten sie bestenfalls verständnisloses Kopfschütteln, wenn sie mit einem Mundschutz und einem Besen über die Straße gehen, um keinen Wurm, keine Ameise, keinen Käfer, keine Schnecke zu zertreten und nicht versehentlich ein Insekt einzuatmen. Weiter kann man nicht von den Höllenindustrien der westlichen Tierverwertung entfernt sein.

<h3>Griechische Mythologie</h3>
Für den griechisch&nbsp;&#150; römischen Kulturkreis möchte ich den religiös&nbsp;&#150; mythologischen Bereich nur kurz streifen, da er in der Ethik keine bleibenden Spuren hinterlassen hat. Bemerkenswert im Hinblick auf den Status der Tiere scheint mir nur der Hinweis, daß die uns vertraute griechische Mythologie, wie sie von Homer aufgezeichnet (und später von den Römern als Fertighaus plus lebendem Inventar komplett übernommen wurde), bereits eine patriarchalisch geprägte Überformung früherer Schichten ist. Aus diesen älteren Schichten finden sich viele Elemente, die weniger an die Ehrfurcht der ägyptischen Tierverehrung erinnern, dafür aber eine gewisse Familiarität spiegeln, ein Verhältnis, das auch gegenseitige Hilfe, gleichberechtigte Nähe und anverwandelnde Liebe kennt. Insofern ähnelt die griechische Götterwelt durchaus vielen, wenn nicht allen alten Kulturen, in denen Menschen, Tiere und Götter noch nicht scharf geschieden waren, Mensch, Natur und Kosmos eine Einheit bildeten. Ich erinnere hier an die Verwandlung von Daphne in einen Lorbeerbaum oder Narziß in eine Blume, an die Verwandlungen des Gottes Zeus in einen Stier oder Schwan oder seiner Geliebten Io in eine Kuh; oder daran, daß Zeus, als Kind ausgesetzt, von einer Ziege ernährt und beschützt wurde und nur dadurch überlebte. Diese Ziege bekam einen persönlichen Namen, Amalthea, und wird später zum Dank als Stern an den Himmel versetzt, (wo sie heute noch steht). Das gleiche Motiv findet sich bei Romulus und Remus in Rom, die von einer Wölfin gesäugt wurden. Auch Mischwesen wie Sphinxe, Sirenen und Kentauren zeugen von einer Vorstellungswelt, in der alles mit allem verbunden werden kann.

<newpage><h2>Exkurs: Die Taube</h2>
Ein Tier, an dem sich der tiefe Fall eines einst göttlichen Wesens besonders gut demonstrieren läßt, ist die Taube. Sie war der heilige Vogel der Göttin Aphrodite (Venus) und genoß kultische Ehren. Folgt man der modernen Matriarchatsforschung, war Aphrodite eine Verkörperung der Großen Göttin, die im ganzen Mittelmeerraum und im Orient in vielen Erscheinungsformen unter vielen Namen verehrt wurde, z. B. als Isis, Astarte, Demeter u.v.a. und eben auch in Tiergestalt&nbsp;&#150; im palästinensischen Raum besonders als Taube. Nach der sumerischen Mythologie ist die Taube sogar die Schöpfungsgöttin. In dieser Gestalt war sie so tief in der Volksreligiosität verwurzelt, daß auch die monotheistischen Hebräer und Christen sie nicht verbannen konnten. So geriet die Taube im Dreifaltigkeitsmythos auf unbestimmte, durch keine Exegese einleuchtend erklärte, Weise neben oder über Gottvater oder in ihn hinein, als &quot;Heiliger Geist&quot;. Das hatte ihre positive Bewertung bis in die allerjüngste Zeit zur Folge, Kirchendächer und -böden und die Dachstühle bewohnter Häuser waren ihr sicherer Wohnsitz. In säkularisierter Form gilt sie auch heute noch als Symbol für Liebe und Frieden, (wobei sich ihre Hochschätzung auch aus der Geschichte von der Arche Noah herleitet, wo die Taube Noah das Ende der strafenden Sintflut verkündete. Aber auch Noahs Botin des Guten war da schon nicht zufällig eben die Taube!) Heute ist auch dieses wohl einzige Tier, dem es gelang, einen letzten Rest Numinosität, einen Hauch von Heiligkeit, über die Jahrtausende zu retten, fanatischem Haß und der Verfolgung aus trivialsten Gründen ausgesetzt; bis zu ihrem zynisch verordneten Hungertod durch totalitäre Fütterungsverbote in unseren Städten und Gemeinden, die ihr Lebensraum sind. Die Kirchen haben mit als erste ihre Fenster und Luken zugenetzt und vergittert; an der Heiliggeist&nbsp;&#150; Kirche (!) in München konnte man monatelang tote Tauben sehen, die sich im Netz verfangen hatten und verhungert und verdurstet waren.

<newpage><h2>Pythagoras und Empedokles</h2>
Neben und nach der klassischen Mythologie stoßen wir im antiken Griechenland auf zwei nicht-religiöse, philosophische Grundlinien, die direkten Einfluß auf das Mensch-Tier Verhältnis für die folgenden Jahrhunderte und Jahrtausende haben sollten. Schon im 6. vorchristlichen Jahrhundert&nbsp;&#150; der Zeit, in der auch Buddha wirkte&nbsp;&#150; begegnen wir einem Denker, den wir eher als Naturwissenschaftler und Philosophen einzuordnen haben und der eine ethische Lehre begründet hat, die die Tiere einschließt: <b>Pythagoras</b>, dem heute noch jedem Schulkind als Begründer des Pythagoreischen Lehrsatzes bekannten Mathematiker, der bereits rund 2000 Jahre vor Galilei</b> und <b>Kopernikus</b> die Kugelgestalt der Erde und ihren Umlauf um die Sonne erkannt hatte. Von Pythagoras und seiner in Unteritalien wirkenden Bruderschaft ging eine Wirkung aus, die Jahrhunderte überdauerte, Schulen bildete und zu immer neuen Bünden und Vereinigungen die Kraft fand. Kernpunkt des praktischen Lebens der Pythagoreer war der Vegetarismus und das Mitgefühl mit Tieren. (Die ersten Vegetarierbünde der Neuzeit in unserem 19. und 20. Jh. nannten sich wieder Pythagoreer.) Die religiös-philosophische Verankerung lag in der Lehre von der Seelenwanderung, zu der das Gleiche zu sagen ist, wie zu ihrer buddhistischen Version. Ob Glaube oder metaphorische Einkleidung&nbsp;&#150; im Ergebnis führt diese Vorstellung die Tiere sehr nahe an den Menschen heran.

Der fast ebenso berühmte Pythagoras-Schüler <b>Empedokles</b> (500&nbsp;&#150; 440 v. Chr.) lehrte, daß alle Weltmaterie aus den gleichen Stoffen besteht, sich in unendlich kleinen Teilchen immer wieder neu zusammensetzt und potentiell Denkkraft und Seele besitzt. Die modernen Wissenschaften wie Molekularbiologie, Atomphysik oder Wärmelehre sind davon nicht weit entfernt. Nur daß Empedokles aus dieser innersten, stofflichen Verwandtschaft eine ethische Folgerung zog: die Güte gegen alles Gestalt gewordene Leben. Von ihm ist u. a. eine in die klassische Form der rückwärts gerichteten Utopie gekleidete Beschreibung des Goldenen Zeitalters überkommen: &quot;Doch mit lauterem Stierblut ward kein Altar benetzt, sondern dies war unter den Menschen die größte Befleckung, Leben zu entreißen und edle Glieder hineinzuschlingen&quot;. Auch die beiden großen Dichter Roms, <b>Horaz</b> und <b>Ovid</b> finden wir in dem Gefolge der Pythagoreer und als Sänger der gewaltfreien, vegetarischen Lebensweise.

