Ein Schäferhund, zumal ein »deutscher«, ist von beträchtlichem Symbol- und Signalwert. Ob in der »Lindenstraße« oder im Film »Schtonk«, dieser Hund steht für die braune Gesinnung seines Herrn. Klar, dass auch das »Neue Deutschland« am 17. Juni 1953 einen »Mann mit braunem Anzug und großem Schäferhund« als konterrevolutionären Agitatoren enttarnen konnte und umgekehrt die westdeutschen Medien gerne die Spürhunde der Volkspolizei bei der Suche nach Flüchtlingen in Interzonenzügen zeigten. Lager, Stacheldraht, Peitsche, Uniform und der deutsche Schäferhund als Inkarnation des deutschen Bösen, als Erkennungsmerkmal des bösen Deutschen.
Hunde lassen sich – wie Menschen – für viele Zwecke einsetzen, leider auch für inhumane. Verständlich, daß jemand, der hierunter konkret gelitten hat, zeitlebens erhebliche Vorbehalte und Angstgefühle haben kann.
Es geht aber nicht an, solche Erlebnisse mit missbräuchlich benutzten Hunden als Argument gegen Hunde überhaupt, gegen Schäferhunde speziell oder gar gegen den Tierschutz als Ganzes zu instrumentalisieren. Auch Pferde sind nicht böse, weil Menschen erlebt haben, wie beängstigend sie wirken, wenn sie von kriegerischen Horden oder berittener Polizei angetrieben über Wehrlose hinweg galoppieren. Die Funktionalisierung der historischen Bezugnahme auf Nazigreuel und das prominente Personal der Nazizeit zum Zwecke der Bekämpfung von Tierschutz- und Tierrechtsideen ist zutiefst unredlich. Etwa wenn (meist höhnisch) darauf hingewiesen wird, dass Hitler doch so »tierlieb« gewesen sei, noch dazu Vegetarier, und daß die Nazis das erste Reichstierschutzgesetz erlassen hätten. Also hätten »der Tierschutz« und »der Vegetarismus« eine braune Vergangenheit. Und überhaupt könne man am Beispiel Hitler eindeutig sehen, dass Tierliebe die Kehrseite der Menschenfeindlichkeit sei. Zu platt? Anscheinend durchaus nicht. Nach diesem Muster »argumentieren« nicht nur Stammtische zur Rechtfertigung des Schweinebratens, sondern auch eine breite Front vom Rechtskatholiken Pater Basilius Streithofen über Sprecher der Pharmaindustrie bis zu linken Menschenrechtlern und zynisch-flotten »Zeitgeistschreibern«.
Wer mit derartigen Kurzschlüssen den Tierschutz niedermachen will, tut das entweder, weil er (oder sie) den Tierschutz nicht brauchen kann, der ihm seine Tätigkeit oder seinen Genuss erschweren würde, oder er erliegt bis heute dem Bild, das die Naziführer »für das Volk« von sich geben wollten. Propagandasprüche werden als wahre Gesinnung entgegengenommen! So zitiert etwa der engagierte Journalist und Autor Ernst Klee, der gegen Naziunrecht hoch sensibilisiert ist, ohne Zögern und unhinterfragt einen Satz des einstigen Rechtsinnenminister Frick, wonach der Tierschutz eine NS-Erfindung sei – als verkünde Frick die lautere Wahrheit.
Wird den heutigen Jägern vorgehalten, daß Göring ein leidenschaftlicher Jäger war und das Reichsjagdgesetz erlassen hat? Wird gegen die heutigen Anti-Raucher-Kampagnen damit argumentiert, sie seien nazistisches Gedankengut, weil Hitler Nichtraucher war? Es ist vielmehr so, daß Tierverachtung, Tierhass, Tierausbeutung sich vor der Kulisse einer angeblichen Tierliebe der verabscheuten Nazis plötzlich wie mit einem Zaubertrick in etwas Positives verwandelt, geradezu in Antifaschismus.
