Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der »Singer-Debatte«
1. Einleitung
• 1.1 Begründung und Erläuterung der Fragestellung
Das Thema dieser Diplomarbeit ist sicher eines der heikelsten, denen man sich überhaupt widmen kann. Zwei Tabus unserer Gesellschaft werden Bestandteil der Arbeit sein: Der Vergleich geistig behinderter Menschen mit Tieren und eine Diskussion über die mögliche Rechtfertigung von Infantizid.
Für Menschen, denen der Wert eines Tieres sich daran bemisst, wie gut es schmeckt, mag die Fragestellung schon ein Unding sein. Würde meine Einstellung zum Tier nicht, oder nicht stark davon abweichen, würde ich wohl ähnlich denken.
Es hat aber keinen Sinn, eine Diplomarbeit zu schreiben, die von anderen Menschen überhaupt nicht nachvollzogen werden kann. Deswegen möchte ich den ersten Schwerpunkt dieser Arbeit für eine transparente Darstellung der Tierethik verwenden, um so dem Leser eine ernsthafte Einfühlung in die Problematik zu ermöglichen.
Zuerst möchte ich aber noch ein paar Sätze schreiben, wie ich überhaupt auf dieses doch sehr ungewöhnliche Thema gestoßen bin.
Ich lebe seit über sechs Jahren streng vegetarisch. Dass es einen engen Zusammenhang zwischen Ausbeutung und Fleischessen gibt, ist mir zur »Anfangszeit« aber eher abwegig erschienen. Meine Motivation für die vegetarische Ernährungsweise hatte sich weniger auf ethische, sondern hauptsächlich auf sozial-ökonomische, ökologische und gesundheitliche Aspekte begründet.
Diese »Begründungshierarchie« hat sich aber schlagartig geändert, als ich »Befreiung der Tiere« von Peter Singer las. Beim Lesen dieses Buches wurde mir folgender Punkt klar: Es war nicht nur unnötig wie wir die Tiere behandelten, es war ethisch unvertretbar. Schon beim Vorwort dieses Buches hatte in mir ein Denkprozess begonnen, der meine gesamte moralische Einstellung zum Tier grundlegend geändert hat. Obwohl die ethische Begründung der »Befreiung der Tiere« im Vorwort von Singer noch nicht das Thema ist, habe ich diesen Teil am stärksten im Gedächtnis behalten und möchte ihn deswegen hier zitieren: »Kurz nachdem ich begonnen hatte, an diesem Buch zu arbeiten, wurden meine Frau und ich – wir lebten zu dieser Zeit in England – von einer Dame zum Tee eingeladen, die gehört hatte, daß ich über Tiere zu schreiben plante. Sie selbst war, wie sie sagte, sehr an Tieren interessiert, und sie hatte eine Freundin, die bereits ein Buch über Tiere geschrieben hatte und uns sehr gern kennenlernen würde. Als wir eintrafen, war die Freundin unserer Gastgeberin bereits da, und sie war in der Tat sehr begierig, über Tiere zu sprechen. »Ich liebe Tiere«, begann sie, »ich habe einen Hund und zwei Katzen, und stellen Sie sich vor, sie kommen wunderbar miteinander aus. Kennen Sie Mrs. Scott? Sie leitet eine kleine Klinik für kranke Haustiere …«, und so ging es weiter. Als Erfrischungen gereicht wurden, machte sie eine kurze Pause, nahm ein Schinkenbrötchen, und dann fragte sie uns, welche Haustiere wir hätten.
Wir sagten ihr, wir besäßen keinerlei Haustiere. Sie sah etwas überrascht aus und nahm einen Bissen von ihrem Brötchen. Unsere Gastgeberin, die nun mit dem Servieren der Brötchen fertig war, gesellte sich zu uns und nahm das Gespräch wieder auf. »Aber sie interessieren sich doch für Tiere, nicht wahr, Mr. Singer?« Wir versuchten ihr zu erklären, daß wir uns für die Verhinderung von Leid und Elend interessierten; daß wir gegen willkürliche Diskriminierung wären; daß wir es für falsch hielten, einem anderen Lebewesen nutzlosen Schmerz zuzufügen, selbst wenn dieses Wesen kein Mitglied unserer eigenen Spezies war; daß wir der Meinung wären, Tiere würden von Menschen auf erbarmungslose und grausame Weise ausgebeutet, und dies zu ändern wünschten. Ansonsten, so sagten wir, »interessierten wir uns nicht besonders für Tiere. Keiner von uns hatte sich jemals übermäßig für Hunde, Katzen oder Pferde begeistert, wie das viele Leute tun. Wir waren keine »Tierliebhaber«. Wir wollten nur, daß die Tiere als die unabhängigen, fühlenden Wesen behandelt werden, die sie sind, und nicht als Mittel zu menschlichen Zwecken – wie das Schwein behandelt worden war, das sich nun auf den Brötchen unserer Gastgeberin befand.«[1] Von diesem Zeitpunkt an gab es kein Zurück mehr. Dass es so etwas wie »Speziesismus« [2] gibt, hatte sich in mir verinnerlicht.
Zu dieser Zeit wurde ich auch in einer Tierrechtsgruppe aktiv. Einen beträchtlichen Teil meiner Freizeit verbrachte ich damit, für die Verbreitung der Tierrechtsidee einzutreten. Bei unseren Tierrechts-Ausstellungen verwendeten wir auch Zitate von Peter Singer. Irgendwann sagte ein Besucher zu uns, es sei sehr bedenklich, dass wir Singer-Zitate nutzen würden und ihm somit eine Plattform bieten, denn Singer gelte als ausgewiesen behindertenfeindlich. Diese Stimmen mehrten sich. Auch innerhalb unserer Tierrechtsgruppe hatten sich einige von Singer distanziert. Diese Wendung verwirrte mich. Konnte es wirklich sein, dass diese Leute von »dem« Singer reden, der mich in seinem Buch so überzeugt hatte?
Ebenfalls zu dieser Zeit leistete ich in einem »Wohnheim für behinderte Erwachsene« meinen Zivildienst ab. Die Arbeit, gerade mit den sogenannten »Mongos«, war ein schöner, erfüllender Teil in meinem Leben. Diese Erlebnisse bestärkten mich in meiner Entscheidung, »Sozialpädagogik« zu studieren. Für mich war es klar gewesen, dass ich zu denen gehörte, die sich gegen die Diskriminierung von behinderten Menschen einsetzen wollen und nicht dafür. Doch die Verunsicherung war geblieben. Um mich genauer zu informieren, las ich die »Praktische Ethik« von Singer. Hier sollte er, wie ich gehört hatte, seine Behindertenfeindlichkeit besonders bedenkenlos gezeigt haben. Ich hatte die »Praktische Ethik« von Singer zur Hälfte gelesen (und war mir inzwischen sicher, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte), als mir folgende Gedanken immer bewusster wurden:
– Singers Tierrechtsposition und seine Position gegenüber behinderten Menschen sind beide in einem Buch präsent.
– Singers Tierrechtsposition und seine Position gegenüber behinderten Menschen sind inhaltlich verknüpft!
Der letzte Punkt ist hier besonders wichtig, denn er wirft folgende Fragen auf
Wenn Singer behindertenfeindlich ist, und wenn seine Positionen in einer Argumentationskette zur Tierethik stehen, bin ich dann behindertenfeindlich?
Ist es dann überhaupt möglich, meinen Beruf (zumindest in diesem Schwerpunkt) ohne Bedenken auszuüben? Steht der Beruf des Sozialpädagogen somit im Widerspruch zur Tierethik?
Diese Fragen haben mich innerlich immer wieder beschäftigt, jedoch habe ich mich an eine inhaltliche Auseinandersetzung bisher nicht herangewagt. Die Frage, ob man Tierrechtler und nicht behindertenfeindlich sein kann, lässt natürlich auch eine einfache Antwort zu: Man ist einfach für Tierrechte und ist einfach gegen Peter Singer. Somit ist man (anscheinend) aus dem Schneider. Die Frage, die sich bei diesen Leuten stellt, ist dann eine andere: Kann man diese Meinung widerspruchsfrei vertreten? Und wenn man sie widerspruchsfrei vertreten kann: Wird diese Ansicht nur mit neuen, noch offensichtlicheren Widersprüchen erkauft? Diesen Fragen möchte ich auf den Grund gehen.
Das Thema heißt: »Aufwertung der Tiere = Abwertung behinderter Menschen« – Stimmt diese Gleichung? Der Gleichungsfaktor »Aufwertung der Tiere« wird in dieser Arbeit als akzeptiert gesetzt. Es ist nicht Sinn dieser Arbeit, herauszufinden, ob dies so sein muss. In der Ethik gibt es nicht die eine Wahrheit, und es gibt erdenklich viele Philosophen, die eine »Aufwertung der Tiere« scharf zurückweisen. Doch ich stehe zu dieser Meinung, und deswegen werde ich sie nicht kritisch »gegenprüfen«.
Was ich untersuchen will, ist folgendes: Wenn ich für die Aufwertung der Tiere bin, muss ich dann eine Abwertung behinderter Menschen in Kauf nehmen?
• 1.2 Zum Vorgehen
Wie ich schon anfangs erwähnt habe, ist eine Voraussetzung, um diese Arbeit zumindest nachvollziehen zu können, sich in gewisser Weise in die Tierethik-Denkweise einzulassen. Dieses »Einlassen« auf eine Sichtweise, welche vermutlich weit entfernt vom eigenen Standpunkt liegen wird, erfordert eine gewisse Grundkenntnis des Lesers. Der erste Teil dieser Arbeit (Gliederungspunkt 2) soll diesem Aspekt Rechnung tragen. Neben einer Darstellung der Thesen Singers werde ich ausführlich den »Speziesismus«-Begriff erläutern und einen »Mensch-Tier-Vergleich« wagen. Der zweite Teil der Arbeit wird sich der an Singer gestellten Kritik widmen.
Bei Gliederungspunkt 3 werde ich zum einen die theoretische Auseinandersetzung zu Peter Singer innerhalb der Tierrechtsbewegung darstellen, zum anderen möchte ich auch Positionen von anderen Tierrechtsphilosophen herausarbeiten. Gliederungspunkt 4 steht ganz im Zeichen einer kritischen Untersuchung von Argumenten, die während der »Singer-Debatte«, insbesondere aus der Behindertenbewegung, gegen Singer vorgebracht wurden. Zum Schluss hoffe ich natürlich, eine Antwort auf die gestellte Frage zu finden und (k)eine Anleitung für Sozialpädagogen oder in ähnlichen sozialen Berufen Tätige zu geben, die sich vielleicht irgendwann dieser grundsätzlichen Problemstellung gegenübersehen.
2. Einführung in die Thematik
2.1 Die Position von Peter Singer
• 2.1.1 Eine »Vorwarnung«
Selten haben philosophische Ideen solche Empörung in Deutschland hervorgerufen wie die Thesen Singers. Erstaunlich daran ist, dass es sich speziell um ein deutschsprachiges Phänomen handelt, Peter Singer als »moralische Unperson« abzustempeln. Wie ist es dazu gekommen?
Singer rührt in seinen Ansichten in Tabus (Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, Unterscheidung zwischen Person und Nichtperson; Unterscheidung zwischen einem Leben, das wert ist, gelebt zu werden und einem Leben, für das dies nicht gelte), welche in Deutschland seit der sog. »Euthanasie« des Nationalsozialismus nicht mehr oder zumindest nicht öffentlich diskutiert werden.
Dieses Aufeinanderprallen einer provokanten Ansicht und einer besonders empfindsamen Bevölkerung hat in Deutschland eine »Debatte« ausgelöst, welche von Anfang an durch ihre hohe Emotionalität geprägt worden ist.
Begonnen hatte die »Singer-Debatte« im Sommer 1989. Singer erhielt mehrere Einladungen in Europa, darunter auch eine von der »Lebenshilfe«, welche ein Symposium über »Biotechnologie, Ethik und geistige Behinderung« geplant hatte. Aufgrund heftiger Proteste, vornehmlich von Behindertenorganisationen, fielen jedoch sämtliche Veranstaltungen mit Singer in Deutschland aus oder wurden aufgrund massiver Störungen abgebrochen. [3] Für die »Singer-Debatte« war dies erst der Anfang. An einigen Universitäten wurden Seminar-Veranstaltungen, in denen die »Praktische Ethik« Singers Grundlage war, gestört oder gesprengt. Der »Spiegel« [4] veröffentlichte Artikel, die vehemente Angriffe auf Singers Position darstellten und ihn in die Nähe des Nationalsozialismus rückten. »Die Zeit« [5] griff das Thema ebenfalls auf, vermied aber eine einseitige Betrachtungsweise. Diese Vorgänge hoben die »Singer-Debatte« auf eine nationale Ebene.
Wegen der Empörung, die Singers Thesen in Deutschland hervorrufen, möchte ich einen großen Teil dieser Zitate hier wortwörtlich wiedergeben. Zum einen wird somit nicht, wie vielleicht bei einer rein inhaltlichen Zusammenfassung, die Gefahr bestehen, dass ich Singers Position in irgendeiner Form »abschwäche«, zum anderen wird hierdurch ein gewisses Verständnis für den »Schockwert« einzelner Zitate möglich. Trotzdem sollte klar sein, dass nicht allein der »Schockwert« einzelner Zitate ausreicht, Singers Argumentationskette allein dieses Umstandes wegen von vorneherein zu verurteilen.
• 2.1.2 Ethische Grundlagen
Singer orientiert sich in seiner Ethik am Utilitarismus. Der Utilitarismus strebt nach dem »größten Glück der größten Zahl«. Handlungen werden deswegen nicht nach ihrer Motivation beurteilt, sondern nach ihren Konsequenzen: »Der klassische Utilitarist betrachtet eine Handlung als richtig, wenn sie ebensoviel oder mehr Zuwachs an Glück für alle Betroffenen produziert als jede andere Handlung, und als falsch, wenn sie das nicht tut.« [6] Der klassische Utilitarist betrachtet somit nur die Interessen der Individuen, nicht die Individuen an sich und dies kann in der Praxis zu abstrusen Folgen führen.
Dies soll an einem Beispiel von Regan deutlich werden:
Tante Bea ist alt und ziemlich reich. Wenn ich sie schmerzlos umbringen kann, außerdem niemand etwas davon erfährt und ich einen Teil des Geldes an ein Krankenhaus spende und somit viele Kinder glücklich mache, wäre es unter utilitaristischen Gesichtspunkten richtig, dies zu tun. [7] Natürlich haben Anhänger des Utilitarismus die Schwierigkeiten ihrer Theorie bemerkt, und Sekundärprinzipien gegen diese Einwände vorgebracht. Aber man fragt sich trotzdem, ob es wirklich nur indirekte Gründe gegen die Tötung von Tante Bea gibt (wie z. B. die Angst, die unter Menschen herrschen wird, wenn es möglich ist, solche Handlungen durchführen zu können).
Singer versucht, dieses Problem zu vermeiden, indem er den Präferenz-Utilitarismus vertritt. Diese Form des Utilitarismus achtet nicht nur auf die Konsequenzen einer Handlung, sondern auch auf die Präferenzen der Betroffenen. So kann z.B. »ein auf dem Totenbett gegebenes Versprechen unerfüllt zu lassen, den Bewußtseinszustand des Verstorbenen nicht mehr beeinträchtigen, (es; Anm. d. Verf.) bedeutet aber, einer Präferenz des Verstorbenen zuwiderzuhandeln.« [8] Außerdem wird der Präferenz-Utilitarismus eher der Intuition gerecht, »daß Personen nicht nur Träger von positiven und negativen Bewußtseinszuständen sind.« [9] Während der Utilitarismus in Deutschland relativ unbekannt ist und gerne als »Nützlichkeitstheorie« abgewertet wird, gilt er vor allem in den angelsächsischen Ländern als ernsthafte moralphilosophische Alternative.
• 2.1.3 Die Position von Singer: Tiere
Singers grundsätzlicher Ansatz für die Begründung der »Befreiung der Tiere« ist das Gleichheitsprinzip:
»Die Ausdehnung des Grundprinzips der Gleichberechtigung von einer Gruppe auf eine andere besagt nicht, daß wir beiden Gruppen auf genau die gleiche Weise behandeln müssen oder beiden Gruppen genau dieselben Rechte zugestehen. Ob wir das tun sollten, hängt von der Natur der Mitglieder der jeweiligen Gruppe ab. Das Grundprinzip der Gleichberechtigung erfordert nicht gleiche oder identische Behandlung. Es erfordert die gleiche Berücksichtigung. Gleiche Berücksichtigung verschiedener Wesen kann zu unterschiedlicher Behandlung von unterschiedlichen Rechten führen.« [10]
An dieser Stelle wird deutlich, dass es Singer bei der Anwendung des Gleichheitsprinzips nicht um die Gleichheit an sich geht, sondern um die gleiche Berücksichtigung. Eine absolute Gleichheit und eine daraus abgeleitete gleiche Behandlung hält Singer für nicht vertretbar, weil die Menschen eben nicht alle »gleich« sind:
»Ob wir es wollen oder nicht, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß die Menschen verschiedene Formen und Größen haben, daß sie unterschiedliche moralische Fähigkeiten, unterschiedliche intellektuelle Fähigkeiten, ein unterschiedliches Maß an gutem Willen und Empfindsamkeit für die Bedürfnisse anderer, unterschiedliche Fähigkeiten zum Erleben von Lust und Schmerz haben. Kurz, wenn unsere Forderung nach Gleichberechtigung auf der tatsächlichen Gleichheit aller Menschen begründet wäre, so müssten wir aufhören, nach Gleichberechtigung zu verlangen.« [11]
Deswegen hält es Singer nicht nur für schlecht beweisbar, sondern für richtiggehend gefährlich, Gleichheit auf durchschnittliche, faktische Gleichheit z. B. von genetischer Intelligenz verschiedener Rassen aufzubauen:
»Der Gegner etwa des Rassismus, der diesen Standpunkt vertritt, müßte unter Umständen einräumen, daß der Rassismus in gewisser Weise vertretbar wäre, falls sich herausstellen sollte, daß unterschiedliche Fähigkeiten in irgendeinem genetischen Zusammenhang mit der Rasse stehen.« [12]
So ist für Singer die Gleichheit »eine moralische Idee und keine Tatsachenbehauptung. Es gibt keinen logisch zwingenden Grund für die Annahme, daß ein faktischer Unterschied zwischen den Fähigkeiten zweier Menschen irgendeinen Unterschied in dem Maß von Rücksichtnahme rechtfertigt, das wir ihren Bedürfnissen und Interessen zugestehen. Das Prinzip von der Gleichheit menschlicher Wesen ist keine Beschreibung einer angeblichen faktischen Gleichheit unter den Menschen: es ist eine Vorschrift, wie wir die Menschen behandeln sollten.« [13]
Die meisten Menschen würden wohl diese ersten Zitate vorbehaltlos unterschreiben. Den Rassisten und Sexisten wird durch diese moralische Sichtweise der letzte Rest von Wind aus den Segeln genommen. Das Problem ist nur, wenn es denn ein Problem ist, die Implikation, denn Singer führt weiter aus: »Wenn der Besitz eines höheren Grades von Intelligenz einen Menschen nicht berechtigt, einen anderen für seine Zwecke zu benutzen, wie kann er Menschen berechtigen, Nichtmenschen zu dem gleichen Zweck auszubeuten?« [14]
An dieser Stelle zitiert Singer eine unter Tierrechtlern mittlerweile fast legendäre Passage von Jeremy Bentham aus einer Zeit, in der die Sklavenhaltung noch gang und gebe war:
»Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnten. Die Franzosen haben bereits entdeckt, daß die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, daß die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebensowenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter Säugling oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde das ausmachen?Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder: können sie sprechen? sondern: können sie leiden?« [15]
Die Fähigkeit zu leiden oder etwas genauer zu Leid und / oder Freude oder Glück ist für Singer das entscheidende Charakteristikum eines Lebewesens für die Berücksichtigung seiner Interessen: »Die Fähigkeit zu Leid und Freude ist eine Voraussetzung dafür, überhaupt Interessen zu haben, eine Bedingung, die zunächst erfüllt sein muß, ehe wir auf sinnvolle Weise von Interessen sprechen können. (…) Damit ist die Grenze der Empfindungsfähigkeit die einzig vertretbare Grenzlinie für unsere Anteilnahme an den Interessen anderer. Diese Grenzlinie gemäß irgendeinem Merkmal wie Intelligenz oder Rationalität zu ziehen, hieße, sie ganz willkürlich zu ziehen. Warum sollte man nicht irgendein anderes Merkmal wählen wie beispielsweise die Hautfarbe?« [16]
Wenn die Spezies als moralische Grenzlinie keine Rolle spielen würde, sondern alleine das Charakteristikum Leidensfähigkeit, was würde das bedeuten? In Bezug auf die Vermeidung von Schmerz ist es naheliegend, dass dieses Interesse bei empfindungsfähigen Wesen, gleich welcher Spezies angehörig, im wesentlichen ähnlich ist. Schwieriger wird es bei der Problematik der Tötung. Ist es das gleiche Unrecht, wenn einer eine Maus, ein anderer einen Menschen umbringt? Obwohl Singer in »Befreiung der Tiere« eine Unterscheidung zwischen Person und Nichtperson noch nicht konkret herausgearbeitet hat, verkennt er nicht die Zweischneidigkeit der Kritik am Speziesismus in Bezug auf das Töten: »Man könnte es so sehen, daß es das Recht von Schimpansen, Hunden und Schweinen und einigen anderen auf Leben bestätigt und daß wir eine schwere moralische Verfehlung begehen, wenn wir diese töten, selbst wenn sie alt und leidend sind und wir die Absicht haben, sie von ihrem Leiden zu erlösen. Man könnte das Argument aber auch so auffassen, daß die schwer Zurückgebliebenen und hoffnungslos Senilen kein Recht auf Leben haben und aus ganz trivialen Gründen getötet werden dürfen, wie wir gegenwärtig die Tiere töten. (…) Was wir brauchen ist eine mittlere Position.« [17]
• 2.1.4 Die Position von Singer: Menschen
• 2.1.4.1 Das Unrecht der Tötung
Die Frage, wieso Töten unrecht ist, werden viele Menschen an sich schon anstößig finden. Es ist einfach so, dass wir alle ein Recht auf Leben haben, würden viele einwenden, womit unter »alle« in der westlichen Moral von allen Menschen, im strengen Sinne eigentlich von allen geborenen Menschen die Rede ist. Diese Einschränkungen machen jedoch schnell deutlich, dass das Tötungsverbot so absolut nicht ist. Singer unterscheidet in dieser Frage zwischen zwei Kategorien:
a) Mitglied der Spezies »Homo sapiens«
In diese Kategorie gehören alle Menschen, denn es »besteht kein Zweifel, daß ein von menschlichen Eltern gezeugter Fötus vom ersten Moment seiner Existenz an ein menschliches Wesen ist; und dasselbe trifft zu für das schwerst und unheilbar geistig behinderte menschliche Wesen, ja sogar für einen anenzephalischen Säugling – genau gesagt: ein Säugling ohne Gehirn.« [18]
b) Person
John Locke definiert eine Person als »ein denkendes intelligentes Wesen, das Vernunft und Reflexion besitzt und sich als sich selbst denken kann, als dasselbe denkende Etwas in verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten«. [19] Hiermit hat Singer eine Unterscheidung getroffen, die menschliches Leben von menschlichem Leben trennt. Gegen das Töten von Personen gibt es für Singer starke Gründe:
a) Der Wunsch weiterzuleben (sozusagen das Interesse) als notwendige Bedingung für das Recht dazu. Diese Bedingung erfüllen Personen.
b) Aus der Sicht des Präferenz-Utilitarismus
»Eine Person zu töten bedeutet darum normalerweise nicht nur eine, sondern eine Vielzahl der zentralsten und bedeutendsten Präferenzen, die ein Wesen haben kann, zu verletzen. Sehr oft wird dadurch alles, was das Opfer in den vergangenen Tagen, Monaten oder sogar Jahren zu tun bemüht war, ad absurdum geführt«. [20]
c) Respektierung der Autonomie
»Insbesondere kann nur ein Wesen, das fähig ist, den Unterschied zwischen Sterben und Weiterleben zu erfassen, sich autonom dafür entscheiden zu leben. Daher verrät die Tötung einer Person, die sich entscheidet, nicht zu sterben, mangelnden Respekt vor der Autonomie dieser Person. (Dies wäre; der Verf.) die denkbar schwerwiegendste Verletzung der Autonomie dieser Person.« [21]
d) Klassisch-utilitaristisch
Wenn das Töten einer Person jederzeit möglich sei, würde die Existenz von Personen weniger erfreulich sein, weil sie ständig Angst vor dem Tod haben müssten. [22]Personen haben aus diesen Gründen ein »Lebensrecht«, welches für Singer auf Nichtpersonen nicht direkt anwendbar ist. Trotzdem bedeutet dies nicht, dass Nichtpersonen grundlos getötet werden können, denn » wir schätzen Lust; diejenigen töten, die ein lustvolles Leben führen, hieße die Lust beseitigen, die sie sonst empfinden würden, daher ist ein solches Töten unrecht.« [23]Doch hier ergibt sich für Singer ein Problem, denn »es gibt nämlich zwei Wege, die Summe der Lust in der Welt zu verringern; der eine besteht darin, die Lust derjenigen zu beseitigen, die ein lustvolles Leben führen; der andere darin, diejenigen zu beseitigen, die ein lustvolles Leben führen. Das erste hinterläßt Wesen, die weniger Lust haben, als sie andernfalls erleben würden. Der zweite tut das nicht. (…) man untersuche den entgegengesetzten Fall, bei dem es nicht um die Verminderung, sondern die Vermehrung der Lust geht. Es gibt zwei Wege, die Summe von Lust in der Welt zu steigern; der eine besteht darin, die Lust derjenigen zu vermehren, die jetzt existieren; der andere darin, die Zahl derjenigen zu erhöhen, die ein lustvolles Leben führen.« [24] Dies hört sich zwar etwas spitzfindig an, führt aber zu völlig verschiedenen Ansätzen des Utilitarismus, die Singer folgendermaßen aufteilt:
a) »Vorausgesetzte-Existenz«-Version
Diese Version leugnet, dass es einen Wert habe, die Lust zu vergrößern, indem zusätzliche Wesen geschaffen werden. Umgekehrt findet es diese Ansicht aber falsch, bewusste Wesen zu töten, dessen Leben mehr Lust als Schmerz enthält. [25]
b) »Totalansicht«
Der Totalansicht ist es egal, ob die Vermehrung der Lust durch die Vermehrung der Lust von existierenden Wesen geschieht oder durch die Vermehrung der existierenden Wesen. Nach diesem Prinzip sind bewusste Wesen ersetzbar. [26]
• 2.1.4.2 Der Status des Embryos, des Fötus und des Neugeborenen
Singer sieht die Entwicklung des menschlichen Lebens als stufenweisen Prozess. »Eine klare Trennlinie zwischen dem befruchteten Ei und dem Erwachsenen gibt es nicht; daher rührt das Problem«. [27] Dies werden die meisten Menschen, ohne sich dessen immer im klaren zu sein, wohl ähnlich sehen, von kategorischen Abtreibungsgegnern mal abgesehen.
Die vieldiskutierten Trennlinien wie Geburt, Lebensfähigkeit, Bewusstsein und Bewegung des Fötus lehnt Singer ab. Durch keine dieser Trennlinien ändert sich der moralische Status des Fötus in Bezug auf das Tötungsverbot.
Singer untersucht den »Wert des fötalen Lebens«. Seine Folgerungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Wenn die individuellen Eigenschaften des Fötus bewertet werden, nicht der Status als Mitglied der Spezies »Homo sapiens«, fehlen ihm entscheidende Merkmale:
»Denn bei jedem fairen Vergleich moralisch relevanter Eigenschaften wie Rationalität, Selbstbewußtsein, Bewußtsein, Autonomie, Lust- und Schmerzempfindung, und so weiter haben das Kalb, das Schwein und das viel verspottete Huhn einen guten Vorsprung vor dem Fötus in jedem Stadium der Schwangerschaft – und wenn wir einen weniger als drei Monate alten Fötus nehmen, so würde sogar ein Fisch mehr Anzeichen von Bewußtsein zeigen.« [28]
Somit bleibt für Singer für die Berücksichtigung des Fötus nur die Leidensfähigkeit ab einem gewissen Zeitpunkt, aber »die ernsthaften Interessen der Frau würden normalerweise jederzeit vor den rudimentären Interessen selbst eines bewußten Fötus Vorrang haben.« [29] Ein Lebensrecht lässt sich für Singer aufgrund des unveränderten Bewusstseinszustandes zum Fötus ebensowenig für das Neugeborene begründen: »Wenn der Fötus nicht denselben Anspruch auf Leben wie eine Person hat, dann hat ihn das Neugeborene offensichtlich auch nicht.« [30]
• 2.1.4.3 Leben nehmen
Singer unterscheidet drei Arten von Euthanasie:[31]
Freiwillige Euthanasie (auf Verlangen der Person)
Unfreiwillige Euthanasie (gegen den Willen der Person)
Nichtfreiwillige Euthanasie (dies ist dann der Fall, wenn das menschliche Wesen keine personalen Kriterien erfüllt und demzufolge nicht fähig ist, sich zwischen Leben und Tod zu entscheiden)
In die dritte Art der Euthanasie, auf die ich mich hier konzentrieren will, fallen nach Singers Definition »unheilbar kranke oder schwerbehinderte Säuglinge sowie Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder hohes Alter die Fähigkeit auf Dauer verloren haben, das Entscheidungsproblem zu verstehen, ohne daß sie zuvor Euthanasie unter diesen Umständen gefordert oder abgelehnt hätten.« [32]
Wie oben schon erwähnt, sieht Singer keinen moralischen Unterschied zwischen dem Status des Säuglings und dem des Fötus. Beide Formen menschlichen Lebens sind leidensfähig, also bewusste Wesen, aber ebenso sind beide noch keine Personen. Normalerweise wird für Singer aber das Neugeborene durch das Interesse der Eltern am Säugling geschützt, anders sähe es für ihn bei behinderten Säuglingen aus. »Es ist etwas anderes, wenn sich herausstellt, daß der Säugling mit einer schweren Behinderung zur Welt kommt. Natürlich gibt es unterschiedliche Schäden. Manche sind geringfügig und haben wenig Auswirkung auf das Glück des Kindes oder seiner Eltern, andere hingegen verwandeln das normalerweise freudige Ereignis der Geburt in eine Bedrohung für das Glück der Eltern und anderer Kinder, die sie vielleicht haben.(…) Einige Eltern wollen, daß selbst ein schwerstbehindertes Kind so lange wie möglich lebt, und dieses Verlangen wäre dann ein Grund gegen die Tötung des Kindes. Aber wenn dies nicht der Fall ist?« [33]
Eine nichtfreiwillige Euthanasie würde für Singer dann in Betracht kommen, wenn die Eltern das Kind nicht wollen und sich auch kein anderes Paar zur Adoption bereiterklären würde. [34] Im Einzelfall müsse die Entscheidung aber auch davon abhängig gemacht werden, welcher Ansatz des Utilitarismus gewählt wird:
»Wenn das Leben eines Kindes so elend sein wird, daß es sich aus der inneren Perspektive des Wesens, das dieses Leben führen wird, nicht zu leben lohnt, dann folgt sowohl aus der »Vorherige-Existenz- als auch aus der »totalen« Version des Utilitarismus, daß es, sofern keine »äußeren Gründe vorliegen, den Säugling am Leben zu erhalten – wie etwa die Gefühle der Eltern -, besser ist, ihm ohne weiteres Leiden zum Sterben zu verhelfen. Ein schwierigeres Problem ergibt sich – und damit endet die Übereinstimmung zwischen den beiden Standpunkten -, wenn wir Schädigungen betrachten, die die Lebensaussichten des Kindes bedeutend weniger rosig erscheinen lassen als die eines normalen Kindes, aber nicht so trübe, daß sich das Leben nicht doch zu leben lohnen würde.« [35]
Die verschiedenen utilitaristischen Ansätze führen hier zu verschiedenen Folgerungen:
»Vorherige-Existenz«-Version:
»Der Säugling existiert. Von seinem Leben ist zu erwarten, daß in der Bilanz Glück über Unglück überwiegen wird. Ihn zu töten hieße, ihn dieser positiven Glücksbilanz zu berauben, und wäre daher unrecht.« [36]
»Totalansicht«:
»Sofern der Tod eines behinderten Säuglings zur Geburt eines anderen Säuglings mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird. Der Verlust eines glücklichen Lebens für den ersten Säugling wird durch den Gewinn eines glücklicheren Lebens für den zweiten aufgewogen. Wenn daher die Tötung des (in diesem Beispiel; der Verf.) hämophilen Säuglings keine nachteilige Wirkung auf andere hat, dann wäre es nach der Totalansicht richtig, ihn zu töten.« [37] Zur Rechtfertigung des Infantizids vergleicht Singer diesen mit der pränatalen Diagnostik:
»Wenn der Tod vor der Geburt eintritt, gerät die Ersetzbarkeit nicht mit allgemein akzeptierten moralischen Überzeugungen in Konflikt. Daß man von der Schädigung eines Fötus weiß, wird weithin als Abtreibungsgrund anerkannt. Doch bei der Abtreibungsdiskussion haben wir gesehen, daß die Geburt keine moralisch relevante Grenzlinie markiert. Mir ist nicht ersichtlich, wie sich die Ansicht verteidigen ließe, Föten vor der Geburt dürften »ersetzt« werden, neugeborene Säuglinge dagegen nicht.« [38] So bleibt zum Schluss nur noch die Wiedergabe der wohl am meist zitiertesten und deswegen auch bekanntesten Stelle der »Praktischen Ethik«:
»Der Kern der Sache ist freilich klar: die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht.« [39]
2.2 Der »Speziesismus«
• 2.2.1 Definition
Eine Definition des Begriffes »Speziesismus« [40] nach dem »Oxford English Dictionary« lautet folgendermaßen: »Diskriminierung oder Ausbeutung bestimmter Tierarten durch den Menschen aufgrund eines angenommenen Vorrangs des Menschen.« [41] In einem »Lexikon der Tierschutzethik« von Teutsch wird Speziesismus beschrieben als »das Gefühl einer mit dem Menschsein verbundenen Überlegenheit, die dem Menschen innerhalb der ihn umgebenden Natur ein unangefochtenes Willkürrecht verleiht.« [42] Weitere Ausführungen in deutschen Lexika sind mir (noch) nicht bekannt.