<newpage><h2>Von Aristoteles zu den Kirchenvätern</h2>
Weitaus wirkungmächtiger wurde aber ein anderer Denkansatz aus dem antiken Griechenland, die durch die Namen <b>Platon</b> und Aristoteles</b> zu charakterisierende dualistische Lehre, die den Geist als reine, stofflose Energie ansah und von der Materie, dem Körper, trennte. Immerhin sprach Aristoteles den Tieren noch Empfindung und eine Art &quot; wollender Seele&quot; zu, beschied aber, daß die stoffunabhängige &quot;Vernunft&quot; allein dem Menschen vorbehalten sei. Es ist heute wohl kaum noch vorstellbar, wie sich im Altertum und in der hellenistischen Epoche, (in der sich auch das Christentum entwickelte), die Gemüter über solche Fragen erhitzten. Um es vorwegzunehmen: Die aristotelische Linie, (wie wir dieses Abspalten des im Menschen und nur in ihm wirkenden Geistes von allen anderen Erscheinungsformen des organischen Lebens der Einfachheit halber nennen wollen), hat gewonnen. Hier begann die Inthronisierung der sogenannten Vernunft. Hinzu trat die Behauptung, daß die formende Kraft hinter und in allen Lebenserscheinungen zielgerichtet vorgeht, auf die höchste Stufe, den denkenden Menschen, angelegt sei. Von weiteren Schulen dieser Richtung sei noch die <b>Stoa</b> erwähnt. Die Stoiker wirkten insbesondere auf das römische Denken ein.

Der Pythagoreer <b>Plutarch</b>, ein bedeutender Historiker und Philosoph des ersten nachchristlichen Jahrhunderts (50&nbsp;&#150; 125 n. Chr.) ironisierte bereits scharfsinnig die besonders von den Stoikern vertreten Auffassung, daß die Welt um des Menschen willen geschaffen sei, mit dem Argument, welchen Sinn dann wohl die schädlichen Insekten hätten. Plutarch verfaßte Abhandlungen über den Tierverstand und trat für eine Anerkennung tierlicher Vernunft ein, aus der er ihren Anspruch auf eigene Rechte ableitet. Er argumentierte auch gewitzt und nachdrücklich gegen die antivegetarische Polemik.

Doch die andere Seite trug auf Dauer den Sieg davon. Das wäre ihr aber vermutlich nicht so leicht und so total gelungen, wenn ihr nicht ein historischer Faktor zuhilfe gekommen wäre: die Institutionalisierung des Christentums. Während <b>Aristoteles</b> von einer individuellen unsterblichen Seele nichts wußte, ebensowenig wie die jüdische Religion, von der sich ja das Christentum als Sekte abgespaltet hatte, wurde eben diese Vorstellung zum Zentrum der christlichen Dogmatik. Die mehr oder weniger gelehrten Kirchenväter der frühen Jahrhunderte beriefen sich zur quasi wissenschaftlichen Abstützung ihrer Lehren auf die Autorität des Aristoteles und andere &quot;heidnische&quot; Denker, die die Sonderstellung des Menschen in der Natur behaupteten. Diese Richtung verband sich mühelos mit dem im Alten Testament vorgegebenen Glauben, daß der Mensch Gottes Ebenbild sei und daß Gott die Welt und alles, was auf ihr kreucht und fleucht, für den Menschen und zu seiner Nutzung gemacht habe. Folgerichtig sprach Kirchenvater <b>Augustinus</b> (354&nbsp;&#150; 430) den Tieren als Nichtbesitzenden des unsterblichen göttlichen Anteils im Menschen, der Vernunftseele, diese Seele ab und erklärte geradeheraus, daß der Mensch keinerlei Pflichten gegen die Tiere hätte. Nichts, was wir den Tieren antun, kann eine Sünde sein. So war des Tier wesenlos geworden, sozusagen entkernt. Ihm fehlte das Wichtigste, um das sich von nun an alles drehen sollte, die unsterbliche Seele. Augustin dekretierte übrigens auch, daß die Frau nicht als Ebenbild Gottes erschaffen sei&nbsp;&#150; mit den bekannten Folgen der im Lauf der Kirchenherrschaft zunehmenden Entmachtung der Frau bis hin zur Hexenverfolgung. Immerhin wurde sie nicht gänzlich von der Heilserwartung ausgeschlossen, während über die Tiere die totale Recht- und Schutzlosigkeit hereinbrach.

Auch von der Religion der Väter, dem Judentum, wählte die christliche Dogmatik die den Tieren schädlichen Aspekte aus oder interpretierte Bibelstellen in diesem Sinne, so z. B. das berühmte &quot;Macht euch die Erde untertan&quot; aus dem 1. Buch Genesis. Darüber ist schon so viel gesagt worden, daß an dieser Stelle nur historisch festzuhalten ist: Diese Anleitung wurde fast 2000 Jahre lang wörtlich genommen, ohne Abstriche. Sie bildet die Basis des christlichen Naturverständnisses bis in die heutige Zeit. Daran ändern die gegenwärtigen Versuche, den Herrschaftsauftrag als Mahnung zu pfleglichen Umgang auszulegen, nichts mehr. Die Vorstellung, daß der Mensch der Herr der Welt sei, ist längst tief im Unterbewußtsein verwurzelt und wirkt heute auch da machtvoll weiter, wo sie sich von ihrem religiösen Ursprung gelöst hat, in unserer Industrie und Technik, in unserer gesamten Haltung zur Natur als Rohstoff für unser Wohlbefinden. Und übrigens bestätigt der neueste offizielle Katechismus der katholischen Kirche ausdrücklich und in vollem Umfang die Lehre, daß die Welt samt den Tieren für den Menschen erschaffen worden sei.

<newpage><h2>Das Judentum</h2>
Aus dem jüdischen Erbe wurden obendrein alle tierschützerischen Bestimmungen verbannt, die das Hirten&nbsp;&#150; und Viehzüchtervolk in beträchtlichem Maße in seine Religion eingebaut hatte. Dazu gehören&nbsp;&#150; bindende&nbsp;&#150; Einzelvorschriften wie die Ruhezeiten für Arbeitstiere oder Hilfeleistung für verunglückte oder überforderte Tiere, das Jagdverbot und vor allem die Speisegebote. Einen weltlichen Menschen unserer Tage mag die Aufzählung von Tieren, die gegessen oder nicht gegessen werden dürfen, eher komisch anmuten, etwa wenn es heißt, daß nur die (Säuge)-tiere gegessen werden dürfen, die die Klauen spalten und wiederkäuen, nicht aber die, die zwar die Klauen spalten, aber nicht wiederkäuen oder wiederkäuen, aber die Klauen nicht spalten oder von den Wasserbewohnern nur die, die Schuppen oder Floßfedern haben. Eine lange Reihe von nicht eßbaren Tieren ist aufgelistet im 5. Buch Mose, darunter das Kamel, der Hase, der Strauß. Es ist aber offensichtlich, daß die Auswahl der für &quot;rein&quot; erklärten Tiere einen immensen praktischen Schutz für alle <u>nicht</u> koscheren Tiere darstellte, die dadurch der menschlichen Freßsucht entzogen waren. In diesem Zusammenhang muß auch erklärt werden, daß das Schächtgebot in seiner Entstehungszeit, vielleicht Tausende von Jahren vor unserer Zeitrechnung, eine außergewöhnliche, nur von den Israeliten überlieferte Maßnahme praktischen Tierschutzes darstellte. Und zwar aus folgenden Gründen: Das Amt des Schächters war und ist in der jüdischen Religion ein geheiligtes, fast priesterliches Amt: ein einwandfreier Charakter, eine verantwortungsvolle Ausbildung und fehlerloses Werkzeug&nbsp;&#150; wie etwa geschärfte Messer ohne Scharte&nbsp;&#150; waren Bedingungen, die mit religiöser Autorität kontrolliert wurden. Vor allem bedeuten diese strengen Regeln den <b><i>Ausschluß</i></b> aller anderen von der Tötungshandlung. Es konnte sich nicht jeder grobe Bauernbursch oder hungrige Rohling einfach voraussetzungslos über ein Tier hermachen. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Völkern. Den glücklichsten Vorteil brachte das Schächtgebot für die Wildtiere&nbsp;&#150; da erschossene Tiere nicht dem Gesetz gemäß getötet werden konnten, bedeutete dies das Verbot des sonst überall so beliebten Jagd&#187;vergnügens&#171;. Die <u>Art</u> der den Juden erlaubten Tötung, das Durchschneiden der Halsschlagader, ist bei allen tierschlachtenden Völkern bis heute gebräuchlich, nur eben nirgendwo geregelt und streng ausgewählten Personen vorbehalten. Auch der Islam hat die Methode des Halsschnitts beibehalten, aber ohne die im Judentum zwingenden Schutzvorschriften. Töten darf jeder, so gut er kann.