Wird ernsthaft von einer psychisch defekten Persönlichkeit wie der Hitlers irgendeine Vorgabe für ethisches Verhalten erwartet? Selbst wenn er Tiere tatsächlich geliebt hätte, ist es absurd, damit seine Verbrechen an Menschen logisch verknüpfen zu wollen und daraus gar eine allgemeine Regel abzuleiten.. Bei Ceausescu z.B. passten Menschen- und Tierverachtung ganz ausgezeichnet zusammen, er zelebrierte Tage währende Jagdmassaker; ebenso genoß Göring seine – wenn möglich täglichen – Abschüsse vor dem Frühstück. Heinrich Himmler war vor seiner Tätigkeit als oberster Herr des KZ-Systems Besitzer einer Hühnermastanlage. In aller Regel sind Menschenschlächter der Geschichte und Gegenwart alles andere als »Tierfreunde« und ausnahmslos niemals ethische Tierschützer oder Tierrechtler. Was nicht ausschließt, dass sie manchmal ihren Hund oder ihr Pferd auf anthropozentrische Art lieben – und auch nicht, daß sie Tier- und Kinderliebe als Ausweis ihrer angeblichen Menschengüte nach außen zur Schau stellen.
Das ist bei den Nazis und in der Person Hitler ganz genauso. Die Behauptung, hier läge eine kausale Verbindung von Tierliebe und Menschenverachtung vor, entbehrt schlicht des historischen Fundaments. Abgesehen davon, daß es eine chauvinistische Anmaßung ist, ein allgemeines Menschheitsproblem wie das des Umgangs mit nichtmenschlichen Lebewesen allein aus der deutschen Perspektive – und dazu einer sehr eingeschränkten – sehen zu wollen. Es scheint nötig, auf einige historische Fakten hinzuweisen, um dem böswilligen »Argument« von der brauen Genese des Tierschutzes oder sogar des Tierrechtsgedankens entgegen zu treten.
Henry Picker, der in Hitlers unmittelbarer Umgebung Tagebuchaufzeichnungen angefertigt hat, hatte von Hitlers Hündin Blondi den Eindruck, »… es nicht mit einem Hunde, sondern mit einer Maschine zu tun zu haben«, und fragte sich, »ob Hitler bei der Dressur … nicht im Grunde von der Absicht beherrscht wurde, selbst in diesem Tier den eigenen Willen auszulöschen.« Dazu passt, daß Hitler sie tötete, indem er an ihr die Wirkung des Giftes ausprobierte, mit dem er seinen Selbstmord plante.
Seinen Vegetarismus hat Hitler niemals ethisch – also als einen Weg zur Vermeidung tierlichen Leidens – begründet, sondern stets rein gesundheitlich, vor allem mit verminderter Transpiration. Er war darin auch nicht konsequent: »Abends freute er sich besonders über das aufgesetzte Fleisch von geräuchertem Stör« (Picker, 7.5.1942). Kaffee, Alkohol, Tabak und Fleisch mied er, weil dies sein Bescheidenheitsimage (»… weniger als der einfachste Landser…«) förderte und seinen Anschauungen vom »naturgemäßen Leben« entsprach. Ein ethischer Vegetarier macht keine »launigen Bemerkungen« über die »Findigkeit der Frontsoldaten in punkto Fleisch- und Fischversorgung«, freut sich auch nicht, »… den Wal über 88% verwerten zu können« und sieht in ganz anderer Weise in der »Organisation des Walfangs… ein unerhört aktuelles Problem.«
Bei Hitlers Vegetarismus handelt es sich um eine persönliche Marotte, die keine Auswirkungen auf die Gesellschaft im NS-System hatte. Hier organisierte die NSV die »Aktion Patenschwein« (Schulkinder sammeln Abfälle als Futtermittel), galt das Bemühen aller möglichen Instanzen der Erhöhung der Fleischproduktion und diente – wie Götz Aly und Susanne Heim dargestellt haben – , die Kriegs- und Besatzungspolitik in Ost- und Südosteuropa wesentlich der Ernährung der »Heimatfront«, und Indikator für deren Niveau war eben der Fleischkonsum. Deshalb verlangte Hitler persönlich im Juni 1941 die Wiederanhebung der wöchentlichen Fleischration von 400g auf 500g, wofür in Russland einige Millionen Rinder und Schweine abgeschlachtet und nach Deutschland geschafft werden sollten. Der Hungertod von Millionen Menschen, deren Getreide als Futtermittel verwandt wurde, war selbstverständlich einkalkuliert – »Fleisch frisst Menschen« – heute eben über den freien Weltmarkt.