• 2.2.2 Die Wurzeln des Speziesismus
Weshalb der Speziesismus in der westlichen Tradition fest verankert ist, zeigt vor allem der jüdisch-christliche Schöpfungsglaube der Genesis:
»Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.« [43]
Der Mensch gilt als etwas Besonderes, weil er nach zum Ebenbilde Gottes geschaffen und ihm Macht über die anderen Lebewesen verliehen worden ist. Speziell im Christentum wird der »unsterblichen Seele« noch eine zusätzliche, große Bedeutung beigemessen. Es klingt gewagt, diese These aufzustellen, vor allem unter dem Gesichtspunkt, welche Bedeutung diese Religionen bei vielen Menschen im alltäglichen Leben noch spielen. [44] Eine plausible Erklärung ist es dennoch.
Es scheint so, als hätten sich die bequemen Seiten des Glaubens automatisch in uns festgesetzt, eines Glaubens, welcher seit Darwins Evolutionstheorie wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist, sich aber trotzdem erstaunlich hält.
Dawkins nennt dieses Phänomen den diskontinuierlichen Geist: »Der »Wert« des Lebens eines Tieres entspricht dem Preis, den sein Besitzer oder – wenn es sich um eine seltene Spezies handelt – die Menschheit für seinen Ersatz bezahlen muß. Aber wenn man ein winziges Stück empfindungsloses embryonisches Gewebe mit dem Etikett Homo Sapiens versieht, dann bekommt sein Leben plötzlich einen unendlichen, unschätzbaren Wert.« [45]
Auch rationale Argumente für die Aufrechterhaltung des Speziesismus finden sich recht häufig. Tugendhat kritisiert beispielsweise die Speziesismus-Analogie zum Rassismus heftig, denn »der Sinn des schrittweise Überschreitens war ja, daß wir begreifen sollen, daß die Menschheit eine große Familie ist, (…) Wir kommen also am Ende jenes schrittweisen Überschreitens zu etwas Umfassendem, was jedoch nicht durch eine Abstraktion (…) bestimmt ist, sondern selbst noch etwas Partikuläres ist. (…) Die scharfen und tiefen Grenzen zu anderen Spezies mit den künstlichen Grenzen zwischen Rassen zu vergleichen zeugt von einer moralischen Unsensibilität.« [46]
Tugendhat hat sicherlich recht, wenn er von künstlichen Grenzen zwischen den Rassen spricht. Aber die Frage bleibt, ob dies wirklich moralisch relevant ist. Was wäre, wenn es eine »Elite-Rasse« gäbe, welche sich völlig abgeschottet hätte von allen anderen Rassen? Hätte diese Rasse das Recht, uns aus ihrer Moral auszugrenzen? Ich denke, Tugendhat würde das bezweifeln. Aber wie kann das Argument dann zählen? Zur Schwäche des Arguments kommt noch seine »evolutionäre Unschärfe« hinzu.
Jede Art müsste nach der Evolutionstheorie mit einer anderen Art verwandt gewesen sein, aus der sich die neue Art irgendwann entwickelt hat. Die Existenz des Menschen erklärt Dawkins am Phänomen der sog. Ringspezies:
»Am bekanntesten ist der Fall der Silbermöwe und der Mantelmöwe. In Großbritannien sind es zwei völlig verschieden gefärbte Spezies, und jeder Beobachter wird den Unterschied sofort erkennen. Verfolgt man jedoch die Population der Silbermöwen nach Westen über den Nordpol nach Nordamerika und dann weiter über Alaska und Sibirien hinweg zurück nach Europa, stößt man auf eine seltsame Tatsache. Die Silbermöwen verlieren allmählich das Aussehen von Silbermöwen, und nähern sich dem der Mantelmöwe, bis es sich schließlich zeigt, daß unsere europäischen Mantelmöwen das andere Ende eines Ringes sind, der mit der Silbermöwe begonnen hat. An jeder Stelle dieses Ringes sind die Vögel ihren Nachbarn so ähnlich, daß sie sich kreuzen können, und zwar bis das Ende dieses Kontinuums in Europa erreicht ist. An diesem Punkt kreuzen sich die Silbermöwen und die Mantelmöwen nicht mehr, obwohl sie durch eine kontinuierliche Reihe sich kreuzender Kollegen verbunden sind, die um den ganzen Globus verläuft. Das einzig Besondere an Ring-Spezies wie diesen Möwen ist, daß ihre Zwischenformen noch leben. Überall dort, wo zwei Spezies miteinander verwandt sind, besteht die Möglichkeit, daß es Ring-Spezies sind. Irgendwann einmal müssen die Zwischenformen gelebt haben. Es ist nur so, daß sie heute in den meisten Fällen ausgestorben sind.« [47]
Natürlich ist es ein nicht gerade ideales Argument, eine moralische Erweiterung der Grenzen mit einer Verwandtschaft zu begründen (wenn auch eine gute Antwort auf Tugendhats Einwand), aber der Speziesismus ist so eng mit der diskontinuierlichen Überzeugung verknüpft, dass dieses Argument sehr gewichtig erscheint.
• 2.2.3 Formen des Speziesismus
Jean – Claude Wolf unterscheidet zwei Arten von Speziesismus[48] :
»Radikaler Speziesismus«
Der radikale Speziesismus wertet alle Interessen von Tieren gegenüber menschlichen Interessen nahezu vollständig ab.
Selbst triviale Interessen des Menschen haben Priorität gegenüber vitalen Interessen des Tieres. Als Beispiele wären in diesem Zusammenhang Tierversuche zur Entwicklung neuer Kosmetika oder die Betreibung von Legebatterien zur kostengünstigeren Produktion von Eiern zu nennen. Radikaler Speziesismus lässt sich in der Öffentlichkeit kaum offensiv vertreten, wird aber noch stillschweigend akzeptiert.
»Milder Speziesismus«
Offensive Verteidigung hingegen erhalten Handlungen, welche vergleichbare Interessen von Tieren gegenüber Menschen abwertet. Ein Beispiel wäre hier der Tierversuch zu medizinischen Zwecken.
Anzumerken ist hier, dass es keinesfalls Speziesismus ist, wenn Tiere mangels alternativer pflanzlicher Ernährung getötet werden, z. B. von Eskimos oder in einer Notsituation kein anderer Ausweg als eine Tötung möglich erscheint.
Beim Fleischessen in einer industrialisierten Wohlstandsgesellschaft (und hier insbesondere in den Fällen, wo die Herkunft und das Leben des Tieres für die »Produktentscheidung« des Verbrauchers in keiner Form in Erwägung gezogen werden) handelt es sich jedoch eindeutig um einen speziesistischen Verstoß.
Für Helmut F. Kaplan ist das Fleischessen sogar die speziesistische Praktik schlechthin:
»Zum Fleischessen haben wir uns nicht entschieden, sondern zum Fleischessen wurden wir dressiert bzw. konditioniert. Und Fleischessen konditioniert seinerseits zum Speziesismus. Fleischessen ist die psychologische Grundlage für alle speziesistischen Praktiken. Fleischessen ist das Fundament für die speziesistische Grundhaltung. Denn: Wenn wir erst einmal innerlich akzeptiert haben, daß wir leidensfähige Lebewesen für so banale Zwecke wie unsere Geschmacksvorlieben quälen und umbringen, dann akzeptieren wir auch jede andere, noch so frivole Ausbeutung von Tieren.« [49]
• 2.2.4 Zwei Einwände
Die »Befreiung der Tiere«, also die Überwindung des speziesistischen Geistes, ist vielen Rationalisierungen und Handikaps ausgesetzt. Zur Unterstützung meines Standpunktes in Bezug auf die Tiere, möchte ich noch kurz auf zwei häufig vorgebrachte Einwände eingehen. Dies soll der Ernsthaftigkeit der theoretischen Überlegung der Befreiung der Tiere dienen und die vermeintliche Voreingenommenheit von Lesern schmälern.
Es gibt zwar noch einige andere Einwände gegen die Befreiung der Tiere (welche übrigens alle überzeugend beantwortet werden können), doch in Bezug auf die Fragestellung der Arbeit halte ich diese für die wichtigsten:
»Die Tierrechtsbewegung ist eine Stellvertreter-Bewegung«
Dies ist zwar ein gutes Argument, aber nicht für den Speziesisten. Vielmehr sind Tiere nicht selbst fähig, »ihre eigene Befreiung zu verlangen oder mit Wählerstimmen, Demonstrationen oder Bomben gegen ihre Lebensbedingungen zu protestieren.« [50] Der Einwand dient vielmehr zur Verdeutlichung der grundsätzlichen Schwierigkeit, welcher die Tierrechtsbewegung ausgesetzt ist. Dieses Handikap macht die Befreiung der Tiere zu einem rein moralischen Akt, im Gegensatz zum Beispiel zur Befreiung der Sklaven. Hier war es für die Ausbeuter letztlich vorteilhafter, »den Unterdrückten »freiwillig« Rechte einzuräumen, als zu warten, bis sie mit Gewalt dazu gezwungen würden.« [51]
Deswegen halte ich es für legitim und notwendig, dass Menschen (und eben nur Menschen) für die Befreiung der Tiere eintreten.
»Tiere fressen einander auch«
Dieser Einwand ist sehr plump, wenn man sich näher mit ihm befasst, aber selbst promovierte Köpfe, wie z. B. Patzig, bringen ihn in etwas differenzierter Form öfters vor: »Sie (die Tiere; der Verf.) verhalten sich untereinander nicht nach moralischen Grundsätzen und würden uns nicht schonen, wenn sie uns so überlegen wären, wie wir es ihnen gegenüber sind.« [52]
Kaplan liefert eine überzeugende Antwort: »Zunächst ist an dieser Argumentation interessant, daß gerade diejenigen, die ansonsten immer die Sonderstellung des Menschen betonen, also die Unähnlichkeit mit dem Tier, hier auf einmal mit einer angeblichen Ähnlichkeit mit dem Tier argumentieren: Wir sind im Grunde auch Tiere, und Tiere fressen einander nun einmal.
Aber ausgerechnet hier, in bezug auf das Fleischessen, gibt es zwischen Mensch und Tier keine Ähnlichkeit: Tiere (genauer: die fleischfressenden Tiere!) müssen Fleisch fressen, Menschen nicht. Der Mensch hat eine Entscheidungsmöglichkeit, das Tier nicht. Der Mensch kann moralisch handeln, das Tier nicht.« [53]
Dass dieses Argument natürlich nur ein Schutzargument ist, zeigt aufschlussreich das folgende Beispiel:
In einem Artikel in der »Zeit« wurde eine Frau beschrieben, welche durch eine Verletzung im vorderen Stirnhirn sowohl ihr Moralempfinden als auch die Fähigkeit zu Schuldgefühlen abhanden gekommen sind. Dies bedeutet zwar nicht, dass es Gene für die Moral gäbe, doch die Fähigkeit, normative Systeme überhaupt erst zu erkennen, scheint selbst durchaus eine physische Basis zu besitzen. Die Frau ist beschrieben worden als »Schrecken der Mitmenschen«, als »echte Rabenmutter«. Dennoch meinen die Neurologen: Die heute 20-jährige sei völlig unschuldig. [54]
Dieser Artikel ist ein Zeichen dafür, welchen Wert wir wirklich der Fähigkeit des moralischen Handelns zuweisen, wenn es sich um einen Menschen handelt. Warum sollte es beim Tier anders sein?
2.3 Ein »Mensch – Tier – Vergleich«
• 2.3.1 Wer ist Person?
Singer orientiert sich, wie weiter vorne schon erwähnt, an der Definition von Locke: »Ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Das heißt, es erfaßt sich als dasselbe Ding, das zu verschiedene Zeiten und an verschiedenen Orten denkt.« [55]
Fletcher hat fünfzehn positive Kriterien des »Menschseins« entworfen, welche sich gekürzt folgendermaßen darstellen:[56]
Minimale Intelligenz (mind. IQ von 20) / Selbstbewusstsein / Selbstkontrolle / Zeitempfinden / Zunkunftsorientiertheit / Gefühl von Vergangenheit / Die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen aufzunehmen / Verantwortung für andere / Kommunikation / Existenzielles Wissen / Wissensdrang / Veränderung und Veränderbarkeit / Gleichgewicht zwischen Rationalität und Gefühl / Einmaligkeit / Neo-corticale Funktion
Fletchers Kriterien des »Menschseins« wären somit recht hoch angelegt, ganz abgesehen von deren diffizilen Überprüfbarkeit.
Kant sieht die Vorstellung des Menschen als ein »mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier«, welches »aus sich selbst ein vernünftiges Tier machen kann«. Seine besondere Eigenschaft ist unter anderem die Fähigkeit, sich »seiner selbst nicht bloß als vernünftiges Tier, was räsonieren kann, sondern auch seiner Tierheit ungeachtet als Vernunftswesen bewußt« [57] zu sein.
Sämtlichen Definitionen des Personseins besitzen folgendes gemeinsames Merkmal: Kriterien, die offensichtlich nicht alle Mitglieder der Spezies »Homo Sapiens« erfüllen können.
• 2.3.2 Argumente gegen den »Mensch-Tier-Vergleich«
Spaemann versucht diese Personendefinitionen zu widerlegen. Er stimmt zwar damit überein, dass eine Person diese Qualitäten besitzt, doch er verweigert sich der Schlussfolgerung, dass einige Menschen diese Kriterien nicht hätten. Folgende Gründe gibt Spaemann an:[58]
· Die Angehörigen der Spezies »Homo sapiens« sind nicht nur Exemplare einer Art, sie sind Verwandte und stehen deshalb in einem personalen Verhältnis zueinander.
· Es gibt keinen gleitenden Übergang von »etwas« zu »jemand«. Nur weil wir mit Menschen immer und von Anfang an nicht als mit »etwas«, sondern als mit »jemandem« umgehen, entwickeln die meisten von ihnen die Eigenschaften, die diesen Umgang im nachhinein rechtfertigen.
· Bei Geisteskranken können wir gar nicht wissen, ob sie nicht doch intentional handeln. Verantwortlichkeit und Zurechnungsfähigkeit müssen hierbei voneinander unterschieden werden.
· Schwer Debile sind keine Nichtpersonen, sondern kranke Personen, wie eben auch ein defekter Stuhl immer noch ein Stuhl ist, und weil diese Person krank ist, bedarf sie unserer besonderen Unterstützung. Da es die Eigentümlichkeit der menschlichen Natur ist, auf personale Weise behandelt zu werden, haben wir keinen Grund, diese Natur ganz anders zu betrachten, wenn sie schwer verunstaltet ist.
· Es gibt keine potenzielle Personen. Personen besitzen Fähigkeiten, Potenzen und sie können sich entwickeln. Von potenziellen Personen zu sprechen, ist somit sinnlos, weil der Begriff der Potenzialität überhaupt nur unter der Voraussetzung von Personalität entstehen kann.
· Es kann und darf nur ein einziges Kriterium für Personalität geben: die biologische Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht. Personenrechte sind Menschenrechte.
Das letzte Argument kann schon als der verzweifelte Versuch gewertet werden, den Sonderstatus des Menschen irgendwie zu retten. Wenn allein die biologische Zugehörigkeit das Kriterium für »Person« sein soll, dann brauchen wir überhaupt keine Kriterien für die Personendefinition. Wir wären einfach Menschen und somit Personen.
Ist diese Aussage zu halten? Sind anenzephale Kinder Personen? Bin ich seit meiner Zeugung eine Person?
Spaemanns Gründe, wieso alle Menschen Personen sind, können empirisch-rational einfach nicht gehalten werden, wenn Personen als selbstbewusste, sich in der Zeit sehende Lebewesen definiert werden. Interessant an Spaemanns Begründung ist die Sorge um die Kranken, welche aus der rationalen Personendefinition herausfallen: »Ihre Existenz ist der Härtetest der Humanität« [59] , und somit ist es mit mehr Opfern verbunden, sie zu behandeln. »Solche Opfer bezeichnet Peter Singer als Speziesismus.« [60]
Hier irrt Spaemann. Der Mensch ist biologisch gesehen ein »Mängelwesen«. Er besitzt keine hochgradige Spezialisierung von Organen, ihm mangelt es an natürlicher Anpassung und Instinkt. [61] Diese Mängel werden durch seine hohe Intelligenz mehr als ausgeglichen. Fehlt diese Intelligenz beim Menschen, besitzt er gegenüber Tieren auf gleicher Intelligenz- oder besser IQ-Stufe erhebliche Nachteile.
Das Gleichheitsprinzip, die gleiche Berücksichtigung von gleichen Interessen und die besondere Berücksichtigung von besonderen Interessen findet hier seine konsequente Anwendung. Somit impliziert eine besondere Berücksichtigung der Interessen von geistig-behinderten Menschen gegenüber nichtbehinderten Menschen und Tieren auf derselben Bewusstseinsstufe keinen Speziesismus. Eine gleiche Berücksichtigung bedeutet nicht eine gleiche Behandlung. Dies ist ein bedeutsamer Unterschied. [62]
Der Speziesismus tritt erst dann auf, wenn folgende Kurzform des Gleichheitsprinzips gebrochen wird: »Ähnliche Interessen sollen die gleiche Rolle spielen,« [63] oder in noch deutlicherem Maße beim Verstoß gegen folgende Kurzform: »Größere Interessen dürfen keine kleinere Rolle spielen als kleinere Interessen.« [64]
Höffe argumentiert gegen den »Mensch-Tier-Vergleich« aufgrund des Umstandes, dass es sich bei einer Behinderung um einen außergewöhnlichen Schaden handelt: »Im Unterschied zu Kindern und Geisteskranken sind Tiere (…) nicht nur vorläufig oder aufgrund außergewöhnlicher Schäden, sondern auf irreversible Weise, als Spezies nämlich, zu einem zurechenbaren Handeln nicht fähig.« [65]
Fast identisch hat dies Stanley Benn schon 1967 ausgedrückt. Für ihn ist es »unfair, die Schwächen eines geistig Behinderten, der aus der Norm herausfällt, auszunutzen (…) Wenn wir nicht in dieser Weise über Hunde denken, dann, weil wir die Unvernünftigkeit eines Hundes nicht als Schwäche oder Nachteil sehen, sondern als normal für diese Spezies.« [66]
Dieses Argument klingt gefühlsmäßig und intiutiv logisch, ist aber rational schwerlich zu halten. Benn will die Schwäche des geistig behinderten Menschen nicht ausnutzen. Aber wo ist der moralische Unterschied zum Hund? »Daß der geistig Behinderte nicht vernünftig ist, hat sich eben so ergeben, und dasselbe trifft auf den Hund zu – keiner von beiden ist für sein geistiges Niveau verantwortlich. Wenn es unfair ist, einen einzelnen Defekt zu mißbrauchen, warum ist es dann fair, eine allgemeinere Einschränkung zu mißbrauchen?« [67]
Für Patzig gibt es an und für sich keinen Unterschied zwischen Versuchen an schwachsinnigen Menschen und Tieren. Die Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung liegt für ihn in der Gefahr des Missbrauchs, indem etwa politische Dissidenten als Geisteskranke behandelt werden. [68]
Patzig begibt sich hier auf sehr dünnes Eis. In der heutigen Zeit ist es ohne weiteres möglich in einer Diktatur politisch unerwünschte Personen irgendwie »verschwinden« zu lassen, z. B. in eine Psychiatrie. Die Rechtfertigung für den Tierversuch an einem solchen Argument festzumachen, halte ich für ein sehr gewagtes Manöver.
• 2.3.3 Tiere als Personen – das »Great Ape Projekt«
»Tiere als Personen« scheint etwas Abstraktes, Theoretisches zu sein. Die Realität greift aber voran. Mit der Gründung des »Great Ape Project« ist eine vielfältige Basis geschaffen worden, um das Lebensrecht für die »Großen Menschenaffen« (darunter fallen der Schimpanse, der Gorilla und der Orang-Utan) zu erstreiten, und so den Rechtsbegriff über die eigene Spezies hinaus auszuweiten.
Vor allem den Forschungen von Jane Goodall ist es zu verdanken, dass den Menschenaffen eine neue Dimension der Aufmerksamkeit entgegengebracht worden ist: »In der Tat werden alle, die längere Zeit eng mit Schimpansen zusammengearbeitet haben, nicht zögern zu behaupten, daß Schimpansen ebenso wie Menschen Emotionen zeigen, die denjenigen, die wir als Freude, Traurigkeit, Furcht, Verzweiflung und so weiter bezeichnen, ähnlich und manchmal wahrscheinlich sogar mit ihnen identisch sind.« [69]
Das »Great Ape Projekt« zeichnet sich aber gerade deswegen aus, weil es von vielen Philosophen, Psychologen, Biologen usw. gestützt wird und die Nachweise für enorme kognitive und emotionale Fähigkeiten der Menschenaffen überwältigend sind.
Zwei Beispiele sollen dies praktisch veranschaulichen:
»So hat (…) der Orang-Utan Chantek, der die Zeichensprache erlernt hat, das zweidimensionale Foto eines weiblichen Gorillas imitiert, die mit dem Finger auf ihre eigene Nase zeigte. Um den Gorilla zu imitieren, muß Chantek gewußt haben, wie er aussehen würde, wenn er die auf dem Foto gezeigte Handlung ausführte, und wie es sich anfühlen würde, eine solche Handlung mit seinem Körper zu erzeugen. Er muß also fähig gewesen sein, das visuelle Bild auf seine eigenen Bewegungsempfindungen zu übertragen – das heißt, auf Empfindungen seiner eigenen Körperhaltung, -gegenwart oder -bewegung. Diese Übertragung eines visuellen Bildes auf einen kinästhetischen Akt, der diesem visuellen Bild ähnelt (es simuliert), ist insofern faszinierend, als sich daraus schließen läßt, daß Chantek eine kreuzmodale Vorstellung von seinem Körper hat, was wiederum zeigt, daß er eine bildliche Vorstellung seiner selbst hat.« [70]
Nicht minder interessant ist eine Beobachtung von Goodall: »Eines Tages, nicht lange nachdem die Gruppe gefüttert worden war, entdeckte Figan eine Banane, die übersehen worden war – aber Goliath (ein erwachsenes Männchen, das in der Gruppenhierarchie über Figan stand) saß direkt darunter. Nach nicht mehr als einen raschen Blick von der Frucht zu Goliath entfernte sich Figan und setzte sich auf die andere Seite des Zelts, so daß er die Frucht nicht mehr sehen konnte. Fünfzehn Minuten später, als sich Goliath davonmachte, kletterte Figan ohne einen Moment zu zögern hinüber und las die Frucht auf.« [71]
Singer folgert aus solchen Beispielen das Vorhandensein von Selbstbewusstsein, denn »wenn ein Tier einen sorgfältigen Plan ersinnen kann, um eine Banane zu erlangen – nicht gleich, sondern in absehbarer Zukunft -, und wenn es Vorsichtsmaßnahmen ergreifen kann, gegen seinen Hang durch seinen Gesichtsausdruck den Gegenstand seines Planes zu verraten, dann muß dieses Tier sich seiner selbst als einer distinkten, in der Zeit existierenden Entität bewußt sein.« [72]
Natürlich kann man immer Zweifel gegen solche Schlussfolgerungen hegen. Strenggenommen lassen sich diese Zweifel aber auch auf alle Menschen ausdehnen, welche nicht über die Fähigkeit der Sprache verfügen.
Die Dringlichkeit der Forderung »Rechte für die Großen Menschenaffen« ergibt sich aus ihrer Nutzung für die Forschung: »Es ist Forschern erlaubt, diesen Großen Menschenaffen Dinge anzutun, die als völlig verabscheuungswürdig angesehen würden, mutete man sie Menschen zu. In der Tat liegt der Wert dieser Großen Menschenaffen als Werkzeuge der Forschung gerade in der Kombination zweier entgegengesetzter Faktoren: einerseits die Tatsache, daß sie unserer eigenen Spezies sowohl physisch als auch psychisch sehr ähnlich sind; und andererseits die Tatsache, daß man ihnen den ethischen und gesetzlichen Schutz verweigert, den wir unserer eigenen Spezies zugestehen.« [73] Das »Great Ape Projekt« hat sich zum Ziel gesetzt, dass die »Großen Menschenaffen« in die moralische Gemeinschaft der Gleichen aufgenommen werden. Die folgende Deklaration beschreibt die wichtigsten Forderungen:
»Die Deklaration über die Großen Menschenaffen
Das Recht auf Leben
Das Leben der Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen ist zu schützen. Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht getötet werden, außer in streng festgelegten Situationen wie zum Beispiel in Notwehr.
Der Schutz der individuellen Freiheit
Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht willkürlich ihrer Freiheit beraubt werden; falls sie ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren eingesperrt sein sollten, haben sie das Recht auf sofortige Freilassung. Die Inhaftierung derjenigen, die keines Verbrechens überführt oder nicht strafmündig sind, ist nur erlaubt, wenn erwiesen werden kann, daß es zu ihrem eigenen Wohl ist oder notwendig wird, um die Allgemeinheit vor einem Mitglied der Gemeinschaft zu stützen, welches in Freiheit eindeutig eine Gefahr für andere darstellen würde. In solchen Fällen haben die Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen das Recht, entweder direkt oder, falls ihnen die notwendigen Fähigkeiten fehlen, durch einen Rechtsbeistand ein Gericht anzurufen.
Das Verbot der Folter
Einem Mitglied der Gemeinschaft der Gleichen entweder böswillig oder für einen angeblichen Nutzen anderer wissentlich ernsthaften Schmerz zufügen, gilt als Folter und ist unrecht.« [74]
• 2.3.4 Der »Mensch – Tier – Vergleich« aus einer sonderpädagogischen Sicht
Christoph Anstötz, ehemals Professor für Geistigbehindertenpädagogik, hat im Bereich der Sonderpädagogik als einer der wenigen das Tabu des Vergleichs von schwerst geistigbehinderten Menschen und Tieren gebrochen.
Für Anstötz hat die Schwierigkeit der heilpädagogischen Anthropologie mit dem Argumentationsschritt begonnen, »in dem der Schwerstbehinderte als menschliches Wesen charakterisiert wird, welches mit den gleichen Ansprüchen auf Menschlichkeit ausgestattet sein soll, wie alle übrigen Menschen. Unglücklicherweise aber fehlen diesen Menschen gerade jene Qualitäten, auf die die Rechtfertigung des Menschen als Sonderentwurf der Natur begründet wurde.« [75]
Aus der Sicht von Anstötz stellt sich hiermit ein großes Problem dar, denn wenn alle Schwerstbehinderten in das moralische Schema aufgenommen werden, würde dies »unweigerlich den Einsturz des gesamten Argumentationsgebäudes zur Folge haben.« [76]
Um dieses Dilemma zu überspielen, werden in der Heilpädagogik verschiedene Mittel gewählt, die die problematische Kluft zwischen Gattungs- und Individualeigenschaften sehr gut verbergen. So werden z. B. mit Hilfe der Poesie schwer Geistigbehinderte Eigenschaften zuerkannt, über die sie tatsächlich nicht verfügen können[77]: »Ich kann nicht so schön reden. Aber ich habe einen Freund – den kenn ich lange. Dem habe ich meine Bitten gezeigt. Der traut sich für mich und schreibt hier alles für mich auf, was ich schon lange sagen will. Mein Freund sagt: Jeder kann hier sagen, was er richtig findet. Ich auch? Ist das wahr?« [78]
Es stellt sich hier die Frage, wie glaubwürdig solche Mittel sind, um die problematische Kluft zwischen Individual- und Gattungseigenschaft zu schließen.
Die Verwendung der selbstbewussten Sprache zur Vermittlung von Betroffenheit ist natürlich nicht nur in sonderpädagogischen Kreisen beliebt, sondern eigentlich in allen sog. »Stellvertretergruppen«. Es gibt natürlich auch viele Tierschützer, die z. B. Gesprächen von Fischen lauschen (»Mama, warum machen die Menschen das? – Ich weiß nicht, mein Kind«). [79]
Ein weiterer Versuch der Abgrenzung zum Tierreich besteht in der offensiven Strategie des unmittelbaren Vergleichs von Fähigkeiten. Wenn in der Schwerstbehindertenpädagogik ein signifikanter Unterschied gefunden würde, wäre die Sonderstellung des Menschen gegenüber dem Tier untermauert. In diesen Vergleichen kam es aber zu ernüchternden Ergebnissen: »Wenn wir den Menschen mit dem Tier vergleichen, dann scheinen dem geistig Behinderten Eigenschaften zu fehlen, die man als typisch menschlich umschreibt. Schwer Geistigbehinderte halten in mancher Hinsicht selbst dem Vergleich mit dem Tier nicht stand.« [80]
Der Pädagoge Fröhlich versuchte herauszuheben, dass die prinzipielle Kommunikationsfähigkeit des menschlichen Individuums zum letzten Maß werden kann: »Leben und Kommunikationsfähigkeit fallen fast zusammen, und so bekommt letztere ein immer deutlicheres Gewicht im Sinne unseres menschlichen Selbstverständnisses.« [81]
Fröhlich möchte die Kommunikationswege mit schwer geistig Behinderten (wie z. B. visuelle, taktile, vibratorische, geruchliche und geschmackliche) separat diskutieren. Der somatische Bereich ist unterteilt in die Aspekte Körperkontakt, Nähe, Orientierung, Blick, Augenbrauen, Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Tonfall. Ferner werden noch die Wirkung der Gefühle, der Kognition, der Sozial- und Körpererfahrung behandelt und unter dem Gesichtspunkt pädagogischer Förderung beleuchtet. [82]
Anstötz vergleicht Fröhlichs Untersuchung mit Goodalls Aufzeichnungen über die Kommunikation mit Schimpansen und kommt zu folgendem Ergebnis: »Es scheint nichts zu geben, was ein geistig schwerstbehinderter Mensch tun oder empfinden könnte und ein Schimpanse oder Gorilla nicht; vielmehr läßt sich umgekehrt zeigen, daß es vieles gibt, wozu ein Schimpanse oder Gorilla in der Lage ist und ein schwerst geistigbehinderter Mensch nicht. [83]
Als letztes Mittel zur Verteidigung der Mensch-Tier-Grenze tauchen immer wieder Thesen auf, die eine gewisse Verzweiflung zeigen lassen: »Geistige Behinderung, gleich welchen Grades, bringt den Menschen nicht in die Nähe des Tieres, auch wenn sich die menschlichen Züge als verkürzt, verhindert oder gestört zeigen: Es bleiben menschliche Züge. (…) Menschsein, in welcher Form es sich zeige, kann von keinem Standpunkt aus »begründet« werden.« [84] Mit dieser Aussage Siegenthalers wird das rationale Argument wohl völlig aufgegeben.
