Robert Delaunay, 1938, Rythme n°1
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Buchkritik: Hanna Rheinz – Tiere Frauen Seelenbilder Die neue Tierpsychologie

In ihrem ersten Buch zur Psychologie der Beziehung zwischen Mensch und Tier, »Eine tierische Liebe«, legte die – inzwischen von Akademien und Instituten vielgefragte und durch Fernsehen und Radio bekannte – Autorin das Augenmerk hauptsächlich auf den Menschen und seine Gefühle für Tiere, insbesondere für seine eigenen Haustiere. In dem hier vorgestellten zweiten Buch liegt das Schwergewicht der Betrachtungen auf dem Tier selbst, auf dem Tier-Individuum, auf der Frage nach dem Ich, dem Selbst des Tieres. Von beiden Blickwinkeln her erschließt sie neue Sichtweisen auf ein von der psychologischen Fachwissenschaft vernachlässigtes Gebiet.

Um das Tier als gleichberechtigtes Gegenüber anzuerkennen stützt Hanna Rheinz ihr Konzept auf den Wissenszuwachs der letzten Jahrzehnte und führt Erkenntnisse aus verschiedenen, unverbunden nebeneinander existierenden, Forschungsgebieten zusammen, etwa aus der kognitiven Ethologie, der Verhaltensbiologie, der Neurophysiologie, der Psychoanalyse oder auch der Säuglingsforschung, der Frauenbewegung, der Kulturgeschichte. Dennoch legt sie hier kein mit Fremdwörtern und Fußnoten überfrachtetes wissenschaftliches Sachbuch vor, sondern ein zwar fundiertes, aber auch Laien gut zugängliches Kompendium zum Verständnis der tierlichen Psyche.

»Wenn der Mensch die Möglichkeit nicht länger abweisen kann, dass das ihm gegenüber stehende Tier über eine dem Menschen vergleichbare und gleichwertige Selbst- und Person-Struktur verfügt, wird es über kurz oder lang auch vergleichbare Rechte erhalten«, heißt es im Vorwort. Zu den bisherigen ethischen, rechtlichen, ethologischen und politischen Begründungen der Tierrechte liefert das Buch neue Bausteine aus dem Fachgebiet Psychologie.

Besprechung

Die promovierte Psychologin Hanna Rheinz und ihre Katze Schoscha – mit vollem Namen: Madame Chauchat, zu Ehren der aparten Dame aus Thomas Manns »Zauberberg« – haben ein Buch geschrieben. Ein Buch über Tierpsychologie. Was immer bisher in den einschlägigen Fachgebieten zu diesem Thema erörtert, was überhaupt darunter verstanden wurde, wird von Schoschas zierlichen Pfoten weggewischt. Viel ist es ohnehin nicht. Die akademische Psychologie klammert das Tier ebenso aus, wie es immer ausgeklammert blieb aus allen Disziplinen, die des ernsthaften Studiums würdig erachtet wurden. Um »das Tier«, jedes Tier, als Subjekt zu betrachten, nicht als Objekt zoologischer, ökologischer, ethologischer oder ökonomischer Untersuchungen, bedarf es der grundsätzlichen Anerkennung innerer Vorgänge bei Tieren und der Bemühung, Zugang zu diesen Vorgängen zu finden.

In der Philosophie, in der das Tier fast ausschließlich als Abgrenzungsmodell diente, als Folie für alles, was der Mensch nicht sei oder nicht sein soll, hat sich in den letzten Jahrzehnten viel geändert und ändert sich weiter in immer schnellerer Abfolge. Das aus nicht-akademischen Gesellschaftsschichten entstandene Tierrechts-, Tierschutz- und Tierbefreiungsdenken hat die Universitäten erreicht und ist aus dem ethischen Diskurs nicht mehr wegzudenken. In der Psychologie hingegen, erfahren wir von Dr. Hanna Rheinz, ist die Message noch nicht angekommen. Es gibt keinen Lehrstuhl für Tierpsychologie; (meines Wissens hat es überhaupt nur einmal einen gegeben, in Basel, eingerichtet für den ehemaligen Zoodirektor von Zürich, Prof. Heini Hediger, der mit seiner Emeritierung wieder abgeschafft wurde.) Und es gibt, was noch erstaunlicher ist, keine systematische Beschäftigung der Humanpsychologie mit Mensch-Tier-Beziehungen.