Auf die heute mit dem Schächten verbundene Problematik, die sich nur auf die fehlende Betäubung vor der Schlachtung bezieht, will ich hier nicht näher eingehen (es sei denn, daß es gewünscht wird und Zeit bleibt). Selbstverständlich ist jeder tierschützerisch gesinnte Mensch unserer Tage für die vorhergehende Betäubung, auch führende Rabbiner halten sie mit dem jüdischen Gesetz für vereinbar. Ich möchte hier nur ins Gedächtnis rufen, wie jung die Betäubung auch bei den christlichen Völkern ist&nbsp;&#150; knappe hundert Jahre,&nbsp;&#150; sie war ja erst nach der &quot;Erfindung&quot; der Elektrizität möglich!&nbsp;&#150; vielerorts noch viel jünger, und bei Hausschlachtungen bis heute nicht vorgeschrieben; und in großen Schlachthöfen nur zu oft unvollkommen durchgeführt. Niemand hat die Schweine gezählt, die noch fühlend in die Brühkessel geworfen werden, die Rinder, die noch am Haken zucken. Für die Millionen Pelztiere gibt es im christlichen Abendland keinerlei Betäubungsvorschriften: sie werden erschlagen oder vergast.

<newpage><h2>Frühe Christen / Dogmatik / Schlussfolgerung</h2>
Aus dem Alten Testament also stammt die Idee von dem Menschen als Gottes Ebenbild. So wurde auch sein Sohn zum Menschen. Der Gedanke, den Robert Musil</b> im 20.Jh. einmal so schön formuliert hat, lag sehr fern: &quot;Wenn Gott Mensch werden konnte, konnte er auch Katze werden&quot;.

Es hätte alles auch ganz anders kommen können. Im frühen Christentum lag eine einmalige Chance, eine Tierethik zu entwickeln, die uns und vor allem den Tieren zwei Jahrtausende lang eine andere Welt beschert hätte. In den Urgemeinden herrschten verbreitete Tendenzen zur Ausdehnung des Prinzips der Nächstenliebe auf die anderen leidenden Wesen. Dort sammelten sich vielfach Menschen, die als Sklaven, Arme, Ausgestoßene, Rechtlose ihre Leiderfahrungen einbrachten und auf Erlösung durch den neuen Gott der Milde hofften. Die neuen Töne sprachen mit Sicherheit auch vor allem die an, die man, ganz einfach gesagt, als die besseren Menschen bezeichnen kann, solche, die des Mitgefühls fähig waren, die in dem von Machtmißbrauch und grotesken Exzessen gekennzeichneten Römischen Reich der Kaiserzeit nach Gerechtigkeit suchten, die Sensibleren, die man sich kaum als das Stammpublikum der Tierkämpfe und Massaker des römischen Zirkus vorstellen kann. Es ist zu vermuten, daß sich innerhalb dieser Gemeinden Mehrheiten gegen den Mainstream der Achtlosigkeit, der Grausamkeit, der Gewalttätigkeit, des Zynismus bildeten, die Menschen <b><i>und</i></b> Tieren seit Urzeiten das irdische Leben zur Hölle machten. Die vegetarische Lebensweise vieler Gemeinden ist bezeugt. Die tierfreundlichen Denk- und Verhaltensweisen konnten sich aus verschiedenen Quellen speisen: direkt aus dem als christlich legitimierten Mitgefühl; aus dem Verständnis aller Geschöpfe, arm und reich, hoch und niedrig, Mensch und Tier, Mann und Frau als Kinder Gottes; aus Teilen der noch sehr aktuellen pythagoreischen Lehre und aus der vermutlichen Ursprungssekte des Jesusglaubens, der Essener, die ebenfalls Vegetarier waren. Diese verstreut lebenden Christengruppen wurden auch vermutlich weniger von dem gelehrten Unfug ihrer Oberen erreicht, die ihre Spekulationen über die Natur der Seele auf dem Rücken der Tiere austrugen. Die überaus kenntnisreiche französische Schriftstellerin <b>Marguerite Yourcenar,</b> (1987 gest.) weist auf die Fülle der tierfreundlichen Folklore, auf die Heiligenlegenden des frühen Christentums bis ins hohe Mittelalter hin.

Es war jedoch das doktrinäre, knöcherne, lebensfeindliche, naturferne Denken der christlichen Dogmatiker, das die Herrschaft an sich riß. Es knüpfte ebensowenig an die mitleidsvolle Frömmigkeit der einfachen Gläubigen an wie an die naheliegende Vision des Garten Eden in der Priesterschrift des Alten Testaments, die immerhin auf der ersten oder zweiten Seite jeder Bibel steht und ähnlich wie <b>Empedokles</b> oder der Prophet <b>Jesaja</b> einen Zustand beschwört, in dem Menschen und Tiere gewaltlos miteinander leben und sich von pflanzlicher Kost ernähren. Nicht einmal ins Jenseits, auf das alle Hoffnungen ausgerichtet wurden, werden Tiere aufgenommen. Es ging ja um &quot;Höheres&quot;, um die abstrakte Seele, um abstrakte Fragen, die diese Abstraktion hervorrief. In Ermangelung der menschlichen &quot;Vernunftseele&quot; und Menschensprache konnten sich Tiere ja auch nicht in die Dispute über die Erbsünde oder die Natur der Engel einmischen, (die z. B. im 13. Jh. die Scholastiker und <b>Thomas von Aquin</b> bis zum Exzess trieben,) und ihre weniger abstrakten Interessen vertreten. Nichts leichter, als sie für nicht erlösungsfähig zu erklären. Sie wurden zum Gegenbild der menschlichen Auserwähltheit hinabstilisiert, von dem der Mensch sich erst so richtig abheben konnte, (vorausgesetzt, daß er sich taufen ließ.)

Ich fürchte, wir haben hier den Schlüssel für die eingangs gestellte Frage nach dem gewaltigen Unterschied zwischen Mensch und Tier gefunden, der die um 180 Grad verdrehte Bewertung und Behandlung von Tieren rechtfertigen soll: Die scheinrational begründete <b><i>grundsätzliche</i></b> Andersartigkeit des Menschentiers durch ein unseliges Amalgam aus den jeweils ungünstigsten Bestandteilen der Gedankenspiele der Alten Welt. Der falschen Biologie des <b>Aristoteles</b> wurde die willkürliche Idee eines menschenähnlichen Gottes aus der mythischen Bildwelt eines alten Hirtenvolkes aufgepfropft (oder umgekehrt). Das evolutionsgeschichtlich unmögliche Konzept einer auf den Menschen zugeschnittenen, auf ihn hinzielenden Welt, wie sie sich die Stoiker in ihren Wandelgängen zusammenfabulierten und wie sie sich im Alten Testament ohne Anspruch auf Wahrscheinlichkeit als purer Glaube vorfand, erhielt als Krönung noch die auf persönliche Unsterblichkeit transzendierende Seele hinzugefügt, und diese wiederum wurde zum Ausgangspunkt für die Ausgrenzug aller Lebewesen, die nach Meinung der kirchlichen Theoretiker einer solchen nicht teilhaftig waren.

<newpage><h2>Beginn der Neuzeit / Descartes</h2>
Seit der Renaissance begann sich das Denken langsam von der dogmatischen Theologie zu emanzipieren. Aber es darf nicht vergessen werden, daß gerade in dieser Zeit vom 15. bis zum 18. Jh. die Inquisition herrschte, die nicht nur Furcht und Schrecken verbreitete und abweichende Meinungen zum tödlichen Risiko werden ließ, sondern auch vorauseilenden Gehorsam bewirkte&nbsp;&#150; eine mit Einkommen verbundene Stellung konnte man ohne Botmäßigkeit nicht erlangen oder behalten. Und wegen der längst tief abgewerteten Tiere wird niemand, auch wenn er zu anderen Einsichten kommt, Kopf und Kragen riskieren. Auch das gottesfürchtige Volk war zu fürchten! (Man kann sich das verbildlichen, wenn man sich vorstellt, eine Gruppe junger Leute würde heute in eine Stierkampfarena in Madrid springen und ein Transparent mit der Aufschrift &quot;Schluß mit der Tortur!&quot; entrollen. Sie würden niedergebrüllt, ausgepfiffen, von der Polizeit hinausgeschleift, wenn nicht von der Menge gelyncht werden. In den weniger blutigen, aber für die Tiere nicht weniger qualvollen Zirkussen in Deutschland haben Tierrechtler/innen die schäumende und höhnische Wut des Publikums, das Hinausschleifen mit Verletzungen bis zum Knochenbruch und anschließende strafrechtliche Verurteilungen akut erlebt.)