Diese laxen Argumente kritisiert Anstötz massiv, denn »die Pflicht, für einen schwerst behinderten Menschen zu sorgen, (darf; Anm. d. Verf.) eben nicht ausschließlich davon abhängig gemacht werden, ob zufällig persönliche Zuneigung und Sympathie ihm gegenüber vorhanden sind.« [85]
Diese Bedenken sind schon in ähnlicher Weise von Murphy geäußert worden: »Viele Leute, die sich für die Rechte der Behinderten sehr stark einsetzen, betonen zum Beispiel, daß Behinderte deswegen wertvoll seien, weil sie liebevoll, herzlich und anhänglich sind. Wer so argumentiert, erkennt nicht, daß solche Gründe darauf hinauslaufen, Behinderte nicht anders als liebgewonnene Schoßhunde anzusehen. Wenn es darum geht, spezifische Rechte für Behinderte zu begründen, benötigt man in diesem Kontext sorgfältigere und vor allem rational fundiertere Argumente, als die eben erwähnten.« [86]
Das Fazit, welches Anstötz zieht, ist bemerkenswert:
»Zur Begründung der Sonderstellung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen werden in unterschiedlichen sprachlichen Varianten Rationalität, Selbstbewußtsein, Zeitgefühl, Intelligenz etc. in Betracht gezogen. Dies aber führt zu Konsequenzen, die das Gegenteil von dem provozieren, was die Heilpädagogen bei ihren Begründungsversuchen im Sinn hatten. Denn da wirklich geistig schwerstbehinderte Mitglieder der Gattung Homo Sapiens ausgerechnet diese Eigenschaften nicht besitzen, also nicht einmal in einem minimalen Sinne »sapiens« sind, müssen sie außerhalb der Reichweite dieser Moral geraten. Das wurde bislang vermutlich unter dem Eindruck der Zeit des Nationalsozialismus nur noch nicht bemerkt, weil bei uns angesichts der erwünschten Konsequenzen niemand ernsthaft die entsprechenden Legitimationsversuche in Frage stellte. Wider Willen aber gefährden die Heilpädagogen möglicherweise die Situation schwerstbehinderter Menschen, wenn sie sich in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft auf Begründungen stützen, die unter rationalen Gesichtspunkten einfach unhaltbar sind.« [87]
Dies wirft eine neue, grundsätzliche Frage auf: Geht die Sonderpädagogik einen zweifelhaften Weg? Sollte sie ihr Berufsbild neu überdenken? Anstötz sieht für die Zukunft der Sonderpädagogik zwei Möglichkeiten:
a) Sie könnte ihren Weg beibehalten und sich damit zufriedengeben, dass der Fortschritt der Gleichheitsidee endlich die ihr anvertraute Klientel erreicht hat. [88]
»Ohne es vielleicht bewußt anzustreben, würde diese Disziplin damit die gewohnheitsmäßige Einstellung unterstützen, daß beispielsweise auch in Zukunft schmerzhafte medizinische Eingriffe an Julias [89] , nicht aber an Pias unternommen werden dürfen – einfach deswegen, weil Julia eine Schimpansin, Pia dagegen ein schwerst geistigbehindertes Mädchen unserer Spezies ist.« [90]
b) Sie könnte aber auch einen Weg einschlagen, der eine konsequente Fortführung der Gleichheitsidee ermöglicht. Die Disziplin der Pädagogik für Schwerstbehinderte befasst sich mit der Erforschung und Entwicklung selbst minimaler Bedürfnisse, sie hätte Möglichkeiten »auf den entscheidenden Kern der Gleichheitsidee zu verweisen: nämlich auf die Forderung nach gleicher Achtung vor Bedürfnissen und Interessen – und zwar ganz unabhängig davon, ob es sich um die von Julia oder die von Pia handelt. Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Pädagogik für Schwerstbehinderte, sich unmittelbar um die Schicksale jener unglücklichen Menschenaffen zu kümmern (…) Aber sie verstößt gegen ihre eigenen Prinzipien, wenn sie ihre ethischen Dispute zur Rechtfertigung pädagogischer Ansprüche schwerst geistig behinderter Menschen auf dem Rücken ebenso fühlender und schutzloser Lebewesen austrägt, deren einziger »Mangel« offensichtlich darin besteht, nicht Mitglied der Spezies Homo Sapiens zu sein.« [91]
Es verwundert nicht, dass Anstötz mit dieser zweiten Wahlmöglichkeit ein »einsamer Rufer in der Wüste« gewesen ist. Das gesamte wissenschaftliche Denken ist so sehr auf die absolute Sonderstellung des Menschen konzentriert, dass ein Vergleich mit dem Tier schon von vorneherein skandalös klingen mag. Die Frage ist, wie viele Jahre sich die Sonderpädagogik diese Einstellung noch leisten kann, ohne sich unglaubwürdig zu machen. Das »Great Ape Projekt« schreitet nämlich voran. Neuseeland hat als erster Staat der Erde in diesem Jahr den Menschenaffen besondere Rechte verliehen. Tierversuche an Menschenaffen zum Nutzen des Menschen sind verboten worden. [92] Damit ist zum ersten Mal in einer nationalen Gesetzgebung die Artgrenze durchbrochen worden. Der neuseeländische Landwirtschaftsminister Luxton spricht vom »Beginn einer neuen Ära«. [93]
3. Tierethiker und Tierrechtsbewegung
3.1 Positionen von Tierrechtsphilosophen – Mögliche Alternativen zu Singers Ansatz?
• 3.1.1 Eine Vorbemerkung
Es gibt nicht gerade viele Philosophen, die einen moral-theoretischen Standpunkt einnehmen, der die Tiere ernsthaft einbezieht. Neben Singer ist im Ausland vor allem Tom Regan bekannt, im deutschsprachigen Raum könnte man Helmut F. Kaplan als populärsten Philosophen der Tierrechtsbewegung sehen.
Bei der Untersuchung anderer Positionen geht es speziell auch darum, andere Ansätze in Bezug auf die Problematik der Grenzfälle zwischen Mensch und Tier (die sog. »human marginal cases« [94] ) aufzuzeigen und einer Kritik zu unterziehen.
• 3.1.2 Tom Regan: Position und Kritik
Für Regan ergibt sich die Begründung für Tierrechte aus der Kritik des Kontraktualismus (Vertragstheorie). [95]
Nach dieser Theorie hätten nur diejenigen Rechte, die Verträge unterzeichnen können, was jedoch die Bedingung des Verstehens erfordert. Es ist offensichtlich, dass der Kontraktualismus somit auch einige Menschen ausschließt. Dieses Problem scheint der Kontraktualismus durch sog. »Ad-hoc-Argumente« zu umgehen: »So sind kleine Kinder zum Beispiel nicht in der Lage, Verträge zu unterzeichnen, und besitzen somit keine Rechte. Aber sie werden nichtsdestoweniger vertraglich geschützt durch die gefühlsmäßigen Interessen von anderen, insbesondere von ihren Eltern.« [96]
Analog hierzu lässt sich durch den Kontraktualismus der höhere Status von Haustieren erklären. Hunde oder Katzen werden aufgrund der Interessen ihrer Halter geschützt.
Für Regan ist diese Theorie abenteuerlich: »Lassen wir doch diejenigen, die Opfer von Ungerechtigkeit sind, leiden, so viel sie wollen! Es macht nichts, solange es keinem anderen – keinem der Vertragspartner oder zu wenigen unter ihnen – etwas ausmacht.« [97]
Diese mögliche Willkür ist für Regan nicht akzeptabel, »denn wir begingen ein Unrecht, wenn wir ein kleines Kind oder einen geistig behinderten älteren Menschen foltern würden – und zwar nicht nur dann, wenn sich andere mit Gerechtigkeitssinn ausgestattete Menschen darüber empören. Wenn dies nun aber für jene Menschen gilt, so können wir rationalerweise nicht leugnen, daß es sich auch im Fall der Tiere so verhält.« [98]
Damit stellt Regan ähnlich wie Singer geistig behinderte Menschen und Tiere auf die gleiche moralische Ebene. Im Gegensatz zu Singer ist Regan aber dem Utilitarismus wenig aufgeschlossen, da hier das Individuum geleugnet wird und wir nicht Träger, sondern bloße Behälter von Wünschen, Bedürfnissen usw. wären. Für Regan weisen aber alle Individuen einen »inhärenten Wert« auf, den alle gleichermaßen besitzen: »Das geniale und das zurückgebliebene Kind, (…) alle haben inhärenten Wert, alle besitzen ihn gleichermaßen.« [99]
Regan nennt dies den »Rechtsansatz«, welcher alle Individuen einschließt, denn »jeder von uns ist das empfindende Subjekt eines Lebens (experiencing subject of a life), eine bewußte Kreatur mit einem individuellen Wohl, das für uns von Bedeutung ist, unabhängig davon, wie nützlich wir für andere sein mögen. Wir wollen und bevorzugen Dinge, glauben und fühlen Dinge, erinnern uns an und erwarten Dinge.« [100]
Für Regan haben somit alle »Subjekte eines Lebens« den gleichen Wert: »Was könnte die Basis dafür sein, daß wir mehr inhärenten Wert haben als Tiere? Ihr Mangel an Vernunft oder Autonomie oder Verstand? Das können wir nur sagen, wenn wir gewillt sind, dasselbe Urteil auch auf die Menschen anzuwenden, die einen ähnlichen Mangel aufweisen.« [101]
Die Stärke dieses »Rechtsansatzes« ist offensichtlich: Er bekämpft alle Versuche von Wertungen, in direkter Weise die »Person-Nichtperson«-Unterscheidung von Singer. Somit wäre auch eine Abwertung behinderter Menschen ausgeschlossen.
J.-C. Wolf sieht in dieser Theorie von Regan eine geschickte Vermeidung der sog. »Letztbegründung« und somit eine Verschiebung des »Schwarzen Peters«: »Wenn etwa ein geistesschwacher Mensch dieses und jenes Recht hat, dann hat ein Tier mit den gleichen relevanten Eigenschaften die gleichen Rechte. Wer vorhat, entsprechende Rechte von Tieren zu verletzen, trägt die Beweislast.« [102] Dieser Vorteil wird aber durch eine eher schwache Gesamtargumentation erkauft. Wenn alle »Subjekte eines Lebens« gleich sind, wer ist dann kein »Subjekt eines Lebens« mehr? Wo ist die Grenze? So läuft der »Rechtsansatz« letztlich auf eine Relativierung »höheren« Lebens hinaus.
J.-C. Wolf formuliert diese Schwäche folgendermaßen: »Erinnert man sich nämlich an die von ihm vorgeschlagenen Kriterien, so muß man zugeben, daß die Fähigkeit, zu werten oder Subjekt eigener Lebensführung zu sein, empirisch variable Größen sind. (…) Warum sollte ein Wert, der an graduierbare Eigenschaften geknüpft ist, selber nicht graduierbar sein? Warum sollten manche Wesen nicht mehr Eigenwert besitzen als andere?« [103]
• 3.1.3 Ursula Wolf: Position und Kritik
U. Wolf spricht sich für ein Tötungsverbot bei höher entwickelten Tieren aus und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die höher entwickelten Tiere »haben ein Zeitbewußtsein; sie verfügen über ein weit zurückreichendes Gedächtnis und können planvoll handeln.« [104]
2. Höhere Tiere besitzen ein Todesbewusstsein. [105]
Wolf lässt offen, wie weit sie sich damit an der Unterscheidung zwischen Person und Nichtperson von Singer orientiert, jedoch ist eine gewisse Affinität erkennbar. Dessen ist sie sich wohl bewusst, da sie ein Tötungsverbot auch auf einer schwächeren Grundlage als der Singerschen für möglich hält und wir somit »allen Tieren, die sich bewußt absichtlich verhalten können, ein moralisches Lebensrecht zusprechen müßten. Das aber können alle Tiere mit Ausnahme der ganz primitiven Formen, so daß das Töten so gut wie aller Tiere unmoralisch wäre.« [106]
Die konsistentere Grundlage, nämlich Zeit- und Todesbewusstsein, wirft auch für Wolf, mit einem Blick auf die »Singer-Debatte«, die Frage nach dem Lebensrecht von Neugeborenen auf. Sie verwirft diese aber wieder mit einem Blick auf die Praxis: »Da man extrem feine Kriterien bräuchte, um zu entscheiden, wann genau sich das (genetisch vorprogrammierte Verhalten; der Verf.) ändert, da sich außerdem Kinder nicht alle gleich schnell entwickeln, wäre es jedoch für praktische Zwecke unsinnig festzulegen, ob Neugeborene nun nach 7 oder 10 oder 12 Tagen die 3. Voraussetzung erfüllen. Das einzig praktikable Kriterium wäre vielmehr, diese Voraussetzung vom Zeitpunkt der Geburt an als gegeben anzunehmen.« [107]
Wolf sympathisiert hierbei mit den allgemeinen Intuitionen der Geburtengrenze. Ihre Argumente für diese Grenze in Bezug auf ihre konsistenten Lebensrechtskriterien (Zeit- und Todesbewusstsein) sind jedoch relativ schwach.
Wenn Singer von einer Wochen – oder Monatsgrenze spricht, nachdem Säuglingen ein allgemeines Lebensrecht zuerkannt werden soll, geht er noch von einem weiten Sicherheitsspielraum aus, denn »die Schwierigkeit, die Zäsur zu setzen, (erlaubt; der Verf.) nicht, sie an einer offensichtlich falschen Stelle zu setzen, ganz so wie die berüchtigte Schwierigkeit, zu bestimmen, wie viele Haare ein Mann verloren haben muß, ehe wir ihn als kahlköpfig bezeichnen können, uns nicht berechtigt, einen Schädel, der glatt wie eine Billardkugel ist, nicht als kahl zu bezeichnen.« [108]
Den feinen, aber doch entscheidenden Unterschied zwischen der »Ratio« – Position Singers und der »Ratio mit Gefühl« – Position von Ursula Wolf lässt sich beispielhaft auf das »Argument der Nähe« anwenden:
Die Frage nach der Nähe stellt sich (zum Glück meistens nur in der Literatur) dann, wenn man entscheiden müsste, einem Menschen oder einem Tier das Leben zu retten. Hierzu meint U. Wolf: »Wenn eine Person in einer bestimmten Situation entweder einem Menschen oder einem Tier helfen kann, ist es prinzipiell legitim, daß sie den Menschen bevorzugt (prinzipiell, d. h. wenn beides fremde Wesen sind; wenn das Tier ein bekanntes Tier ist, wäre ebenso die umgekehrte Entscheidung verständlich).« [109]
U. Wolf verleiht der Nähe (dem Gefühl) also ein zusätzliches Gewicht, welches Singer gerade in der Moral möglichst ausschließen möchte: »Offenkundig haben einige Menschen zu ihrer Katze eine engere Beziehung als zu ihren Nachbarn. Würden aber diejenigen, die die Moral an die Gefühle binden, akzeptieren, daß diese Leute zu Recht erst ihre Katzen vor einem Feuer retten, bevor sie ihre Nachbarn retten?« [110]
Es sei hier noch anzumerken, dass dieses Zitat Singers den Eindruck vermitteln könnte, er wäre doch im gewissen Sinne speziesistisch. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Singer möchte mit diesem Beispiel die Gruppe von Menschen kritisieren, welche ihren Speziesismus damit verteidigen, zur eigenen Art oder zu bestimmten Menschen besondere Gefühle der Nähe zu pflegen. [111]
• 3.1.4 Helmut F. Kaplan: Position und Kritik
Helmut F. Kaplan orientiert sich vor allem am Gleichheitsprinzip. Obwohl für Kaplan das Buch »Befreiung der Tiere« von Peter Singer als Bibel der Tierrechtsbewegung[112] gilt, nähert sich sein ethischer Standpunkt, wie folgendes Zitat aufzeigt, eher an die Position Regans an:
»Wenn wir daran festhalten, daß Rationalität, Sprache und Selbstbewußtsein die Voraussetzung dafür bilden, moralischen Status zu haben, dann müssen wir auch geistig behinderten, geisteskranken, hirngeschädigten und komatösen den moralischen Status absprechen (…) Wenn wir aber andererseits die Anforderungen, an deren Erfüllung wir das Zusprechen von moralischem Status knüpfen, soweit reduzieren, daß sie von diesen Menschen erfüllt werden, dann müssen wir konsequenterweise auch vielen Tieren moralischen Status zubilligen, da viele Tiere diese Voraussetzungen spielend erfüllen.« [113]
Mit dieser Aussage stellt sich für Kaplan die einzige moralische Grenze der Interessensberücksichtigung zwischen Bewusstsein und Nichtbewusstsein dar: »Die Frage nach der Grenzziehung ist eine berechtigte Frage, da es in der Tat keine klare Grenze zwischen bewußtem und nichtbewußten Lebewesen gibt und es daher auch keine klare Grenze zwischen Lebewesen mit Interessen und ohne Interessen geben kann.« [114]
Dass für Kaplan keinerlei andere Unterschiede existieren, zeigen beispielhafte (nach dieser Theorie nur konsequente) Argumentationsversuche:
Der KZ-Vergleich
»Man hört, wie Kaduk einen Häftling aus einer Laune heraus zu Tode getrampelt hat, welche Folter Boger ersonnen hat, wie Klehr einen nach dem anderen durch Giftinjektionen ins Herz tötete. Und man könnte daraus den Schluß ziehen: Das war Auschwitz. (…) Aber so einfach darf man es sich nicht machen. Das für die nationalsozialistischen Vernichtungslager typische Verbrechen war nicht die brutale Aktion einzelner. Zum Alltag von Auschwitz gehörte der – in der Regel völlig leidenschaftslos durchgeführte, exakt organisierte, routiniert eingespielte – Massenmord an Tausenden.« [115]
»Genau dieses Moment des emotionslosen, institutionalisierten Massenmordes ist es auch, das unseren heutigen Umgang mit Tieren bestimmt. Nicht einzelne, spektakuläre, mit besonderem Sadismus begangene Grausamkeiten sind das wirklich Typische und Charakteristische am Speziesismus, sondern die routinemäßige, emotionslose und selbstverständliche Ausbeutung und Vernichtung.(…) Alles, was die Nazis den Juden angetan haben, praktizieren wir heute mit den Tieren.« [116]
Mensch – Tier – Gleichsetzung
»Stellen wir uns in allen Situationen, in denen es um die Frage nach der Zulässigkeit von Gewalt geht, ernsthaft und lebhaft vor, daß es sich bei den Betroffenen nicht um Tiere, sondern um Menschen handelt, zum Beispiel, nicht um »echte Gebirgsforellen, sondern um echte Kinder. Und dann prüfen wir nochmals ehrlich und unvoreingenommen alle Argumente, die gegen die Anwendung von Gewalt sprechen – und alle, die für die Anwendung von Gewalt sprechen.« [117]
Gerade an diesen Beispielen wird deutlich, wie relativierend Kaplan argumentiert. In Bezug auf die »Singer-Debatte« wendet sich Kaplan ebenfalls vollständig dem Gleichheitsprinzip zu: »Für Singer gibt es zwischen Gleichheitsprinzip und Utilitarismus einen engen Zusammenhang. Worin dieser Zusammenhang aber tatsächlich besteht, wird um so rätselhafter, je mehr man ihn zu ergründen versucht. (…) ich komme zu dem Ergebnis, daß zwischen Gleichheitsprinzip und Utilitarismus nicht nur kein zwingender, sondern überhaupt kein Zusammenhang besteht. Mehr noch: Gleichheitsprinzip und Utilitarismus schließen sich in vielen Fällen geradezu aus. (…) Akzeptabel und konsequent kann man in der Euthanasie-Debatte meines Erachtens nur mit dem Gleichheitsprinzip argumentieren, nicht aber mit dem Utilitarismus. (…) Wir sollen uns in die Situation des anderen versetzen und dann seine Interessen gleich berücksichtigen wie wir möchten, daß unsere eigenen Interessen in einer vergleichbaren Situation berücksichtigt würden.« [118]
Diese Argumentation hört sich gut an, aber Kaplan vermeidet konsequent eine Diskussion der Implikation, die sich aus dieser Sicht ergeben. Somit müsste man davon ausgehen, dass er allen bewussten Lebewesen ein gleiches Recht auf Leben zuspricht oder sich vor der ganz entscheidenden Frage (Soll man Leben unterschiedlich bewerten oder nicht?) einfach drückt.
• 3.1.5 Jean-Claude Wolf: Position und Kritik
J.-C. Wolf möchte eine »Wertehierarchie« ebenfalls nicht akzeptieren, denn »empfindungsfähige Wesen, die ein rudimentäres Bewußtsein haben, die also zu Erinnerung und Wiedererkennen fähig sind, haben so etwas wie einen kontinuierlichen Bewußtseinsstrom. Leidensfähigkeit (die mehr und anderes als nur punktuelle Schmerzempfindungen involviert) setzt eine solche Kontinuität voraus.« [119]
Wolf hält eine objektive Wertehierarchie für widersprüchlich, da sie aus einer »perspektivlosen Perspektive« beantwortet werden müsste. »Falls unser Leben reicher und sinnvoller sein sollte, weil wir (zumindest bis zu einem gewissen Grade) einen externen Standpunkt einnehmen und uns gleichsam von außen oder von oben betrachten können, wenn wir fähig sind, uns in die Lage anderer und fremdartiger Lebewesen zu versetzen, dürfen wir daraus schließen, daß unser Leben schlechthin – und nicht nur für uns – reicher und sinnvoller ist?« [120]
Etwas verwirrend ist bei Wolf das Zusammenlaufen von Eigen- und Fremdwert: »Wenn wir nicht glauben, daß Heroinsüchtige ihr Lebensrecht verwirkt haben, wie können wir dann der Doktrin zustimmen, wonach ein »ärmeres Leben« einen geringeren Anspruch auf Leben verbürge? Eine solche Auffassung schließt »ethischen Elitismus« ein, der zum Beispiel der Doktrin der Herrenrasse und des Übermenschen zum Ausdruck kommt.« [121]
In dieser Argumentation wird nicht ersichtlich, aus wessen Perspektive (Gesellschaft oder Individuum?) die Rede ist. So könnte der gemeinschaftlich-nützliche Fremdwert eines Heroinabhängigen recht negativ bewertet werden, ohne dass sich deswegen der Eigenwert des von dem Heroinabhängigen empfundenen Lebens verschiebt.
Hoerster kritisiert J.-C. Wolfs Ansatz als philosophisch unbefriedigend. Wer eine metaphysische Fundierung der Moral ablehne, gleichzeitig den Tieren aber ein »obektives Interesse« an ihrem Überleben zuschreibe, begebe sich in eine argumentative Sackgasse: »Es gibt (…) in dieser Frage keinen dritten Weg: Ein weder in einer vorgegebenen Werteordnung angelegtes noch einem faktischen Wunsch oder Begehren dienendes »Interesse ist ein leerer Begriff.« [122]
J.-C. Wolf erkennt aber die Zusammenhänge zwischen Fragen der Tierethik und Abtreibung: »Nur ideologisch befangenes Wunschdenken und Spezies-Parteilichkeit gestatten ein »Zwiedenken« in bezug auf Abtreibung, Tötung von Tieren und Euthanasie.« [123]
Wolf sieht im Tierschutz kein Konkurrenzverhältnis zum Schutz behinderter Menschen, sondern eher eine gemeinsame Basis, denn »in den reichen kapitalistischen Gesellschaften (gibt es; der Verf.) eine erschreckende Entwicklung, jene zu vernachlässigen und an den Rand zu drängen, die nicht reden können, und jene zu privilegieren, die sich besonders lautstark artikulieren. Eine speziesneutrale Ethik wirkt diesem Trend entgegen und fördert die Solidarität mit allen empfindungsfähigen Lebewesen, die krank, alt und behindert sind.« [124]
Bei der Euthanasie-Debatte spricht sich Wolf klar gegen die »Totalansicht« von Singer aus. Euthanasie käme für ihn nur in Betracht, wenn »Schwerstbehinderte, furchtbar leidende Säuglinge mit einer wahrscheinlich kurzen Lebenserwartung (…) keine Aussicht auf Lebensfreuden (hätten; Anm. d. Verf.) die man ihnen rauben könnte.« [125]
• 3.1.6 Albert Schweitzer: Position und Kritik
Schweitzers Position lässt sich eigentlich mit einem Satz zusammenfassen: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.« [126]
Schweitzer negiert am grundsätzlichsten alle Versuche, Wertungen zwischen verschiedenen Leben vorzunehmen.
· »Die Unterscheidung zwischen höherem und niederem, wertvollerem und weniger wertvollem Leben ist ein »ganz subjektiver« Maßstab, denn »wer von uns weiß, was das andere Lebewesen an sich und in dem Weltganzen eine Bedeutung hat.« [127]
· Im Gefolge einer Statuierung von Wertunterschieden zwischen den Lebewesen besteht die Gefahr, bestimmte Lebensformen als wertloses Leben einzustufen, so dass es mit deren Vernichtung und Schädigung nichts auf sich hat. »Unter wertlosem Leben werden dann, je nach den Umständen, Arten von Insekten oder primitive Völker verstanden.« [128]
Trotz seiner idealen Vorstellung ist Schweitzer kein Phantast und von der Notwendigkeit des Vernichtens von Lebewesen zum eigenen Überleben überzeugt. Zur Verteidigung seiner Ansicht bringt er die Unterscheidung zwischen Tötung aus Notwendigkeit und Tötung aus Gedankenlosigkeit vor:
»Der Landsmann, der auf seiner Wiese tausend Blumen zur Nahrung für seine Kühe hingemäht hat, soll sich hüten, auf dem Heimweg in geistlosem Zeitvertreib eine Blume am Rande der Landstraße zu köpfen; denn damit vergeht er sich am Leben, ohne unter der Gewalt der Notwendigkeit zu stehen.« [129]
Schweitzers Position unterscheidet sich so am grundsätzlichsten von Singers Position, ist aber trotzdem einer ähnlichen Kritik der Zweischneidigkeit ausgesetzt. Wer keine Wertigkeiten zieht, gerät nicht in Gefahr, etwas abzuwerten. Aber Schweitzer bringt in seinem eigenen Argument Insekten und primitive Völker als Beispiele ein und dies macht die Zweischneidigkeit deutlich: Das Vernichten eines primitiven Volkes wird somit nicht verwerflicher wie das Vernichten von Insekten. Seine »Ehrfurcht vor dem Leben« gerät durch die Aufnahme von unbewusstem Leben sogar in Gefahr, alles in Frage zu stellen.
Müller kritisiert bei Schweitzer außerdem die völlige Untauglichkeit seines Ansatzes für die Ethik: »Abwägungen zwischen verschiedenem Leben, etwa zwischen leidensfähigem und nicht leidensfähigem oder bewußtem und unbewußtem Leben, werden durch die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben strikt abgelehnt. Aus diesem Entwurf lassen sich daher keinerlei Handlungsanweisungen für Konfliktfälle gewinnen. Das ist unbefriedigend, da Ethik ja gerade betrieben wird, um Antworten auf die Frage nach dem richtigen Handeln näher zu kommen.« [130]
• 3.1.7 Zusammenfassung
Zwei verschiedene Strömungen lassen sich meiner Meinung nach in der Tierethik unterscheiden. Diese könnte man folgendermaßen aufteilen:
Der »Hierarchie-Ansatz«
Ein »Hierarchie-Ansatz« innerhalb der Tierethik liegt dann vor, wenn zwischen verschiedenen leidensfähigen Lebewesen Wertungen gezogen werden, welche vor allem das Tötungsverbot betreffen.
Singer zieht die Grenze beim Tötungsverbot zwischen Personen und Nichtpersonen. Bei bewussten Lebewesen könne hier noch eine graduelle Wertigkeit zugefügt werden. So könnte z. B. die Tötung eines Huhns ein größeres Unrecht sein wie die Tötung einer Ameise, obwohl beide zu den bewussten Lebewesen zählen. Singer drückt dies folgendermaßen aus: »Je höher entwickelt das bewußte Leben eines Wesens, je größer der Grad von Selbstbewußtsein und Rationalität und je umfassender der Bereich möglicher Erfahrungen, um so mehr würde man diese Art des Lebens vorziehen, wenn man zwischen ihm und einem Wesen auf einer niedrigeren Bewußtseinsstufe zu wählen hätte.« [131]
Der »Gleichwertigkeits-Ansatz«
Der »Gleichwertigkeits-Ansatz« versucht, jegliche Wertungen zwischen den verschiedenen Lebewesen zu vermeiden.
Nahezu alle anderen hier aufgeführten Philosophen neigen eher zu diesem Ansatz. Schweitzer formuliert diesen am radikalsten, aber auch Kaplan, J.-C. Wolf und Ursula Wolf lassen ihre Sympathie hierfür erkennen.
Am geschicktesten formuliert den »Gleichwertigkeits-Ansatz« Regan, der einfach die Beweislast den Speziesisten zuschiebt. Helmut F. Kaplans Position lässt sich wohl auch in diese Kategorie stellen, obwohl er der »Wertigkeits-Frage« letztlich einfach ausweicht.
Der »Gleichwertigkeits-Ansatz« klingt zwar attraktiver, lässt sich meiner Ansicht nach aber schwerlich durchsetzen. Hier stellt sich einfach immer wieder die Frage nach der Grenze. Je mehr Tiere in das absolute Tötungsverbot einbezogen werden, desto deutlicher relativiert sich das »höhere« Leben. Die Grenze aber recht hoch, also z. B. bei den Säugetieren anzusetzen, würde ironischerweise dieselbe Art von Bedenken nach sich ziehen, welche man eigentlich durch diesen Ansatz vermeiden will, nämlich den Vorwurf der willkürlichen Grenzziehung.
Singers »Hierarchie-Ansatz« wirkt für mich konsistenter. Natürlich ist der »Hierarchie-Ansatz« nicht weniger kompliziert. Aber nur durch diesen Ansatz scheint die Tötung einer Person auf jeden Fall schlimmer zu sein als z. B. die Tötung eines Fisches, ohne gleichzeitig den Fisch völlig aus der Moral auszuschließen.
3.2 Die theoretische Auseinandersetzung innerhalb der Tierrechtsbewegung zur Position Singers
Die »Tierrechtsbewegung« an sich ist in Deutschland noch eine marginale Szene. Es gibt nur wenige organisierte Gruppen. Die bekannteste Organisation ist »Animal Peace«. Die Bewegung lässt sich grob in zwei Strömungen aufteilen, welche zwar beide für die Tierbefreiung kämpfen, im Kern aber völlig verschiedene Ansätze vertreten [132]:
• 3.2.1 Die »bürgerliche« Tierrechtsbewegung
Die »bürgerliche« Tierrechtsbewegung konzentriert sich vollständig auf die Befreiung der Tiere. Sie besteht zum großen Teil aus enttäuschten Tierschützern, denen der traditionelle Tierschutz nicht weit genug geht. Die inhaltliche theoretische Auseinandersetzung spielt hier eine eher unbedeutende Nebenrolle.
Bei der »bürgerlichen« Tierrechtsbewegung geht es einfach darum, das Leiden der Tiere zu vermindern. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Tierethik, geschweige denn eine Auseinandersetzung zu Singers Ansichten, findet einfach nicht statt. Zwei Stellungnahmen zu Peter Singer waren bis jetzt die einzigen Beiträge zu diesem Thema. Eine Stellungnahme stammt von »Animal Peace«. Diese Organisation scheint nicht ernstlich an einer inhaltlichen Debatte interessiert zu sein: »Unsere Arbeit macht sich nicht an der Person Peter Singers fest, sondern beruht auf den Fakten bezüglich der Tierrechte, die er wie auch andere TierrechtlerInnen, bereits vor ihm formuliert haben. Seine Ansichten bezüglich der Euthanasie haben mit der Tierrechtsfrage nichts zu tun und sollten nicht miteinander in Verbindung gebracht werden«. [133]
Der »Bundesverband der TierbefreierInnen« hat sich in seiner Zeitschrift »Tierbefreiung Aktuell« einmal mit Peter Singer befasst, aber leider auch nur in Form eines Artikels von Helmut F. Kaplan mit dem Titel »Müssen Behinderte vor Tierrechtlern Angst haben?« und nicht in Form einer grundsätzlichen Diskussion. Helmut F. Kaplan wird hier anscheinend nur die Rolle zuteil, lästige Kritiker abzuwehren: Der Vorwurf der Behindertenfeindlichkeit »ist derart absurd und ungeheuerlich, daß ihm auf das Entschiedenste und Vehementeste entgegengetreten werden muß. Hierzu bedarf es keiner langen theoretischen Anhandlung. (…) Wer sich gegen die Unterdrückung von Tieren engagiert, engagiert sich auch gegen die Unterdrückung von Menschen. Wer den Speziesismus verurteilt, verurteilt auch Rassismus und Sexismus. (…) Tiere könnten niemals selbst für ihre Rechte kämpfen, sie könnten uns niemals »anklagen« oder »bestrafen«. Tiere könnten wir ewig ausbeuten, ohne befürchten zu müssen, daß sie sich je an uns rächen würden. Die Befreiung der Tiere ist ein genuin moralischer Akt des Menschen. Spätestens hier sollte endgültig und hinreichend klar sein, daß und warum Behinderte und Kinder von Tierrechtlern niemals etwas zu befürchten haben: Die Tierrechtsbewegung ist gleichzeitig eine Menschenrechtsbewegung, (…) die garantiert durch keinerlei Vernünftigkeitsüberlegungen »verunreinigt« ist. Denn wie gesagt, die Befreiung der Tiere ist in keiner Weise »notwendig«, sie ist »nur« richtig.« [134]
Dieser Artikel ist zwar in sich schlüssig, geht aber völlig an der Problematik vorbei. Bei der Singerschen Theorie geht es ja eben nicht um Zugehörigkeit zu einer Rasse oder einem Geschlecht oder einer Spezies, sondern um die Unterscheidung »Person – Nichtperson. Wer den Speziesismus verurteilt, muss sich überlegen, was dann für Kriterien relevant werden könnten, um in die moralische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Auf diesen Punkt geht Kaplan mit keinem Wort in seinem Artikel ein.
Trotzdem zweifle ich daran, dass sich Kaplan dieser Umgehung nicht bewusst ist. Es könnten hier eher taktische Überlegungen vorranging gewesen sein, wie beispielsweise:
Ist es möglich, in einem einseitigen Artikel auf die spezielle Problematik überhaupt einzugehen?
Würden nicht eher einige Menschen aus der Tierrechtsszene mit wenigen philosophischen Vorkenntnissen verunsichert und verwirrt?
Würde ich so der Tierrechtsbewegung unter Umständen sogar schaden, wenn sich Leute wegen der sich daraus ergebenden Angreifbarkeit von ihrer Überzeugung verabschieden?
Wäre es am Ende nicht für mich selbst gefährlich, dieses Thema anzufassen, wenn Zitate (wie bei Singer) völlig aus dem Zusammenhang gerissen werden?