Auch hier hat die Praxis einen weiten Vorsprung: Aus der realen Beschäftigung mit Tieren hat sich eine Fülle von tierpsychologischen Ansätzen entwickelt, meist auf die eine oder andere Tierart spezialisiert. Einblicke in die Tierseele kommen von »Pferdeflüsterern«, von manchen sensiblen Veterinären, Hundelehrern, Trainern, Heimbetreuern, unabhängig arbeitenden Verhaltensforschern und hier besonders Forscherinnen (wie Jane Goodall oder Diane Fossey), von Dichtern und Künstlern und von zahllosen Einzelpersonen unter denen, die Tiere »halten« , beobachten und lieben. Inzwischen gibt es auch mehr und mehr psychologische Beratungs- und Therapieangebote auf der Basis selbsterworbenen Wissens. Doch wissenschaftliche Weihen bleiben dem Innenleben des Einzeltiers, des Tierindividuums, versagt.

In diese Leerstelle stößt das Buch mit dem anspruchsvollen Untertitel »Die neue Tierpsychologie« vor, das Hanna Rheinz mit dem Instrumentarium der emotionalen Intelligenz verfasst hat, auf einem Weg also, der sich der Abspaltung der Rationalität von allen anderen Erkenntnisquellen wie Sensibilität, Empathie und Sinnlichkeit verweigert. Schoschas Beitrag liegt nicht nur (aber auch) darin, dass sie es sich beim Schreiben zwischen PC-Tastatur und Tischkante bequem macht und schnurrt, sondern in den siebzehn Jahren, die sie mit ihrer Lebensfreundin (und anderen Katzen und Menschen) verbracht hat. Die Psychologin hat von ihr und durch sie gelernt, in jedem Tier dessen eigene Persönlichkeit zu erkennen, gegebenenfalls zu analysieren und in jedem Fall zu respektieren.

Losgelöst von schematisierenden Betrachtungsweisen (»Katzen sind so und so«, »Mit Hunden muss man…«), wie sie »Kenner« oft anbieten, ebenso wie von egozentrischen und anthropozentrischen Projektionen, gerüstet mit dem Fachwissen über menschliche Psychologie und mit der eigenen Sensibilität sucht die Autorin nach neuen Pfaden, die Seele des Tieres zu erkunden. Dazu muss sie erst viel Müll wegräumen. Fast die Hälfte des Buchs ist daher der Widerlegung von Mythen gewidmet, solchen, die von altersher fortwirken und neuen, die die modernen Wissenschaften erfunden haben. beispielsweise »Tiere haben kein Ich«, »Tiere haben kein Bewusstsein«, »Tiere sind triebhaft; denken nicht; sprechen nicht«.

Mehr noch als solche Volksweisheiten stand der ernsthaften psychologischen Beschäftigung mit dem Innenleben der Tiere die Dogmatik des sogenannten Behaviorismus im Wege, einer Strömung der Verhaltensforschung, die über ein halbes Jahrhundert das Feld beherrschte. Als wichtigster Glaubenssatz galt: Über innere Vorgänge bei Tieren können keine Aussagen gemacht werden, da Tiere nicht sprechen. Wir könnten allenfalls aus ihrem äußeren Verhalten Schlüsse ziehen, die aber ja keine Ähnlichkeiten mit dem inneren Erleben von Menschen aufweisen dürfen. Schlimmer noch: Der behavioristische Denkansatz implizierte, dass Tiere nicht denken und fühlen, weil wir nichts darüber wissen und niemals wissen können. Die Todsünde hieß »Anthropomorphismus«, die Übertragung menschlicher Gefühle, Motive, Antriebe, Denkvorgänge auf Tiere. Bis zu dem Grad, dass sogar jedes Wort, jeder Ausdruck zu vermeiden war, der eine Analogie nahelegen könnte – Freude etwa, Ärger, Mutwillen, Schuldgefühl, Zuneigung, Hass oder Langeweile. Ebensowenig durfte von mentalen Vorgängen die Rede sein, von Verstehen, Schlussfolgern, Abwägen, Entscheiden. Voraussetzung dieses reduktionistischen Modells ist die Annahme, dass Tiere nicht als Individuen denken, fühlen oder handeln, sondern Programme erfüllen. Jede andere Weise, an Tierbeobachtung heranzugehen, ja schon das Nachdenken über die Psyche der Tiere, wurde als »unwissenschaftlich« vom Tisch gefegt, als törichter Aberglaube lächerlich gemacht, ins Reich der Fabel und der Unterhaltungsliteratur verwiesen. In diesem Meinungsklima musste ein junges Pflänzchen wie die Tierpsychologie ersticken. Erst 1984 gelang dem Biologen Donald Griffin von der Rockefeller-Universität, New York, mit dem Buch »Animal thinking« ein wirksamer Aufstand gegen das Denkverbot, (deutsch 1990 unter dem Titel »Wie Tiere denken – Ein Vorstoß in das Bewusstsein der Tiere« erschienen). Seitdem ist das Thema nicht mehr tabuisiert, noch immer aber wirkt das Verdikt der Unwissenschaftlichkeit weithin lähmend.

