Franz Marc: Der Traum, 1912
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Buchkritik: Noahs Erben von Richard David Precht

»Rinderwahnsinn und Schweinepest, nikotinverseuchte Hühner auf der einen Seite, dramatisches Artensterben von Tieren und Pflanzen auf der anderen – die Symptome eines entfremdeten und in letzter Instanz selbstzerstörerischen Umgangs mit nichtmenschlichem Leben sind allgemein bekannt.« Doch diese Probleme sind nicht zufällige Pannen und kurzfristige Skandale. Der Grund ist zu suchen in einem grundlegenden Denkfehler: »der Verdrängung der biologischen Natur des Menschen«.

So beginnt Precht seinen faszinierenden Streifzug durch die (Kultur-)Geschichte der Menschheit, durch die großen Weltreligionen, die abendländische Philosophie, die verschiedenen Wissenschaften vom Leben bis hin zur heutigen Politik, Rechtsprechung, zu unserem Verhalten im Alltag – und zur Tierrechtsbewegung der letzten Jahrzehnte. Die Frage, der er dabei nachgeht, heißt: Wo liegt die Grenze zwischen Mensch und Tier? Welche Interessen stecken jeweils hinter der peniblen Grenzziehung zwischen nur-animalischem und menschlichem Leben?

Spätestens die Evolutionsbiologie und die Verhaltensforschung zeigen: Es gibt keinen biologischen Sonderweg des Menschen, dafür »die Erkenntnis, wie begrenzt unser eigenes Wirbeltiergehirn arbeitet«. Diese Erkenntnis bietet – so Precht – die Chance, die Tiere »in eine biologisch reflektierte Ethik einzubeziehen«. Er nennt dies eine »Ethik des Nichtwissens«. Sie besteht darin, den nicht-menschlichen Lebewesen in Bescheidenheit und Respekt vor dem »keineswegs objektiv durchschauten und durchdachten Leben« zu begegnen.

Von der Philosophie der Tierrechtsbewegung (Singer, Regan) grenzt sich Precht vor allem insofern ab, als er deren Prinzip der Gleichheit aller leidensfähigen Lebewesen die Forderung gegenüber stellt, auch Nicht-Gleiches zu respektieren: »Es ist dabei durchaus nicht wichtig, dass Tiere genau gleich empfinden wie wir. Es reicht, dass sie überhaupt empfinden. Warum sollten sich andere Gefühle nicht genauso anerkennen lassen wie gleiche? Tiere deshalb zu achten, weil sie anders sind, ist die Herausforderung der Zukunft.«

Wenn Precht gegen Ende seines Buches allerdings auf die praktischen Konsequenzen als »Pragmatik des Nichtwissens« zu sprechen kommt, wird die bis dahin inhaltlich so reichhaltige und im besten Sinne radikale Argumentation auffällig dünn: Da der menschliche Artegoismus ein Teil seiner biologischen Ausstattung ist, muss er als solcher auch berücksichtigt werden. Es bleibt also nur die Umsetzung von sehr gemäßigten Zielen wie: Verbot der Pelztierfarmen, ökologische Jagd, Verbot der landwirtschaftlichen Intensivhaltung, nur unerlässliche Tierversuche und weniges mehr.

Dennoch wegen seines Materialreichtums, seiner scharfsinnigen Analyse und seines polemischen, frechen Sprachwitzes: sehr empfehlenswert!

Hannelore Jaresch

Richard David Precht
Noahs Erbe.
Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen

Gebundene Ausgabe – 404 Seiten
Rotbuch Verlag, 1997
Preis: 48,00 Mark
ISBN 3-88022-517-6
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Taschenbuch-Ausgabe – 404 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2000
Preis: 19,90 Mark
ISBN 3499608723
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