Vassily Kandinsky: Komposition VII, 1913
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Sina Walden: Tiere im Krieg. Eine Elegie.

Für Marjan, den einäugigen Löwen im Zoo von Kabul, der 23 Jahre Krieg überlebte und am 26.Januar 2002 wenige Wochen nach Kriegsende in seinem Käfig starb.

Die gute Nachricht zuerst: Takoma, ein von den amerikanischen Marines als Minensucher ausgebildeter Delphin (O-Ton eines seiner Trainer: »Die sind viel besser als alle unsere technischen Geräte«; The Times online, 29.3.2003) hat die erste Gelegenheit wahrgenommen, um zu desertieren. Am Golf auf Patrouille geschickt, steuerte er nicht das gewünschte Ziel an, sondern verschwand unauffindbar im offenen Meer. »Warum tut er das?« wundert sich der Dompteur, »er hat doch bei uns sein gutes Essen und Gesundheits-check-ups ! » Wir erlauben uns für Takoma zu antworten: Weil er die Gelegenheit hatte. »Kein Wesen will gefangen sein.« All die Millionen Tiere, die in Zoos, Zirkussen, Labors und Käfigen aller Art als Sklaven gehalten werden, haben nur nie die Möglichkeit, in ihren natürlichen Lebensraum zu fliehen und den Beweis anzutreten, dass auch Tiere nicht »vom Brot allein« leben. Wenn man es nicht überliest, erfährt man auch aus unseren Zeitungen, dass selbst sanfte Kühe immer wieder den Ausbruch versuchen und auf der Flucht von Polizeikugeln niedergestreckt werden.

Der Hamburger Zoo Hagenbeck berichtet heute noch stolz, dass viele »seiner« Tiere nach dem schweren Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg, bei dem auch der Zoo getroffen wurde, dorthin zurückkehrten, (wenn sie nicht tot waren). Daran sähe man doch, dass sie den Zoo als ihr Zuhause empfanden. Ach, lieber Löwe, liebe Giraffe, wohin konntet ihr in der
zertrümmerten Stadt im Norden eines fremden Kontinents wohl flüchten? Zwischen Mönckebergstraße und den Alsterarkaden öffnete sich nicht die afrikanische Steppe. Hunger und Ausweglosigkeit und die lebenslängliche Reduzierung ihrer Fähigkeiten zur Selbstbehauptung trieben sie an den einzigen Platz, den sie wenigstens kannten.

Glücklicher, kluger Takoma! Mögest du nicht von einer Rakete zerfetzt, von mutwilligen Soldaten abgeschossen werden!

Die Delphine, die von den Amerikanern im Irak-Krieg eingesetzt werden, machen Schlagzeilen. Aber wie immer erregt nur solch ein spektakulärer Mißbrauch von Tieren Aufsehen. Eine aparte Note in der Flut der Nachrichten. Andere tierliche Kriegsopfer fallen durch das Raster der wichtigen Meldungen. Natürlich. Tiere sind eben unwichtig, besonders, wenn Menschen in großer Zahl bei Katastrophen zu Opfern werden. Manche Zeitgenossen rufen sofort zur Ordnung, wenn die Schicksale von Tieren überhaupt erwähnt werden, wenn gar einigen Hungernden und Verletzten bei solchen Anlässen womöglich von Tierschützern Hilfe gebracht wird. Schon im zivilen Leben kennen alle Tierschützer und Tierrechtler den Spruch »Kümmert euch lieber um Menschen!«, in Kriegszeiten aber finden sich immer Zeitungsschreiber, die sich in Übereinstimmung mit ihren Lesern wähnen, wenn sie Tierschützern empört vorhalten, sich angesichts von Menschenleid noch um Tiere zu sorgen. Patrioten der Menschheit haben sich gefälligst um die eigenen Artgenossen zu scharen, nicht um deren Opfer.

Erinnerungen an den ersten Golfkrieg. Mit kleinen Nebensätzen wurden in die dürren Berichte von den Kriegsschauplätzen auch mal Anekdoten über Tiere eingestreut. Zum Beispiel, dass sich US-Soldaten ihre Langeweile in der Wüste mit dem Zielschießen auf Eidechsen vertrieben. Oder dass den tapferen Jungs zum Thanksgivingday eigens Flugzeugladungen voller Truthühner an die Front geschickt wurden. Später, als die (damals) wehrlosen irakischen »Soldaten« (barfüßige Bauern) gruppenweise mit erhobenen Händen vor Feuer und Gefangenschaft davonliefen, »haben wir sie abgeschossen wie Truthähne« erzählte ein GI der Presse. Ich habe mich seinerzeit bei amerikanischen Freunden erkundigt, ob das Abschießen von Truthühnern, die bekanntlich nicht fliegen, nur aufflattern können, ein amerikanischer Volkssport sei, da der Soldat den Vergleich so selbstverständlich benutzte. Mancherorts schon, war die Antwort. So lernt man wohl fürs Leben.