All das ist spekulativ, aber es erscheint mir zumindest möglich zu sein. Dass Kaplan mit dieser »möglichen« Taktik Erfolg hatte, sei ihm zugeschrieben. Auf seinen Artikel hin hat es jedenfalls in keiner der nachfolgenden Nummern einen kritischen Leserbrief gegeben.
• 3.2.2 Die »linke« Tierrechtsbewegung
In der linksgerichteten Tierrechtsbewegung spielt die theoretische Auseinandersetzung zu anderen Unterdrückungsformen wie Kapitalismus, Rassismus und Sexismus eine bedeutende Rolle. Entsprechend intensiver und heftiger sind hier auch die Stellungnahmen.
So schreibt beispielsweise die »TAN« (Tierrechts-Aktion-Nord):
»Wir wenden uns gegen den Speziesismus (…), der das Töten und Benutzen von Tieren lediglich damit rechtfertigt, daß sie nicht der Spezies Mensch angehören. Diese Unterdrückungsform hat tatsächlich mit Sexismus und Rassismus gemeinsam, daß sie lediglich ein biologisches Merkmal als Rechtfertigung für Ausbeutung und Mord heranzieht.« [135]
Insoweit lässt sich eine Ähnlichkeit zu Singer nicht abstreiten. Eine neue Hierarchie kommt aber für die linke Tierrechtsbewegung nicht in Frage, denn »der in der Tierrechtsbewegung gängige Speziesismusbegriff (ist; Anm. de. Verf.) utilitarismusfrei und basiert auf dem Prinzip der Gleichheit, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu beurteilen sei. In der Tierrechtsbewegung geht es dann auch wenig um eine Trennung von Menschen in »Personen« und »Nicht-Personen«, sondern bei einer Neuziehung der sog. Mensch / Tier-Grenze, also der Grenze der zu Berücksichtigten, geht es vielmehr darum, den Kreis der zu Berücksichtigten zu erweitern.(…) Es wurde (…) bisher auch nicht diskutiert, inwieweit Singer überhaupt Tierrechtspositionen vertritt, da er »nicht-personalen« Tieren wie z. B. Hühnern und Fischen Lebensrechte abspricht (…)« [136]
Dieses Zitat gibt die Sicht der »linken« Tierrechtsbewegung beispielhaft wieder. Es soll und darf kein Unterschied gemacht werden zwischen selbstbewusstem und bewusstem Leben. Dies schließt somit niemanden aus. Doch wenn niemand ausgeschlossen wird, wenn alles bewusste Leben gleichwertig ist und unter das Tötungsverbot fällt, ergeben sich für die linke Tierrechtsbewegung ernste Widersprüche. Zwei der offensichtlichsten möchte ich hier beispielhaft untersuchen.
• 3.2.2.1 Zwei Widersprüche
»Recht auf Abtreibung« versus »Recht auf Leben«
Das Recht auf Abtreibung ist ein zentraler Punkt der linken Tierrechtszene. So berichtet beispielsweise das Tierrechtsmagazin »Vegan-Info« von einer Tierversuchsdemo, an der auch die »PBC« (Partei Bibeltreuer Christen) teilgenommen hat. Ein Sprecher »forderte den Verweis der LebensschützerInnen von der Demo und kündigte bei Nicht-Verhalten den Rückzug der TierrechtlerInnen an.« Der Artikel schließt mit der Forderung des Ausschlusses von Lebensschützern von Tierrechtsdemonstrationen. [137]
Unter der Prämisse, dass Leben (egal wie entwickelt oder bewusst) Höchstwert ist, und somit (konsequenterweise) auch der Fötus ein Recht auf Leben habe, hat sich sogar innerhalb der Tierrechtszene eine abtreibungsfeindliche Gruppierung namens »Hardline« entwickelt: »Abtreibung ist kein Recht, genauso wenig wie Mord ein »Recht« ist. Eine wirkliche »leben und leben lassen« – Ideologie hieße, daß jedeR solang tun und lassen kann, was sie /er will, solange sie /er niemand anderem damit schadet. (…) Es geht um die Rechte des Kindes – und kein Mensch hat das Recht sie zu verletzen.« [138]
In der damaligen »Hardline-Debatte« um Abtreibung lässt sich an vielen Stellungnahmen im »Vegan-Info« [139] erkennen, dass es weniger zur Diskussion stand, ob nun ein Fötus ein Recht auf Leben hat oder nicht, sondern dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau in einer patriarchalen Welt dieses Lebensrecht auf jeden Fall überwiegt. [140]
Dies wird beispielhaft deutlich an einer Stellungnahme von Herausgebern der Zeitschrift »Die Eule« [141]: »Das recht auf abtreibung ist elementarer bestandteil im kampf gegen das patriarchat und um die befreiung der frau!!! (…) keineR von uns ist »für« abtreibung, und auch wir sind uns nicht genau klar, welchen stellenwert wir dem ungeborenen leben zumessen. Klar ist für uns allerdings, daß diese frage geradezu lächerlich erscheint hinter dem ungeheuren ausmaß, die die unterdrückung von frauen hier hat. Vielleicht stellt sich die frage der abtreibung, theoretisch gesehen, in einer antipatriarchalen, herrschaftsfreien und lebensbewußten gesellschaft kaum noch, aber wie dem auch sei, grundsätzlich finden wir diese diskussion erstmal ziemlich überflüssig und realitätsfern.« [142]
Die Debatte um diesen Widerspruch ist nach einer kurzen heftigen Diskussion nicht mehr ernsthaft thematisiert worden und unterliegt jetzt somit einem »faulen Frieden«. Auf welch schwachem Boden das häufig benutzte Argument von den patriarchalen Strukturen steht, zeigt ein Zitat der linksgerichteten (aber keineswegs tierrechtsfreundlichen) Feministin Jutta Ditfurth:
»Die in der veganen Szene verbreitete Anti – Abtreibungsposition wird heruntergespielt. Das angebliche »Recht« wird defensiv begründet: mit der allgemeinen Unterdrückung der Frau, der Verantwortung für das Kind, der Situation von alleinerziehenden Frauen usw. (…) Warum diese Rechtfertigungen? Es gibt also kein freies Recht auf freie Heterosexualität und freie Wahl eines Lebens mit oder ohne Kinder, sondern eine Art schmerzhaftes, unter Leiden zustande kommendes Notwehrrecht in einer patriarchalen Gesellschaft. In der sozialen Utopie (…) herrscht Gebärzwang.« [143]
Ditfurths Ansicht wird von Judith Jarvis Thomson in dem in der angelsächsischen philosophischen Literatur vermutlich berühmtesten Beitrag zur Abtreibungsdiskussion vertreten. Thomson zeigt anhand von verschiedenen scharfsinnigen Beispielen, dass der Fötus, auch wenn er dasselbe Lebensrecht hat wie ein Erwachsener, alleine dadurch noch kein Recht auf alle Hilfe hat, die zu seiner Lebenserhaltung nötig ist. Es hängt von der Einzelbeurteilung des Falles ab. Zur Verdeutlichung sei hierzu das Geigerbeispiel näher ausgeführt [144]:
»Sie wachen morgens auf und finden sich in einem Bett liegend, Kopf an Kopf mit einem bewußtlosen Geiger. Einem berühmten bewußtlosen Geiger. An ihm wurde eine bedrohliche Nierenkrankheit diagnostiziert, und die Gesellschaft der Freunde der Musik hat alle verfügbaren Patientenunterlagen durchsucht und herausgefunden, daß allein Sie die richtige Blutgruppe haben, um helfen zu können. Sie hat Sie deshalb gekidnappt, und letzte Nacht wurde der Blutkreislauf des Geigers an den Ihren angeschlossen, so daß Ihre Nieren dazu benutzt werden können, Gift ebenso aus seinem wie aus Ihrem Blut herauszuziehen. Der Krankenhausdirektor sagt jetzt zu Ihnen: »Sehen Sie, wir bedauern sehr, daß Ihnen die Gesellschaft der Freunde der Musik das angetan hat – wir hätten es nie erlaubt, wenn wir davon gewußt hätten. Aber sie haben es eben getan, und jetzt ist der Geiger an Sie angeschlossen. Sie abzukoppeln, würde bedeuten, ihn zu töten. Aber keine Angst, es handelt sich nur um neun Monate. Nach dieser Zeit wird er sich von seinem Leiden erholt haben und kann ohne Gefahr von Ihnen abgekoppelt werden. Ist Ihnen unter dem Gesichtspunkt der Moral auferlegt, sich in diese Situation zu fügen? Es wäre zweifellos ausgesprochen nett von Ihnen, wenn Sie es täten, von großer Freundlichkeit. Aber müssen Sie sich fügen?« [145]
Der Unterschied von Thomsons Beitrag im Gegensatz zur Begründung der Tierrechtsbewegung besteht darin, dass die Tierrechtsbewegung das Recht auf Abtreibung mit vorhandenen patriarchalen Strukturen begründet. Dies würde bedeuten, dass der Fötus zur Zeit kein Recht auf Leben hat, später vielleicht schon. Dies klingt etwas merkwürdig, denn der Fötus kann es sich nicht aussuchen, wann er auf die Welt kommen will. Die Tierrechtsbewegung müsste also differenziertere Begründungen für das Recht auf Abtreibung formulieren, ansonsten bliebe hier immer ein latenter Widerspruch.
»Gleiches Lebensrecht für bewusstes Leben« versus »Höherer Wert des selbstbewussten Lebens«
Wenn es keinen Wertunterschied zwischen verschiedenen Lebewesen gibt, lassen sich logischerweise auch Vergleiche zwischen Mensch und Tier ziehen. Auf der Suche nach der »gleichen« Dimension kommt es auch zum Vergleich mit dem Nationalsozialismus. Zwei Beispiele sollen dies veranschaulichen:
»Die weiblichen Küken werden für den Rest ihres (…) zum Eierlegen ins KZ geschickt, die männlichen werden vergast, lebendig zermust oder ertränkt, einige kommen noch für ein paar Monate in die »Mast, bevor auch sie ermordet werden.« [146]
»Ich wurde über Nacht zur Tierrechtlerin. Nachdem mich die ersten Informationen erreicht hatten, was mit Tieren geschieht, die allerersten über Tierversuche. So wie die ersten Bilder von Auschwitz genügt hatten. Die Bilder schossen zusammen, so wie die erste Zahl, die ich 1982 las – sechs Millionen Tierversuche jährlich in der Bundesrepublik. Sie verband sich für mich auf immer unlösbar mit sechs Millionen ermordeter Juden.« [147]
Doch gerade diese Hierarchielosigkeit, alles mit allem vergleichbar zu machen und so zu relativieren, wird von der herkömmlichen »linken« Szene scharf kritisiert: »Das ganze (…) transportiert eine spektuläre Verharmlosung und Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. (…) Das zeigt, wie unreflektiert und phrasenhaft hier mit Superlativen operiert wird – gedankenlos, aber nicht folgenlos.(…) Das rhetorische Mittel, Tiere mit Menschen zu vergleichen, bewirkt eine höchst oberflächliche Sensibilität gegenüber dem Leiden von Tieren. Aber die nachhaltigere Wirkung ist doch die Abwertung des Menschen.« [148]
Aufgrund der zunehmenden Kritik am KZ-Vergleich hat die Zeitschrift »Vegan-Info« hierzu Stellung bezogen. Zusammenfassend ist von den Verfassern festgestellt worden: »Der Begriff »Tier-KZ« ist unzutreffend, weil die Ziele und Motivationen, bzw. die ideologischen Hintergründe verschiedene sind, (…) Zum anderen ist der Vergleich gefährlich, weil er einen Geschichtsrevisionismus in sich birgt und zum letzten finde ich ihn unnötig, weil das, was Tieren in dieser Gesellschaft passiert, für sich spricht.« [149]
So richtig dieser Artikel auch sein mag, auch hier wird, ähnlich wie bei Kaplan, das Problem einfach umgangen.
Der Vergleich Mensch-Tier ist für die Verfasser nur kritisierbar, weil die Nazis ganz andere Ziele hatten, weil der Vergleich die Gefahr der Relativierung der Nazi-Greuel mit sich bringt.
Worum es aber eigentlich geht, dass durch eine fehlende Grenze oder Gewichtung alles mit allem vergleichbar ist, wird wohlweislich verdrängt.
Die Tierrechtler öffnen so ihren Kritikern in den eigenen linken Reihen alle Schleusen:
« (…) zwei Menschen und zwei tödliche Krankheitserreger, alles eine Soße. Menschen und nichtmenschliche Teile der Natur wie Tiere, Pflanzen oder Viren sind nicht gleichwertig . Menschen sind ein besonderes Produkt der Evolution. Menschen und Menschen sind gleichwertig und müssen sich, um sich als soziale Wesen in all ihrem Potential entfalten zu können, soziale Gleichheit als materielle Voraussetzung erkämpfen, um in aller Gleichwertigkeit so unterschiedlich sein zu können, wie immer sie es sein wollen.« [150]
Es ist nicht schwer zu verstehen, dass Singer mit seiner »Person-Nichtperson«-Hierarchie in der linken Szene als Menschenfeind schlechthin abgestempelt wird. [151] Aus diesem Grund wird auch von der linken Tierrechtszene eine fundierte Kritik an Singer erwartet. Diese ist aber bis jetzt nahezu ausgeblieben.
Eine Ausnahme ist hier ein Reader der TAN mit dem Titel »Euthanasie und Tierrechte am Beispiel Peter Singer«. Dieser Reader taugt aber weniger als Kritik, sondern eher als ein Versuch, Singer irgendwie Widersprüchlichkeit zu unterstellen, um sich so zu distanzieren. Nur so sind solche Sätze wie die folgenden innerhalb eines Vorwortes zu erklären: »Stattdessen halten wir eine differenzierte, genaue und belegte, und zuletzt auch gegenüber sog. Behinderten sensible Auseinandersetzung für dringend notwendig, um einen Standpunkt gegenüber Singer einnehmen zu können, der über Plattheiten und eine Nicht-Meinung hinausgeht.« [152]
Dieser Satz klingt hoffnungsvoll, aber zwei Seiten später wird der gute Vorsatz wieder durch völlig falsche Unterstellungen ad absurdum geführt: »Was ist also mit all den Tieren, die nicht unter seinen Personenbegriff fallen? Ihre Interessen werden ihnen ebenso wie bestimmten sog. Behinderten abgesprochen. Außerdem widerspricht er sich, wenn er Nicht-Personen bescheinigt, sie hätten keine Interessen, da sie nicht leidensfähig seien, aber im Falle der Euthanasie dann damit argumentiert, daß ihnen Leiden erspart werden solle. Gehören zu Nicht-Personen nun leidensfähige Wesen oder nicht? Singer dreht es immer so, wie es ihm gerade am besten paßt.« [153]
Diese selbstgerechte Oberflächlichkeit zeichnet große Teile der theoretischen Auseinandersetzung aus: Um sich nicht angreifbar zu machen, werden eigene Widersprüche mit einer gewissen Leichtigkeit übergangen. Geht es um eine notwendige Distanzierung, werden eben anderen Leuten Widersprüche in den Mund gelegt.
• 3.2.3 Zusammenfassung
Die gesamte Tierrechtsbewegung in Deutschland hat es noch nicht fertiggebracht, eine halbwegs niveauvolle und ehrliche Auseinandersetzung zur »Singer-Debatte« zu führen. So lässt sich zur Fragestellung dieser Arbeit weder aus der »bürgerlichen« noch aus der »linken« Tierrechtsbewegung irgendetwas brauchbares gewinnen.
Die bisherigen Versuche, sich mit theoretischen Schwierigkeiten der Tierethik auseinanderzusetzen, gleichen einer Katastrophe. Die »Singer-Debatte« wird geführt von den speziesistischen Linken, denen die Diskussion um Singer natürlich bestens ins Bild passt, um sich so von der Tierrechtsidee zu distanzieren und einer unbequemen Auseinandersetzung von vorneherein eine Absage zu erteilen.
Die »Singer-Debatte« lässt sich in einem Zitat von Berliner VeganerInnen zusammenfassen: »(So; der Verf.) hat es die (dringend notwendige) Peter-Singer-Diskussion (…) nie gegeben (…)« [154]
Dies ist auch kein Wunder. Es soll sowieso keine »Singer-Diskussion« geben, sondern nur eine »Wir-grenzen-uns-von-Singer-ab-Debatte«. Wer dies nicht versteht, hat in der Tierrechtsszene eine schlechte Stellung, wie am Beispiel Helmut F. Kaplan zu sehen ist. Dieser hat in seinem Buch »Leichenschmaus« im Nachwort einen Versuch zur Versachlichung der Euthanasie-Debatte gewagt. [155] Außerdem hat er die 1. Auflage seines Buches »Leichenschmaus« »Peter Singer in Dankbarkeit: »Für die Beendigung der jahrtausendelangen Blindheit und Schande der Ethik,« [156] gewidmet. Diese »Vorfälle« reichten aus, um Helmut F. Kaplans Bücher ebenfalls aus einigen Tierrechts-Empfehlungslisten zu streichen. »Die Zensur« scheint dieses Spiel gegen »die Diskussion« zu gewinnen: In der Neuauflage von 1997 widmet Kaplan den »Leichenschmaus« niemanden mehr. [157]
Hier soll aber das offensichtliche Problem der »Linken« nicht verniedlicht werden. Sätze wie »Menschenrechte für alle Menschen«, »Alle Menschen sind gleich«, usw. sind immanenter Bestandteil des linken Selbstverständnisses. Für Fragen der Wertigkeit sind die »Rechten« zuständig gewesen. Mit dem Einzug der Tiere fällt das linke Weltbild in sich zusammen. Es bleibt äußerst fraglich, ob sich überhaupt eine Tierethik widerspruchsfrei in ein linksgerichtetes Denken einarbeiten lässt, ohne die Idee der Gleichheit nicht zur Farce werden zu lassen.
Vielleicht kann eine »Tierethik« gar nicht in ein politisches Denken gepresst werden. Als Ersatz könnte man unter Umständen von einem »ethischen Denken« sprechen, auch wenn dies etwas überzogen klingen mag. [158]
4. Eine kritische Untersuchung relevanter Einwände, insbesondere aus der Behindertenbewegung, gegen die Position Singers
4.1 Fundamentale Argumente gegen die »Singer-Debatte«
• 4.1.1 Eine Vorbemerkung
Wer einen fundamentalen Einwand gegen die »Singer-Debatte« einbringt, möchte nicht über Singers Thesen diskutieren, sondern gegen die Debatte von Singers Thesen plädieren. Fundamentale Thesen haben einen Absolutheitsanspruch und sollten schon deswegen sehr kritisch betrachtet werden. Ein Zitat aus dem bedeutendsten Werk über die absolute Freiheit des Denkens, »Über Freiheit« von John Stuart Mill aus dem Jahre 1859, soll diese Ansicht nochmals unterstreichen:
»Seltsam ist es, daß Menschen den Wert der Argumente für eine freie Diskussion zugeben, sich aber dagegen wenden, daß sie »ins Extrem getrieben wird; wobei sie nicht sehen, daß die Gründe für gar keinen Fall gut sind, wenn sie nicht für einen extremen gut sind. Seltsam, daß sie sich einbilden, sie nähmen keine Unfehlbarkeit an, wenn sie zwar anerkennen, daß es eine freie Diskussion über alle möglichen zweifelhaften Dinge geben sollte, aber meinen, ein besonderes Prinzip oder eine bestimmte Lehre in Frage zu stellen sollte verboten sein, weil sie so gewiß sind, das heißt, weil sie gewiß sind, daß jene gewiß sind. Eine Behauptung gewiß nennen, während noch irgend jemand da ist, der, wenn es erlaubt wäre, ihre Gewißheit leugnen würde, dem das aber nicht erlaubt wird: bedeutet annehmen, daß wir selber und diejenigen, die mit uns übereinstimmen, die Richter über Gewißheit sind, und Richter, ohne die andere Seite anzuhören.« [159]
• 4.1.2 »Die Würde des Menschen ist unantastbar«
• 4.1.2.1 Der »positive« Aspekt
Die »Würde des Menschen ist unantastbar«, so heißt es im Grundgesetz. Jedoch stellt sich die Frage: Was ist die Würde des Menschen und warum ist sie unantastbar?
Löw sieht in der Unantastbarkeit der Würde des Menschen das Gebot, Menschen nicht als Objekte zu missbrauchen: »Die Unterscheidung zwischen Wert und Würde läßt sich näher bestimmen im Verbot der Instrumentalisierung des Menschen; im kategorischen Imperativ Kants heißt es entsprechend, daß kein Mensch nur als Mittel gebraucht werden dürfe, sondern immer auch als Zweck geachtet werden müsse. Konkret bedeutet das zunächst das Verbot von Sklaverei, Folter, Tötung Unschuldiger, sexuellem Mißbrauch.« [160]
Auch Singer erkennt diesen Aspekt der Menschenwürde an: »Tatsächlich kann es, wenn wir nur an die Menschen denken, sehr liberal und sehr progressiv sein, von der Würde aller menschlichen Wesen zu sprechen. Damit verurteilen wir implizit Sklaverei, Rassismus und andere Verstöße gegen die Menschenrechte.« [161] Helmut F. Kaplan nennt dies den »altruistisch-progressiven Aspekt von Menschenwürde und Menschenrechte.« [162] , unter dem auch das Unrecht einer Diskriminierung von Menschen aufgrund einer Behinderung fällt: So ist es eine Diskriminierung behinderter Menschen, wenn sie wegen einer Behinderung eine Arbeitsstelle nicht bekommen, obwohl die Behinderung keinen Einfluss auf die Qualität ihrer Leistung hat. [163] Ebenso ist es eine Diskriminierung behinderter Menschen, wenn Urlauber Schadensersatz »wegen Ekels« bekommen, weil sie neben behinderten Menschen ihre Mahlzeiten einnehmen »mussten«. [164] In solchen Fällen wird eindeutig die Würde behinderter Menschen verletzt. Die Rede von der »Menschenwürde« ist also durchaus sinnvoll in diesem Zusammenhang.
• 4.1.2.2 Der »negative« Aspekt
Ein anderer Aspekt der »Menschenwürde« fällt erst bei intensiverem Nachdenken auf: Es geht eben nur um die Menschenwürde (Kaplan nennt dies den »egoistisch-aggressiven Aspekt« [165]).
Dies impliziert allerdings die Frage, welches Kriterium den Menschen auszeichnet und gleichzeitig dem Tier fehlt. Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wie Singer eindrucksvoll aufzeigt: » (…) wenn wir einige Merkmale suchen, die alle besitzen, dann muß dies eine Art kleinster gemeinsamer Nenner sein, so niedrig angesetzt, daß keinem Menschen dieses Charakteristikum fehlt. Schwierig ist dabei nur, daß jedes Merkmal, das allen Menschen gemeinsam ist, eben nicht nur den Menschen gemeinsam ist. Zum Beispiel sind alle Menschen, aber nicht nur die Menschen, fähig, Schmerz zu empfinden; und nur die Menschen sind in der Lage, komplexe mathematische Probleme zu lösen, aber nicht alle Menschen können das.« [166]
Die Leugnung dieses Problems wird von Singer heftigst kritisiert: »Angesichts einer Situation, in der sie die Notwendigkeit einer gewissen Grundlage für den moralischen Graben erkennen, der gewöhnlich zwischen Menschen und Tieren angenommen wird, aber keinen konkreten Unterschied finden können, der dies begründet, ohne die Gleichheit der Menschen zu unterminieren, neigen die Philosophen zum Schwafeln.« [167]
So spricht man beispielsweise von der »Würde und dem Wert der menschlichen Person« [168], von der »unantastbaren und unaufgebbaren Würde eines jeden Menschen« [169], von der »Kostbarkeit und Würde der Person« [170] .
Auch während der »Singer-Debatte« lassen sich solche Sätze (in beliebiger Konstruktion) finden, z. B. von der »Lebenshilfe«: »Die Einzigartigkeit menschlichen Lebens verbietet es, Menschsein mit anderen Lebewesen, ihren Lebensformen und -interessen zu vergleichen bzw. gleichzusetzen.« [171]
Was es mit der Menschenwürde aber eigentlich auf sich hat, ist dennoch schwer zu erfahren, es scheint fast so, »als sei allen der Begriff der Menschenwürde so klar, daß man nicht darüber zu sprechen brauche.« [172]
Es ist auch nicht schwierig zu verstehen, warum dies noch niemandem so richtig aufgefallen ist, denn »warum sollten wir uns nicht selbst »innere Würde« oder »inneren Wert« zuerkennen? Unsere Mitmenschen werden den Ritterschlag, den wir ihnen zubilligen, kaum zurückweisen, und diejenigen, denen wir die Ehre versagen, sind nicht in der Lage, Einwände dagegen vorzubringen.« [173]
Die Rede von der »Menschenwürde« steht also auf sehr wackeligen Füßen, jedenfalls wenn wir die »Menschenwürde« nur Menschen anerkennen wollen.
• 4.1.2.3 Eine Würde für Kreaturen?
Von einer »kreatürlichen Würde« zu sprechen, klingt sehr ungewöhnlich, was aber teilweise mit dem »egoistischen« Aspekt der Menschenwürde begründet werden kann. Der Begriff der »Menschenwürde« dient eben nicht nur dem Zwischenmenschlichen, sondern auch »zur Abgrenzung und Auszeichnung des Menschen gegenüber der »bloßen Kreatur« (…) Wie aber soll der Mensch das, worin er sich von allen anderen Lebewesen unterscheidet (seine Würde) mit ihnen teilen?« [174]
Teutsch plädiert für eine kreatürliche Würde und begründet dies ähnlich wie Regan, indem er darauf verweist, dass wir auch Debilen, schwer Kranken und Menschen, die in ihrer geistigen Entwicklung »zurückgeblieben sind, mit Würde begegnen. Jedoch nicht deshalb, weil sie »normalerweise vernunftbegabt wären oder wir sonst der gesellschaftlichen Verrohung Vorschub leisten würden, sondern weil wir es zurecht als selbstverständlich ansehen. [175]
Als Tierrechtler könnte man deswegen fordern, entweder die Tiere in den Begriff der »Würde« einzubeziehen, oder ihn als leere Hülle fallen zu lassen. Die »Menschenwürde« allein beinhaltet jedenfalls ein beträchtliches Maß an Speziesismus. Die Berufung auf die »Menschenwürde« kann ich so jedenfalls nicht nachvollziehen.
• 4.1.3 Das »Recht auf Leben«
• 4.1.3.1 Sind Lebensrechte überhaupt diskutierbar?
Sehr häufig wird in der »Singer-Debatte« folgender Einwand vorgebracht: »Wir können doch nicht tolerieren, wenn sie darüber reden, ob wir noch leben dürfen oder nicht!« [176] Dieses Argument wirkt zwar sehr stark, aber es ist, um es knapp zu sagen, einfach falsch. Es hört sich auf den ersten Blick zynisch an, aber wer vor den Thesen Singers Angst hat, muss eine Person sein, und das Lebensrecht von Personen steht keineswegs zur Disposition, egal wie behindert Menschen sein mögen, jedenfalls nicht im Sinne von »unfreiwilliger Euthanasie«. Etwas anders sieht es bei der Diskussion zur sog. »freiwilligen Euthanasie« aus. Diese Möglichkeit würde aber auch nur dann in Betracht gezogen werden, wenn Menschen ihr Lebensrecht selbst in Frage stellen, nicht, wenn es von Dritten in Frage gestellt wird.
Hier könnte noch eingewendet werden, dass es etwas anderes ist, wenn Nichtbehinderte über die Lebensrechte von Behinderten diskutieren. Wenn dieses Argument darauf abzielt, dass hier die Gefühle von behinderten Menschen verletzt werden, könnte es berechtigt sein. Diesen Punkt werde ich aber (da es kein fundamentaler Einwand ist) später untersuchen.
Wenn dieses Argument aber so gemeint ist, dass Nichtbehinderte nicht wissen können, wie gut oder schlecht das (voraussichtliche) Leben von behinderten Säuglingen sein wird, könnte man ebenso fragen, ob behinderte Menschen (und nur sie) alle anderen Behinderungen beurteilen können. Ursula Wolf hat dies folgendermaßen ausgedrückt: »Die Behinderten argumentieren in dieser Frage voreingenommen und sehen nur ihre eigene Perspektive. (…) (Es; Anm. d. Verf) ist zu erwarten, daß für die meisten Personen mehr auf der Seite des Lebens als auf der Seite der Nicht-Existenz steht. Die Antwort ist daher zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neutral. (…) Es ist daher ein Urteil aus einer egoistischen Perspektive, wenn Behinderte darauf bestehen, daß es besser ist, behindert am Leben zu sein, als gar nicht zu existieren.« [177]
Hier müssen wir natürlich trotzdem unterscheiden, dass Wolf nur Fälle meint, in denen es allein aus der Sicht des behinderten Kindes eine nicht lebenswerte Zukunft gibt. Singers Ansichten gehen zumindest nach der »Totalansicht« über diese Fälle hinaus.
Gerade diese Ansicht Singers wird von vielen falsch verstanden. Down-Syndrom und Hämophilie erwähnt Singer im Zusammenhang der »Totalansicht«, da es nicht ungewöhnlich ist, Föten mit diesen Merkmalen abzutreiben und er keinen moralischen Unterschied zwischen dem Status des Fötus und des Säuglings sieht. Eine Verurteilung Singers müsste unter diesem Aspekt genauso solche Menschen treffen, die diese Selektion im Fötus-Alter befürworten.
In vielen Fällen wurden aber diese wichtigen Akzente nicht erfasst, und Singer unterstellt, für ihn sei jedes behinderte Leben von vorneherein unwert: »Herr Singer (…) sowie die anderen Befürworter sollten sich ein einziges Mal die Mühe machen und nur ein paar Stunden zusammen mit einem »Geistigbehinderten« (vielleicht einem Down-Syndrom-Kind – Mongolismus – , weil diese bei ihm so gerne als Beispiele für evtl. lebensunwertes Wesen verwendet werden) verbringen.« [178]
Völlig unverständlich wird es, wenn ein Autor wie Ernst Klee, der sich eingehend mit der sog. »Euthanasie« im 3. Reich beschäftigt hat und hierdurch über ein beachtenswertes Wissen (aber eben auch über besondere Verantwortung) verfügt[179] , ebenfalls in dieser Weise argumentiert: »Bei Kindern mit Down-Syndrom (…) wirkt das Argument, man wolle sie von ihren Leiden erlösen, besonders infam: Sie zählen meist zu den lebenslustigsten Menschen, die man sich denken kann.« [180]
Mit solchen Verdrehungen von Singers Ansicht lässt sich leicht die Überzeugung bilden, dass Singer die These vertritt, jedes behinderte Leben sei es nicht wert, gelebt zu werden. Aber durch die Ausbreitung solcher Unterstellungen ist für die behinderten Menschen nichts gewonnen, außer weitverbreitete Fassungslosigkeit, dass es (anscheinend) Menschen gibt, die in jeden behinderten Menschen unendliches Leid hineinprojizieren.
• 4.1.3.2 Wann sind Lebensrechte diskutierbar?
Es ist offensichtlich, dass das Lebensrecht schon lange nicht mehr unantastbar ist. Im vorgeburtlichen Zeitraum stellt es heutzutage kein großes gesellschaftliches Problem mehr dar, das Lebensrecht des Fötus zu bestreiten. Mit der Unantastbarkeit des Lebensrechts können somit nur die kategorischen Abtreibungsgegner argumentieren. So zieht beispielsweise Löw nach einer Diskussion über die Kriterien Singers den Schluss, »das Menschsein eines Menschen von solchen Kriterien abzukoppeln und an das einzige zweifelsfreie Argument zu knüpfen, das das Menschsein eines Menschen begründet: an seine biologische Zugehörigkeit zur Gattung.« [181]
Gehört man aber nicht zu diesen »Lebensschützern«, ist es zumindest erklärungsbedürftig, wieso das »Recht auf Leben« exakt mit dem Zeitpunkt der Geburt verliehen werden soll. Wenn das Kriterium »biologische Zugehörigkeit« als einziges Kriterium gelten soll, würde das bedeuten, dem Menschen ab der Zeugung das Lebensrecht zuzusprechen, denn der Embryo ist zweifellos rein biologisch gesehen ein Mensch. Diese Sichtweise wird natürlich aus religiöser Sicht unterstützt: »Jedes menschliche Wesen muß – als Person – vom ersten Augenblick seines Daseins an geachtet werden.« [182]
Spaemann, der das Recht auf Leben von der Zeugung an verteidigt, hat schon vor der »Singer-Debatte« das Dilemma der Abtreibungsbefürworter erkannt, die gleichzeitig den Infantizid als Mord verurteilen, denn »indem (die Abtreibungsbefürworter ; Anm. d. Verf.) den Akt der Schöpfung der Person zeitlich losgelöst vom Augenblick der Zeugung fixierte, verkannten sie den strikt kontinuierlichen Charakter der Entwicklung des einzelnen Menschen, der für die moderne Embryologie zweifelsfrei ist. (…) Wenn man überhaupt irgendeinen späteren Zeitpunkt für den Beginn der Personalität empirisch begründen wollte, so könnte es nur der Beginn des Selbstbewußtseins sein – also ein sehr später nachgeburtlicher Zeitpunkt.« [183]
Spaemanns Kritik ist natürlich in der Überzeugung geschrieben worden, Abtreibungsbefürwortern ihre Widersprüchlichkeit vorzuwerfen. Auf der anderen Seite hat er aber (unfreiwillig) exakt die Argumente unterstützt, die Singer zu dem Schluss kommen lassen, dass der Infantizid vom moralischen Status des Kindes aus gesehen nicht schlimmer ist als eine spätere Abtreibung. Verwunderlich wirkt in diesem Zusammenhang ein Zitat Spaemanns während der Singer-Debatte: »Die Argumente Singers sind äußerst schwach, sie sind eindrucksvoll nur für Menschen, die kein rationales Argument akzeptieren, das in seiner Konsequenz auf einen Begriff wie den der Heiligkeit führen könnte. Aber Menschen, denen nichts heilig ist, gelten in jeder menschlichen Kultur als solche, denen man den üblichen Vertrauensvorschuß entzieht.« [184]
Spaemanns scharfe Kritik lässt sich eigentlich nur dadurch erklären, dass das erste Zitat in einem Buch über die katholische Glaubenslehre auftaucht, letzteres in einem eher liberalen »Anti-Euthanasie-Buch«. Die Interessen bestimmter Zielgruppen bei der Formulierung der eigenen Argumente einzubeziehen, wirkt jedenfalls ebensowenig vertrauensfördernd.