So bleiben die öffentlichen Stimmen in der beginnenden Neuzeit auch in der Naturwissenschaft und unter den weltlichen Philosophen insoweit gedämpft, als keiner die Sonderstellung des Menschen in der Natur antastet. Oder, noch schlimmer: die Zweiteilung der Welt war schon so verinnerlicht, daß der Ausstieg aus dem System dem einzelnen Denker fast denkunmöglich wurde.

Am Schnittpunkt der alten Doktrinen und des neuen Zeitalters der exakten Wissenschaften taucht nun aber zu allem Unglück noch eine verhängnisvolle Figur auf, die nur der Teufel der Tiere erfunden haben kann: <b>René Descartes</b> (1596&nbsp;&#150; 1650). Dieser Begründer der mechanistischen Weltsicht, der Auffassung, daß alle Dinge nach bestimmten Naturgesetzen wie Maschinen funktionieren, mußte sich zwar auch eine Zeitlang vor der Inquisition verstecken, konnte sich aber bald öffentlich verbreiten, da er den Kernpunkt, den Menschen und seine göttliche Seele, unangetastet ließ. Er erlangte ungeheuren Einfluß, und er war es, der den entscheidenden alten Denkansatz der Anthropozentrik in die Moderne hinübergerettet hat, daß nämlich die &quot;denkende Seele&quot; den Menschen aus der Natur heraushebe und etwas Eigenständiges sei, das ihn kategorial von der Tierwelt trenne. Als Sitz dieser mit dem Denkvermögen gleichgesetzten Seele nahm er originellerweise die Zirbeldrüse an. (Obwohl er als eifriger Vivisektor tätig war, übersah der Forscher großzügig, daß auch Tiere eine Zirbeldrüse haben.) Mit seiner Zirbeldrüse erklärte er die Tiere zu Automaten, die wie ein Uhrwerk zwar Bewegungen zeigen, aber dazu nicht von einem inneren Vorgang getrieben werden, da ihnen mangels Seele innere Vorgänge fehlten. Sein berühmter Satz &quot;cogito ergo sum&quot; (Ich denke, also bin ich) war gar nicht so revolutionär, wie angenommen wurde und wird, denn es war die gute alte unsterbliche Seele, die, schon lange verbal austauschbar mit &quot;Vernunft&quot;, auf dem abendländischen Geistesmarkt im Handel war. Nur setzte er noch eins drauf: Er warf nun auch noch den letzten Teil der dreistufigen Seele, den sensitiven, fühlenden, den kaum die ärgsten Dogmatiker dem Tier abgesprochen hatten, (nur für unbeachtlich hielten), auf den Müll. Tiere können nach Descartes nicht fühlen und also auch nicht leiden. Diese jeder täglichen Erfahrung widersprechende Behauptung fand zwar&nbsp;&#150; das muß gerechterweise gesagt werden&nbsp;&#150; heftigen Widerspruch bei vielen seiner Zeitgenossen, aber das Phänomen trat ein, daß sie nicht der Lächerlichkeit verfiel, sondern zur Grundlage aller modernen Wissenschaften wurde, die sich mit dem Tier, besonders mit seiner Vivisektion befaßten, und das noch dazu unter dem Namen Rationalität. Passen Sie genau auf: Jedesmal, wenn Sie heute bei einem Streitgespräch über Tierversuche einen Experimentator, einen Vertreter der Pharmaindustrie, einen Politiker oder auch einen scheinbar unparteiischen Moderator das Wort &quot;Vernunft&quot; sagen hören, um die &quot;Emotionalität&quot; von Tierversuchsgegnern abzuwehren, hören Sie die Stimme von René Descartes. Und noch schlimmer: Diejenigen, die im Namen der Vernunft Tierversuche oder irgendeine dem Menschen irgendwie vielleicht nützliche Benutzung von Tieren auf deren Kosten verteidigen, wissen sich in Übereinstimmung mit dem &quot;vernünftigen&quot; Teil der Bevölkerung und ihrer geistigen und politischen Organe. Es ist tatsächlich so, als ob dieser Mann mit seiner bodenlosen Theorie die Welt behext hätte.

Die Behauptung, daß Tiere nicht fühlen und leiden können, ist zwar inzwischen aufgegeben, nachdem sie lange genug in der Wissenschaft gegolten hatte, aber übriggeblieben ist die andere Hälfte des falschen Dualismus, die unerhörte Überschätzung der menschlichen Vernunft, ohne Berücksichtigung ihrer höchst ungleichen Verteilung, ihrer wechselnden Inhalte und ihrer grundsätzlichen biologischen Beschränktheit. Aus diesem säkularisierten &quot;göttlichen Funken&quot;, diesem fragwürdigen Vernunftbegriff wird hinfort alle Berechtigung abgeleitet, mit dem Rest der Welt nach Belieben zu verfahren. Descartes‘ Zeit- und Gesinnungsgenosse, der engliche Jurist und Hobbyphilosoph <b>Francis Bacon,</b> als Kronanwalt der Königin <b>Elisabeth</b> eine Art Großinquisitor, begrüßte begeistert die neue Freiheit der Wissenschaft. Den Tieren wies er in seiner Zukunftsvision &quot;Nova Atlantis&quot; ziemlich genau den Platz zu, den sie heute haben: Sie sollten in Gehegen gehalten, einzelner Organe beraubt, größer oder kleiner gezüchtet, zu neuen Arten gekreuzt, zur Aufklärung über den menschlichen Körper lebend seziert und anatomisch untersucht werden. &quot;Wir erproben auch an ihnen alle Gifte und andere innerlich und äußerlich wirkende Heilmittel, um den menschlichen Körper widerstandsfähiger zu machen&quot;. (Text von 1626).

<newpage><h2>Das Spieglkabinett der Ethik</h2>
Die übrigen Philosophen und Ethiker der Neuzeit können wir im Rahmen dieser Übersicht vernachlässigen. Die zum beherrschenden Prinzip gewordene Anthropozentrik hatte ihre tiefen Schneisen in das Denkvermögen geschlagen. Ob mehr oder weniger gläubig, mehr oder weniger cartesianisch, haben sie alle die Hochschätzung des Menschen und die Geringschätzung der Tiere verinnerlicht. Die &quot;entkernten&quot; Tiere kommen kaum noch vor, sie sind das ganz und gar Unwichtige. In den folgenden Jahrhunderten kommt es zwar nochmal zu einigen Betrachtungen über die Vernunft und Seele der Tiere, die zum Teil recht sinnvolle Einsichten zeigen, etwa bei <b>Leibniz</b> oder <b>David Hume</b>, aber sie verheddern sich alle in dem unmöglichen Versuch, die festgelegten Ansichten über das Vernunftwesen Mensch mit den partiell aufgegriffenen Wahrheiten über Tiere zu verbinden. Vor allem aber in dem Bemühen, die herrschende Praxis des Tiergebrauchs und des Tötens und Essens von Tieren irgendwie zu rechtferigen, zu &quot;rationalisieren&quot;. Hier tobt sich eine Rabulistik der aberwitzigsten Begründungen aus, die eher einer Kuriositätenschau gleicht als den erhabenen Gefilden der Philosophie. (Das Gleiche läßt sich übrigens auch von den Verlautbarungen der Gilde über Frauen sagen…) Letztlich erweist sich für alle großsprecherischen Ethiker doch der Braten als wichtiger als eine saubere Logik. Der gute <b>Fichte</b> fordert sogar dazu auf, alle Wildtiere als schädlich oder unnütz auszurotten. Ein Gedanke übrigens, der später von manchen Marxisten übernommen wurde. Alle Wahrheitssuche spiegelt in tausend Facetten nur den Menschen.

Vor allem aber eins: Kein einziger der öffentlich Denkenden nimmt sich der Not der Tiere an, keiner bemüht sich um Verhaltensanweisungen für ihre Behandlung, von den Anforderungen an sich selbst ganz zu schweigen. Keiner errichtet ein Denksystem, das die Tiere einbezieht oder ihnen auch nur ein eigenes kleines Häuschen im Weltbild einrichtet. <b>Albert Schweitzer</b> hat diesen Tatbestand so unnachahmlich formuliert, daß er wieder einmal zitiert werden soll:
<i>&quot;Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Tür zu ist, damit der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen</i>&quot;.