Im Kosovo und in den anderen Kriegen im zerfallenden Jugoslawien waren in sekundenkurzen Fernsehbildern verhungerte und verdurstete Schweine und Ziegen zu sehen, die, angebunden oder eingesperrt in Koben und Ställen, von fliehenden Bauern zurückgelassen worden waren. Tote Ziervögel hingen an den Stäben ihrer Käfige in zerschossenen Häusern. Bilder auch von Hunden, Eseln, Pferden, die auf die verminten Felder gerieten oder absichtlich als Vorhut dorthin getrieben und von Landminen zerfetzt wurden. Dass von der entfesselten Soldateska auch noch auf die letzten Katzen und Hunde geschossen wurde, nur weil sie sich bewegten, versteht sich von selbst. Dass alle auch nur entfernt eßbaren Tiere umgebracht und gekocht wurden, ebenso. Ein deutscher Schriftsteller reiste Jahre später durch das kaputte Land und stieß auf eine Geschichte, die er dann zum Thema eines Dokumentarfilms machte: Zwei Kroaten spielten in einer Kriegspause am Strand freundlich mit einem süßen kleinen Hund, der ihnen zugelaufen war, als drei Serben des Wegs kamen und einer, nur so, den Hund erschoß. Daraufhin griff einer der Kroaten in hellem Zorn zum Gewehr und erschoß auf der Stelle alle drei Serben. Nun muß man aber nicht glauben, dass der deutsche Schriftsteller die Gefühle des Kroaten geteilt hätte oder darin eine einsame nachvollziehbare Motivation in der Wirrnis der Balkankriege fand. Im Gegenteil, er begleitete ihn zu einem Pfarrer, damit er seine Schuld einsehe. Drei Menschen für einen Hund! So verroht der Krieg die Menschen!

Um Osama Bin Laden (oder war es Hussein?) noch schwärzer zu malen, als er ohnehin schon ist, ging im Sommer 2002 ein Video um die Welt, das einen erbarmungswürdigen Hund zeigte, der in einem Giftgasexperiment offensichtlich entsetzlich litt und starb. Auch wenn im Propagandakrieg nicht auszuschließen ist, dass das Bild ebenso gut aus einem westlichen Labor stammen kann, können wir getrost annehmen, dass auch arabische Wissenschaftler keine Skrupel haben, Menschenvernichtungswaffen an Tieren auszuprobieren. Die Heuchelei besteht nur darin, dass Osamas oder Saddams abscheuliche Tierversuche als Ausweis ihrer Unmenschlichkeit gelten, während die eigenen verschwiegen, verborgen, beschönigt und legitimiert werden. Keine Bilder von den Hunderttausenden Versuchstieren, die in der westlichen Welt, auch in Deutschland (zB. in Stuttgart-Hohenheim, Anthrax-Forschung), für militärische Zwecke jeglicher Grausamkeit ausgesetzt sind. Unter dem Deckmantel »Verteidigung gegen biologische und chemische Kampfstoffe« erleiden die Tiere den gleichen Horror, als würden sie direkt für Angriffswaffen getestet. Ganz abgesehen von den » normalen« Tierversuchen für die »konventionelle« Kriegführung und Verteidigung in den Labors aller Armeen der Welt, die wegen ihrer Geheimhaltung selbst den Tierversuchsgegnern kaum ins Blickfeld geraten.

Tiere direkt ins Kriegsgeschehen eingebunden wie die Delphine, wie Minenhunde, Pferde, selbst Brieftauben. Tiere als Proviant, als Beute, als beliebige Ziele, um den Abzugshahn am Gewehr zu betätigen. Tiere als Versuchsobjekte für all die immer raffinierteren Methoden, mit denen Fleisch und Blut und Atem vernichtet werden können. Tiere als Kollateralschäden bei Kämpfen und Bombardierungen, in Vietnam zu Asche verwandelt durch weißen Phosphor, zu schwarzen Gerippen durch Napalm. Tiere sind im Krieg, wo Menschen im Krieg sind.

