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Hannelore Jaresch: Wenn Bürger nicht mehr brav sein wollen

Wenn vom Widerstand die Rede ist, ist der Widerstand vor mehr als 50 Jahren gegen das NS-Gewaltregime gemeint. Wenn von zivilem Ungehorsam gesprochen wird, dann denkt die Mehrzahl der Bürger an Sitzblockaden wie gegen die Stationierung der Pershing-Atomraketen in Mutlangen, an Bürgerinitiativen wie gegen den Castor-Transport oder an Kirchenasyl für von der Abschiebehaft bedrohte ausländische Mitbürger.

So jedenfalls beschreibt Heribert Prantl die Situation in seinem Artikel »Wenn Bürger nicht mehr brav sein wollen« in der Süddeutschen Zeitung vom 21./22. März 1998. Er vertritt dort die für viele sicher provozierende Auffassung, dass das Wort Widerstand nicht reserviert bleiben sollte für »eine letzte Notwehrmaßnahme gegen eine verbrecherische Obrigkeit«, für »Anstiftung zu Aufruhr und Umsturz«. Widerstand kann für ihn auch »im alltäglichen Widerspruch liegen, im Widerstehen, im Sich-Entgegenstellen« da, wo Unrecht geschieht. Dieses Unrecht sieht er heute in einer »forcierten Politik der Entdemokratisierung und Entsolidarisierung«, im Lauschangriff, im Abbau des Sozialstaats, in der Verabsolutierung des Standorts Deutschland, in dem »ungestörte Investionsausübung« brutal durchgesetzt wird.

In Heribert Prantls »Zehn Einladungen zum Widerstand in der Demokratie« – wie auch in der von ihm ausgelösten Diskussion zwischen Professoren und Politikern im SZ-Forum – geht es ausschließlich um Widerstand gegen Unrecht, das Menschen angetan wird. Ich möchte hier den Blick weiten auf die Verbrechen, die Tieren angetan werden und uns einige von Prantls »Einladungen zum Widerstand« für unsere Arbeit als Tierrechtler nutzbar machen:

• »Widerstand ist nicht Vergangenheit«
Widerstand darf nicht in der Vergangenheit »abgestellt« werden und muss nicht gleich eine Bedrohung der bürgerlichen Existenz bedeuten (wie Arbeitsplatzverlust oder gar Gefängnis). Es gibt auch den »kleinen« Widerstand, der darin bestehen kann, Stellung zu nehmen, sich Sympathien zu verscherzen, Konflikten nicht auszuweichen, sich auf die Seite der Opfer menschlicher Interessen zu stellen, in der Minderheit zu sein.

• »Widerstand ist Selbstüberwindung«
Nicht-Wegsehen und Nicht-Verdrängen von Leid und Unrecht, sondern dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden Raum geben, ist schwer genug. Deshalb gelten die Worte auf den Flugblättern der Weißen Rose auch heute und auch für unser Anliegen: »Zerreisst den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um euer Herz gelegt habt.«

• »Widerstand ist geduldige Ungeduld«
Nicht pubertäre, spontihafte Konfrontation um der Konfrontation willen ist gemeint, sondern Hartnäckigkeit und langer Atem, gerade auch bei Rückschlägen, dazu Wachheit für die jeweils geeigneten Mittel.

• »Widerstand ist Demaskierung«
Widerstand muss heute heissen: Offene Kritik an einer Politik, die Tiere der Macht bloßer Wirtschaftsinteressen überlässt, Aufbrechen des Informationsmonopols und Öffentlichmachen von Taten und Tätern, Misstrauen gegen Vorschläge der Obrigkeit (z.B. in Form von Richtlinien, Verordnungen, Gutachten), Offenlegen ihrer Maskierungsabsichten.

• »Widerstand ist Prima ratio der Demokratie«
Wache, misstrauische Bürger, die sich in ihrer Freizeit mit viel Engagement in eine für sie zunächst fremde, komplizierte Materie einarbeiten, sich mit anderen zusammentun und einen wohldurchdachten Protest organisieren, sind kein Angriff auf die Demokratie, sondern erhalten sie am Leben.

• »Widerstand fürchtet Strafrecht nicht«
Wer Widerstand leistet, darf die Konfrontation mit dem Strafrecht nicht scheuen. »Sich vor dem Richter zum Widerstand zu bekennen, ist Teil des Widerstands«, so Heribert Prantl. Ob der Aspekt des außergesetzlichen Notstandes (§34 StGB) einen Rechtsverstoß zugunsten der Tiere rechtfertigt, bedarf noch einer gerichtlichen Klärung.

• »Widerstand macht Lust auf mehr«
Am Anfang sind es fast immer wenige, die ein Übel erkennen und dagegen aktiv werden.
Zu sehen, wie Unrechtsbewusstsein geweckt werden kann und schließlich bei genügend Ausdauer in immer breitere Schichten der Bevölkerung einsickert, sich in gewandeltem Verbraucherverhalten und schließlich auf politischer Ebene in Form von Gesetzesinitiativen niederschlägt, gibt Hoffnung und Energie zur Weiterarbeit.

Hannelore Jaresch

Zuerst erschienen in: »tierrechte 2.98«

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