• 4.1.3.3 Das Argument des Entwicklungspotenzials
Das Argument des Enwicklungspotenzials wird erstaunlicherweise auch von Abtreibungsbefürwortern öfters verwendet. So schreibt z. B. Eggli: »Auch ein wenige Stunden alter Embryo ist doch als das zu anerkennen, was er ist: als Menschenkeim, als eine Individualität im Werden (…) Ich muß auf diese Tatsache hinweisen, auf die Gefahr hin, daß ich deswegen in die Ecke der Abtreibungsgegner hineingestoßen werde!« [185]
Dieser Satz ist nicht gerade unklug aufgebaut. Eggli möchte auf etwas hinweisen, was eine Abtreibung etwas kritischer werden lässt, immunisiert sich aber gegen Kritik, indem er die »Gefahr« auf sich nimmt, in eine bestimmte Ecke geschoben zu werden. Beantwortet ist die Frage aber damit nicht. Zählt nun der Embryo oder der Fötus als das, was er werden kann, oder zählt er als das, was er im Moment ist?
Singer bringt starke Argumente gegen das Entwicklungspotenzial als Richtschnur vor [186]:
· Wenn »A« ein potenzielles »X« ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass »A« die Rechte von »X« hat.
· Die Gründe gegen die Tötung einer Person lassen sich alle nicht auf den Fötus anwenden.
· Es lässt sich nicht in allen (vielleicht sogar in eher wenigen) Fällen die Behauptung aufrechterhalten, dass der Welt etwas zukünftig Wertvolles vorenthalten wird. In vielen Fällen wollen Frauen nur zu einem späteren Zeitpunkt ein Kind in die Welt setzen.
· Das Argument des »Vorenthaltens« lässt sich ebenso auf die Verhütung übertragen.Tooley hat unter der Verwendung eines »Science-fiction«-Beispiel ebenfalls Argumente gegen die Berücksichtigung des Entwicklungspotenzials angebracht: In der Zukunft wird eine Chemikalie entdeckt, die es ermöglicht, neugeborene Kätzchen mit einem von den Fähigkeiten ähnlichem Gehirn wie das eines erwachsenen Menschen, auszustatten. Solche Kätzchen wären dann fähig zu denken, Sprache zu gebrauchen und so weiter. Dies geschieht aber nur, wenn die Chemikalie in den Kopf der Katze injiziert wird. Wäre es unrecht, diesen Vorgang zu unterlassen? Für Tooley ergeben sich folgende Konsequenzen [187]:
· In dieser Situation wäre es nicht zu rechtfertigen, Angehörige der Spezies Homo sapiens, welche einen ähnlichen Entwicklungsprozess hinter sich haben, ein Lebensrecht zuzuschreiben, ohne dies nicht auch dem Kätzchen zuzubilligen.
· Es wäre kein schlimmeres Unrecht, dem Kätzchen die besondere Chemikalie vorzuenthalten und es stattdessen zu töten, als es jetzt Unrecht wäre, das Kätzchen zu töten.
· Wenn die Unterlassung nicht ernsthaft falsch ist, kann es nicht ernsthaft falsch sein, in einen solchen Prozess einzugreifen. Wäre z. B. die Chemikalie schon injiziert, aber die Eigenschaft dieser Chemikalie entwickelt sich erst nach einer Weile, könnte der Prozess noch unterbrochen werden.
Das Entwicklungspotenzial steht also meiner Meinung nach auf sehr schwachen Füßen. Das Argument wird noch unglaubwürdiger, wenn wir die Sache herumdrehen. Wenn also ein Embryo oder sogar schon ein befruchtetes Ei als das zählen soll, was es werden kann, was würde das bedeuten? Dass ein erwachsener Mensch nicht wertvoller ist als ein befruchtetes Ei?
• 4.1.4 Behinderung – nicht krank, nur anders?
Auch dieser Punkt ist als fundamentaler Einwand zu betrachten. Die ganze Diskussion wäre sinnlos, wenn eine Behinderung (in jedem Fall) nur ein belangloses Merkmal wäre. Dieser Meinung scheint z. B. »die Lebenshilfe« zu sein, welche folgende Grundaussagen während der »Singer-Debatte« veröffentlichte (auszugsweise):
»3. Behinderung
3.1 Es ist normal, verschieden zu sein.
Behinderung ist nur eine unter vielen möglichen Eigenschaften eines Menschen. Sie allein prägt nicht das Wesen eines Menschen.
Menschen mit Behinderung können ebenso sinnerfüllt und glücklich leben wie es nichtbehinderte Menschen können.
3.2 Behinderung ist keine Krankheit, sondern eine besondere Form von Gesundheit.« [188]
Dass eine Behinderung (wie bei Punkt 3.1 beschrieben) nur eine von vielen Eigenschaften eines behinderten Menschen darstellt, ist ohne Zweifel richtig. Je nach ihrer Schwere wird eine Behinderung trotz allem einen prägenden Einfluss auf das Wesen des Menschen haben. Selbstverständlich können behinderte Menschen trotzdem ebenso sinnerfüllt und glücklich leben.
Punkt 3.2 ist allerdings kritischer zu betrachten. Eine solche Verallgemeinerung kann mit einer Passage aus Singers Buch »Praktische Ethik« geprüft werden:
»Man erinnere sich an den Contergan-Fall: Von Schwangeren eingenommen, war dieses Mittel die Ursache dafür, daß viele Kinder ohne Arme und Beine geboren wurden. Als die Ursache für diese anormalen Geburten erkannt war, wurde das Mittel vom Markt genommen und die verantwortliche Firma mußte Schadensersatz leisten. Wären wir wirklich der Überzeugung, daß es keinen Grund gibt anzunehmen, daß das Leben einer behinderten Person wahrscheinlich irgendwie schlechter ist als das einer normalen Person, dann hätten wir das damals nicht als Tragödie empfunden. Schadenersatz wäre weder gefordert noch von den Gerichten verhängt worden. Die Kinder wären eben bloß »anders« gewesen.« [189]
Natürlich handelt es sich bei den »Contergan-Behinderungen« meist um schwere Behinderungen, aber sie reichen auf jeden Fall aus, um Punkt 3.2 der »Lebenshilfe« in Frage zu stellen. Der Fehler dieser Aussage der Lebenshilfe liegt in ihrer falschen Formulierung. Der eigentliche Kern der Aussage könnte gewesen sein, dass Leben nicht unterschiedlich bewertet werden soll, weil sonst irgendetwas Negatives für die Behandlung dieser Menschen abgeleitet werden kann. Wenn unter »Leben« ein »Leben« mit Lebensrecht verstanden wird, hat die Aussage durchaus ihre Berechtigung: »Mit der prinzipiellen Anerkennung eines Rechtes auf Leben ist jede Preisgabe eines fremden Lebens mit Rücksicht auf seinen minderen Wert – ebenso wie auf seine besonderen Eigenschaften Mängel oder Defizite – völlig unvereinbar: Weder Rasse noch Geschlecht, Intelligenz oder Dummheit, Gesundheit oder Krankheit, Normalität oder Behinderung dürfen in diesem Zusammenhang irgendeine Rolle spielen.« [190]
Eine Behinderung spielt dennoch (wie viele andere Gegebenheiten) für den Eigenwert eines Menschen eine Rolle. In manchen Fällen kann so ein Defizit eines Menschen ein Anlass sein, dies durch andere positive Aspekte mehr als auszugleichen. So schreibt bspw. Eggli: »Im Bewußtsein einer leistungsorientierten, nichtbehinderten Umwelt müssen wir Behinderten ein sinn- und freudloses Leben fristen, das bei Nichtbehindertsein Mitleid und Berührungsängste, ja sogar offene Ablehnung provoziert. Mich mutet das seltsam an, habe ich doch trotz – oder vielleicht gerade wegen – meiner Behinderung bisher ein durchaus ausgefülltes Leben gelebt.« [191]
In diesem Zitat wird aber auch das Dilemma oder besser gesagt das größte Missverständnis der ganzen »Singer-Debatte« deutlich. Wenn Eggli von einer »leistungsorientierten Umwelt« spricht, zielt er auf seinen von der Gesellschaft zugedachten »Fremdwert« ab. Sein »durchaus ausgefülltes Leben« ist aber nichts anderes als die Bewertung seines Eigenwertes aus seiner Perspektive und dies ist etwas grundlegend anderes.
Der Film »Der Pannwitzblick«, der beeindruckend behinderte Menschen als nur »anders« zeigt, die auch gar nicht anders (= nichtbehindert) sein wollen, möchte wohl ebenfalls darstellen, dass behinderte Menschen denselben »Eigenwert« wie Nichtbehinderte besitzen. In Bezug auf mögliche Kritik wegen des Aspektes, nur das Leben von »Edelbehinderten« oder »Vorzeigebehinderten« zu zeigen, steht als Antwort im dazugehörigen Buch: »Ich glaube nicht, daß wir dem Vorwurf entgegentreten müßten, wenn wir etwa über das Thema »Fußball« Interviews mit Franz Beckenbauer und Pierre Littbarski als »Edelkicker« gemacht hätten. Es ist unwahrscheinlich, daß zum Beispiel prompt die Forderung gekommen wäre, die Träume eines Bezirksligisten einzubauen.« [192]
Eine doch etwas laxe Antwort, denn hier ist eigentlich selbst dargelegt worden, dass es die »Bezirksligisten« unter den behinderten Menschen gibt. Vielleicht gibt es sogar behinderte Menschen (um im Beispiel zu bleiben), welche in gar keiner Fußballmannschaft spielen können.
Die Frage nach dem Eigenwert von behinderten Menschen ist ein Tabu. Kein Mensch soll weniger wert sein als ein anderer Mensch, auch der »Eigenwert« soll nicht diskutiert werden. Dies ist auch insofern korrekt, wenn wir von Menschen ausgehen, welche ein Lebensrecht besitzen oder noch deutlicher gesagt, völlig unnötig. In diesem Fall erübrigt sich einfach jede Diskussion.
Anders sieht es jedoch bei »potenziellen« Menschen aus. Es ist sicherlich ein richtiger Einwand, dass der Eigenwert eines behinderten Menschen unter unserem nichtbehinderten »Pannwitzblick« leidet. Wenn ein Mensch anders aussieht, anders spricht oder sich anders verhält, neigt der nichtbehinderte Mensch zu Mitleid dem Behinderten gegenüber. Dieses Mitleid ist häufig nichts anderes als das Leid des Nichtbehinderten: »Wir sind es die an ihnen leiden. Dieser, meist unbewußt bleibende Projektionsvorgang kann einen hohen Grad an seelischer Unerträglichkeit erreichen.« [193]
Auch die Gesellschaft trägt in vielfacher Hinsicht zu einer Reduzierung des Eigenwertes eines behinderten Menschen bei, sei es, dass der Bus keinen Rollstuhlfahrer mitnehmen kann, dass behinderte Menschen eine Arbeit trotz besserer oder gleicher Qualifikation verweigert bekommen. Hier ließen sich unendlich viele Beispiele anführen.
Es ist jedoch trotzdem eine heuchlerische Behauptung, dass sich alle möglichen Reduzierungen im Eigenwert des behinderten Menschen auf äußere Umstände zurückführen lassen. »Die Fähigkeiten, laufen, sehen, hören, von Schmerz und Unbehagen relativ frei sein sowie wirksam kommunizieren zu können, sind – unter praktisch allen sozialen Bedingungen – echte Vorteile.« [194] Für den Durchschnitt aller behinderten Menschen dürfte die Behinderung einen negativen Einfluss auf den Eigenwert haben. Ein Kritiker dieser These »müßte konsequenterweise zumindest bei Kindern, die nicht für sich selbst entscheiden können, auf jede mögliche Heilung von Krankheiten oder Behebung von Behinderungen bewußt verzichten.« [195]
Dieser Punkt ist von großer Bedeutung in der »Singer-Debatte« und deswegen nochmals herausgearbeitet:
a) Es ist moralisch zu vertreten, ein potenzielles Kind ohne Behinderung einem potenziellem Kind mit Behinderung vorzuziehen.
b) Es ist moralisch unvertretbar, einen behinderten Menschen wegen seiner Behinderung zu diskriminieren.
Hierzu ein Beispiel von Parfit: Eine Frau erhält vom Arzt folgende Mitteilung: Wenn sie die nächsten drei Monate schwanger wird, wird das Kind beträchtlich behindert sein, wenn auch nicht so stark, dass sich das Leben nicht zu leben lohnen würde.
Wenn die Frau aber drei Monate wartet, bessert sich ihr Zustand, so dass das Kind nicht geschädigt sein wird. [196]
Wer sich der Meinung anschließt, dass es besser wäre, wenn die Frau warten würde, unterstützt somit Punkt a) und hat sich somit gegen ein potenzielles behindertes Kind entschieden, denn das potenzielle gesunde Kind ist natürlich ein anderes Kind aus einem anderen Samen und einer anderen Eizelle.
Die Punkte »a« und »b« widersprechen sich in keinster Weise. Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist folgende: Wann sehen wir ein menschliches Wesen als nicht mehr potenziell? Die Antwort darauf ist genauso einfach wie strittig: Genau ab dem Zeitpunkt, ab dem wir dem Menschen ein Lebensrecht zusprechen, z. B.
– als Befürworter eines Abtreibungsverbots: ab der Zeugung;
– als Befürworter einer Fristenregelung: z. B. ab dem 3. Monat;
– als Befürworter der Personendefinition: nach der Geburt.
Der englische Moralphilosoph Hare hat die Unterscheidung zwischen diesen Punkten in Bezug auf die »Singer-Debatte« folgendermaßen ausgedrückt:
»Singers Position beinhaltet ebensowenig eine Diskriminierung Behinderter, wie es etwa die Heilung eines gebrochenen Beines tut. Man heilt Beinbrüche, weil man glaubt, daß es besser sei, intakte Beine zu haben als gebrochene; das impliziert keinerlei Herabsetzung von Krüppeln, die – aus welchen Gründen immer – keine gesunden Beine haben.« [197]
Diese Folgerung schließt nicht aus, dass es gute Gründe geben kann, auch potenziellen Personen ein Lebensrecht zuzusprechen. Diese Gründe werden jedoch an anderer Stelle erörtert.
Es bleibt festzuhalten, dass insbesondere in der »Singer-Debatte« zwischen Punkt »a« und Punkt »b« in manchen Fällen wenig, in den meisten Fällen überhaupt nicht differenziert wird oder worden ist, obwohl es ein entscheidender Punkt der ganzen Debatte ist.
4.2 Zur Kritik an der Euthanasie
• 4.2.1 Gibt es Leben, das es nicht wert ist, gelebt zu werden?
Fragen zur Euthanasie sind in Deutschland ein Tabu. Woher dieses Tabu kommt, ist nicht schwer herauszufinden. So schreibt z. B. Merkel in der »Zeit«: »Seit der Nazizeit ist es in Deutschland offenbar nicht mehr möglich, »lebensunwert« [198] in jener einzigen Bedeutung zu verstehen, die es als ethischer Begriff haben darf: ausschließlich aus der Innenperspektive des leidenden Betroffenen; (…) niemals aus der Perspektive gesellschaftlicher Interessen.« [199]
Nun ist unbestritten, dass der Singersche Standpunkt darüber hinausgeht, wenn er von einer Interessens-Abwägung spricht, die er bei Nicht-Personen für zulässig hält. Bei der Frage nach dem »lebensunwerten« Leben spielt dies aber noch keine Rolle. Ein Leben, das es nicht wert ist, gelebt zu werden, betrifft Personen und Nicht-Personen gleichermaßen, d. h. würde es betreffen, wenn es denn existierte.
Die Diskussion in der »Singer-Debatte« befasst sich hauptsächlich mit der »nichtfreiwilligen Euthanasie«, insbesondere mit dem Infantizid.
Der häufigste Einwand, ein anderes Leben nicht bewerten zu können, bezieht sich auf die fehlende Innenperspektive. Bei der nichtfreiwilligen Euthanasie bleibt natürlich keine andere Möglichkeit, als diese möglichst gut von außen zu erschließen. Diese Praktik wird jedoch kritisiert, denn, so schreibt z. B. Bastian: » (…) in den skizzierten Grenzfällen, zum Beispiel bei der Konfrontation mit der Frage »Should the baby live?« wägen wir Interessen gegeneinander ab, von denen wir eine Seite aus eigener Kenntnis überprüfen und beurteilen können, während wir die andere aufgrund vager, weithin der Spekulation und der Phantasie entstammender Vermutungen zu konstruieren versuchen.« [200]
Betrachten wir hierzu einen Fall von Fred M. Frohock, der vier Monate als Beobachter auf einer modernen Intensivstation verbracht hatte und dessen Beschreibungen von Kuhse / Singer folgendermaßen zusammengefasst wurden [201]:
»Am 8. März wurde Stephanie Christopher nach nur 30 Schwangerschaftswochen vorzeitig geboren. Ihr Hauptproblem war allerdings nicht ihre Frühgeburtlichkeit, sondern eine angeborene Krankheit, epidermolysis bullosa, die eine sich am ganzen Körper ausbreitende und hartnäckige Blasenbildung auf der Haut verursacht. Es entstehen Wunden am ganzen Körper sowie auch innerhalb des Körpers, wie etwa in Mund und Speiseröhre. Stephanie lebte zwei Monate lang. Sie hatte in dieser Zeit viel zu erdulden. Trotz der Darmoperation mußte sie intravenös ernährt werden. Doch die Flüssigkeit drang durch ihre beschädigte Haut, und es kam zu Störungen des Wasserhaushalts und der Ernährung. Es gab Schwierigkeiten beim Absaugen und Einsetzen von Schläuchen, weil sich auch die innere Haut ablöste. Sie wurde mehrfach als »Verbrennungsopfer« beschrieben, das gewissermaßen jeden Tag erneut Verbrennungen erlitt. Sie war in vaselinegetränkte Verbände gehüllt und erhielt Sauerstoff durch ein Maske dicht vor ihrem Gesicht, Morphin zur Schmerzlinderung und Naloxon als Gegenmittel gegen eine zu hohe Dosis Morphin. Trotz der Verabreichung von Morphin in so hoher Dosierung hatte Stephanie immer noch Beschwerden und Schmerzen. Am 8. April, einen Monat nach Stephanies Geburt, trug Frohock folgendes in sein Tagebuch ein:
»Sie sieht wie ein Unfallopfer aus – müde, ja erschöpft, wie durch eine Katastrophe, die sie heimgesucht hat … Stephanie weint, wenn die Gaze entfernt wird. Ihr linkes Bein ist blutig, am Knöchel und an der Fußoberseite rohes Fleisch. Ihr rechtes Bein sieht besser aus, abgesehen von einer großen verschorften Wunde unter dem Knie. Manche Verbände sind blutgetränkt. Auch ihre Hände sind blutig.« [202] Zehn Tage später notierte Frohock: »Die Sauerstoffmaske bläst immer noch ins Gesicht: Sie weint und bewegt sich ruhelos. Ihre Beine und Arme sind in Vaselinegaze gehüllt … Ihr Körper ist glitschig von Schweiß und Vaseline. Das ist nur noch Leiden. Hat das irgendeinen Sinn?« [203]
Die Ärztinnen gaben Stephanie weiter Antibiotika und Sauerstoff. Es wurde beschlossen, bei Atemstillstand ihr Atmung durch manuelle Impulse wieder in Gang zu setzen, aber bei Herzstillstand keine Wiederbelebungsversuche zu unternehmen. Diese Situation trat am 11. Mai ein, und Stephanie starb.«
Dies mag ein extremer Fall sein, welcher natürlich nicht alltäglich vorkommt. Aber das spielt hier auch keine Rolle. Ich denke, auf die Frage, ob es menschliches Leben gibt, welches nicht wert ist, gelebt zu werden, gibt es nur eine Antwort: Es gibt dieses Leben. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muss man kein Anhänger Singers sein: »Wir vertreten keineswegs die Meinung, daß jedes menschliche Leben immer und mit allen Mitteln erhalten werden muß – auch dies kann inhuman sein.« [204]
Diese Aussage stammt aus dem Buch »Denken, Schreiben, Töten«, welches als vehemente Kritik an Singers Position konzipiert ist. Was bedeutet diese Aussage? Wie kann eine solche Aussage gemacht werden, ohne die Implikation, die Lebensqualität zu beurteilen, ohne die Implikation, Leben als nicht mehr lebenswert zu deklarieren?
Auch der Philosoph Jonas stellt klar heraus, dass sich diese Frage für ihn nicht stellt: »Es gibt klar definierte medizinische Fälle des irreversiblen Komas, des Bewußtseinsverlustes, in denen das Sterbenlassen die einzig wirkliche humane Handlung ist und die Unterbrechung einer Behandlung das Gebotene.« [205]
Hierzu zum besseren Verständnis eine kurze Wiederholung:
Nicht-Personen, und hierzu zählen auch »Noch-Nicht-Personen« besitzen nach Singer kein Lebensinteresse, sondern nur ein »Empfindungsinteresse«. Der Säugling hat somit nur ein Interesse daran, nicht zu leiden, aber kein (direktes) Interesse, zu leben. Natürlich kann man eine primäre Lebenserhaltung versus Leidensvermeidung »mit der Aussicht auf ein erfreuliches und lebenswertes Leben für das spätere Kind oder die Erwachsene rechtfertigen, sicher aber nicht mit den »wohlverstandenen Interessen des Säuglings.«««[206]
Deswegen spielt dieses Argument der »fehlenden Innenperspektive« bei der nichtfreiwilligen Euthanasie nur dann eine Rolle, wenn wir (im Unterschied zu Singers Position) das Lebensrecht für den Säugling voraussetzen. Nichtfreiwillige Euthanasie käme somit nur in Betracht, wenn es sein kann, dass die Sterbehilfe im eigenen Interesse des Säuglings liegt. Unter »eigenem Interesse« darf hier aber im Gegensatz zum Neugeborenen ohne Lebensrecht nicht nur der augenblickliche Zustand verstanden werden, sondern auch das zukünftige, zu erwartende Leben.
Für Hoerster sind drei Voraussetzungen für das Sichern des eigenen Interesses geeignet [207]:
a) Der Betroffene ist schwer und unheilbar leidend.
b) Der Betroffene wünscht aufgrund reiflicher, in einem urteilsfähigen und aufgeklärten Zustand durchgeführter Überlegung die Herbeiführung seines Todes.
c) Der Tod wird von einem Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung herbeigeführt.
Es ist logisch, dass Punkt »b« bei Sterbehilfe für Neugeborene nicht greift. Die Frage ist, ob sie deswegen kategorisch ausgeschlossen sein muss. Punkt »b« – »der ausdrückliche Wunsch des Betroffenen« – kann nur durch den »ausdrücklichen Wunsch der Sorgeberechtigten ersetzt werden«, und dies nur dann, wenn aus ärztlicher Sicht sichergestellt ist, daß es im eigenen Interesse des Kindes liegt. [208]
Wie oben schon aufgezeigt, gibt es wohl Fälle, in denen das Leben nicht wert ist, gelebt zu werden. Es lässt sich immer einwenden, dass man das nie ganz sicher weiß. Dies entlässt jedoch nicht automatisch aus der moralischen Verantwortung.
• 4.2.2 Die Unterscheidung »Aktiv – Passiv«
• 4.2.2.1 Der moralische Aspekt
Ich denke, dass es wirklich nicht viele Menschen gibt, die die Meinung vertreten, dass jedes Leben unter allen Umständen erhalten werden muss. Somit müsste eine Änderung oder Modifizierung der Absolutheits-These der Euthanasie-Gegner vorgenommen werden, welche, wenn wir an die obigen Zitate, wie z. B. von Jonas denken, folgendermaßen lauten könnte:
»Du sollst nicht töten; aber du brauchst dich auch nicht übereifrig zu bemühen, Leben zu erhalten.« [209]
Dieses Argument könnte belegen, dass prinzipiell an der Gleichheit allen menschlichen Lebens festgehalten wird, dies aber nicht ausschließt, Patienten sterben zu lassen.
Kuhse stellt in ihrem Buch »Die »Heiligkeit des Lebens« in der Medizin« beeindruckende Widersprüche dieses Arguments heraus:
Das Bewegungskriterium
Während die »aktive Tötung« eine Bewegung voraussetzt, ist dies beim »Sterbenlassen« nicht notwendig.
Kuhse zweifelt jedoch daran, wie moralisch bedeutsam der Unterschied zwischen einer aktiven Handlung und einer unterlassenen Handlung ist: »Wenn die Unterscheidung zwischen Töten und Sterbenlassen aus dem Unterschied zwischen Bewegen und Nichtbewegen bestehen soll, hätte die Ärztin, die eine lebenserhaltende Behandlung mit der Folge abbricht, daß die Patientin stirbt (indem sie beispielsweise eine Infusion entfernt), diese Patientin getötet. Eine andere Ärztin hingegen, die bemerkt, daß die Kanüle einer Infusion sich gelöst hat und – mit dem Ergebnis, daß die Patientin stirbt – darauf verzichtet, sie wieder anzulegen, hätte diese Patientin nur sterben lassen.« [210]
Die Kausale Tätigkeit
Diese Unterscheidung soll belegen, dass es in Bezug auf die kausale Rolle etwas anderes ist, eine tödliche Spritze zu verabreichen als z. B. auf eine Reanimation zu verzichten. Kuhse stellt jedoch heraus, dass es viele Fälle des »Sterbenlassens« gibt, in denen das Sterbenlassen eine Kette von Ereignissen vorausgeht, welche von der verantwortlichen Person selbst ausgelöst worden ist. Um auf das Verhindern des Todes zu verzichten, muss die Fähigkeit und die Gelegenheit vorhanden sein, die rettende Handlung auszuführen. [211] Der Vorsatz wäre in beiden Fällen, den Tod des Patienten zuzulassen.
Das Argument der »außergewöhnlichen Mittel«
Dieses Argument zielt darauf ab, dass es einen Unterschied zwischen gewöhnlichen Mitteln und außergewöhnlichen Mitteln gibt, nicht aber unterschiedliche Lebenswertigkeiten.
Kuhse findet auch dieses Argument nach einer Untersuchung »scheinheilig«, denn solange »eine Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Mitteln ihre moralische Bedeutung von der Verhältnismäßigkeit des Nutzens und des Schadens für eine bestimmte Patientin herleitet, beruht sie unvermeidbar auf Überlegungen zur Qualität des Lebens. (…) Während ein langes Leben der einen Patientin nützen wird, wird es der anderen zur Belastung. Dieser Auffassung zuzustimmen bedeutet jedoch, einer Ethik der Qualität des Lebens zuzustimmen und das »Prinzip der Heiligkeit des Lebens« aufzugeben: Die Entscheidungsfindung beruht nicht auf dem stets gleichen Wert allen menschlichen Lebens, sondern auf der Art des betreffenden Lebens.« [212]
Aus Kuhses Thesen, (welche hier natürlich nur ganz grob und ausschnittweise wiedergegeben sind) lässt sich erkennen, dass es den moralischen Unterschied zwischen Töten und »Sterbenlassen« in manchen Fällen teilweise, häufig aber gar nicht gibt.
Der Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen wäre somit in vielen Fällen, vom ethischen Standpunkt her gesehen, Augenwischerei. Zudem verwickelt sich die traditionelle Ethik mit ihrer Behauptung von der Gleichheit allen menschlichen Lebens in solche Widersprüche, welche es ganz in Frage stellen, ob diese sich nicht schon längst der Bewertung menschlichen Lebens zugewendet hat.
Diese Folgerungen lassen die massiven Angriffe der Singer-Gegner besonders in Bezug auf Tötung und Sterbenlassen, aber auch der Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens auf sehr wackeligen Füßen stehen.
»Euthanasie abzulehnen darf, mache ich mir klar, nicht heißen, die Fortsetzung jeder, auch aussichtslosen therapeutischen Maßnahme zu verlangen.« [213] Solche Zitate wie dieses vom Euthanasiegegner Tolmein klingen unter diesen Aspekten mehr als fragwürdig.
• 4.2.2.2 Der psychologische Aspekt
Vielleicht ist der Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen aus moralischer Sicht wirklich nicht sehr groß. Vergessen werden hierbei aber die psychologischen Auswirkungen. Genau diesen Punkt bringt Hans Jonas in der »Singer-Debatte« deutlich zum Ausdruck:
»Die Rolle des Tötens darf dem Arzt nie zufallen, jedenfalls soll das Recht es ihm nie anerkennen, denn es würde die Rolle des Arztes in der Gesellschaft gefährden, vielleicht vernichten. Das aktive Töten darf ihm nicht in Erweiterung seiner bisherigen Rolle als Heiler und Milderer von Leid zufallen. Nie darf ein Patient argwöhnen müssen, daß sein Arzt sein Henker wird.« [214]
Jonas lässt auch die unklaren Definitionen zwischen aktiver und passiver Euthanasie nicht gelten, denn » obwohl die Grenzlinie hier etwas verwischt ist, ist es doch von Wichtigkeit, daß im zweiten Fall die direkte Absicht des Tötens sozusagen in das Arsenal des Arztes wie eine Routinehandlung eingereiht wird.« [215]
Dieses Argument ist interessant. Für Jonas geht es überhaupt nicht um die Frage, ob es Fälle gibt, in denen es für das Kind auf jeden Fall die beste Lösung sei, wenn es schmerzlos getötet wird. Diese Fälle gibt es für ihn zweifellos. Jonas sträubt sich vor allem gegen die Aufhebung des Tötungsverbots, »trotz der quälenden, humanitär drängenden Grenzfälle,« weil es für die Rolle des Arztes und für die Gesellschaft unabsehbare Folgen haben könnte.
Er plädiert in diesem Zusammenhang eher gegen die Aufrüstung der »Apparate-Medizin«, welche das Sterben beliebig hinauszögern kann. [216]
• 4.2.3 »Vorherige-Existenz« versus »Totalansicht«
Die Totalansicht ist die umstrittenste Ansicht der Singerschen Thesen. Singer hält Säuglinge für ähnlich »ersetzbar« wie Föten. Diese von Singer »Totalansicht« genannte Version lässt sich in einem Zitat Singers zusammenfassen: »Sofern der Tod eines behinderten Säuglings zur Geburt eines anderen Säuglings mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird.« [217]
Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass Singer keinen Unterschied zwischen dem moralischen Status eines Fötus und dem eines Säuglings sieht. Beide gehören für ihn in die Kategorie »bewusste Lebewesen«.
Es ist bemerkenswert, dass Singer in der 1. Auflage von »Befreiung der Tiere« noch die »Vorherige-Existenz«-Version unterstützt, und die »Totalansicht« als absurd zurückweist. Folgendende These möchte Singer in »Befreiung der Tiere« mit Hilfe der »Vorherige-Existenz«-Version verwerfen: Fleischesser täten in Wirklichkeit den Tieren einen Gefallen, denn sonst wären diese Tiere nie ins Leben getreten.
Singer hat diesen Einwand mit folgenden Argumenten beantwortet:[218]
– Dieser Hinweis würde keineswegs eine fabrikmäßige Aufzucht rechtfertigen, in der das Leid der Tiere bei weitem überwiegt.-
– Bei einer angenommenen »leidfreien« Aufzucht liegt der Fehler in der Implikation: Es gibt keine nicht existierenden Geschöpfe, die irgendwo warten, auf die Welt zu kommen.
Wenn es eine Gunst ist, eine Existenz zu gewähren, ist es vermutlich eine Schädigung, es nicht existent zu machen. Es gibt aber kein »es«, dem dadurch Schaden zugefügt wurde.
– Falls wir als Verteidiger des Fleischessens dies doch als Schädigung sehen, dann sollten wir wohl darauf erpicht sein, möglichst viele Menschen auf die Welt zu bringen. Um dies möglich zu machen, sollten wir unter dem Gesichtspunkt der Unproduktivität der Fleischproduktion das Getreide nicht an die Tiere verfüttern sondern selbst essen, und müssten so Vegetarier werden!
– Unter dem Aspekt, einem Lebewesen einen Gefallen zu tun, wäre es sogar zu rechtfertigen, Menschen »leidfrei« aufzuziehen und ihnen ein paar Jahre lang ein schönes Leben zu ermöglichen, um sie dann schmerzfrei zu töten und zu verspeisen.
