Henri Rousseau: The_Flamingos
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Detlef Liebe: Zur Tötungsfrage in der Mensch-Tier-Ethik – Eine Antwort

Die Frage, ob Tiere von Menschen getötet werden dürfen, wird unter Philosophen schon lange diskutiert. Eine gute Zusammenstellung und Diskussion der Lösungsvorschläge, von der Antike bis jetzt, findet sich bei Jörg Luy [1], der sich am Ende seiner Arbeit jedoch zu der Philosophie von Kant und Schopenhauer bekennt: die Tötung von Tieren wäre moralisch gerechtfertigt, wenn sie angst- und schmerzfrei vollzogen würde – mit seiner eigenen, folgenden Begründung: Zwar hätten Tiere, moralisch betrachtet, denselben Status wie Menschen, aber nur, während sie lebten. Für ihren Tod sähe es anders aus. Denn die Tötung, angst- und schmerzfrei vollzogen, würde vom Tier weder bewußt erlebt, noch ergäben sich für das Tier Folgen. Die Folgen: Todsein, kein Leben, keine Zukunft mehr, würden zwar entstehen, aber nicht für das Tier, das wäre ja tot und merkte nichts davon, weder bewußt noch unbewußt. Ähnliche Überlegungen, in bezug auf den Menschen selber angestellt, wären jedoch moralisch zu verwerfen, da das Wissen um die Möglichkeit, angst- und schmerzfrei getötet werden zu können, Panik auslösen würde – letztendlich der Grund, weshalb es unter Menschen ein Tötungsverbot gäbe. Beim Tier dagegen wäre keine Panik zu erwarten, da Tiere nur auf konkrete Lebensgefahr hin Regung zeigten, nicht jedoch aufgrund der bloßen Möglichkeit. Die Formulierung eines Rechts auf Leben auch für Tiere machte also gar keinen Sinn [2].

Daß Tiere auf eine nur mögliche Lebensgefahr hin nicht in Panik gerieten, kann m.E. jedoch nicht stimmen. Immerhin töten sie sich innerhalb ihrer eigenen Spezies in der Regel auch nicht gegenseitig. Genauso wie der Mensch müssen sie also gemerkt haben, bewußt oder unbewußt, daß ihre Überlebenschancen ohne dieses sich gegenseitig zugestandene Recht auf Leben drastisch sinken würden. Ihr Zusammenleben und gemeinsames Agieren, gegen Feinde zum Beispiel, wäre unmöglich, müßten Tiere, genauso wie Menschen, ständig fürchten, bereits von ihren eigenen Artgenossen getötet oder im Stich gelassen zu werden. Gegenseitige Hilfe und Tötungsverbot bilden demnach die Grundpfeiler einer jeden Ethik, auch unter Tieren. (Tieren Ethik abzusprechen, sollte schon daran scheitern, daß der Mensch schließlich selbst einmal ein Tier war und sein ethisches Empfinden bestimmt keine Erfindung der neueren Zeit ist.)

Lediglich ließe sich ein Tötungsverbot, von Menschen in bezug auf Tiere erlassen, den Tieren nicht vermitteln, so daß eine Reaktion natürlich ausbliebe. Denn Tiere verstehen weder unsere Sprache, noch können sie sie lesen. Nur in dieser Beziehung hätte Luy dann recht. (Allerdings müßte allen Tieren bewußt sein, mit welcher Leichtigkeit der Mensch sie ermorden könnte. Vom bloßen Ansehen der Person ließe sich eine Kuh z.B. nicht schrecken). Aber niemand sollte ein Lebewesen wegen seines Unverständnisses als minderwertig einstufen. Auch sollte niemand fordern, daß Tiere menschliche Sprache erst gelernt haben müßten, um als gleichwertig respektiert werden zu können. Eher im Gegenteil, wäre nicht geradezu der Mensch dran, als der vermeintlich Klügere, die Sprache der Tiere zu lernen – oder wieder neu zu lernen? (siehe Anhang).

Moral muß auch nicht zwangsläufig mit dem Tod enden. Zwar schließt Luy Tiertötungen aus, bei denen trauernde Artgenossen oder sogar trauernde Menschen zurückblieben – aber wer will wissen, ob der Tod nicht zu früh eingetreten war? Wer will wissen, daß der Tod das absolute Ende bedeutet?

Eigentlich könnte es m.E. nur einen einzigen Grund geben, Tiere zu töten, nämlich den, daß Raubtiere es ja auch tun. Aber anders als Raubtiere, die Fleisch benötigen, wenn sie, frei in der Natur lebend, nicht verhungern sollen, benötigt der Mensch zum Überleben überhaupt kein Tierfleisch. Ja, nicht einmal irgendwelche anderen Tierprodukte, wie Wolle, Leder, Tiermilch, usw., müßte er sich beschaffen. Jedenfalls heutzutage ist das so, früher mochte es anders gewesen sein – aber m.E. nur deshalb, weil die Vorfahren der Menschheit ihren angestammten Lebensraum, die Baumwelt der Tropen mit ihren vielen Früchten und Blättern, von denen sie lebten, verließen, um sich weiter auszubreiten. Man kann sich darüber streiten, ob diese Ausbreitung notwendig war. Sie passierte. Die dafür möglicherweise erforderliche Tierausbeutung kann aber nun fallen gelassen werden. Sie ist nicht mehr notwendig und damit völlig grundlos.

Luy’s Behauptung, daß ein Recht der Tiere auf Leben keinen Sinn machte, halte ich für widerlegt. Tiere haben denselben moralischen Status wie Menschen. Zwar folgt aus dieser Gleichheit nicht automatisch unsere moralische Verpflichtung zur Gleichbehandlung in jeder Beziehung (die unterschiedlichen Gewohnheiten von Mensch und Tier gilt es zu berücksichtigen), aber das Leben an sich, die pure Existenz, läßt eben keine Differenzierungen mehr zu. Das Töten von Tieren ist genauso als moralisch unzulässig zu betrachten wie das Töten von Menschen.

Detlef Liebe, im Juli 2002

Anhang

Wieder betrachtete ich die Augen des Gorillas, weise und wissende Augen, und machte mir meine Gedanken über unsere Versuche, Affen eine Sprache beizubringen. Unsere Sprache. Wozu? Es gibt doch genügend Mitglieder unserer eigenen Spezies, die in und mit dem Wald leben und diese Sprache kennen und verstehen. Denen hören wir doch auch nicht zu. Wie kommen wir also darauf, daß wir uns ausgerechnet das anhören würden, was uns ein Affe zu sagen hätte? Oder darauf, daß er uns etwas von seinem Leben mitteilen könnte, in einer Sprache, die nicht aus diesem Leben entstanden ist? Vielleicht, dachte ich, ist es gar nicht so, daß sie eine Sprache erwerben müßten, sondern daß wir eine verloren haben.
Dian Fossey

Literatur

[1] Jörg Luy: Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik, Dissertation,1998
[2] Jörg Luy: Die Tötungsfrage in der Tierschutzethik, Deutsche tierärztliche Wochenzeitschrift, 107, 84-88

Über den Verfasser dieses Artikels

Detlef Liebe, Tierfreund und Anhänger einer gesunden Lebensweise, lebte seit seiner Geburt, 1953, vegetarisch. Vor knapp zwei Jahren wurde er Veganer.

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