<b>Die gescheuerte, aufgeräumte Stube aber ist die totale Anthropozentrik auf der Linie Aristoteles&nbsp;&#150; Augustin&nbsp;&#150; Descartes.</b>
Die Ausnahmen in diesem Spiegelkabinett, das immer nur das eigene Bild zurückwirft, sind fast an einer Hand aufzuzählen. Da ist etwa im 16. Jh. der französiche Schriftsteller, <b>Michel de Montaigne</b>, ein finanziell und gesellschaftlich unabhängiger freier Denker, der den Dünkel des Menschen auf seinem selbsterbauten Thron scharfsinnig analysiert und zu einer Gleichberechtigung der anderen Geschöpfe aufruft. Da ist vor allem das Jahrhundertgenie <b>Leonardo da Vinci</b>. Ohne religiöse Verankerung oder Seelenwanderungsideen kam er, der Wissenschaftler und Künstler zugleich war, zu seinen Überzeugungen. Er lebte vegetarisch, kaufte Vögel auf dem Markt von Florenz auf, um sie freizulassen und mußte sich manchen Spott gefallen lassen, weil er die artübergreifende Ethik in die Praxis umzusetzen suchte. Von ihm ist das Wort:
<i>&quot;Der Tag wird kommen, an dem das Töten von Tieren genauso als Verbrechen beurteilt werden wird, wie das Töten von Menschen&quot;.</i>

<h3>Franz von Assisi und andere Christen</h3>
Auf dem Boden der theologischen Dogmatik und ihrer extremen Anthropozentrik konnte keine Tierethik gedeihen. Auch die reformatorischen Taten von Luther </b>und <b>Calvin</b> haben insoweit nichts verändert. Die einzige große innerchristliche Erneuerungsbewegung, die immerhin vom 10.bis zum 14. Jh. den Herrschenden das Leben schwer machte, die <b>Katharer</b> oder Albingenser, die neben anderen programmatischen Änderungsbestrebungen die Tiere in ihre Ethik einbezogen, wurden mit Feuer und Schwert verfolgt und schließlich in blutigen Kriegen ausgerottet. Die Katharer waren Vegetarier; von ihnen, den Häretikern, leitet sich das Wort &quot;Ketzer&quot; ab. Nach ihrer physischen Vernichtung bewahrt nur ein gezielt verzerrtes Bild eine schwache Erinnerung an sie.

Im übrigen schritt im Mittelater die &quot;Entseelung&quot; der Tiere weiter und weiter voran, und entsprechend die Verrohung der Bevölkerung ihnen gegenüber. An dieser Stelle müssen wir einen Blick auf <b>Franz von Assisi</b> werfen, die &quot;singuläre Lichtgestalt&quot;, (wie der Kirchenkritiker <b>Karlheinz Deschner</b> ihn nennt), der bis heute von frommen Tierfreunden als ihr Zeuge aufgerufen wird. Bei genauerer Betrachtung seiner Texte&nbsp;&#150; wobei wir die über ihn erzählten Legenden durchaus mitrechnen wollen, da sie sein Bild bestimmen -, merkt man, daß er eher einem fast pantheistischen Glauben folgte, der Gottes erhabene Schöpferkraft in <b><i>allen</i></b> Erscheinungen der Welt sah und daher alles als anbetungswürdig und beschützenswert ansah. Immerhin schloß er die Tiere nicht aus und entzückte sich an ihnen. Für religiös empfindende Menschen bietet er tatsächlich einen Ansatzpunkt, Christentum und Mitgeschöpflichkeit zu verbinden. Der Protestant <b>Albert Schweitzer</b> schließt mit seinem Begriff &quot;Ehrfurcht vor dem Leben&quot; hier an, und viele moderne Christen haben diesen Ansatz aufgegriffen. Auf direktem Weg freilich blieb seine Lehre, die Einbeziehung der Geschöpfe in die Ehre des Schöpfers, seit seinem Erdenwandel (Anfang des 13. Jh.) ebenso folgenlos wie seine Lehre von der Bedürfnislosigkeit. In Franziskaner/innenklöstern werden heute Hühnerbatterien betrieben und Schweine auf Spaltenböden gehalten. Franziskus von Assisi ist ein Alibi, die &quot;Weiße Rose&quot; der Kirche. Man muß sich eher wundern, daß er nicht exkommuniziert oder verbrannt worden ist. Stattdessen wurde er heiliggesprochen und damit der irdischen Realität entrückt: ähnlich wie <b>St. Hubertus</b>, der&nbsp;&#150; ganz normal für einen Bischof&nbsp;&#150; der Jagd frönte, davon aber tief erschüttert abließ, als ihm der gekreuzigte Jesus im Geweih eines Hirsches erschien, den er gerade erlegen wollte: Die Botschaft des Wunders wurde in verblüffender Weise aufgenommen&nbsp;&#150; man machte Hubertus zum Patron der Jäger.

Was auffällt, ist die jahrhundertelange Abwesenheit vernehmlicher Kritik an der Tiermißachtung aus jenem anderen Strang des Christentums, der die ursprüngliche Lehre und die Urgemeinden charakterisiert, aus Nächstenliebe, Mitgefühl und Barmherzigkeit.

Nicht einmal die Maßlosigkeit wird gerügt, so tief ist die Abwertung des Tiers schon Teil des kollektiven Bewußtseins geworden. In den besonders grauenhaften Zeiten des Barock, in dem sich die Fürstlichkeiten aller europäischen Länder Menagerien &quot;wilder&quot; Tiere wie Löwen, Bären, Elefanten zulegten, die jeder Beschreibung spotten, (und von denen unsere Zoos abstammen), gab es massenhaft Vergnügungen, die an das Alte Rom erinnern, z. B. die &quot;Prell-Spektakel&quot;, bei denen Füchse, Dachse, Katzen und was man so hatte, in einem Netz so oft auf den Boden geschleudert wurden, bis sie mit gebrochenen Gliedern zu Tode gematscht vor dem begeisterten höfischen Publikum die Seele aushauchten&nbsp;&#150; die ja nach der gelehrten &quot;göttlichen Ordnung&quot; nicht vorhanden war. (Diese Ordnung hatte doch auch die absolutistischen Herrscher &quot;von Gottes Gnaden&quot; auf ihren Thron gesetzt !) Gegen Unterhaltungen solcher Art und gegen die wahnwitzigen Jagden, bei denen nach einem größeren Ausflug schon mal Zehntausende Opfer &quot;auf der Strecke&quot; blieben, (ein Vergnügen, das auch im 19. und bis in unser Jahrhundert, bis heute, populär war beim Adel und den bürgerlichen Reichen, die dazugehören wollten), gab es keinen lauten Protest aus christlichem Mund, keinen moralischen Appell, die Massaker zu beenden. Kaiser <b>Franz Josephs</b> Bürokarten listeten allein 300&nbsp;000 Tiere auf, die seine Majestät eigenhändig erschossen hatte, ebenso viele von Erzherzog <b>Franz Ferdinand</b>, dem Thronanwärter, dessen eigene Erschießung den 1. Weltkrieg auslöste.

<newpage><h2>Kant, Bentham und der Beginn des Tierschutzes</h2>
Der nicht sehr fromme, aber an die Vernunft glaubende Anthropozentriker <b>Immanuel Kant</b> gibt immerhin die erste ethische Anleitung zu einer anständigen Behandlung von Tieren vom Philosophenkatheder aus. Er erklärt Rohheit gegen Tiere für unmoralisch. Dies aber nicht, weil er Tiere zu Subjekten ihres Lebens und Fühlens erhebt, sondern weil Rohheit gegen sie den Menschen verrohe.

<b>Rousseau</b> schloß in seinem sehr einflußreichen gesellschaftskritischen System, das unter dem Schlagwort &quot;Zurück zur Natur&quot; berühmt wurde, das Mitgefühl für Tiere, ihre Anerkennung als eigene Wesen ein. Mitfühlende Sentenzen und logische Argumente finden sich auch bei dem Aufklärer <b>Voltaire,</b> bei <b>Schopenhauer</b> und <b>Nietzsche.</b> (Bezeichnenderweise sind sie alle keine Christen.) Die Lust am Fleisch verbiegt aber auch hier manchmal die Logik zu bizarren Verrenkungen…..