Das Reichstierschutzgesetz von 1933 war weder das erste Gesetz dieser Art, noch besonders fortschrittlich, noch enthielt es ein Verbot aller Tierversuche, wie oft behauptet wird. Dieses Gesetz löste die alten Strafbestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 ab, die nur »öffentliche« und »Ärgernis erregende« Tierquälereien erfassten. Schon 1909, 1911 und 1927 waren hierzu Entwürfe vorgelegt worden. Es basierte auf den Kommissionsentwürfen der Weimarer Republik von 1919, 1925 und 1927. Dass dieses Gesetz propagandistisch instrumentalisiert wurde, ist klar, ebenso, daß der NS-Propaganda schließlich nicht naiv zu glauben ist.
Die Idee des Schutzes der Tiere findet sich schon in der Antike und in großen Religionen wie dem Buddhismus, dem Jainismus oder bei Franziskus von Assisi. Die neuzeitliche Tierschutzidee stammt aus Ideenwelten, die dem Faschismus konträr sind: der Aufklärung, dem Humanismus, den bürgerlichen Reformbewegungen; sie ist Teil des Prozesses der Zivilisation. Die führende Rolle in diesem Feld hatte bis heute und hat England und der englische Kulturkreis. Hier wurde schon 1835 ein Tierschutzgesetz erlassen und während des 19. Jahrhunderts fortwährend verbessert und ergänzt. Andere europäische Staaten, in denen Aufklärung, Emanzipation, Humanität und Fortschritt als normative Ideen akzeptiert wurden, folgten bald, so insbesondere die skandinavischen, von den deutschen zuerst Sachsen 1838. Man kann hier durchaus von einer europäischen Kulturbewegung sprechen, deren Vordenker im 18. Jahrhundert Voltaire, Ch. S. Wolff, Kestner und Hommel waren. Der letzte, ein Mitglied der Leipziger Juristischen Fakultät, formulierte schon 1769 den Begriff der Rechte der Tiere – von denen »alle Welt« reden würde – und den entsprechenden Begriff der Pflichten des Menschen gegenüber den Tieren.
In der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit wuchs in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine sich an den Ideen einer umfassenden Humanität und Gewaltlosigkeit orientierende Bewegung, die eben diese Prinzipien nur gesichert sah, wenn sie sich auch auf die nichtmenschlichen Lebewesen ausdehnten. Von daher gelangten sie selbstverständlich zum Vegetarismus und dem Einsatz für den Schutz und die Rechte der Tiere. Am konsequentesten in der philosophischen Begründung und praktischen Durchsetzung waren hier die von dem Juristen, Philosophen und Pädagogen Leonard Nelson begründeten Organisationen »Internationaler Jugendbund« und »Internationaler Sozialistischer Kampfbund«, deren Mitglieder zum Vegetarismus verpflichtet waren und deren vegetarischen Gaststätten in Frankfurt, Berlin, Köln, London und andernorts als Anlaufstellen und Finanzierungsquellen für die aktive Widerstandsarbeit dieser Gruppen nach 1933 dienten. Ein ähnlich konsequenter Vertreter dieser Vorstellungen ist Magnus Schwantje, ein aktiver Pazifist und Tierschützer, Mitbegründer des »Bundes für radikale Ethik« und des »Bundes der Kriegsdienstgegner« und Vertreter im »Deutschen Friedenskartell«. Er musste 1933 emigrieren. Zu diesem Kreis gehörte auch der wegen seiner Veröffentlichungen über die rechten Umtriebe in der Weimarer Republik von der Universität Heidelberg gejagte und 1933 emigrierte Emil Julius Gumbel, der von sog. »Freikorps« 1920 ermordete Pazifist Hans Paasche, der langjährige Vorsitzende der Deutschen Friedensgesellschaft und Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde, und andere mehr. Diese aufgeklärte, pazifistische Tradition der Tierschutzbewegung ist 1933 abgebrochen worden, sie darf heute nicht totgeschwiegen werden, von ihr ist viel zu lernen.
»Blondi« wirft keinen Schatten auf den Tierschutz, sie stand vielmehr, selbst ein Opfer, im Schatten des Bösen. Wir dürfen diesem nicht erlauben, die historische Wahrheit zu verdunkeln.