Im letzten Gegenargument wird deutlich, dass Singer in »Befreiung der Tiere« noch keinen exakten Unterschied zwischen selbstbewusstem und bewusstem Leben zieht. Für selbstbewusste Wesen zieht Singer in »Praktische Ethik« nur die »Vorherige-Existenz«-Version in Betracht, in der Neuausgabe lässt er diese Anwendung für selbstbewusste Lebewesen sogar ganz fallen, weil der Präferenz-Utilitarismus an sich schon gegen eine Tötung von Personen spricht. [219]
Die Vorteile der »Vorherige-Existenz«-Version lassen sich wie folgt zusammenfassen:
– Jedem bewussten Leben steht ein »Recht auf Leben« zu.
– Bewusste Lebewesen werden nicht als Behälter von Gefühlen betrachtet, welche einfach ausgetauscht werden können.
– Somit hätte auch der Säugling ein Recht auf Leben.
Die Nachteile:
– Durch die Gleichstellung verliert die Person einen besonderen Status. Dies kann letztlich zur Relativierung des selbstbewussten Lebens führen.
– Eine Abtreibung wäre unter der »Vorherige-Existenz«-Version ebenfalls problematisch, jedenfalls zu einem Zeitpunkt, indem der Fötus schon über ein rudimentäres Bewusstsein verfügt.
Der Unterschied zwischen »Vorherige-Existenz«-Version und »Totalansicht« ist ein grundlegender Gesichtspunkt. Viele Leute in der Tierrechtszene neigen intiutiv zu einer Meinung, die »Vorherige-Existenz«-Version beim Menschen ab der Geburt und die »Totalansicht« vor der Geburt zu vertreten. Wenn eine Tötung nach der Geburt als »Mord« angesehen wird, eine Tötung vor der Geburt aber gerechtfertigt werden kann, lässt dies keinen anderen Schluss zu.
Ist dies widerspruchsfrei möglich? Wenn dem Fötus an sich kein Lebensrecht zugesprochen wird, ist solch eine Ansicht schwerlich zu vertreten. Anders sieht es aus, wenn wir an das Geigerbeispiel von Thomson denken. Demnach würde dem Fötus zwar ein Lebensrecht zugestanden, aber dies bedeute nicht, daß er das Recht auf alle nötigen Hilfen hätte.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre es widerspruchsfrei möglich, für das Lebensrecht von Nichtpersonen einzutreten (»Vorherige-Existenz«-Version), und trotzdem das Recht auf Abtreibung zu verteidigen.
Die »Totalansicht« lässt trotzdem die Frage offen, ob es wirklich gut ist, die bewusstseinsfähigen Lebewesen zu vermehren, um so die Summe des Gesamtglücks zu steigern. Selbst Singer ist sich in dieser Frage sehr unsicher. Auch eine weitsichtige Analyse von Parfit zu diesem Problem hat für Singer keine neuen Erkenntnisse gebracht, denn Parfit ist »über die von ihm aufgeworfene Frage selbst so verwirrt, daß er lediglich zu dem Schluß kommt, die Suche nach der »Theorie X – (…) müsse weitergehen.« [220]
• 4.2.4 Singer-Euthanansie = Nazi – »Euthanasie« ?
• 4.2.4.1 Die »Soziale Frage«
Darf die gesellschaftliche Perspektive eine Rolle spielen bei der Entscheidung um Leben und Tod? Singer und Kuhse sprechen diesen Punkt in »Muß dieses Kind am Leben bleiben?« an, was für viele Menschen der letzte eindeutige Nachweis für faschistisches Gedankengut gewesen ist. So schreibt z. B. Menninger in der »ÖkolinX«: »Singer geht so weit, vorzurechnen, wieviel die Behandlung bestimmter schwerbehinderter Kinder kostet – wie in der NS-Propaganda!« [221]
In »Muß dieses Kind am Leben bleiben?« gehen Singer und Kuhse die verschieden Interessensträger durch, wobei vor allem das Interesse des Kindes und das Interesse der Familie berücksichtigt werden, aber auch die Interessen der Gesellschaft.
Es klingt uns sofort in den Ohren: »Nutzlosen Fressern das Maul stopfen«, solche Argumente darf es in Deutschland nie mehr geben.
Ich denke, es ist in Deutschland sinnlos zu argumentieren, dass Singer und Kuhse nach ihrer präferenz-utilitaristischen Sicht ganz konsequent die Gesellschaft miteinbeziehen und dies im Kontext einer allgemein gerechten Mittelvergabe durch den Staat untersuchen.
Es ist wohl auch sinnlos zu argumentieren, dass Singer und Kuhse diesen Punkt einfach rational berücksichtigen wollen und nicht zu einem populären Wegsehen von dieser Frage neigen. Es mag trotzdem in Deutschland besser sein, die Interessen der Gesellschaft völlig außen vor zu lassen. Es ist natürlich klar, dass die finanziellen Mittel wirklich begrenzt sind und die gesellschaftlichen Interessen auch im medizinischen Sektor immer mitspielen werden. Trotzdem sollte dieser Aspekt meiner Meinung nach in Deutschland eine möglichst geringe Rolle spielen. Es ist bezeichnend für die »Singer-Debatte«, dass die Argumente zu den Interessen der Gesellschaft total in den Vordergrund gerückt worden sind, obwohl Kuhse und Singer diesen Punkt eindeutig hinter die Interessen der Familie und des Kindes zurückstellt.
Es ist einfach nicht wahr, dass es Kuhse und Singer darum geht, behinderten Menschen die finanziellen Mittel zu streichen, weil sie angeblich nichts leisten. Ich muss aber auch selbst zugeben, dass mir die finanzielle Frage selbst sehr unangenehm ist und möchte diesen Aspekt mit einem Satz von Singer und Kuhse beschließen: »Wir sind ganz im Gegenteil der Meinung, daß eine Gesellschaft, die beschließt, schwerstbehinderte Kinder am Leben zu halten, die Pflicht hat, ihnen alle Möglichkeiten für ein lebenswertes und reiches Leben zu bieten. Wir bezweifeln allerdings, daß es weise ist, uns vorschreiben zu lassen, wie viele geschädigte Kinder überleben sollen – und zwar nicht davon vorschreiben lassen, wie wir den Nutzen für die Kinder und ihre Familien bewerten, oder davon, wie weit unsere Gesellschaft überhaupt in der Lage ist, für diese Kinder zu sorgen, sondern einfach vom »technologischen Imperativ unserer immer aufwendigeren medizinischen Möglichkeiten, schwerstgeschädigte Neugeborene zu »retten.«« [222]
• 4.2.4.2 Die argumentative Ähnlichkeit
Neben dem Aspekt der gesellschaftlichen Interessen wird auch die gelegentliche textliche Ähnlichkeit der »Praktischen Ethik« zur Nazi-Euthanasie immer wieder scharf kritisiert. Die textlichen Vergleiche gibt es wirklich. Ein Beispiel:
»Wo der Wille Gottes wirklich gilt und durchgeführt wird, nämlich in der freien Natur, gibt es kein Erbarmen für das Schwache und Kranke … Das 5. Gebot: Du sollst nicht töten, ist gar kein Gebot Gottes, sondern eine jüdische Erfindung,« [223] schreibt Mininisterialrat Stähle 1941. Hierzu ein Satz von Singer:
»Der Einfluß der jüdisch-christlichen Auffassung von der Gott-ähnlichen Natur des Menschen wird nirgendwo deutlicher als in der westlichen Doktrin der Unantastbarkeit menschlichen Lebens: einer Doktrin, die selbst das Leben des hoffnungslosesten und unheilbar hirngeschädigten menschlichen Wesens über das Leben eines Schimpansen stellt.« [224]
Die Ähnlichkeiten in der Argumentation lassen sich besonders im Buch »Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens« von Binding und Hoche von 1920 erkennen, welches den Boden für die Tötung behinderter Menschen im Dritten Reich geebnet hat. Gerade wegen dieser Affinität in der Argumentation wird Singer in die Nähe des Faschismus gerückt.
Ein beträchtlicher Teil der ganzen »Singer-Debatte« läuft fast ausnahmslos über die Strategie ab, Zitate von Singer und Binding / Hoche gegeneinanderzustellen. [225]
Diese Strategie erweist sich in zweifacher Hinsicht als vorteilhaft:
– Durch das Herausstellen einer möglichen Ähnlichkeit in der Argumentation zwischen Singer und Binding / Hoche wird Singer so diskreditiert, dass man sich inhaltlich nicht an eine Auseinandersetzung zu wagen braucht.
– Wer es trotzdem wagt, sich nicht dem Diskussionsverbot anzuschließen, muss zwangsläufig ein willenloser Anhänger Singers sein, wahrscheinlich ebenfalls ein Faschist.
Um Singer als eine Art Nazi zu sehen, bedarf es meiner Meinung nach eines sehr oberflächlichen, instrumentalisierenden Verständnisses des Nationalsozialismus. Da der Begriff des Faschismus trotzdem häufig fällt, erstaunlicherweise auch von deutschen Politikern quer durch die Reihen, möchte ich zumindest noch eine Bemerkung vom jüdischen Moralphilosophen Hans Jonas (keineswegs ein Befürworter von Singers Thesen) zur »Singer-Debatte« anfügen:
»Ich war etwas erschrocken, als ich durch »Die Zeit« von der Art erfuhr, wie hier die Debatte geführt wurde. In der angelsächsischen Welt, in der ich nun seit Jahrzehnten lebe, kennt man diese Form der Diskussion nicht, die vergiftet ist von Unterstellungen und Beschimpfungen, von Verdächtigungen der Motive des anderen – bis hin zum Anwurf des Faschismus. Und wer so diskutierte, käme sehr schlecht dabei weg.(…) ihm (Singer; der Ver.) etwas unterzuschieben, was er nie gesagt und was auch gar nicht zu seiner Einstellung paßt, das sind unsaubere und häßliche Diskussionssitten, die mich, wie gesagt, bestürzt haben und mir zeigten, woran Deutschland immer noch zu tragen hat. Auch dies ist noch der Preis, der für die Verbrechen, die geschehen sind, und für das Ungeheuerliche der Hitlerzeit gezahlt wird.« [226]
• 4.2.4.3 Eine Gegenthese
In der zweiten Hälfte dieses Ausschnitts geht Jonas interessanterweise auf einen völlig anderen Aspekt ein, und zwar auf den Hang zur Ideologisierung und Intoleranz der Deutschen in der »Singer-Debatte«. Tugendhat unterstützt diese Auffassung: »Mir scheint, der Grund dafür, daß die Deutschen und nur die Deutschen dafür sorgen, beziehungsweise es zulassen, daß die offene Diskussion zu dieser dringlichen Frage verhindert wird, verweist in der Tat auf die Nazi-Vergangenheit, aber er liegt tiefer. Auffallend ist doch das Ausmaß an Irrationalität und Intoleranz, die Verdrehungen und die Unfähigkeit zu differenzieren auf der Seite der Diskussionsgegner. Ich vermute, daß es die unaufgearbeiteten, immer noch verdrängten Schuldgefühle sind, die hierzulande eine so starke Tendenz erzeugt haben, traditionelle und bislang unreflektierte ethische Überzeugungen zu tabuisieren und eine tolerante Diskussion, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich sein sollte, zu verhindern.« [227]
Wie weit eine solche Intoleranz gehen kann, zeigen die Geschehnisse im Sommer 1989 an der Universität in Dortmund. C. Anstötz hatte Singer zu einem Gastvortrag eingeladen. Dieser musste aber aufgrund massiven Protests aus allen möglichen Teilen innerhalb und außerhalb der Universität abgesagt werden. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Sieben Dienstaufsichtsbeschwerden [228] (!) erhielt das »Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen.«, in denen die Abberufung von Prof. Anstötz verlangt worden ist, falls dieser sich nicht umgehend und umfassend in allen Bereichen von Singers Position distanziert. Begründet worden ist diese Forderung hauptsächlich mit Verdrehungen und Unterstellungen, worauf Prof. Anstötz seinerseits das Ministerium um Rat gebeten hat, ob nicht rechtliche Schritte gegen die Verfasser der Beschwerden eingeleitet werden sollten. Diese sind jedoch ausgeblieben, denn » (…) offensichtlich lassen sich Schuldgefühle in der Gesellschaft gegenüber Behinderten zur Durchführung strafwürdiger Handlungen mißbrauchen.« [229]
Es ist wirklich eine Ironie, dass die Singer-Gegner vielleicht selbst den »Virus« in sich tragen, den sie mit aller Gewalt auszumerzen versuchen. So fürchterlich die sog. »Euthanasie« (in Wirklichkeit ist es hier allein um die eugenische Reinheit des »Volkes« und nicht um das Wohlergehen einzelner Menschen gegangen) im Nationalsozialismus auch gewesen ist, es wäre vielleicht nie so weit gekommen, wenn die öffentliche Diskussion nicht durch die Einschüchterung der SA in den letzten Jahren des Weimar-Deutschland erstorben wäre.
• 4.2.5 Euthanasie – Eine »schiefe Bahn«?
• 4.2.5.1 Mögliche Auswirkungen auf die Menschen allgemein
Ebenfalls stark kritisiert wird Singers Kategorie der »Nichtfreiwillige Euthanasie«, weil er »Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder hohes Alter die Fähigkeit auf Dauer verloren haben, das Entscheidungsproblem zu verstehen (…)« [230] mitaufnahm. Bastian formuliert folgenden Einwand: »Es gilt zu bedenken – gerade auch nach utilitaristischer Strategie! – daß die möglichen Auswirkungen einer gesellschaftlichen Praxis, wie sie das Töten von Behinderten, Alten und Geisteskranken darstellt, im vorhinein gründlichst abzuwägen sind – und zwar selbstverständlich im Sinne eines »worst-case«-Szenarios. Wird der ohnehin nur juridisch gesicherte generelle Schutz des Lebens einmal aufgegeben, kann dies zum Beispiel zu tiefer Angst und Verunsicherung führen, die von den möglichen Konsequenzen (noch) gar nicht betroffen sind.« [231]
Weit weniger bekannt ist, dass Singer gerade diesen Einwand sehr ernst genommen hat und diesen auch selbst formuliert: »Diesem Einwand könnte man mit einem Verfahren begegnen, das diejenigen, die die nichtfreiwillige Euthanasie unter keinen Umständen wünschen, ermöglicht, ihre Weigerung schriftlich festzulegen. (…) Vielleicht würde es aber immer noch keine ausreichende Beruhigung schaffen. In letzterem Falle ließe sich die nichtfreiwillige Euthanasie nur für diejenigen rechtfertigen, die niemals fähig waren, zwischen Leben und Tod zu entscheiden.« [232]
• 4.2.5.2 Mögliche Auswirkungen auf die Eltern
Singer betont oft, dass er die Interessen und Präferenzen der Eltern stärker berücksichtigen will. Dies wird aber wohl nur einer Gruppe zuteil, denn »unter Druck geraten werden auch diejenigen Eltern Behinderter, denen Tötungsphantasien fern liegen.(…) Entscheiden sie sich jedoch für ihr Kind, dann ist dies nicht mehr unbedingt bewunderungswürdig, sondern möglicherweise Dummheit oder Ängstlichkeit. Selbstverschuldetes Leid verdient jedoch in unserer Gesellschaft keine Anerkennung. (…) Verachtet werden von den neuen Liberalen und Toleranten diejenigen Eltern, welche sich einer munteren Diskussion über die Tötung ihrer Kinder verweigern.« [233]
Christophs Sicht wird durch Stimmen von Eltern behinderter Kinder unterstützt: »Wenn seine Thesen sich in den Köpfen der Mitmenschen als im Grunde selbstverständlich festsetzen, dann werden wir Eltern auf immer mehr Unverständnis stoßen, wenn wir uns für menschenwürdige Lebensbedingungen auch von Schwerstbehinderten einsetzen.« [234]
Gerade dies ist natürlich nicht im Singerschen Sinne. Es wird deutlich, dass sich Singer mehr um die möglichen Gefahren der freien Entscheidung durch der Eltern hätte kümmern müssen. Gerade diese Nachlässigkeit wird von Hoerster kritisiert.
Hoerster überprüft bei der Frage nach der Setzung des Zeitpunkts des Lebensrechts vor allem ihre Tauglichkeit in der Realität:
»Wegen der überragenden Wichtigkeit des Lebensrechtes muß die Grenze für den Beginn dieses Lebensrechtes in Rechtsordnung und Sozialmoral so gezogen werden, daß in der Praxis des täglichen Lebens für jeden eventuellen Träger des Überlebensinteresses – also für jeden Menschen, der das Alter von drei Monaten vollendet hat – ein optimaler Schutz dieses Überlebensinteresses gewährleistet ist.« [235]
Singer plädiert zusammen mit Helga Kuhse in »Muß dieses Kind am Leben bleiben?« für die Einmonatsfrist: »Wir halten 28 Tage für ausreichend, um die meisten schweren Defekte sicher zu diagnostizieren.« [236]
Hoerster fragt sich allerdings, »ob die Einmonatsfrist dem Erfordernis eines wirksamen Lebensschutzes jener Individuen, die bereits ein Überlebensinteresse besitzen können, tatsächlich in hinreichendem Maß gerecht wird.« [237] Seine Bedenken gegenüber dieser Grenze im Gegensatz zur Geburtsgrenze lassen sich wie folgt zusammenfassen:[238]
· Singer geht davon aus, dass die allermeisten Säuglinge nicht gefährdet werden, da es im Interesse der Eltern oder wenigstens der Adoptiveltern liegt, dass das Kind am Leben bleibt. Dieses Argument könnte sich in der Zukunft als nicht mehr stichhaltig erweisen. Was ist, wenn beispielsweise Fähigkeiten und Begabungen auf wissenschaftliche Weise ermittelt werden können, und sich Eltern und auch vermeintliche Adoptiveltern nur noch für die »Elite« interessieren? Somit wären Neugeborene generell der Willkür der Eltern ausgesetzt.
· Auch das Argument der Adoptiveltern an sich ist wackelig. Was geschieht in Situationen, in denen sich Eltern verweigern, ihr Kind an andere abzugeben und lieber eine Tötung des Säuglings wünschen. Zwischen Abtreibung und Kindstötung besteht ja an sich nach Singer kein Unterschied mehr, und so könnten manche Eltern eher zu dieser Entscheidung neigen.
Diese Argumente allein sind recht stark. Ein Anhänger Singers könnte aber immer noch einwenden, dass in diesem Zeitraum so oder so kein Unrecht geschieht, egal wie viele Kinder getötet werden, weil schließlich bei sämtlichen Neugeborenen noch kein Lebensrecht besteht.
Doch auch hier liefert Hoerster plausible Gegenargumente [239]:
· In der zentralen Frage um Leben und Tod bestehen erhebliche Zweifel, ob der »Durchschnittsbürger« ohne die klare, äußerlich augenfällige Grenze der Geburt mit der Situation zurechtkommt. Es könnte ein Damm brechen, der in diesem Falle fatale Folgen nach sich ziehen könnte. Da das Lebensinteresse des Kindes nur stufenweise heranwächst, wäre eine Kindstötung generell nicht mehr mit der Tötung eines erwachsenen Menschen auf eine Stufe gestellt, sondern würde sich in gleitendem Maße annähern. So könnte auch die Tötung von zwei- oder dreijährigen Kindern ihr Tabu verlieren.
· Bei einem gleitenden Heranwachsen des Lebensinteresses beim Kind könnte im frühen Stadium der Präferenz-Utilitarismus noch vertreten werden, so dass es unter präferenz-utilitaristischen Gesichtspunkten möglich wäre, einem von einer Krankheit oder Behinderung heimgesuchten einjährigen Kind das Lebensrecht wieder abzusprechen.
Singer selbst drückt sich zu der Frage, ob das Lebensrecht von Neugeborenen an sich in Frage gestellt werden soll, sehr undeutlich aus. So schlägt er zuerst vor, bei den alltäglichen Entscheidungen einen Säugling so zu behandeln, als hätte er von Geburt an ein Lebensrecht. Seine weitere Ausführung ist etwas unklar: »Im nächsten Kapitel werden wir jedoch eine weitere Möglichkeit erwägen: daß zumindest unter ganz bestimmten Umständen das volle gesetzlich verankerte Recht auf Leben nicht mit der Geburt in Kraft tritt (…).« [240]
Dieses »zumindest« verwirrt und lässt zwei Möglichkeiten offen:
· Bedeutet »zumindest« nur in ganz bestimmten Fällen? Dann hätten wir es hier mit einer Diskriminierung behinderter Menschen zu tun.
· Vielleicht bedeutet »zumindest« aber auch, dass er hier die Entscheidung offenlässt.
Wie gesagt, Singer unterschätzt meines Erachtens sowieso die möglichen Auswirkungen auf die Eltern und geht nur in bestimmten Fällen von der Möglichkeit des Infantizids aus. Konsequent ist dies aber nur, wenn er auch die Tötung von anderen Säuglingen zulassen würde, wenn es die Eltern aus irgendwelchen Gründen wünschen würden. Dies bezweifle ich aber.
• 4.2.5.3 Ein Vergleich zur Tierethik
Aufschlussreich ist hier der Vergleich mit der Behandlung der Tiere. Bei einer Person-Nichtperson-Aufteilung würde es hier natürlich auch zu einer »Zweiteilung« kommen. Ein Lebensrecht müsste (nach der Berücksichtigung von Erkenntnissen, welche der Tierrechtsidee zumindest unvoreingenommen gegenüberstehen) zumindest den »Großen Menschenaffen« anerkannt werden, aber auch Wale und Delphine zeigen bemerkenswerte Fähigkeiten, welche auf ein Selbstbewusstsein schließen lassen.
Schwammiger wird es im Bereich Hunde und Katzen. Viele Haustierhalter würden wohl zustimmen, dass ihr Tier eine Persönlichkeit besitzt, wissenschaftlich steht dies aber noch auf unsicheren Beinen.
Prekär wird die Lage jedenfalls für solche Leute, die ihren Hund als eine Persönlichkeit, jedoch Säugetiere, wie z. B. Schweine, lieber auf dem Essteller sehen, denn »Schweine sind hochintelligente Lebewesen, und würden wir Schweine als Haustiere halten und Hunde zu Nahrungszwecken mästen, so würde sich die Reihenfolge unserer Vorliebe vermutlich umkehren.« [241]
Wie gesagt, dies ist ein unsicheres Gebiet, aber solange es Zweifel gibt, sollte die Grenze auf jeden Fall auf der sicheren Seite gezogen werden. Aus diesen Gründen muss » (…) die Tötung nichtmenschlicher Tiere zu einem großen Teil verurteilt werden.« [242]
Das Argument der »schiefen Bahn« braucht also für diese Tiere nicht untersucht zu werden. Die Anerkennung eines Personenstatus schließt das Tötungsverbot automatisch ein.
Wie sieht es nun aber mit nichtmenschlichen Nichtpersonen aus? Ein direktes Lebensrecht lässt sich für diese Tiere nicht begründen, und so wäre es unter gewissen Umständen vertretbar, sie zu töten. Als Anhänger der »Totalansicht« könnte man sogar die These vertreten, dass es sinnvoll sei, diese Tiere zu Nahrungszwecken zu züchten. So bemerkt z. B. Stephen: »Von allen Argumenten für den Vegetarismus ist keines so schwach wie das Argument der Humanität. Das Schwein hat ein stärkeres Interesse an der Nachfrage nach Speck als irgend jemand sonst. Wären alle Juden, gäbe es überhaupt keine Schweine.« [243]
Man mag hier noch begründete Zweifel an dem abgesprochenen Selbstbewusstsein von Schweinen haben, bei Fischen und wahrscheinlich Hühnern sieht die Sache aber schon weniger zuversichtlich aus.
Trotzdem lassen sich hier starke Argumente gegen die Nutzung von allen Tieren speziell zur Ernährung anbringen, welche der »schiefe-Bahn«-Argumentation bei der Euthanasie-Debatte in gewisser Weise ähneln.
Singer lehnt die Tötung von bewussten Tieren zu Nahrungszwecken ab, um eine andere Einstellung zu Tieren insgesamt zu fördern: »Töten wir Tiere zu Nahrungszwecken, so betrachten wir sie als Objekte, mit denen wir tun können, was wir wollen. (…) Wie können wir denn jemanden zur Achtung vor Tieren und gleichen Abwägung ihrer Interessen ermutigen, wenn er sie weiter aus bloßem Vergnügen verzehrt?« [244]
Für Kaplan sprechen neben dieser »Parteilichkeit des Konsumenten« weiterhin technische und psychologische Apekte gegen eine »leidensfreie« Aufzucht von Tieren [245]:
Der technische Aspekt
Auch die »biologische« Tierzucht ist kommerziell geprägt, in der die Tiere der Mittel zum Zweck sind. Außerdem bezieht sich die natürliche Aufzucht nur auf die Haltung, nicht auf die Schlachtung.
Der psychologische Aspekt
Die Motivation des Personals ist psychologisch schwer aufrechtzuerhalten. Warum sollte man sich so gut wie möglich für ein glückliches Leben eines Tieres einsetzen, wenn es doch nur getötet werden soll?
Irritierenderweise argumentiert Kaplan weiter: »Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, die prinzipiell nicht weniger absurd und grotesk ist, als wenn man die eigenen Kinder nach liebevoller und aufopfernder Erziehung und Pflege umbringen würde.« [246]
Genau dieses Argument lässt sich eben bei bewussten Lebewesen nicht anbringen, es sei denn, Kaplan würde die Meinung vertreten, dass auch Personen kein Recht auf Leben haben. Wenn aber Personen ein Lebensrecht besitzen und Kaplan diese nicht von bewussten Lebewesen unterscheidet, ist die ganze Diskussion um leidensfreie Aufzucht aufgrund fehlender Notwendigkeit völlig sinnlos! Diese unsaubere Argumentationskette hinterlässt bei Kaplans Ausführungen Fragezeichen.
Ich denke, dass die Möglichkeit einer »schiefen Bahn« überhaupt nicht näher erläutert werden muss in diesem Zusammenhang. Dies liegt einfach daran, dass das Argument hier nicht als drohende Gefahr benutzt werden kann. Es ist nämlich keine Gefahr, es ist Realität:
Nur die wenigsten Menschen sprechen sich für Tierquälereien aus. Im Gegenteil, Berichte von Quälereien an einzelnen Tieren rufen oftmals große Empörung in der Bevölkerung hervor. Auf dem Gebiet der Ernährung durch die Tierzucht lässt sich der allgemeine Tenor folgendermaßen zusammenfassen: »Töten ja, Quälen nein«. Der Konsum von Tierprodukten wird mit der prinzipiellen Möglichkeit der leidensfreien Aufzucht verteidigt, die Realität hat sich dem Geldbeutel des Konsumenten aber längst angepasst: So ist es möglich, in Deutschland ein beliebiges Ei oder eine Hühnersuppe zu essen, ohne sich gegen den Vorwurf der Tierquälerei verteidigen zu müssen. Es ist ja prinzipiell möglich, dass das Ei von einem glücklichen Huhn kommt, dass irgendwo auf einem Bauernhof sein gemütliches Dasein fristet. Trotzdem leiden in Europa und speziell auch in Deutschland über 90 % aller Hühner in sog. Legebatterien. [247]
Kann es ein besseres Argument gegen eine Tötung von bewussten Lebewesen geben als das »schiefe-Bahn« Argument? Ich denke nicht. Solange die Tötung kein Tabu ist, wird sich auch die wirkliche Sorge um das Leid kaum merklich verbessern. Zustände wie in den Legebatterien konnten nur dadurch entstehen, dass es allgemein anerkannt ist, Tiere für triviale Zwecke zu töten.
Es ist überhaupt nicht abwegig oder verwerflich, diese Tatsache auch in der Diskussion um die Tötung von menschlichen Nichtpersonen zu erwähnen. Sobald einem Säugling kein Lebensrecht zugestanden wird, können seine (zur Person mindestens gleichwertigen) unbestreitbaren Interessen wie Leidensfähigkeit, Wunsch nach Wärme und Wohlbehagen eine psychologische Abwertung in den Köpfen der Gesellschaft erfahren.
• 4.2.6 »Abtreibung ja – Eugenik nein?«
Ist es möglich, Abtreibungsbefürworter zu sein, gleichzeitig aber eine eugenisch indizierte Abtreibung zu verbieten? Dieses Dilemma stellt offensichtlich ein Problem der Singer-Gegner dar, welches schwer zu lösen scheint.
Als abschreckendendes Beispiel, dieses Dilemma einfach zu umgehen und sich so vor einer Meinung zu drücken, dient der Kommentar von Oliver Tolmein. Als militanter Euthanasiegegner verteidigt er die Notwendigkeit, Seminare zu sprengen, in der beispielsweise die »Praktische Ethik« Grundlage ist. [248] Die Eugenik ist ihm aber doch zu heiß, obwohl es hier natürlich im Endeffekt um das gleiche geht: »Die Bedeutung der »Mittäterschaft« von Frauen und was das für den feministischen Selbstbestimmungsbegriff bedeutet zu diskutieren, sprengte den Rahmen und das Thema dieses Buches bei weitem.« [249]
Bedeutend klarer drückt sich hier schon eine »Gemischte Gruppe gegen Gen – und Reproduktionstechnologie Rhein/Main« aus: »Der Selbstbestimmungsbegriff (ehemals ein Kampfbegriff der Frauen gegen die Fremdbestimmung durch den § 218) ist so, wie er neuerdings gebraucht wird, Augenwischerei. Die Grenzen, innerhalb derer Selbstbestimmung geübt werden darf, sind längst gesetzt. Sicher: Ob eine Frau ein Kind will oder nicht, ist ganz allein ihre Sache. Was für ein Kind sie austragen will – eine andere Frage. Was für ein Kind zur Welt kommt, was wert oder unwert ist, ausgetragen zu werden, leben zu dürfen – diese Entscheidung ist Anmaßung. Das entscheidet niemand.« [250]
Keinen Zweifel lässt Christoph aufkommen und somit ist er zumindest konsequent, denn »Abtreibungsentscheidungen sind immer Entscheidungen über Lebenswertigkeiten.« [251]
»Bei näherer Betrachtung wird jedoch wohl niemand bestreiten, daß der Fötus für seine Entstehung und die damit verbundene Misere nicht verantwortlich, mithin unschuldig ist. Hier erhebt sich die Frage, ob es eine Notwehrhandlung gegen Unschuldige überhaupt geben kann. (…) Frauen erklären den Fötus zum Leben, wenn sie ihn austragen wollen. Frauen erklären den Fötus zum Nicht-Leben, wenn sie ihn nicht austragen wollen. Beides soll, geht es nach Teilen der Frauenbewegung, akzeptiert werden. Es kann nicht angehen, daß dasselbe Leben je nach Situation unterschiedlich be- und damit entwertet wird.« [252]
Diese Aussage ist jedoch eine Ausnahme. Der Durchschnitt der Stellungnahmen von eher »linksgerichteten« Menschen könnte folgendermaßen zusammengefasst werden: Eine Frau hat ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, allerdings nicht auf einen solchen, der auf eine Information über die Lebensaussichten des Fötus beruht.
Ist diese Aussage haltbar? Ist es möglich, für ein freies Selbstbestimmungsrecht der Frau zu sein, gleichzeitig aber eine »eugenische« Abtreibung zu verbieten?
Die Antwort hierauf ist relativ einfach: Wer für ein strafloses, freies Recht auf Abtreibung ist, gibt automatisch auch die Gründe für eine Abtreibung frei: »Daß einige Motive zur Abtreibung moralisch ehrenwerter sind als andere, ändert daran nichts.« [253] Im Gegenteil dazu schafft ein spezielles Verbot eine neue Diskriminierung: »Danach dürfte dann zwar nicht jeder Fötus, wohl aber der gesunde Fötus abgetrieben werden. Diese Indikation wäre natürlich das genaue Gegenteil der eugenischen Indikation.« [254]
Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Es fällt auf, dass gerade in Deutschland die liberalen Argumente für die Freigabe der Abtreibung fast ausschließlich politisch und feministisch begründet werden.
Eine Diskussion über den ethischen Status des Fötus scheint überhaupt nicht nötig und auch nicht erwünscht zu sein. Die »eugenische Indikation« gilt vielmehr als »Kuckucksei«, welches den Befürwortern einer Liberalisierung des § 218 eingeschmuggelt worden ist. [255] Leist stellt hierzu fest, dass die Zahl derjenigen Liberalen zunimmt, »die zwar ein politisches Recht auf Abtreibung verteidigen, moralisch aber Abtreibung ablehnen.« [256]
Mit dieser Meinung lässt sich zumindest die Forderung »Abtreibung ja, aber nicht eugenisch«, nachvollziehen. Dem Fötus wird zwar ein Lebensrecht zugesprochen, die Frau muss aber auf jeden Fall selbst entscheiden, ob sie ein Kind will. Sehr glaubwürdig ist diese Position natürlich nicht. Wenn eine Frau das freie Recht auf Abtreibung zugeschrieben wird, müsste sie dieses Recht auch dann nicht begründen, wenn sie ein behindertes Kind abtreibt. Trotzdem bleibt natürlich die Frage offen, welchen Anspruch Eltern an eine Vorsorgeuntersuchung haben dürfen. Diese aber aus Gründen der Solidarität gegenüber Behinderten zu verbieten, halte ich für nicht gerade sinnvoll. Es sollte wohl hier den Eltern überlassen werden, welche Untersuchungen sie wünschen.