Nur: Im Unterschied zu Menschen, die durch Kriege leiden, sterben und verstümmelt werden, ihre Heimat und ihre Kinder verlieren, sind sie auch in Friedenszeiten nicht besser dran. Was ist etwa die Jagd anderes als Krieg? Fünf Millionen Wildtiere fallen der bewußten und beabsichtigten Tötung allein in einem Jahr, allein in Deutschland, zum Opfer; Kollateralschäden in Tausendergrößen an Haustieren nicht mitgerechnet. Für Versuchstiere macht die Unterscheidung nach menschlichen Zwecken und menschlichen Parteiungen kaum einen Unterschied. Sind Versuche mit Giftgas qualvoller als die für Genforschung oder Krebs oder Augentropfen? Sind Delphine bei den Marines unglücklicher als unter Lärmfolter im Chlorwasser ihres Beckens im Nürnberger Zoo oder bei Zirkus Knie? Pferde in Schlachten elender als auf dem Schlachthof, auf Transporten von Polen nach Sizilien, Hengste in der Einsamkeit ihrer Boxen?

Keine Genfer Konvention bewahrt Milliarden von gefangenen »Nutztieren« vor der Tötung, gefangene Zirkustiere vor der Entwürdigung. Stadträte beschließen im Frieden ohne Skrupel die Aushungerung der Tauben in ihrem Lebensraum, wie Leningrad von den Deutschen im Krieg ausgehungert wurde. Die Lizenz zum Töten gilt gegenüber allen Tieren, eingeschränkt nur insoweit, als sich die Todbringer gegenseitig ihre Quoten zuteilen und Regeln aufstellen, die ihren Nutzen sichern, und manche Tiere – eine Zeitlang – lebend nützlicher sind. Gefangenschaft gilt als Normalzustand. China hat, »um wieder ein normales Leben zu befördern«, dem zerstörten Zoo von Kabul, in dem nur der Löwe Marjan mit ausgestochenem Auge wunderbarerweise überlebt hatte, zwei neue Löwen als Freundschaftsgabe geschenkt, dazu einen Wolf (ohne Rudel), ein paar Bären, Hirsche und Wildschweine (ohne Wald), fünf weiße Hühner und blaue Pfauen als Luxussschaustücke. Das ist der Frieden.

Hier enden die Parallelen. Der Sieg über die Tiere ist so uralt, dass der einseitige Krieg zur Institution wurde. Menschenkriege sind vorübergehender Natur, der Krieg gegen die Tiere findet in Permanenz statt. Menschliche Kriegsparteien können von Verlierern zu Siegern werden, Feinde zu Freunden. Die Tiere sind ein für allemal als Verlierer definiert, für sie gilt »Vae victis!« (»Wehe den Besiegten!«) in Ewigkeit Amen. Sie können nirgendwo Schutz suchen, ihr Feind sind nicht die Amerikaner oder die Iraker, die Farbigen oder die Weißen, die Gebildeten oder die Dummen, die Siegreichen oder die Besiegten, die Guten oder die Bösen. Ihr Feind ist die ganze Menschheit, zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Ein paar Eindrücke aus der jüngsten Zeit. Ein palästinensisches Kommando schickt einen mit Sprengstoff beladenen Esel als Selbstmordattentäter zu einem israelischen Bus nahe Jerusalem und zündet aus der Ferne den Sprengsatz.- Schwer überlastete Esel schleppen das Hab und Gut irakischer Flüchtlinge durch den Sandsturm. – In Bagdad bewirten Familien ihre ausgebombten Nachbarn mit landesüblichen Gerichten, aus denen die fetten Knochen frisch geschlachteter Schafe ragen. – Britische Soldaten vor Basra prüfen die Qualität toter, erstickter Fische an einem Marktstand. – Bei Antikriegsdemonstrationen in Berlin und anderswo treten Redner und Sänger in Lederjacken auf, stellen ganz unbefangen die Kriegsbeute zur Schau. Fernsehmoderatorinnen, die mit betrübtem Blick über den Irak-Krieg berichten und von akuter Gewalt und deren Opfern sprechen, tragen dazu passend schwarzes Leder.

Als Bundeskanzler Schröder noch ein letztes Mal versuchte, den Kollegen Tony Blair von seinem Kriegskurs abzubringen, traf man sich in London zum Essen. Es gab Rehrücken, frisch geschossen.

Sina Walden

 

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