Henri Rousseau: Fight Between a Tiger and a Buffalo, 1908
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Buchkritik: Carlo Consiglio – Vom Widersinn der Jagd

Im italienischen Original heißt das Buch »Diana e Minerva«, Carlo Consiglio, Professor für Zoologie an der Universität Rom, stellt hier die Göttin der Vernunft, Minerva, der Göttin der Jagd, Diana, gegenüber. Nicht als barocke Allegorie, sondern im modernen Gewand der Wissenschaft. Die Vernunft ist die Herausforderin und konstatiert anhand nüchtern ermittelter Daten, welche ungeheuren Schäden die moderne Jagd anrichtet. Den Gegenbehauptungen der Jägerschaft begegnet sie mit einer immensen Fülle von Faktenmaterial, das sogar großenteils aus deren eigener Fachliteratur stammt, überwiegend aber aus neutralen Untersuchungen der Ökologie betroffener Tierarten und der Auswirkung jägerischen Tuns in verschiedenen Einzelbereichen. Ausgewertet wird die einschlägige Literatur des ganzen 20. Jahrhunderts (mit einigen Rückgriffen auf noch ältere), wobei geographisch der Raum Europa und Nordamerika zur Betrachtung steht (fallweise unter Berücksichtigung der anderen Kontinente).

In seinem Vorwort erklärt Prof. Consiglio, dass er das Buch nicht für Tierfreunde und Tierschützer geschrieben habe – für die müsse man nicht viele Worte machen, ihnen genügt ein Satz: »Die Jagd ist heute nichts anderes als ein Massaker an fühlenden und wehrlosen Lebewesen und hat den einzigen Zweck, dem Vergnügen der Jäger zu dienen. Der Jagdsport ist Barbarei.« Seine eingehende Auseinandersetzung richte sich vielmehr an diejenigen, die ehrlich überzeugt sind, »dass die Jagd notwendig sei, um überschüssige Tiere zu eliminieren«. Viele »gebildete Menschen, die sich für »Grüne« oder Leute vom Fach halten«, glauben allen Ernstes, »dass die Jagd mit dem Arten – und Umweltschutz und der Erhaltung ökologischer Systeme in Einklang stehe«. – Dank der alten Tradition und des ungebrochenen gesellschaftlichen Einflusses der Jägerschaft dürfte dies die Mehrheitsmeinung auch in Deutschland sein; wir wissen es von unseren Natur- und Umweltschützer/ innen.

Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müsste Prof. Consiglios Buch den Todesstoss für diese herrschende Meinung bedeuten. Eine derart gründliche und umfassende wissenschaftliche Kritik der Jagd durch einen Ordinarius der Zoologie hat es wohl noch nie gegeben. Das Material, das die ökologische Absurdität der modernen Jagd ausnahmslos in all ihren Formen und an allen Orten beweist, ist überwältigend. Die Arbeit folgt streng wissenschaftlichen Methoden und stützt jede Aussage mit unbestreitbaren Zahlen, Daten, graphischen Darstellungen und Tabellen. Sie untersucht sämtliche einschlägigen Aspekte und alle Rechtfertigungstheorien. Das Ergebnis ist eindeutig: Wissenschaftlich begründen lässt sich nur die völlige Abschaffung der Jagd.

Besprechung

Als ich Prof. Consiglio zum ersten Mal sah, bei einem Kongress in Mailand, hatte ich seinen Namen schon gehört und einige vielversprechende Zitate aus seinen Arbeiten gelesen. Ich suchte ihn unter den Kongressteilnehmern und fand ihn ohne Hilfe sofort: Er stand am vegetarischen Buffet und trug weder Tasche noch Gürtel noch Schuhe aus Leder. Als einziger unter all den vielen Ökologen. Inzwischen haben wir bei veganen Mahlzeiten und in seinem Büro der E.F.A.H. (European Federation Against Hunting«), der europäischen Dachorganisation zur Abschaffung der Jagd, deren Präsident er ist, über tausend Dinge gesprochen, und ich habe ihn als den klarsichtigsten und sachkundigsten Tierrechtler kennen gelernt, der mir begegnet ist. »Ma è tutto scienza«, pflegt er lächelnd zu sagen, »es ist doch alles pure Wissenschaft.« Sanft und geduldig setzt er auf strikte Rationalität. Vernunft aber ist bei ihm nicht ein abgespaltener Gehirnvorgang, der Empathie und Liebe per definitionem ausblendet, und schon gar nicht ein Synonym für menschliche Interessen. Seine Student/innen sind auf Vegetarismus verpflichtet, mit der rationalen Begründung, dass es nicht möglich ist, Tiere zu beobachten und ihre Lebensformen zu erkennen, wenn man den Fressblick auf sie, und damit den Blickwinkel von oben nach unten, verinnerlicht hat und nicht aufgibt. Das bewusste Zerstören der lebendigen Einheit Tier zerstört auch die Objektivität der wissenschaftlichen Betrachtung. Etwa so, als würde der Kunstwissenschaftler gewohnheitsmäßig Gemälde zerschneiden, um sie besser zu verstehen. Carlo Consiglo hat Generationen von Studierenden einen anderen Begriff von Zoologie vermittelt: Er lehrt biologische und ökologische Fakten, ohne den Respekt vor jedem einzelnen Tier als einem empfindungsfähigen, fühlenden Wesen außer Betracht zu lassen.