Anders sieht es natürlich aus, wenn die Abtreibung nicht völlig freigestellt ist. Besonders eine »eugenische Indikation«, die über die Fristenregelung zeitlich hinausgeht, ist eine klare Diskriminierung behinderter Menschen. Der Staat schützt in diesem Falle nämlich nur gesunde Föten von einem gewissen Zeitpunkt an. Ab hier wird diesen faktisch das Lebensrecht zugesprochen. Es ist nicht vertretbar, bei behinderten Föten einen anderen Zeitpunkt festzulegen.
4.3 Verletzung der Gefühle behinderter Menschen
Welches Gewicht soll der Berücksichtigung von Gefühlen behinderter Menschen bei der Debatte zugemessen werden? Sollte die ganze Debatte um Euthanasie in Grenzfällen eingestellt werden?
Bevor ich eine Unterscheidung zwischen einer Selektion vor und nach der Geburt eingehe, möchte ich kurz allgemein auf mögliche Bedenken eingehen.
Ein erster Einwand könnte so formuliert werden, dass eine Selektion zur Intoleranz gegenüber lebenden Behinderten führt. Dass diese Möglichkeit besteht, soll hier nicht verleugnet werden. Diese Gefahr wird natürlich gefördert, wenn zwischen Leben ohne Lebensrecht und Leben, das unter das Tötungsverbot fällt, nicht unterschieden wird.
Es ist deswegen notwendig, möglichst häufig auf diesen grundlegenden Unterschied hinzuweisen: Es besteht absolut kein Widerspruch darin, ein gesundes Kind einem behinderten Kind vorzuziehen, gleichzeitig aber, sobald ein behindertes Kind (wie auch jedes andere) unter das Tötungsverbot fällt, alles zu tun, dieses Leben so sinnvoll und lebenswert wie möglich zu gestalten.
Wenn behinderte Menschen argumentieren, dass ihnen schon mit der Diskussion um pränatale Diagnostik das Lebensrecht abgesprochen wird, tragen sie selbst zu einer Vernebelung dieses extrem wichtigen Unterschieds bei.
Auch der Einwand: » (…) nach Singers Kriterien wäre ich ganz klar betroffen, jedenfalls dann, wenn ich in eine Familie hineingeboren würde, die mich nicht aufnehmen wollte (…)« [257] schließt einen Denkfehler mit ein. Zum einen wird hier wieder die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem jetzigen Leben, welches unter das Tötungsverbot fällt, und einem Leben ohne Lebensrecht verschleiert, zum anderen würde die entsprechende Person überhaupt nicht existieren »(…) und deshalb nicht darunter leiden, daß sie nicht existiert.« [258]
Von einer nachträglichen Existenzbedrohung kann also gar nicht die Rede sein. Das Argument kann aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt geäußert werden, nämlich in der Art, dass eine Selektion die Gefühle von behinderten Menschen in unvertretbarer Weise verletzt.
Zur Untersuchung dieses Gesichtspunktes ist für mich eine Unterscheidung zwischen pränataler Diagnostik und Infantizid notwendig.
• 4.3.1 … durch eugenisch indizierte Abtreibung
Beginnen wir mit der pränatalen Diagnostik. Würde sie dazu führen, einen behinderten Menschen als »Gnade der frühen Geburt« anzusehen, der gerade noch »durchgekommen« ist? Würde sie Eltern, die sich durchaus vorstellen können, ein behindertes Kind zu haben, in eine ständige Verteidigungs- und Rechtfertigungsposition bringen? Würden die Gefühle der behinderten Menschen in nicht zu verantwortender Weise verletzt werden?
All diese Punkte könnten zutreffen. Ich denke, hier ist der Punkt ganz entscheidend, welche gesetzliche Regelung zur Abtreibung vorherrschen wird.
Abtreibung grundsätzlich erlaubt
Wer für eine völlige Freigabe der Abtreibung ist, kann die pränatale Diagnostik nicht verbieten. Alles andere würde, wie ich weiter oben schon erwähnt habe, zur Diskriminierung nichtbehinderter Föten führen. Bei einer völligen Freigabe der Abtreibung, welche ethisch und nicht mit einem Notwehrrecht der Frau begründet ist, steht die pränatale Diagnostik auf einer ähnlichen moralischen Stufe wie die Frage, ob man vor einer Schwangerschaft das Risiko untersuchen lässt, ein behindertes Kind zu zeugen. [259]
Doch selbst wenn wir eine Abtreibung nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung von Thomson (z. B. das Geigerbeispiel) als erlaubt ansehen und dem Fötus das Lebensrecht eigentlich zusprechen, könnte eine selektive Abtreibung schlecht verboten werden. Man könnte zwar einwenden, dass wir es im Geigerbeispiel unmöglich finden, dass sich eine Frau nur dann entschließt, am Geiger angeschlossen zu bleiben, wenn es beispielsweise ein Mann mit schönen blauen Augen ist, dies würde aber nichts am Entscheidungsrecht der Frau ändern.
Trotzdem müssen in diesem Zusammenhang wichtige Punkte beachtet werden:
· Eine Propaganda von staatlicher Seite zur pränatalen Diagnosik sollte unterbleiben. Dies würde zum einen für behinderte Menschen diskriminierend wirken, zum anderen würde die Frau in eine Position gedrängt werden, welche sie vielleicht gar nicht unterstützt. [260]
· Es sollte immer berücksichtigt werden, um welche Form einer Schädigung es sich handelt, obwohl es natürlich häufig, wie z. b. bei Spina bifida, sehr unterschiedliche Grade der Schädigung gibt.
· Eltern, die sich gegen die pränatale Diagnostik entscheiden oder sich trotz »positiver« Indikation, welche keine Chance für eine Therapie im Mutterleib zulässt, für das Kind entscheiden, dürfen keinerlei Benachteiligung erfahren. Im Sinne des Gleichheitsprinzips ist eine besondere Berücksichtigung behinderter Menschen und ihrer Familien ohnehin geboten.
· Bei einer völligen Freigabe der Abtreibung muss in der Bevölkerung Bewusstsein darüber herrschen, dass sich die moralische Stellung des Fötus grundlegend von der moralischen Stellung eines Menschen mit einem Lebensrecht unterscheidet.
Fristenregelung
Eine Fristenregelung (z.B. bis Ende des 3. Monats) ist ähnlich zu sehen. Wichtig ist hier aber folgende Klarstellung: Wenn ab einer gewissen Zeit dem Fötus das Lebensrecht zugesprochen wird, muss das für alle Föten gelten. Eine verlängerte eugenische Indikation wäre eine Diskriminierung behinderter Menschen. Es kann nicht angehen, dass der Staat ab einem gewissen Zeitpunkt Föten unter seinen Schutz stellt, behinderte Föten dabei aber ausklammert. Behinderte Menschen könnten sich hier nicht nur gefühlsmäßig, sondern völlig zurecht diskriminiert fühlen. [261]
Abtreibung grundsätzlich verboten
Hier darf eine Abtreibung nur unter der medizinischen Indikation vorgenommen werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass ein völliges, vor allem religiös motiviertes Verbot der Abtreibung strenggenommen nicht mal diese Indikation erlauben dürfte. In der Realität verkehrt sich diese Meinung in manchen Fällen zur Farce.
So erregt sich Franz Christoph über die ehemalige Berliner Familiensenatorin Laurien, denn diese lehnt Abtreibung rigoros ab, möchte aber über niemanden den Stab brechen, der ein behindertes Kind abtreibt. [262]
Christoph fragt sich deshalb besorgt: »Wenn in der katholischen Ethik keine prinzipiellen Unterschiede zwischen werdendem und geborenem Leben existieren, wer bricht dann den Stab über diejenigen, die die »Fallbeil-Lösung« gegen bereits geborene Behinderte anwenden?« [263]
Wenn Vertreter der katholischen Kirche die Meinung vertreten, dass Abtreibung Mord ist, gleichzeitig aber eine eugenische Indikation für vertretbar halten, ist das in dieser Gleichung nichts anderes als eugenischer Mord. Es ist schade, dass Christoph solche Äußerungen als »fast so schlimm« und nicht als völlig unakzeptabel zurückweist.
Wenn Singer Menschen erst ab einem Zeitpunkt nach der Geburt ein Lebensrecht zuspricht, nach der Zusprechung aber eine Tötung gar nicht mehr zur Diskussion steht, verhält er sich in seiner Ethik weitaus konsistenter.
Hier stellt sich zwingend die Frage, wer denn hier behindertenfeindlich ist.
Eine pränatale Diagnostik kann es also nur bei einer völligen Freigabe und der Fristenregelung geben, wobei bei dieser natürlich die Frist für alle Föten gleich bleiben muss. Natürlich werden sich manche behinderte Menschen trotzdem verletzt fühlen, dies steht aber hinter dem freien Entscheidungsrecht der Frau zurück. Das mögliche Gefühl der Minderwertigkeit kann vielleicht unter dem Bewusstsein, dass es sich um keinerlei Verletzung eines Lebensrechts handelt, gemildert werden.
• 4.3.2 … durch die Erlaubnis des Infantizids
Beim Infantizid muss man die Sache völlig anders betrachten. Ich denke, Kindstötungen könnten wirklich eine reale Angst bei behinderten Menschen auslösen. Zwei Aspekte verändern sich grundlegend zur Abtreibung.
Zum einen wird es beim erlaubten Infantizid fast ausschließlich behinderte Kinder treffen. Weil bei einer freigestellten Abtreibung der gesunde und der behinderte Fötus zumindest ähnliche Chancen haben, auf die Welt zu kommen, wird sich dies beim Infantizid total ändern. Dem neugeborenen gesunden Säugling wird das Lebensrecht faktisch zugesprochen, dem behinderten Säugling nicht.
Zum anderen ist die Geburt, wenn auch kein moralischer, aber auf jeden Fall ein sichtbarer Unterschied. Kindstötungen nach der Geburt werden von der Bevölkerung viel bewusster wahrgenommen werden als Abtreibungen. Die Tötung von behinderten Säuglingen könnte zu einem normalen alltäglichen Vorgang werden.
Was dies für den Status des behinderten Menschen in der Gesellschaft bedeuten würde, ist nicht abzusehen. Die Gefühle behinderter Menschen müssen also meiner Ansicht nach beim Infantizid sehr viel stärker berücksichtigt werden als bei der pränatalen Diagnostik. Beim Infantizid wäre es sowieso schon angemessener, von den Interessen der behinderten Menschen zu sprechen, nicht nur von ihren Gefühlen.
• 4.3.3 … durch Verdrehungen der Position Singers
Trotzdem muss an dieser Stelle noch eine gern übersehene »Ängstequelle« genannt werden, bei der Singer kein Vorwurf gemacht werden kann.
Gemeint sind die vielfachen Verdrehungen, Unterstellungen und Fälschungen von Singers Sichtweise, welche einen nicht unerheblichen Teil der Empörung und Verunsicherung unter behinderten Menschen zu verantworten hat.
Dass dies nicht nur im Sinne der Meinungsfreiheit ein gefährliches Unterfangen ist, sondern dass hier, bewusst oder unbewusst mit den Ängsten von behinderten Menschen gespielt werden, sollen folgende Beispiele zeigen:
Eines der häufigsten Zitate während der »Singer-Debatte« 89/90 ist folgendes gewesen:
»Im Rahmen dieser Ethik ist es möglich und notwendig, lebenswertes und lebensunwertes Leben zu unterscheiden und das lebensunwerte zu vernichten.«
Prof. Dr. Feuser hat so Singer und Kuhse in einem »Offenen Brief« an die Universität Bremen zitiert. [264] Der Satz an sich hat einen hohen Diskreditierungswert, ähnelt er doch fast wörtlich der NS-Parole von der »Vernichtung lebensunwerten Lebens«.
In zahlreichen nachfolgenden Flugblättern und Artikeln ist dieses Zitat aufgetaucht. Manchmal ist es Singers »Praktische Ethik« zugeschrieben worden, manchmal Singer und Kuhse gemeinsam. Schließlich kommt Schmitter nach der Wiedergabe dieser Stelle zu der längst fälligen Erkenntnis: »Wer so schreibt und spricht, hat (…) sich (…) einer Sprache bedient, die sich ihrer unabdingbaren Qualität selbst enthoben hat, wo es um Subjekte geht: zu beschreiben, was in Menschen vorgeht und was sie zu Menschen macht.« [265] Da kann man eigentlich nur zustimmen. Vorausgesetzt natürlich, dass dieses Zitat wirklich von Kuhse und / oder Singer stammen würde.
»Leider« stammt dieses Zitat aber nicht von Singer und nicht von Kuhse, sondern ist eine Behauptung von Ludger Weß über die Ansichten von Singer und Kuhse, welche von Feuser einfach als Zitat von Singer und Kuhse übernommen worden ist. [266] Hierzu schreibt Hegselmann: »Überschlägt man die Anzahl der Menschen, denen es vorgesetzt wurde, so kommt man auf eine jedenfalls sechsstellige Zahl. Es dürfte die Meinung vieler nicht unerheblich geprägt haben. Die Chancen zu einer Richtigstellung im gesamten Verbreitungsbereich sind ausgesprochen gering. Ein Scheinzitat hat seine Wirkung getan.« [267]
Der »Dritte Bayerische Landesplan für Menschen mit Behinderung« reiht sich ebenfalls in die Reihe der Verdreher ein:
Im Vorwort schreibt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber: »Ich hoffe, daß der (…) Landesplan (…) vor allem auch Interesse und Anerkennung bei denen findet, an die er sich in erster Linie richtet: an die von Behinderung betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürger.« [268]
Unter dem Unterpunkt 3.11.1 »Behindertes Leben als »lebensunwertes Leben« und Euthanasie« wird Peter Singers Standpunkt folgendermaßen beschrieben:
»Er geht davon aus, daß schwerstbehindertes menschliches Leben – geboren oder ungeboren – bestimmte Wesensmerkmale nicht aufweist, die seiner Meinung nach Personensein ausmachen, das sind Bewußtsein von sich selbst, Rationalität, Kommunikations- und Leidensfähigkeit. Daraus folgt für ihn, daß solchermaßen eingeschränktes Leben keinen Wert haben kann, mit der Folge, daß es unter bioethischen Gesichtspunkten abgetrieben bzw. kurz nach der Geburt auch getötet werden kann, das bedeutet nichtfreiwillige Euthanasie.« [269]
Wie soll ich als interessierter behinderter oder nichtbehinderter Mitbürger diese Zusammenfassung von Peter Singers Standpunkt verstehen?
Bedeutet »geboren oder ungeboren«, dass hiermit alle schwerstbehinderten, egal welchen Alters gemeint sind?
Bedeutet sein Standpunkt, dass die Personenkriterien nur für behinderte Säuglinge gelten?
Bedeutet sein Standpunkt, dass »schwerstbehindertes menschliches Leben« nicht leidensfähig ist?
Bedeutet sein Standpunkt, dass schwerstbehinderte Menschen »keinen Wert« haben?
Bedeutet sein Standpunkt, dass schwerstbehinderte Menschen einfach getötet werden können?
All diese »Bedeutungen« ließen sich ohne weiteres bejahend aus dieser Zusammenfassung herauslesen. Als interessierter behinderter oder nichtbehinderter Mensch würde ich fassungslos vor diesen Aussagen stehen und Menschen, die sich auch noch mit dieser Person auseinandersetzen, mein völliges Unverständnis ausdrücken. Wer wird sich hier noch die Mühe machen wollen, diese Aussagen zu überprüfen, um festzustellen, dass keine dieser Bedeutungen Singers Standpunkt entsprechen, genauer gesagt, dass sie falsch sind, bei solch eindeutiger Beweislast.
Wie können solche Unterstellungen in einen Behindertenhilfeplan kommen? Wer hat hier welches Interesse? Und wer spielt hier mit wessen Ängsten?
Gerade in der »Singer-Debatte« hat sich eine seltsam anmutende Allianz aufgetan. Auf der einen Seite die fundamentalen »Lebensschützer«, welche auch die Abtreibung rigoros ablehnen. Auf der anderen Seite eher linke bis linksradikale Menschen, welche die Gleichheit der Menschen in Gefahr sehen.
Die Frage ist, inwieweit hier behinderte Menschen für die Zwecke anderer instrumentalisiert werden. Es wirft auf jeden Fall kein gutes Licht auf die sogenannten Solidaritäts-Gruppen, wenn Ängste von behinderten Menschen durch verfälschte Zitate und Interpretationen geschürt werden, gleichzeitig aber die Rolle des unerschrockenen, empörten Helfers gespielt wird.
• 4.3.4 … durch die »Mensch-Tier-Verquickung«
Hier könnte ein neuerlicher Einwand gemacht werden, den ich folgendermaßen in Worte fassen möchte:
»Dadurch, dass ich als Person ein Lebensrecht habe, brauche ich vor Singer keine Angst zu haben, denn sobald ich Angst vor solchen Positionen haben kann, bin ich notwendigerweise eine Person. Trotzdem ist es ein Unding, behinderte Menschen mit Tieren zu vergleichen. Was ist, wenn der Schuss nach hinten losgeht? Was ist, wenn die gutgemeinten Absichten dazu führen, dass für die Tiere nichts gewonnen, für behinderte Menschen aber viel verloren wird?«
Dieses Argument kritisiert die »Wenn … (schwerst behinderter Mensch) – dann … (Tier auf gleicher Bewusstseinsstufe)«-Argumentation von Singer, und hier bin ich selbst etwas ratlos. Eigentlich sollte die Argumentationskette klarer »weil wir … (schwerst behinderte Menschen) – deswegen auch (Tier) …« lauten. Nur unter diesem Aspekt stelle ich mir auch diese Frage. Trotzdem verunsichert mich hier die »Singer-Debatte« insofern, weil dieses »weil wir … – deswegen auch …« vielfach herumgedreht wurde in »weil wir die … (Tier) – dann können wir auch mit … (schwerst behinderter Mensch).«
Beiden Interpretationen werden aber der Position Singers nicht gerecht. Singer wehrt sich in dieser Problematik gegen eine Verabsolutierung: »Wenn ein Tier oder auch ein Dutzend Tiere Experimente erleiden müßten, um Tausende zu retten, dann würde ich es im Hinblick auf die gleiche Interessensabwägung für richtig halten, daß sie leiden. Dies ist jedenfalls die Antwort, die ein Utilitarist geben muß. Diejenigen, die an absolute Rechte glauben, mögen es grundsätzlich für falsch halten, ein Wesen, ob Tier oder Mensch, für das Wohl eines anderen zu opfern (siehe bspw. die Position von Regan; Anm. d. Verf.). In diesem Fall sollte das Experiment nicht durchgeführt werden, was auch immer die Konsequenzen sein mögen. Auf die hypothetische Frage, ob Tausende von Menschen durch einen einzigen Tierversuch zu retten seien, können Gegner des Speziesismus ihrerseits mit einer hypothetischen Frage antworten: Wären dieselben Forscher bereit, ihre Experimente an verwaisten Menschen mit schwerwiegenden, unheilbaren Hirnschäden durchzuführen, wenn das der einzige Weg wäre, Tausende zu retten? (Ich sage »verwaist«, um eine Komplikation durch die Gefühle der menschlichen Eltern auszuschließen.) Wenn die Forscher nicht bereit sind, verwaiste Menschen mit schwerwiegenden und unheilbaren Gehirnschäden zu verwenden, dann scheint ihre Bereitschaft, nichtmenschliche Lebewesen zu verwenden, eine Diskriminierung allein auf der Grundlage der Spezies zu bedeuten;« [270]
Der Unterschied zu Versuchen mit Personen liegt für Singer darin, dass sich Personen vor diesen Versuchen fürchten würden, wenn sie als potenzielle Versuchskandidaten ebenso in Frage kämen. [271] Es ließe sich hier noch einwenden, dass auch die Kategorie von Nicht-Personen, welche einmal Personen waren, zu dieser Kategorie gehören, denn jede Person könnte sonst eine zusätzliche Angst davor haben, beispielsweise durch einen Unfall zu einer Nichtperson zu werden.
Weshalb solche Thesen trotz aller Logik schockierend wirken und Angst machen, könnte an einem bisher wenig untersuchten Phänomen liegen: »In allen anderen ethisch relevanten Bereichen unseres Lebens haben wir meist keine Hemmung, uns als in hohem Maße egoistische und fehlbare Wesen zu verstehen; nur die Schuld oder Mitschuld am Leiden und Tod der Tiere wollen wir auch um den Preis der Selbsttäuschung von uns wegschieben: Wir wollen nicht als Entschuldigungsbedürftige dastehen, sondern als Gerechtfertigte!« [272]
Solange Tiere aus jedem möglichen trivialen Grund Leiden zugefügt wird, steht der so »dringend notwendige« Tierversuch überhaupt nicht zur Disposition. Eine Rechtfertigung scheint nicht nötig. Doch gerade beim Tierversuch lässt sich ebenfalls ein krasser Widerspruch im speziesistischen Denken finden: »Wie kommt ihr nur dazu, Menschen mit Tieren zu vergleichen« versus »Tierversuche sind nützlich, weil wir den Tieren ähnlich sind«.
4.4 Weitere Argumente
• 4.4.1 Personen und das Lebensrecht
»Es wird verkannt, daß derjenige, der solche Definitionen aufstellt, für sich selbst eine Ausnahme macht. Bei einer Definition (…) wird übersehen, daß der Definierende selber Mensch ist und sich selbst das zusätzliche Kriterium (zuspricht, Anm. d. Verf.), was er den definierten Menschen offensichtlich abspricht.« [273]
Dieses Argument klingt recht logisch, ist aber in sich schwach. Natürlich setzen Personen die Regeln fest, wer welches Recht hat und wer welches nicht und wie es aufgewogen wird. Wer sollte es sonst festsetzen in einer säkularen Ethik? Es ist genauso eine Festlegung von Personen, dass der Homo sapiens unschätzbaren Wert hat, andere Spezies aber einen recht geringen. Es ist sogar noch einiges einfacher, denn auf der sicheren Seite steht man so auf jeden Fall.Doch der Vorwurf der Personenhierarchie lässt sich auch subtiler formulieren: »An die Stelle von Schwarzen, Juden, Sklaven oder Ausländern treten die »Nichtpersonen.« Die Stelle des Ariers, des Weißen, des Aristokraten oder des Nationalisten nimmt die »Person« ein, eine Leerformel, der beliebige Inhalte zugedacht werden können.« [274]
Das Setzen einer neuen Hierarchie ist sicher ein Problem. Doch wer sind die Verlierer dieser Hierarchie? Nach der »Vorherige-Existenz«-Version sind es die Nichtpersonen sicher nicht, da sie nicht als ersetzbar betrachtet werden. Bei der Frage der Leidensberücksichtigung gibt es sogar nur differenzierte Unterschiede. Es ist also völlig aus der Luft gegriffen, in diesem Zusammenhang von Sklaven und Juden zu sprechen.
Die Unfähigkeit, wahrzunehmen, dass Nichtpersonen sehr wohl Interessen haben, die berücksichtigt werden müssen, kann nur aus einer Sicht entstehen, in der unter Hierarchie eine Feindschaft von Herrscher und Beherrschten vorausgesetzt wird.
Diese Hierarchie existiert ohne Zweifel in der jetzigen Tier-Mensch-Beziehung, sie muss aber keineswegs in der Person-Nichtperson-Beziehung herrschen.
Hier könnte eingewendet werden, dass keine Hierarchie zwischen Menschen mehr herrschen soll und die Tiere hierbei keine Rolle spielen. Somit stimmt das Argument wieder. Aber eben nur, indem die Interessen der Tiere ausgeblendet werden.
Wie perfekt sie ausgeblendet werden, soll in der nächsten These untersucht werden.
• 4.4.2 Tierliebe als Mittel zum Zweck?
Die vermeintliche Erkenntnis, dass es ein kluger Schachzug von Singer ist, sich als Tierfreund auszugeben um sich so einen humanitären Anstrich zu verleihen, taucht ebenfalls häufig auf: »Der Verfasser charakterisiert sich selbst in seinem Text (…) als Tierfreund und Gegner von Tierversuchen, (…). Dies führt zusätzlich dazu, daß der Text gegen Kritik immunisiert wird, und dient dem Zweck, den Eindruck der Glaubwürdigkeit und Lauterkeit der Argumentation zu erhöhen.« [275]
Falls dies wirklich der Fall wäre, würde dies bedeuten, dass Singer »Animal Liberation« nur geschrieben und das »Great Ape Project« nur mitbegründet hat, damit die Leute ihm in die Falle laufen. Dieser Einwand ist einfach bei genauerer Kenntnis von Singers Position nicht haltbar.
Wie wenig der Tierrechtsaspekt in der »Singer-Debatte« ernstgenommen, bzw. überhaupt wahrgenommen wird, zeigt sich in der fast völlig fehlenden Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Wenn die Tierethik Singers doch erwähnt wird, dann nur im warnenden Zusammenhang, wie folgende Beispiele zeigen:
»Der Hinweis (…) auf Singers Tierliebe ist voller Zynismus, denn diese geht sogar soweit, daß Behinderte mit Tieren verglichen werden und das Lebensrecht von Tieren bei Singer schützenswerter ist als das Leben geistig Behinderter.« [276]
»Heutzutage soll es ja schon der Fall sein, daß es so manchem Tier besser geht als so manchen Randgruppenpersonen, zu denen in der BRD auch die Behinderten zählen.« [277]
Ich bin schon eher geneigt zu sagen, dass sich in diesen Sätzen ein gewisser Zynismus nicht verbergen lässt. Es wird jedenfalls klar, dass die Interessen des Tieres hier eine sehr, sehr geringe Rolle spielen und in keinem Zusammenhang ernsthaft betrachtet werden.
Dass es manchem Tier besser geht als manchem Menschen ist zweifellos etwas Wahres. Zum einen hängt dies aber in vielen Fällen davon ab, inwieweit es im Interesse des Menschen (!) liegt, dass es dem Tier gutgeht (»mein Hund, meine Katze«), zum anderen kann ich es nicht nachvollziehen, warum es allen Tieren schlechter gehen muss als allen Menschen.
Hier wird der Mensch als Spezies von einem Menschen heilig gesprochen, ein etwas merkwürdiges Unterfangen.
Die Tiere als Mittel zum Zweck zu verwenden, scheint eher auf der Seite der Singer-Gegner ein probates Mittel zu sein:
»Manchen macht die Diskussion von Singers Thesen angst. Und die Angst ist verständlich. Ist behinderten Neugeborenen erst einmal ihre Personalität abgesprochen, sind sie in ihrem Lebenswert erst einmal unterhalb bestimmter Tiere (zum Beispiel der bei Laborversuchen benutzten Affen) eingestuft, könnten sie auch zur Forschung benutzt werden. Eine Horrorvision? Leider nein. Es sind bereits nicht lebensfähige Neugeborene ohne Gehirn (sogenannte anencephale Kinder) als menschliches Ersatzteillager (Organbank) künstlich am Leben erhalten worden.«
Klee ist ein klassisches Beispiel dafür, wie eingemeißelt das speziesistische Denken ist. Dass anenzephale Kinder, welche über keinerlei Bewusstsein verfügen und auch nie verfügen können, nach Zustimmung von den Eltern als Organspender in Betracht gezogen werden, kommt für ihn einer »Horrorvision« schon recht nahe, die bei den Laborversuchen benutzten Affen tauchen als Mittel zur Abschreckung in einem Nebensatz auf. So wird der Tierversuch als völlig legitim in den Diskurs aufgenommen, und wer Singers Thesen akzeptiert, dürfte so zwangsläufig eine Gefahr für die Menschheit darstellen.
Die Beispiele für die Benutzung der Tiere für die Argumentation in der »Singer-Debatte« gibt wenig Anlass für Hoffnung. In keinem der zahlreichen Beiträge der Singer-Gegner wurde die ethische Stellung des Tieres in unserer Gesellschaft thematisiert, obwohl die »Praktische Ethik« von Singer zwei Kapitel allein für die Betrachtung dieser Problematik verwendet.
Es scheint ausgemachte Sache zu sein, dass eine neue Hierarchie Nicht-Personen zur völligen Ausbeutung freigibt, wenn sie auf eine Stufe mit dem Tier gestellt werden. Dass es auch eine andere Seite gibt, nämlich die Tiere in den moralischen Kreis mitaufzunehmen und so auch den Tierversuch am Affen als klares Unrecht darzustellen, wird in der allgemeinen Diskussion nicht akzeptiert, ja nicht einmal wahrgenommen.
5. Stimmt die Gleichung?
5.1 Ein Lösungsvorschlag
»Aufwertung der Tiere = Abwertung behinderter Menschen« – Stimmt diese Gleichung? Ich denke, die Gleichung ist schwieriger zu lösen, als ich anfangs gedacht habe. Für Menschen, die von der Gleichheit aller Menschen (und nur der Menschen) in ihrer Differenz überzeugt sind (und dazu gehören wahrscheinlich auch viele behinderte Menschen), wird diese Gleichung immer stimmen. Speziesismus abzulehnen bedeutet, sich für eine der zwei folgenden Möglichkeiten zu entscheiden:
a) Alle empfindungsfähigen Lebewesen sind gleich
Diese Lösung wäre insofern brillant, weil sie niemanden, der ein Interesse daran besitzt, Leid zu vermeiden und Freude zu empfinden, weniger Wert beimessen würde. Ich sehe diese Lösung als die »Ideallösung« an. Sie könnte in einer zukünftigen Welt eingeführt werden, in der »Speziesismus« keine Rolle mehr spielt. Diese Meinung aber in der jetzigen Zeit als ernsthaften Lösungsvorschlag zu präsentieren, dürfte bei vielen Leuten nicht viel mehr als ein müdes Lächeln bewirken. Vielleicht wäre dieser Vorschlag sogar richtig gefährlich. Er könnte in der jetzigen Welt durchaus die umgekehrte Wirkung haben, denn wenn es nicht schlimmer ist, einen Menschen zu töten als eine Maus, muss dies nicht zwangsläufig in die gewünschte Richtung laufen.
Ich denke, es ist ein schlimmeres Unrecht, eine Person zu töten als eine Nichtperson, und dieser Unterschied sollte auch berücksichtigt werden. Deswegen möchte ich meine Meinung differenzierter in Punkt »b« darstellen.
b) Personen; Quasipersonen; Nichtpersonen sind nicht gleich
Hierfür ist eine Unterscheidung zwischen Mensch und Tier erforderlich. Beim Menschen möchte ich die Diskussionspunkte »Abtreibung« und »Infantizid« ebenfalls trennen.
Menschen: Abtreibung
Meiner Meinung nach lässt sich eine völlige Freigabe der Abtreibung rechtfertigen. Das rudimentäre Bewusstsein des Fötus wird in jedem Falle von den Interessen der Frau aufgewogen. Wenn die Abtreibung völlig (bis zu einem gewissen Zeitpunkt) freigestellt wird, habe ich keine Einwände gegen die pränatale Diagnostik. Folgende Einschränkungen würde ich hier geltend machen:
· Die pränatale Diagnostik darf keinesfalls ein Zwang sein. Frauen oder Eltern müssen auf alle Fälle ein »Recht auf Nichtwissen« beanspruchen können.
· Schwierig zu beantworten ist natürlich die Frage der Grenze der pränatalen Diagnostik. Der Sinn dieser Untersuchung kann nur in der Diagnose von »echten« Schäden liegen.
· Die Gefühle behinderter Menschen können das Selbstbestimmungsrecht nicht verbieten. Zwischen einem Fötus und einem geborenen Menschen besteht ein sichtlicher Unterschied. Es ist deswegen keine erhöhte Intoleranz gegenüber Behinderten zwingend, wenn auch nicht auszuschließen.
Eine eugenische Indikation nach einem Zeitpunkt, indem »normale« Kinder nicht mehr abgetrieben werden dürfen, ist nicht tragbar. Wenn ein Zeitpunkt des Lebensrechts festgelegt wird, muss er für alle Föten gelten. Alles andere wäre eine Diskriminierung des behinderten Kindes.
Menschen: Infantizid
Ein direktes Lebensrecht lässt sich für Säuglinge bei einer »Person-Nichtperson«-Unterscheidung nicht ableiten. Im folgenden möchte ich darlegen, weshalb ich dem Säugling trotzdem einen personalen Status und damit das Lebensrecht zuschreiben möchte. Man könnte hier von »Quasipersonen« sprechen. Dieses Wort stammt von Miller, welcher folgende Rechtsbeschreibung für »Quasipersonen« anfügte: »Eine Quasiperson besitzt nicht alle Rechte einer Person, kommt aber in den Genuß der meisten Maßnahmen zum Schutz der Personalität. Manchmal geht mit Quasipersonalität ein besonderer Schutz einher, der vollgültigen Personen nicht zukommt.« [278]
Welche Gründe gibt es, Säuglingen (und natürlich auch den anderen Menschen, welche ihr Leben lang im bewussten Zustand bleiben) einen quasipersonalen Status zuzusprechen?
Dem Säugling allgemein kein Lebensrecht zuzusprechen, könnte extreme Auswirkungen auf die Eltern und die Gesellschaft nach sich ziehen:
· Die Einstellung der Eltern könnte sich auf eine Weise verändern, welche das Streben nach einem Wunschkind forciert. Im Extremfall würden nur noch perfekte Wunschkinder überleben.
· Das Adoptionsargument Singers könnte ebenfalls dieser neuen Einstellung zum Opfer fallen.