Politisch akzentuiert, aus dem Geist der Französischen Revolution und den von ihr machtvoll vorangetriebenen Ideen von Gleichheit und Gerechtigkeit, formulierte der englische Philosoph <b>Jeremy Bentham</b> (Lebensdaten etwa wie Goethe) den klassischen Satz, der in keiner Betrachtung über Tierethik fehlen darf:

<i>&quot;Der Tag wird vielleicht kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnten. Die Franzosen haben bereits entdeckt, daß die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, daß die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebensowenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist unvergleich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter Säugling oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder : können sie sprechen? sondern: können sie leiden?&quot;</i>

Aus solchen der politischen Erfahrung abgelauschten Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit haben sich erst in der allerjüngsten Zeit Denkansätze für eine neue Tierethik entwickelt. Die ersten Tierschutzgedanken, die in die Praxis umgesetzt wurden, stammten eher aus den verschütteten Quellen christlicher Barmherzigkeitsmoral. Sie begann sich erstmals Anfang des vorigen Jahrhunderts auf die Tierwelt auszudehnen.

Die ersten Tierschutzvereine wurden von Pfarrern gegründet, von protestantischen allerdings. Pietisten, Quäker, Puritaner bildeten eine (bescheidene)Tierethik aus. In England ging 1821 der erste Entwurf eines Abgeordenten zum Schutz der Esel und anderer Arbeitstiere im Hohngelächter des Parlaments unter. &quot;Womöglich will der noch ein Gesetz zum Schutz von Hunden und Katzen einführen!&quot; schrien Mitglieder in dem Hohen Haus dem Abgeordenten <b>Martin</b> unter dem Gejohle der Parlamentarier zu. Aber ein Jahr später wurde dann doch das erste Tierschutzgesetz der Welt beschlossen. Hier war der pragmatisch&nbsp;&#150; politische Weg eingeschlagen, der schließlich in Europa&nbsp;&#150; mit einem starken Gefälle von Nord nach Süd&nbsp;&#150; zu greifen begann. (Spanien hat erst seit 1991 ein spärliches Tierschutzgesetz). Parallel dazu entwickelte sich eine breite Literatur, in Familienzeitschriften, Kalendern, pädagogischen Schriften und Kinderbüchern, die Liebe und Mitgefühl für Tiere vermittelte und insgesamt ein Ende der Mißachtung und Nichtwahrnehmung der Tierwelt signalisiert. Besonders die einmütige Verdammung aller Grausamkeit beendete auf Dauer die offene Rohheit auf den Straßen in unseren Breiten. Diese Welle eines ethischen Umdenkens kam nicht von oben, sondern aus dem Volk, aus bescheidenen Pfarrhäusern und ihren Gemeinden, meist von Frauen. Aber eben hierdurch stieß sie an ihre Grenzen. Den Frauen gestand das 19. Jh. Tugenden wie Milde und Sanfmut zu, beugte sich ihnen gutmütig von oben herab ein wenig entgegen; einfache fromme Leute ließ man gewähren, lobte ihren &quot;sittigenden&quot; Einfluß. Aber in die Sphären der Macht ließ man sie nicht eindringen. Die &quot;wichtigen&quot; Dinge der Männerwelt tangierten die braven Tierschützer/innen nicht wirklich&nbsp;&#150; die Wissenschaft, die Politik, die Geschäfte, der Krieg, die geistige Welt standen haushoch über den karitativen Betätigungen für die nach wie vor als unwichtig angesehenen Tiere. Ein Spielplatz für gute Herzen, aber ohne jede Relevanz.

<newpage><h2>Darwin und die Moderne</h2>
Das Dogma von der menschlichen Vernunft als Krönung der Schöpfung überlebte unbeschadet auch den Ansturm der neuen Biologie, der Evolutionslehre, die <b>Charles Darwin</b> in die Welt gebracht hatte, und die man nach dem anfänglichen Wutgeheul langsam akzeptieren mußte. Selbst wenn die Abstammung des Menschen aus dem verachteten Tierreich, die innigste Verwandtschaft, nicht mehr zu leugnen war, ließ sich wenigstens ­­<u>ein</u> Erbstück aus dem zusammengebrochenen Gebäude der von Gott eingesetzten Herrlichkeit retten, um die Sonderstellung der Gattung Mensch neu zu befestigen: Das <u>Ziel</u> der Evolution sei das menschliche Bewußtsein. <b>Darwin</b> selbst, gewissenhaft und vorsichtig, wie dieser große Forscher war, hielt sich mit tollkühnen Behauptungen über den &quot;Sinn der Schöpfung&quot; zurück. Umso eifriger stürzten sich die frisch bekehrten Darwinisten auf die Chance, die Evolution als Stufenbau für die Pyramidenspitze Mensch zu interpretieren. So konnte der wacklig gewordene Thron erhalten werden, Mensch stand so oder so ganz oben. Verblüffenderweise hatte die Abstammungslehre eine noch größere Abwertung der Tierwelt zur Folge. Die &quot;zurückgebliebenen&quot; Verwandten wurden zu einer Vorstufe, zu Zulieferern des homo sapiens deklariert, von jedem religiösen Firlefanz wie Seele ohnehin entkleidet, zu biologischer Materie.

Die Zwangsvorstellung des Menschen, etwas ganz anderes zu sein und in jedem Fall etwas Besseres, machte sich immer wieder an neuen Kriterien fest. In den Eigenschaften, die Menschen zu&nbsp;&#150; bzw. Tieren abgesprochen wurden, spiegelt sich der Zeitgeschmack. Waren es im 19. Jh. vorwiegend &quot;sittliche Werte&quot;, die das Anderssein begründeten&nbsp;&#150; etwa Monogamie, Familiensinn, personale Bindungsfähigkeit statt &quot;tierischer&quot; Sexualität, Vertrags- und Gerichtswesen statt blind egoistischem &quot;Kampf ums Dasein&quot; (wie man ihn sich vorstellte), so flossen zunehmend populärwissenschaftliche Bruchstücke in den Dualismus ein: Zukunftsplanung, der aufrechte Gang, die Herstellung und Benutzung von Werkzeugen, Sprachvermögen, Gehirngröße usw. usw. (ironischerweise u.a. auch die Fähigkeit zu Mitleid und selbstlosem Verhalten). Die fast täglich in den Zeitungen oder im Fernsehen benutzte Redewendung &quot;wie Tiere&quot; bzw. &quot;nicht wie Tiere&quot; zeigt, wie tief all diese Klischees noch in unserem Gehirnspeicher abgelagert sind. Dabei befinden sich alle Grenzziehungen längst im freien Fall. Eine Fülle wissenschaftlicher Arbeit auf den verschiedensten Gebieten&nbsp;&#150; z. B. Evolutionsforschung, die ja nicht 1871 stehen geblieben ist, Zoologie, Medizin Ethologie (Verhaltensforschung), Kognitionsforschung, Neurophysiologie, Molekularbiologie usw. bis hin zur Genforschung&nbsp;&#150; hat alle eitlen Selbsteinschätzungen des Menschentiers längst unterminiert. Das alles kann hier  nur angedeutet werden. Sicher ist jedenfalls, daß die Idee einer sich zielgerichtet zum Homo sapiens auftürmenden Schöpfung tot und begraben ist.