Nachdem mehrere Verlage meine Bemühungen, »Diana und Minerva« auf den deutschen Markt zu bringen, mit fadenscheinigen Begründungen abgewiesen hatten, kam endlich eine ganz andere Reaktion: »Zweitausendeins« erklärte, es sei ihnen eine Ehre, das Buch zu publizieren. Dort zuckt man eben nicht gleichgültig die Achseln, wenn die Möglichkeit besteht, mittels Aufklärung millionenfachen Tiertod vermeiden zu helfen. Und nun ist es da: Das wichtigste Handbuch für alle, die fachlich fundierte Argumente gegen die Jagd suchen und für alle, die von der Jagdpropaganda eingenebelt, gutgläubig die alten Mären von der ökologischen Notwendigkeit des Totschießens nachschwatzen.

Die Last der Beweise für die ökologische Schädlichkeit der Jagd, die Consiglio zusammengetragen hat, ist überwältigend. Keine der gängigen Rechtfertigungstheorien hält der sorgfältigen Prüfung stand. So mag mancher Laie überrascht sein, dass es nicht die (ausgerotteten) »Raub«tiere sind, die die Population der Beutetiere regulieren und deren Funktion nun die Jäger übernehmen müssten, sondern umgekehrt. Oder dass bei höherer Populationsdichte keinerlei Krankheiten auftreten, denen die Jäger durch vorsorgliche Abschüsse zuvorkommen müssten. Oder dass die Bejagung tollwütiger Füchse die Ausbreitung der Krankheit begünstigt, statt sie zu bekämpfen, (da das freigewordene Revier eines Fuchses sofort von einem anderen besetzt wird, was einen beschleunigten Ortswechsel der Tiere zur Folge hat.) Kaum jemand kennt das hervorragendste Beispiel, das die Jägertheorien bereits in der Praxis über den Haufen geworfen hat: Im Kanton Genf wurde 1975 (!) jegliche Jagd auf Säugetiere und Vögel durch Volksabstimmung (!) verboten – und statt der vorausgesagten Katastrophen hat sich ein gesunder natürlicher Wildtierbestand in einer gesunden Natur eingependelt.

Nicht nur den Laien, auch den Jägern und den zuständigen Behörden sind die Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften der verschiedenen Tierarten und ihrer Umwelt weitestgehend unbekannt, ganz abgesehen von der Ignoranz der meisten Jäger, die oft genug nicht einmal ihre Beuteobjekte auseinanderhalten können, etwa geschützte und freigegebene Vögel, (bekanntlich verwechseln sie ja sogar häufig eigene Jagdgenossen mit Wildschweinen.) Entsprechend unzulänglich sind die Kontrollen, nicht nur wegen der praktischen Schwierigkeiten, sondern auch wegen der falschen Konzepte der Kontroll- und Legitimierungsinstanzen. Bestandszählungen und Abschussquoten werden mit fragwürdigen Methoden ermittelt, und das immer unter (Mit-)berücksichtigung der jägerischen und/ oder besitzorientierten Partikularinteressen. In manchen Ländern gar nicht. Überall fehlt es an der weiträumigen Übersicht über Folgen und Nebenfolgen der Jagd, etwa über Populationsdynamik, Verhaltensbiologie, toxische Wirkungen (Blei, Gift), oder die Beeinflussung der Entwicklung von Tier- und Pflanzenarten, die gar nicht ins Blickfeld genommen werden.

Und überall wird das Jagen als eine Art Menschenrecht angesehen, in das allenfalls regulierend, nicht aber grundsätzlich angegriffen werden dürfe. Die meisten Menschen sind von dem uralten Mythos der Jagd eingeschüchtert. Selbst diejenigen, die das »Töten als Hobby« bekämpfen, sehen oft noch das »hegerische« Töten durch Förster und Profis als legitim an. Und die, denen das unappetitliche blutige Handwerk in jeder Form zuwider ist, scheuen sich meist, den im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Rechtfertigungen zu widersprechen, da sie den »Experten« an Sachkunde unterlegen zu sein meinen. In Carlo Consiglios Buch, dessen klare Sprache und Gliederung es auch allen nicht in die Weisheiten der Weidmannszunft eingeweihten zugänglich macht, können sie sich munitionieren, um die Tiere aus dem Schussfeld der Jäger zu bringen.

Sina Walden

Carlo Consiglio
Vom Widersinn der Jagd
Gebundene Ausgabe, 280 Seiten
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/Main
Preis: 16,85 Euro
(nur direkt bei Zweitausendeins verfügbar)

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