· Mit der Aufhebung des Tötungsverbots könnte ein Damm gebrochen werden. Die Kindstötung wäre nicht mehr ein schlimmes Verbrechen, sondern unter Umständen gerechtfertigt. Dies könnte letztlich dazu führen, dass auch Kleinkinder gefährdet würden, welche schon über ein Lebensinteresse verfügen.
· Es ist keineswegs sicher, dass die Gesellschaft zwischen einem Tötungsverbot und einem »Leidensverbot« exakt zu unterscheiden weiß. Der Umgang mit dem Tier deutet eher auf das Gegenteil hin. Somit wären auch die direkten Interessen des Säuglings nach Wohlbefinden, Wärme und Nahrung gefährdet.
· Ebenfalls sehr bedenklich ist bei der Freistellung des Infantizids die Einstellung zum erwachsenen behinderten Menschen. Ohne eine sichtbare Setzung des Lebensrechts, wie es die Geburt aufzeigt, fehlt der Gesellschaft eine solche Orientierung. Der Respekt vor dem behinderten Menschen könnte so noch mehr in Gefahr geraten.
· Umgekehrt wirkt die Aufhebung der Geburtslinie für den behinderten Menschen ebenfalls erheblich stärker. Die Reaktionen während der »Singer-Debatte« zeigen diese als real empfundene Bedrohung deutlich auf.
Es gibt also starke indirekte Gründe gegen den allgemeinen Infantizid. Wenn aber der Infantizid nicht allgemein erlaubt ist, muss allen Säuglingen ein Lebensrecht zugesprochen werden. Auch hier würde sonst eine eindeutige Diskriminierung vorliegen. Das »Recht auf Leben« sollte also meiner Meinung nach spätestens ab der Geburt gelten. Damit das Lebensrecht des Neugeborenen gesichert bleibt, müssen Frühgeborene bis zu einer gewissen Grenze ebenfalls das Lebensrecht erhalten. Hoerster schlägt in diesem Zusammenhang ein Gesamtalter von mindestens 28 Wochen vor, nach der jedem geborenen Säugling das Recht auf Leben zugesprochen werden sollte. [279]
Offen bleibt die Frage nach den schwerst behinderten Säuglingen, welchen ein kurzes, qualvolles Leben bevorsteht. Hier kann ich mich nicht zu einem festen Standpunkt durchringen, trotzdem möchte ich ihn kurz umreißen:
· Ich befürworte es nicht, jeden Menschen (und hierunter fällt auch der Säugling), ungeachtet seiner Lebensqualität, unter allen Umständen am Leben zu erhalten.
· Ich stehe ebenfalls Singers und Kuhses Thesen nahe, dass es in vielen Fällen überhaupt keinen moralischen Unterschied zwischen Sterbenlassen und Töten gibt. Im Gegenteil kann eine aktive Handlung viel Leiden vermeiden.
Zynisch und selbstgerecht empfinde ich in diesem Zusammenhang Standpunkte von Euthanasiegegnern, welche Befürworter der Euthanasie allesamt als Faschisten diffamieren und sich selbst eine reine Weste zuschreiben. Auch die Entscheidung, niemals absichtlich zu töten ist eine Entscheidung. Bei dieser Problematik kann man sich nicht nicht entscheiden.
· Ich zögere trotzdem, der Aufhebung des Tötungsverbots beim Menschen zuzustimmen. So sehr es in manchen Fällen wohl wirklich im Interesse des Säuglings liegen würde, der psychologische Unterschied zwischen Töten und Sterbenlassen ist einfach im gesellschaftlichen Bewusstsein vorhanden, und das Tötungsverbot sollte vielleicht aufrechterhalten werden. Diese Frage will ich mir noch nicht beantworten.
Eine feste Meinung ist hier aber auch im Sinne der Fragestellung nicht nötig. Beide Lösungen gehen von einem Lebensrecht des Säuglings unter einem (quasi-)personalen Status aus.
Als Kritik könnte z. B. eingewendet werden, dass menschliche Nichtpersonen Menschen »2. Klasse« sind und nur durch Ad-hoc-Argumente zur Quasiperson aufgewertet werden. Dies ist sicherlich im gewissen Sinne richtig.
Es bleibt aber auch festzuhalten, dass die traditionelle Ethik ebenfalls mit »Ad-hocs« argumentiert: Sie grenzt sich vom Tierreich durch Fähigkeiten ab, welche eben gerade den »Quasipersonen« fehlen. Sie werden zwar begrifflich nicht aufgeteilt, dafür aber gedanklich und somit willkürlich.
In der traditionellen Ethik werden schwer geistig-behinderte Menschen in den moralischen Kreis aufgenommen, obwohl sämtliche Säulen der Sonderstellung des Menschen hierdurch zusammenbrechen. Es ist fraglich, wie lange eine eher säkulare Gesellschaft diesen offenen Widerspruch mit sich tragen kann.
Eine neue Ethik, in der Lebensart und Lebensqualität eine Rolle spielen, wirkt im ersten Moment inhuman und leistungsorientiert. Dies gilt aber nur für Menschen, welche Tiere von vornherein aus der Moral ausschließen. Je weiter der Kreis der Moral in der Bewusstseinshierarchie nach »unten« ausgeweitet wird, desto deutlicher gehören auch die schwerst behinderten Menschen direkt zur »Gemeinschaft der Gleichen«. In der »Gemeinschaft der Gleichen« spielt eine Hierarchie dann keine Rolle mehr.
Immer deutlicher ist mir während des Anfertigens dieser Arbeit geworden, dass die Tierethik keine »durchgeknallte« Sonder-Ethik ist, sondern in ihr eine ganz neue Form der gesamten ethischen Einstellung entsteht. Hierzu sei nochmals Peter Singer aus einem neueren Buch zitiert:
»In ähnlicher Weise könnten wir, nachdem wir die Unterscheidung zwischen Menschen und Nichtmenschen aufgegeben haben, auf eine Unterscheidung zwischen Personen und Nichtpersonen verzichten und statt dessen jedem Lebewesen, oder einleuchtender, jedem Wesen, das Lust und Schmerz empfinden kann, das gleiche Lebensrecht zuschreiben. Eine neue Ethik kann also viele verschiedene Formen annehmen. Doch die alte Ethik kann ohne ihre (…) brüchigen Hauptvoraussetzungen nicht überleben. Die Frage ist nicht, ob sie ersetzt wird, sondern wie ihre Nachfolgerin aussehen wird.« [280]
Natürlich ist diese Ethik viel komplizierter, viel schwieriger und viel mühsamer als die alte Ethik. In dieser Gemeinschaft leben dann keine 6 Milliarden Menschen, sondern Tausende Milliarden Lebewesen und der Platz des Menschen an sich wird kleiner werden.
Dieser Fakt, ihre komplizierte Ausführung in der Realität und die vermeintlich drohende Aufweichung des Sonderstatus des Menschen, werden der Befreiung der Tiere noch mühsame Steine in den Weg legen.
Trotzdem sind die Chancen auf eine langfristige Akzeptanz dieser Ethik auch unter behinderten Menschen nicht so schlecht. Durch die neue Ethik werden Geschöpfe aufgenommen, welche sich nicht selbst wehren können. Ihnen wird mit neuem Respekt begegnet. Es liegt auf der Hand, dass dieser Respekt genauso behinderten Menschen zuteil wird. Der Unterschied zur traditionellen Ethik ist offensichtlich. In ihr werden behinderte Menschen gnädig aufgenommen, unter bewussten oder unbewussten religiösen Gesichtspunkten eines Sonderstatus der Spezies »Homo Sapiens«, in einer altruistischen Gesellschaft um ihrer selbst willen.
Eine Hierarchie bei den Tieren
Interessant ist, dass sich der quasipersonale Status genauso auf das Tierreich anwenden lässt.
Menschenaffen wird ohne Zweifel dieser Status anerkannt werden müssen. Bei höher entwickelten Wirbeltieren lässt sich die Quasipersonalität folgendermaßen begründen:
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich z. B. Schweine, Kühe oder Schafe in der Zeit existierend sehen. Ein gewisser Zweifel könnte diesen Status schon rechtfertigen.
Den Nichtpersonen unter den Tieren (z. B. Fische) steht das Tötungsverbot nicht zur Verfügung. Es bleibt aber sehr fraglich, inwieweit eine leidensfreie Aufzucht von diesen Tieren technisch und psychologisch überhaupt möglich ist.
In der Praxis könnten somit die gesamte Aufzucht von Tieren zu Ernährungszwecken in Frage gestellt werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Tötung z. B. eines Menschenaffen etliches schwerer wiegt als die Tötung eines Fisches.
5.2 (K)eine Anleitung für Sozialpädagogen
Ich hoffe, dass ich deutlich genug dargestellt habe, dass es möglich ist, nicht behindertenfeindlich und trotzdem antispeziesistisch zu sein. Mir ist natürlich klar, dass dies andere Menschen völlig anders sehen werden. Beim Sichten der Literatur und beim Lesen der Berichte über die Protestveranstaltungen gegen Singer war mir immer klar, dass ich hier ebenso auf verlorenem Posten stehen würde.
Dies wirft eine neue Frage auf: Würde ich meine Meinung offensiv vertreten, falls ich wieder einmal in einer Einrichtung für behinderte Menschen arbeiten würde, oder wäre es besser, den Mund zu halten, falls es mal zu einer Diskussion kommt?
Meine Antwort für eine solche Situation steht fest: Ich weiß es nicht.
Schon deswegen sollte die Überschrift lauten: Keine Anleitung für Sozialpädagogen!
Der stärkste Einwand gegen ein »Outing« würde für mich darin liegen, dass behinderte Menschen das Vertrauen in mich verlieren könnten und so eine sinnvolle Arbeit insgesamt gefährdet wäre. Als zweiter Einwand würde mir noch »Feigheit« einfallen, aber ich denke, der erste Punkt würde für mich schwerer wiegen. Vielleicht sieht dies in einigen Jahren anders aus. Vielleicht wird es irgendwann normal sein, kein Speziesist zu sein. Vielleicht wird es sogar mal soweit kommen, dass behinderte Menschen selbst den Gleichheitsgedanken fortführen, den Anstötz in Punkt 2.3.4 aufgezeigt hat. Vielleicht würden dann die Speziesisten in Rechtfertigungsnöte kommen.
5.3 Zum Schluss
Es sollte klar sein, dass viele Punkte bei diesem Thema nicht ausführlich behandelt werden konnten. Viele Fragen stellen sich weiterhin und benötigen weiterer Diskussion. So geht es hierbei auch weniger um Antworten, sondern vielmehr um Grundlagen.
Der Sinn und Kern dieser Arbeit liegt darin, ein Dilemma aufzulegen, welches von Seiten der Tierrechtsbewegung gerne übersehen und von Seiten der Behindertenbewegung gar nicht ernst genommen wird (zumindest nicht auf der inhaltlichen Ebene).
Meiner Meinung nach ist es wichtig, Rechte für behinderte Menschen auch »außerreligiös«, unter säkularen Bedingungen begründen zu können und deswegen denke ich, wird auch die Behindertenbewegung letztlich am Thema »Tierrechte« ebensowenig vorbeikommen, wie die Tierrechtsbewegung am Thema »Peter Singer«.
Ich habe mich während der Erstellung dieser Arbeit oftmals dabei ertappt, wie mir folgende Gedanken durch den Kopf gingen:
Wie kann mir dieser Satz ausgelegt werden?
Verletze ich mit diesem Satz Gefühle von behinderten Menschen?
Sollte ich vielleicht doch ein bisschen gemäßigter…usw.
Diese Gedanken sind vorgekommen (eigentlich hat mich die Arbeit »emotional« 24 Stunden am Tag beschäftigt) und ich habe versucht, sie möglichst auszuschalten. Es ist natürlich richtig und wichtig, auf die Gefühle von behinderten Menschen gerade bei solch einem Thema, Rücksicht zu nehmen. Dies kann aber nicht dazu führen, jeden Einwand, den ich für nicht korrekt halte, nur deshalb zu berücksichtigen, weil er von einem behinderten Menschen kommt. Gerade in der »Singer-Debatte« gab und gibt es auch behinderte Menschen, die »einen Sitz im Rollstuhl mit einem Papstthron verwechseln«. [281] Es gibt in der »Singer-Debatte« auch sehr viele Nichtbehinderte, die solchen Personen unkritisch und unhinterfragt ihre »solidarische« Unterstützung anbieten. Eine Behinderung ist somit keine Behinderung, sondern eine Qualifikation.
Auch dies ist nichts anderes als der »Pannwitzblick«.
Thorsten Ullrich
• Über den Autor
Thorsten Ullrich, geboren 1974, studierte von 1995 bis 1999 »Soziale Arbeit« in Bamberg. Derzeit studiert er Philosophie, Sonderpädagogik und Soziologie in Würzburg.
Literatur
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Quellen
[1] Singer, 1982, S. 10
[2] Ich komme in Punkt 2.2 ausführlich auf diesen Begriff zurück
[3] Eine ausführliche Dokumentation dieser Ereignisse findet sich in dem Buch »Peter Singer in Deutschland« von Anstötz, Hegselmann, und Kliemt.
[4] Vgl. »Der Spiegel«, 1989, Nr. 23, »(K)ein Diskurs über »lebensunwertes‘ Leben«, S. 240- 244 und Nr. 34, »Wenn Mitleid tödlich wird«, S. 171- 176
[5] Vgl. besonders »Die Zeit«, Nr, 25,26,27,35, 1989
[6] Singer, 1994, S. 17
[7] Vgl. Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 40
[8] Birnbacher in Hegselmann / Merkel, 1991, S. 32
[9] Birnbacher in Hegselmann / Merkel, 1991, S. 32 f.
[10] Singer, 1982, S. 21 f.
[11] Singer, 1982, S. 22
[12] Singer, 1982, S. 24
[13] Singer, 1982, S. 24
[14] Singer, 1982, S. 26
[15] Singer, 1982, S. 26 f.
[16] Singer, 1982, S. 27 f.
[17] Singer, 1982, S. 40
[18] Singer, 1994, S. 118
[19] Locke, zit. nach Singer, 1994, S. 120
[20] Singer, 1994, S. 129
[21] Singer, 1994, S. 134
[22] Singer, 1994, S. 124 f.
[23] Singer, 1994, S. 137
[24] Singer, 1994, S. 137 f.
[25] vgl. Singer, 1994, S. 139
[26] vgl. Singer, 1994, S. 139 f.
[27] Singer, 1994, S. 179 f.
[28] Singer, 1994, S. 197
[29] Singer, 1994, S. 197
[30] Singer, 1994, S. 219
[31] Singer, 1994, S. 226
[32] Singer, 1994, S. 230
[33] Singer, 1994, S. 234
[34] Vgl. Singer, 1994, S. 234 f.
[35] Singer, 1994, S. 236
[36] Singer, 1994, S. 237
[37] Singer, 1994, S. 238
[38] Singer, 1994, S. 240 f.
[39] Singer, 1994, S. 244
[40] Der Begriff stammt von einem 1970 privat gedruckten Flugblatt vom Psychologen Richard Ryder (Vgl. Singer, 1982, S. 44)
[41] Singer, 1998, S. 167
[42] Teutsch, 1987, S. 21
[43] 1. Buch Mose, genannt Genesis, II. 38.8, zit. nach Singer, 1998, S. 174
[44] Interessanterweise gibt es aber auch Christen, welche die kirchlichen Lehren in der Mensch-Tier-Beziehung; heftigst kritisieren. Vgl. hierzu besonders Skriver in Singer, 1982, »Die Korrektur der kirchlichen Irrlehren, S. 275 ff.
[45] Dawkins in Cavalieri (Hg.),1993, S. 127
[46] Tugendhat in Krebs (Hg.), 1997, S. 107 f.
[47] Dawkins in Cavalieri (Hg.), 1993, S. 128
[48] Vgl. J.-C. Wolf, 1992, 37 f.
[49] Kaplan, 1993, S. 34
[50] Singer, 1982, S. 272
[51] Kaplan, 1993, S. 182
[52] Patzig, 1983, S. 14 f.
[53] Kaplan, 1993, S. 200
[54] Vgl. Schnabel in »Die Zeit« Nr. 43, 1999, S. 41
[55] Locke, 1690, zit. nach Singer, 1998, S. 164
[56] Vgl. Fletcher, 1972, in Anstötz, 1990, S. 78 ff.
[57] Vgl. Kant in Anstötz, 1990, S. 63
[58] Vgl. Spaemann, 1996, S. 254 ff.
[59] Spaemann, 1996, S. 260
[60] Spaemann, 1996, S. 259
[61] Vgl. J.-C. Wolf, 1992, S. 14
[62] Vgl. hierzu das Kapitel »Gleichheit und Behinderung« in Praktische Ethik; Singer, 1994, S. 77 ff.
[63] Kaplan, 1991, S. 46
[64] Kaplan, 1991, S. 46
[65] Höffe, 1993, zit. nach Breßler, 1997, S. 74
[66] Benn, 1967, zit. nach Singer in Krebs (Hg.), 1997, S. 14 f.
[67] Singer in Krebs (Hg.), 1997, S. 31
[68] Vgl. Patzig in Breßler, 1997, S. 72
[69] Goodall in Cavalieri / Singer (Hg.), 1994, S. 24 f.
[70] Mitchell in Cavalieri / Singer (Hg.), 1994, S. 366
[71] Goodall in Singer, 1994, S. 154
[72] Singer, 1994, S. 155
[73] Die Autoren in Cavalieri / Singer (Hg.), 1994, S. 15
[74] Die Autoren in Cavalieri / Singer (Hg.), 1994, S. 12 f.
[75] Anstötz, 1990, S. 65
[76] Anstötz, 1990, S. 65
[77] Anstötz, 1990, S.66
[78] Bach, 1985, zit. nach Anstötz, 1990, S. 66
[79] Ich kann mich auch noch gut an einen Text erinnern, den ich vor ein paar Jahren gelesen habe. Dieser Text wollte auf das vermeintliche Unrecht der Abtreibung aufmerksam machen. Er trug die Überschrift »Tagebuch eines Ungeborenen« und das Ungeborene erzählte vom 1. Tag bis zur 12. Woche aus seinem Leben (»Heute hat mein Herz das erste mal geschlagen; Ich freue mich auf die grünen Wiesen;…«). Der letzte Tagebucheintrag lautete: »Heute hat mich meine Mutter umgebracht.« Ich muss zugeben, dass der Text damals große Wirkung auf mich hatte.
[80] Stolk, 1987, zit. nach Anstötz in Cavalieri (Hg.), 1993, S. 253
[81] Fröhlich, 1989, zit. nach Anstötz in Cavalieri (Hg.), 1993, S. 253
[82] Vgl. Anstötz in Cavalieri (Hg.), 1993, S. 253
[83] Vgl. Anstötz in Cavalieri (Hg.), 1993, S. 254
[84] Siegenthaler, 1983, zit. nach Anstötz, 1990, S. 71
[85] Anstötz, 1990, S. 68
[86] Murphy, 1984, zit. nach Anstötz, 1990, S. 76
[87] Anstötz, 1990, S. 72
[88] Offiziell 1971 durch die »Deklaration der allgemeinen und besonderen Rechte der geistig Behinderten«: Artikel 1: »Die geistig behinderte Person hat (…) die gleichen Rechte wie andere menschliche Lebewesen.«
[89] Anstötz bezieht sich hier auf ein vorangegangenes Beispiel einer Schimpansie namens Julia und einem Mädchen namens Pia.
[90] Anstötz in Cavalieri (Hg.) 1993, S. 261
[91] Anstötz in Cavalieri (Hg.) 1993, S. 261 f.
[92] Vgl. Schnabel in »Die Zeit« Nr. 46, 1999, S. 35 ff.
[93] Luxton in Schnabel in »Die Zeit« Nr. 46, 1999, S. 35
[94] Regan, zit. nach Breßler, 1997, S. 146
[95] Vgl. Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 33 – 47
[96] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 34
[97] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 35 f.
[98] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S.36
[99] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 41
[100] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 42
[101] Regan in Krebs (Hg.), 1997, S. 43 f.
[102] J.-C. Wolf, 1992, S. 70
[103] J.-C. Wolf, 1992, S. 73
[104] U. Wolf, 1990, S. 118
[105] vgl. U. Wolf, 1990, S. 118
[106] U. Wolf, 1990, S. 120
[107] Wolf, 1990, S. 127 f.
[108] Singer, 1994, S. 222
[109] U. Wolf, 1990, S. 78
[110] Singer, 1994, S. 108
[111] Vgl. Singer, 1994, S. 107 f.
[112] Kaplan, 1991, S. 15
[113] Kaplan, 1991, S. 69
[114] Kaplan, 1991, S. 96
[115] Langbein, 1967, zit. nach Kaplan, 1991, S. 146
[116] Kaplan, 1991, S. 147 f.
[117] Kaplan, 1993, S. 147
[118] Kaplan, 1993, S. 214 ff.
[119] J.-C. Wolf, 1992, S. 101
[120] J.-C. Wolf, 1992, S. 112 f.
[121] J.-C. Wolf, 1992, S. 114 f.
[122] Hoerster, 1993, zit. nach Breßler, 1997, S. 167
[123] J.-C. Wolf, 1992, S. 140
[124] J.-C. Wolf, 1992, S. 143
[125] J.-C. Wolf, 1992, S. 144
[126] Schweitzer, 1984, S.111
[127] Schweitzer, 1981, zit. nach Breßler, 1997, S. 158
[128] Schweitzer, 1981, zit. nach Breßler, 1997, S. 158
[129] Schweitzer, 1981, zit. nach Breßler, 1997, S. 159
[130] Müller, 1995, zit. nach Breßler, 1997, S. 162
[131] Singer, 1994, S. 144
[132] Vgl. Ullrich, 1997, S. 100 ff.
[133] Stellungnahme von »Animal Peace«, zit. nach Ditfurth, 1996, S. 160
[134] Kaplan in »Tierbefreiung Aktuell Nr. 3, 1995, S. 12 f.
[135] Vorwort in »TAN«-Reader , 1998, S. 5
[136]Meyer in »TAN«-Reader, 1998, S. 14
[137] Vgl. Vegan – Info Nr. 10, 1996, S. 11
[138]Hardline – Dokumentation in Vegan – Info Nr. 5, 1995, S. 8 f. Die »Hardline« – Gruppe wurde zu dieser Zeit aufgrund ihrer Thesen aus der linken Tierrechtsbewegung ausgeschlossen und existiert meines Wissens auch nicht mehr.
[139] Das »Vegan-Info« war über viele Jahre hinweg ein Diskussionsplattform innerhalb der Tierrechtsszene.
[140] Vgl. Vegan – Info Nr. 5, 1995, S. 9 ff.
[141] Die Zeitschrift »Die Eule« nennt sich im Selbstverständnis »Erdbefreiungszeitung«. Tierrechte sind hier nur ein Aspekt in einer ganzheitlichen Auffassung von »Radikal – ökologie.
[142] »Earth First Nordelbe« in »Die Eule« Nr. 1, 1995, S. 9
[143] Ditfurth, 1996, S. 155
[144] Vgl. hierzu die Anerkennung und Kritik zu Thomsons Beitrag von Leist, 1990, S. 16 ff.
[145] Thomson in Leist, 1990, S. 108 f.
[146] Vegan – Info Nr. 3, 1994, S. 7
[147] Walden in Emma Nr. 1, 1994, S. 68
[148] Menninger in Ökolinx Nr. 15, 1994, S. 20
[149] Vgl. Vegan – Info Nr. 9, 1996, S. 21
[150] Ditfurth, 1996, S. 125
[151] Vgl. besonders ÖkolinX Nr.23, 1996, S. 41 f.
[152] TAN – Reader, 1998, S. 3
[153] TAN – Reader, 1998, S. 5
[154] »Berliner VeganerInnen« in Ditfurth, 1996, S. 161
[155] Vgl. Kaplan, 1993, S. 205 ff.
[156] Vgl. Kaplan, 1993, S. 5
[157] Vgl. Kaplan, 1997, S. 5
[158] Linke Kritiker könnten hier spöttisch anmerken, ich sollte wohl eher von einem »bioethischen Denken« sprechen.
[159] Mill, 1987, S. 30
[160] Löw in Bastian (Hg.), 1990, S. 89
[161] Singer, 1982, S.267
[162] Kaplan, 1993, S. 106 (Vor einigen Jahren waren T-Shirts mit der Aufschrift »Die Würde des Menschen ist unantastbar« weit verbreitet. Ohne Zweifel war dieser sichtliche Protest gegen die damaligen Brandanschläge auf Asylanten-Wohnheime altruistisch-progressiv geprägt.)
[163] Vgl. »Der Spiegel« Nr. 23, 1989, S. 24
[164] Vgl. Sierck in Sierck / Danquart, 1993, S. 7
[165] Kaplan, 1993, S. 107
[166] Singer, 1982, S. 265
[167] Singer, 1982, S. 266
[168] Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 1948, zit. nach Kaplan, 1993, S. 108 f.
[169] Schwartländer, 1978, zit. nach Kaplan, 1993, S. 109
[170] Lotz, 1986, zit. nach Kaplan, 1993, S. 109
[171] Bundesvereinigung Lebenshilfe, 1990, in »Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen (Hg.), 1992, S. 239
[172] Schmitz-Moormann, 1979, zit. nach Kaplan, 1993, S. 109
[173] Singer, 1982, S. 267
[174] Teutsch, 1995, S. 39
[175] Vgl. Teutsch, 1995, S. 40
[176] Unbekannt, zit. nach Christoph in »Der Spiegel« Nr. 23, 1989, S. 240
[177] U. Wolf, 1991, zit. nach Sierck, 1993, S. 77
[178] Schäfer, 1990, zit nach Anstötz / Hegselmann / Kliemt, 1995, S. 177 f.
[179] Vgl. hierzu besonders Klees Buch »‘Euthanasie‘ im NS-Staat«
[180] Klee in »Die Zeit« Nr. 27, 1989, S. 58
[181] Löw in Bastian (Hg.), 1990, S. 87
[182] »Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre«, 1987, S. 22
[183] Spaemann in »Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre«, 1987, S. 85
[184] Spaemann in Bastian (Hg.), 1990, S. 8
[185] Eggli in Mürner, 1991, S. 196
[186] Vgl. Singer, 1994, S. 198 ff.
[187]Vgl. Tooley in Leist (Hg.), 1990, S. 182 ff.
[188] Bundesvereinigung Lebenshilfe, 1990, zit. nach »Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen« (Hg.), 1992, S. 239
[189] Singer, 1994, S. 241
[190] Hoerster, 1995, S. 119
[191] Eggli, 1986, zit. nach Bernath in Mürner (Hg.), 1991, S. 144
[192] Danquart in Sierck / Danquart (Hg.), 1993, S. 18
[193] Krebs in »Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen« (Hg.), 1992, S.51
[194] Singer, 1994, S. 80
[195] Hoerster, 1995, S. 120
[196] Vgl. Parfit, zit. nach Singer 1994, S. 163
[197] Hare in Anstötz, Hegselmann, Kliemt (Hg.), 1995, S. 307
[198] Es ist eine sehr unglückliche Übersetzung der »Praktischen Ethik« ins Deutsche gewesen, welche das Wort »lebensunwert« aus der Naziterminologie ins Spiel gebracht hat. Singer spricht im Original von »a life not worth living«, die Nazi-Perspektive wäre im Original »life not worthy of being lived«. (Vgl. Hegselmann / Merkel (Hg.), 1991, S. 156
[199] Merkel in »Die Zeit« Nr. 26, 1989, S. 16
[200] Bastian, 1990, S. 76
[201] Vgl. Kuhse / Singer, 1999, S. 184 f.
[202] Frohock, 1986, zit. nach Kuhse / Singer, 1999, S. 185
[203] Frohock, 1986, zit. nach Kuhse / Singer, 1999, S. 185
[204] Bastian, 1990, S. 77
[205] Jonas in »Die Zeit« Nr. 35, 1989, S. 10
[206] Kuhse / Singer, 1999, S. 198
[207] Hoerster, 1995, S. 103
[208] Vgl. Hoerster, 1995, S. 106
[209] Clough, zit. nach Kuhse, 1994, S. 40f. (Dieser Satz wurde zu einem Klassiker der Schulmedizin. Eine gewisse Ironie dieses Zitats liegt darin, dass diese Zeilen innerhalb eines satirischen Gedichtes verwendet wurden, welches nicht ernsthaft als ethische Erklärung, sondern eher als ein Angriff auf die Doppelmoral gedacht war)
[210] Kuhse, 1994, S. 64 f.
[211] Vgl. Kuhse, 1994, S. 68 ff.
[212] Kuhse, 1994, S. 221 f.
[213] Tolmein, 1990, S. 109
[214] Jonas in »Die Zeit«, Nr. 35, 1989, S. 10
[215] Jonas in »Die Zeit«, Nr, 35, 1989, S. 10
[216] Jonas in »Die Zeit«, Nr, 35, 1989, S. 10 ff.
[217] Singer, 1994, S. 238
[218] Vgl. Singer, 1982, S. 254 ff.
[219] Vgl. Singer, 1994, S.11
[220] Singer, 1994, S. 11 f.
[221] Menninger in »ÖkolinX« Nr. 15, 1994, S. 21
[222] Kuhse / Singer, 1993, S. 226 f.
[223] Stähle 1940, zit. nach Klee, 1983, S. 16
[224] Singer, 1988, S. 23
[225] Vgl. z. B. Goettle in Bruns (Hg.), 1993, S. 69 ff.
[226] Jonas in »Die Zeit« Nr. 35, 1989, S. 10
[227] Tugendhat in »Die Zeit« Nr.43, 1991, S. 47
[228] Vgl. Anstötz / Hegselmann / Kliemt (Hg.), 1995, S. 309 ff.
[229] Anstötz in Anstötz / Hegselmann / Kliemt (Hg.), 1995, S. 327
[230] Singer, 1994, S. 230
[231] Bastian, 1990, S. 76
[232] Singer, 1994, S. 246
[233] Christoph, 1990, S. 52 f.
[234] Leserbrief von Seifert in »Die Zeit« Nr. 29, 1989, S. 54
[235] Hoerster, 1995, S. 23
[236] Kuhse / Singer, 1993, S. 250
[237] Hoerster, 1995, S. 39
[238] Hoerster, 1995, S. 38 ff.
[239] Hoerster, 1995, S. 41 ff.
[240] Singer, 1994, S. 222 f.
[241] Singer, 1994, S. 158
[242] Singer, 1994, S. 158
[243] Stephen, zit. nach Singer, 1994, S. 160
[244] Singer, 1994, S. 176
[245] Vgl. Kaplan, 1993, S. 94 ff.
[246] Kaplan, 1993, S. 98
[247] Vgl. z. B. der Artikel »Die Hölle der Hühner« von Sina Walden, 1992, S. 69 ff.
[248] Vgl. Tolmein, 1990, S. 7
[249] Tolmein, 1990, S. 9
[250] Gemischte Gruppe gegen Gen- und Reproduktionstechnologie Rhein/Main in Bruns (Hg.), 1993, S. 83
[251] Christoph, 1990, S. 13
[252] Christoph, 1990, S. 16
[253] Hoerster, 1995, S. 116
[254] Hoerster, 1995, S. 117
[255] Vgl. Goettle in Bruns, 1990, S. 70
[256] Leist, 1990, S. 15 ff.
[257] Degener in Sierck / Danquart, 1993, S.122
[258] Leist, 1990, S. 204
[259] Vgl Leist, 1990, S. 202
[260] Vgl. Birnbacher in Hegselmann / Merkel (Hg.), 1991, S. 45
[261] Vgl. Hoerster, 1995, S. 35 ff.
[262] Vgl. Christoph, 1990, S. 24
[263] Christoph, 1990, S.24
[264] Vgl. Feuser in Anstötz / Hegselmann / Kliemt, 1995, S. 219
[265] Schmitter in Bastian (Hg.), 1990, S. 142
[266] Vgl. hierzu den Exkurs von Hegselmann »Wie macht man Monster?« in Hegselmann / Merkel, 1991, S. 214 ff.
[267] Hegselmann in Hegselmann / Merkel (Hg.), 1991, S. 221
[268] »Dritter Bayerischer Landesplan für Menschen mit Behinderung«, 1994, S. 14
[269] »Dritter Bayerischer Landesplan für Menschen mit Behinderung«, 1994, S. 147 (Hervorhebungen vom Verfasser)
[270] Singer, 1994, S. 96 f.
[271] Vgl. Singer, 1994, S. 87
[272] Teutsch, 1994, zit. nach Breßler, 1997, S. 86 f.
[273] Löw ind Bastian (Hg.), 1990, S. 88
[274] Paul in Jäger / Paul, 1992, S. 37
[275] Jäger, 1992, S. 17
[276] Voggel in Anstötz / Hegselmann / Kliemt (Hg.), 1995, S.160
[277] Raiml in Anstötz, / Hegselmann / Kliemt (Hg.), 1995, S. 161
[278] Miller in Cavalieri / Singer, 1993, S. 359
[279] Vgl. Hoerster, 1995, S. 57
[280] Singer, 1998, S. 223
[281] Leserbrief von Becker-Braun in der »Taz«, 1990, zit. nach Anstötz / Hegselmann / Kliemt, 1995, S. 169 f. (Der Leserbrief endet folgendermaßen: »Ich darf das hier so sagen. Ich darf überhaupt alles sagen und ihr schweigt schön still: Ich hatte nämlich Kinderlähmung«)