Die Wissenschaft ist an die Stelle Gottes getreten, doch die Konstante des menschlichen Hochmuts ist so zählebig, daß er deren Befunde nicht zur Kenntnis nimmt. Trotz aller Einzelerkenntnisse, die inzwischen ganze Bibliotheken füllen, wird von wissenschaftlicher Seite nicht der Schritt unternommen, aus einer Zusammenschau die Schlußfolgerungen für eine neue Positionierung des Tiers zu ziehen. Zweckrationalisierung auch hier: Tiere sind in vielen Disziplinen das Objekt oder das Material. Würde man die eigenen Ergebnisse oder die der Kollegen berücksichtigen, müßte die &quot;Entkernung&quot; des Tiers, seine Wesenlosigkeit, seine Subjetktlosigkeit, als Denkfehler früherer Zeiten eingesehen werden&nbsp;&#150; doch dann könnte man es nicht mehr als Objekt benutzen. Läßt man den blinden Fleck bestehen, muß man sein Gewissen nicht belasten. Wie praktisch, daß man dafür den Begriff der Wertfreiheit hat. Die Wissenschaftler/innen erklären sich in ethischen Fragen für nicht kompetent und überlassen es anderen Instanzen, ethische Schlußfolgerungen zu ziehen und ihnen ihre Grenzen zuzuweisen. Die aber gibt es nicht, jedenfalls noch nicht, und jedenfalls nicht auf dem Niveau der Autorität. So ist es bequem, die herkömmliche Wertsetzung beizubehalten, ohne sie zu hinterfragen. Und nicht zuletzt sind Forscher/innen ja selbst ganz normale Menschen und möchten weiterhin von der Fehleinschätzung der Tiere profitieren, beruflich und am Abendbrottisch. So funktioniert die Komplizenschaft mit der Mehrheit der Bevölkerung bestens. Die potentiellen Aufklärer/innen halten sich hinter dem Schild &quot;Alles für den Menschen&quot; bedeckt. Und damit hinter der dem Rassismus vergleichbaren Wahnidee &quot;Wir Menschen sind eben einfach was Beßres&quot;&nbsp;&#150; was jedermann schmeichelt, der dazugehört. So sind alle zufrieden&nbsp;&#150; und hier liegt der zweite Schlüssel zu der Antwort auf unsere Eingangsfrage: Wer von einem Unrechtssystem profitiert, wird nicht der erste sein wollen, der an seinen Fundamenten rüttelt. Und im Mensch-Tier-Verhältnis, das eine Diktatur darstellt, sind praktisch alle mit größeren oder kleineren Vorteilen eingebettet, man könnte auch sagen: bestochen. So gefährdet man den eigenen Vorteil, wenn man den des Mittäters zu hart anprangert. Mag <u>ich</u> auch keine Lust am Jagen haben, sondern vielleicht am Klavierspielen, das lustvolle Töten vielleicht sogar abstoßend finden, so muß ich doch die <b><i>Objekte</i></b> der Tötungslust herabsetzen und für unwesentlich erklären, da ich mir doch ähnliche Objekte gern mit meinen Kindern sonntags in ihrem Gefängnis im Zoo anschaue, nachdem ich andere ähnliche Objekte zu Mittag verspeist habe. Mag ich auch als Fernsehzuschauer die scheußlichen Rindertransporte empörend finden, so möchte ich doch die &quot;schicke&quot; Ledercouchgarnitur für mein Wohnzimmer kaufen. Die Aufwertung der Mißhandelten oder ums Leben Gebrachten darf nie so weit gehen, daß die Ähnlichkeit mit Verbrechen an Menschen deutlich wird. Es liegt also im eigenen Interesse, und sei es nur das des Selbstwertgefühls als höheres Wesen, wenn man die <b>Tschernomyrdins </b>gewähren läßt und sie nicht Lustmörder nennt.

<newpage><h2>Der schwere Abschied / Umweltschutz</h2>
Die ethische Einstellung zur Natur allgemein hat sich unter dem Stichwort &quot;Umweltschutz&quot; oder &quot;ökologisches Denken&quot; weiterentwickelt, zum größten Teil sogar erst in den letzten Jahrzehnten konstituiert. Das heißt, die Kenntnis der Fakten, wohin unsere bisherige <b>Einstellung</i></b> geführt hat und führen wird, hat eine neue Moral geboren, die vom Biotopschutz bis zur privaten Mülltrennung reicht. Wie mühsam die Umsetzung dieser neuen Moral vorangeht und gegen wie viele Widerstände sie zu kämpfen hat, brauche ich hier nicht auszuführen. Festzuhalten ist, daß die erkannte faktische Wahrheit eine Richtungsänderung der ethischen Gesinnung erzwungen hat.

Nur das Tier ist wieder einmal draußen vor der Tür geblieben. Hierin spiegelt sich seine eigentümliche Zwischenstellung. Nachdem es von der Seite der Götter vertrieben war, wurde es fast fraglos der &quot;Natur&quot; zugerechnet, &quot;Flora und Fauna&quot;. Da ist es auch bei den Umweltschützern geblieben. Deren Moral, und das ist die in Bezug auf Natur zunehmend gesellschaftlich herrschende, kümmert sich um Tiere nur als ökologisch wichtige Faktoren oder als aussterbende, bedrohte Arten. Die Erde soll vor der Zerstörung bewahrt werden, damit wir sie weiter nutzen können. Wasser sollen nicht chemisch vergiftet (oder überfischt) werden, damit der Mensch weiter fischen kann, die Erhaltung des Regenwalds soll unsere Luft retten. Wo Tiere vielleicht ökologisch nicht unverzichtbar sind, wie die Wale etwa, ist das beliebteste Argument, daß unsere Kinder und folgende Generationen sie noch sehen können. Kurz gesagt, die <u>Um</u>weltmoral ist weiterhin anthropozentrisch, wie schon der Name verrät. Sie entspricht etwa einem aufgeklärten Absolutismus.

Die Wissenschaft hat aber die Tiere dem homo sapiens immer näher gerückt. Was eigentlich schon immer von fühlenden und gut beobachtenden Menschen und von Kindern oder manchen Religionen gewußt und geahnt wurde, ist heute auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Doch der Abschied von der hohen Stellung fällt ungeheuer schwer. Er geht an zwei konstitutive Elemente: das Selbstwertgefühl und den immensen Nutzen, den die Ausbeutung der Unterworfenen bringt.

Noch funktionieren tausend Tricks, um der Frage nach der moralischen Rechtfertigung unseres niederträchtigen Umgangs mit den Verwandten auszuweichen. Am besten funktioniert die Verdrängung. Man verdrängt die Faktizität der maßlosen Leiden, wo es irgend geht, man verdrängt das täglich wachsende Wissen um die ähnlichen oder oft identischen Strukturen des neurologischen Systems, des sensitiven Apparats, des Verhaltensrepertoires, die zwingend Schlüsse auf ein ähnliches oder oft identisches subjektives Erleben herausfordern, und man verdrängt die Notwendigkeit, moralische Folgerungen aus den Tatsachen zu ziehen. Lieber klammert man sich an den alten Aberglauben von dem riesigen Graben, der Menschen und Tiere trenne, an Lüge und Selbstbetrug, an tradierte Klischees. Am besten denkt man gar nicht über das Problem nach, am besten tut man so, als sei es nicht vorhanden. Äußerst bewährt ist auch die Abwendung ins Humoristische. Der Neubau der moralischen <b><i>Einstellung</i></b> zum Tier erscheint schon bei flüchtiger Betrachtung der Baustelle als titanisches Unternehmen. Wo muß man nicht überall umdenken! Wo muß man überall seine Gewohnheiten ändern! Ganze Industrien würden zusammenbrechen. Und am Ende hätte man nur Nachteile. Da ist es doch bequemer, gar nicht erst anzufangen.

So ähnlich muß es auch in den Köpfen der bevorrechtigten Klassen der Alten Welt rumort haben, als die Abschaffung der Sklaverei am Horizont auftauchte, die die ganze Antike fraglos hingenommen hatte und die&nbsp;&#150; für unsicher werdende Gemüter&nbsp;&#150; auch wieder <b>Aristoteles</b> mit bizarrer Gedankenakrobatik zu rechtfertigen verstand.

<newpage><h2>Rechtsstellung und Doppelmoral</h2>
Für die heutige Alltagsmoral im Verhältnis Mensch-Tier ist eine Willkürlichkeit kennzeichnend, die an Schizophrenie grenzt. Dabei wird nicht einmal Gedankenakrobatik geübt&nbsp;&#150; vollkommen divergierende Haltungen vereinen sich mühelos in einem Kopf, in jedem Kopf. Argumentiert wird, wenn überhaupt, auf einem erschreckend niedrigen Niveau. Das Gefälle der Doppelmoral wird, ausgesprochen oder nicht, mit einem vagen, aber obstinaten &quot;Das ist doch was ganz anderes&quot; gerechtfertigt, gegen weiteres Nachbohren wird ein eiserner Vorhang herabgelassen: Der Stolz auf die spezifisch menschliche Intelligenz und ihre kulturellen Leistungen hat eine so ungeheure Blendkraft, daß er jede Relativierung dieser <b><i>Mitgift</i></b> als Blasphemie erscheinen läßt. Die Fähigkeit der Küstenseeschwalbe, sich zweimal im Jahr vom Norden Kanadas über den Atlantik, an Europa und Afrika entlang bis Südafrika 35 000 Kilometer lang zurechtzufinden, muß daher grundsätzlich anders, und das heißt immer: geringer, bewertet werden, als wenn Mensch diese Leistung auf dem Umweg der Erfindung von Hilfsmitteln wie Schiff und Flugzeug erbringt. Die Schwalbe darf deshalb ohne Gewissensnot erschossen werden. Dieser Stolz&nbsp;&#150; man könnte ihn auch Rassenwahn nennen&nbsp;&#150; überblendet obendrein auch die Fähigkeit, elementare Gemeinsamkeiten mit eng verwandten Tieren auf der Gefühlsebene zu negieren: Die Mutterliebe einer Bärin, einer Kuh, das Schutzverhalten einer Elefantengruppe, die Tränen eines gejagten Hirschs sind per definitionem (homini) etwas &quot;ganz anderes&quot; als das Gleiche beim Menschentier. Die menschliche Intelligenz bleibt beim gegenwärtigen Stand ihrer Nutzung die Antwort auf die intelligente Frage schuldig, warum ausgerechnet Intelligenz der Grund sein darf, andere mit angeblich oder tatsächlich minderer oder andersartiger Intelligenz zu quälen, zu töten oder zu versklaven. Auf der Nicht&nbsp;&#150; Beantwortung dieser Frage aber basiert heute unsere Moral&nbsp;&#150; genauer: unsere Unmoral&nbsp;&#150; gegenüber Tieren. Und das heißt: auf einem Loch, das hier und da beliebig ein wenig aufgefüllt wird….

Die Doppelmoral spiegelt sich auch ziemlich genau in der Rechtsstellung des Tieres. Sie steckt voller Widersprüche; allein eine Aufzählung würde das logische Fassungsvermögen überfordern. Historisch verläuft die rechtliche Situation entlang der skizzierten Linie der jeweiligen ethischen Bewertung, das heißt, daß es&nbsp;&#150; abgesehen von einigen kargen Schutzvorschriften für bestimmte Nutz- und Arbeitstiere in altrömischen Verordnungen&nbsp;&#150; bis zum 19. Jahrhundert niemals einen weltlich kodifizierten Schutz von Tieren gegeben hat. Die moderne deutsche Tierschutzgesetzgebung hangelt sich mühsam an einem disparaten Verständnis von neochristlich sogenannten &quot;Mitgeschöpfen&quot; einerseits und ihrer totalen Verwertbarkeit andererseits entlang. Jedes bißchen Schutz, das erreicht werden konnte, ist dem <b><i>prinzipiellen Verfügungsrecht</i></b> des Menschen abgerungen und hat im Konfliktfall jedem menschlichen Interesse zu weichen. Von einem Recht für Tiere um ihrer selbst willen sind wir noch sternenweit entfernt.

<newpage><h2>Moderne Ansätze und Schluss</h2>
Während die im 19. Jh. entstandene Tierschutzpraxis sich in einem Winkel des für den Menschen errichteten Moralgebäudes einrichtete, wo sie heute noch wohnt, begann eine neue ethische Idee an den Grundfesten zu sägen. Heute unter dem Namen &quot;Tierrechtsbewegung &quot; zusammengefaßt, begannen in der ganzen westlichen Welt in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts Gedanken zu zirkulieren, die vor dem Hintergrund der abendländischen Geschichte als revolutionär bezeichnet werden müssen, obwohl sie gleichzeitig eine logische Konsequenz aus ihrem Elementen sind. Sie stammen aus den verschiedensten Quellen: aus den Denkerfahrungen der politischen&nbsp;&#150; auch umweltpolitischen -, der antirassistischen oder feministischen Arbeit, aus der Sensibilisierung für Benachteiligte, aus einer gewissen Renaissance urchristlichen Gedankenguts ebenso wie aus dem blanken Entsetzen über die langsam bekanntwerdenden Greuel der Industrialisierung der Tiere. In Deutschland waren die ersten breiteren Informationen über die Welt der Tierversuche der Auslöser. Aus diesen verschiedenen Schwerpunkten erklärt sich auch die Heterogenität der Bewegung und ihre oft beklagten oder verhöhnten Streitereien untereinander. Jedenfalls wurde die Diskrepanz zwischen den allgemeingültigen moralischen Maßstäben und der Behandlung der Tiere so unerträglich, daß die Wand, die beides künstlich auseinanderhält, Risse bekam.

Die Proteste entluden sich bald in Aktionen wie Tierbefreiungen, Demonstrationen, Laborbesetzungen, Jagdstörungen, Unterbrechungen von Zikusprogrammen, Selbstankettungen, dem Besprayen von Pelzschaufenstern und dgl.. Überall bildeten sich Gruppen, die mit selbsterfundenen Methoden die öffentliche Diskussion herbeizuführen suchten. Die noch junge Geschichte der Tierrechtsbewegung soll hier nicht erzählt werden. Interessant scheint mir aber die Tatsache, daß keine Vordenker oder Anführer an ihrem Anfang standen. Das charakterisiert ihren demokratischen Charakter in einer demokratischen Zeit, die sonst noch gern dazu neigt, sich von oben vorgefertigte Konzepte vorgeben zu lassen. Bezeichnend, wenn der österreichische Philosoph des Vegetarismus <b>Helmut F. Kaplan</b> erzählt, wie einsam er sich bei seiner jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema fühlte und sich dann plötzlich mit einer breiten Bewegung &quot;von unten&quot; verbündet fand, die er gar nicht bemerkt hatte. Aus akademischen Kreisen kamen die Impulse nicht, schon gar nicht von den Lehrstühlen der Philosophie.

Inzwischen gibt es eine fast schon unübersehbare Flut von Publikationen, besonders aus England und den USA, in denen die Gedanken zu einer neueren Tierrechtsethik Konturen und Facetten gewinnen. Und es gibt eine ständig wachsende Zahl von Menschen, besonders von sehr jungen, die sie annehmen und in ihrem täglichen Leben zu verwirklichen trachten.

Erst vor rund 20 Jahren ist damit begonnen worden, auch auf professioneller Ebene ethische Konzepte für das Mensch-Tier-Verhältnis zu entwerfen, die dem heutigen Wissensstand adäquat sind und nicht auf der Stufe biologischer Ignoranz und religiöser Spekulation verharren. Die bekanntesten Vertreter sind der australische Philosophieprofessoren <b>Peter Singer </b>und <b>Tom Regan</b> in Amerika. Singer greift&nbsp;&#150; besonders in seinem großen Buch &quot;Die Befreiung der Tiere&quot;&nbsp;&#150; den politischen Ansatz der Gerechtigkeit, der Berücksichtigung der Interessen anderer, auf, den er erstmals artübergreifend ausführt. Sein Stichwort heißt &quot;Speziesismus&quot;, d. h. analog den Begriffen Rassismus und Sexismus die Bevorzugung <u>einer</u> Art, des Menschen, vor anderen Arten mit gleichen oder ähnlichen Interessen. <b>Regans</b> Hauptwerk, das bis heute nicht ins Deutsche übersetzt ist (!), heißt &quot;The case for animal rights&quot;. Sein gedanklicher Ansatz akzentuiert u. a. stärker Gesichtspunkte wie Menschenwürde und Tierwürde und die biologisch&nbsp;&#150; psychologische Verwandtschaft. Diese und mancherlei andere Konzepte und Teilaspekte sind in der Diskussion. Es gibt viele Wege, die von Rom wegführen und einen gerechten Platz für die anderen <i>beseelten </i> Wesen suchen, die mit uns den Planeten bewohnen. Weniger denn je ist es heute, bei einem hohen Stand des Wissens und der gesellschaftlichen Sensibilisierung für Recht und Unrecht, legitim, sich weiterhin als Despot aufzuführen. Die zweifellos eindrucksvolle, spezifisch der Menschengattung eigene Art der Intelligenz hat uns Autos und Computer beschert, aber in ihrem Kreisen um sich selbst ohne Rücksicht auf anderes Leben, von dem sie nur Teil ist, die Erde an den Rand ihrer Vernichtung geführt. Von den Grundlagen der noch immer herrschenden Selbstglorifizierung des Menschen bleibt schon nach flüchtiger Prüfung nichts übrig als nackter Eigennutz und Eitelkeit&nbsp;&#150; nicht gerade eine überzeugende Basis für eine Moral, die diesen Namen verdient.

Sina Walden

<h3>Über die Autorin</h3>
Sina Walden lebt nach abgeschlossenem Jurastudium (Berlin) und Studiengängen in Literatur und Philosohpie (Zürich) als freie Publizistin, Fernsehautorin und Übersetzerin in München und Italien. Im Rowohlt Verlag erschien ihr Buch &quot;Endzeit für Tiere&quot; (leider vergriffen).

<h3>Über diesen Text</h3>
Sina Walden hat diesen Artikel für Vorträge an Volkshochschulen erarbeitet. Wenn Sie die Autorin als Referentin für Ihre Institution gewinnen möchten, lesen Sie bitte unsere Seite <a href=“/service/referenten/“>Referentenservice</a>.

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