Hanna Rheinz wagt einen mutigen Ansatz, der Darwin und Freud verknüpft und auf der Basis der Gleichberechtigung das Handwerk der Humanpsychologie artübergreifend nutzbar macht. Denn da auch die Annäherung an die innere Befindlichkeit eines anderen Menschenwesens unabdingbar über die Empathie läuft, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, gibt es keinen vernünftigen Grund, diesen Weg der Einfühlung, der Identifikation, der Analogie nicht auch zum Verständnis der uns biologisch so ähnlichen Tierwesen zu gehen. Es gilt, die Verständigung über Sprache und Begriffe als ein bloßes Hilfsmitttel zu begreifen und nicht als den wesentlichen oder gar einzigen Schlüssel. Wie wäre psychotherapeutische B 8ehandlung etwa von Autisten, kleinen Kindern, Verwirrten sonst überhaupt denkbar? Gerade die Lehre vom Seelenleben bedient sich eines Wissenschaftsbegriffs, der das Fühlen konstitutiv einbezieht und Empathie voraussetzt. Dass die Fachwelt diese Brücke nicht beschreitet, um auch die angeblich so fremden Tierseelen zu verstehen, ist bedauerlich. Beseelte Lebewesen in die Zuständigkeit der »reinen Naturwissenschaften« abzuschieben, heißt sie zu Dingen zu erklären, zu verdinglichen. Eine »neue Tierpsychologie« auf der Höhe des sich wandelnden Bildes von unseren Mittieren, wie sie dieses Buch umreißt und skizziert, ist dringend gefragt.

Das Wort »Seelenbilder« im Titel deutet den Weg an, den die Autorin beschreitet. Im Kontext bezeichnet es außerdem die mythischen Projektionen auf das Tier, die falschen und die weisen. Auch »Frauen« stehen da nicht zufällig. Frauen als Bezugspersonen von Tieren, Frauen als Modell jahrhundertelanger gesellschaftlicher Fehlinterpretation und Ausgrenzung. Verstehen sie Tiere besser? Gibt es eine größere Nähe?

Die klugen Betrachtungen von Hanna Rheinz streifen alle Gebiete, auf denen Tiere mit Menschen in Kontakt kommen. In der Regel besteht dieser Kontakt in der Ausbeutung von Tieren, in der Herrschaft über sie, überwiegend in der Gewalt, die mensch ihnen antut. Von ihrem psychologischen Ansatz, der jedes Tier als einzigartiges Lebewesen begreift, kommt Hanna Rheinz zwingend zur Ablehnung des gesamten Herrschaftssystems und von ihrer engagierten Beschäftigung mit dessen Auswirkungen zur Einforderung von Tierrechten. Nur in einem Bereich setzt sie die Akzente anders als manche ( keineswegs alle) konsequenten Tierrechtler/ innen. Gerade weil es möglich ist, Tiere zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren und weil oft auch Tiere selbst die Kommunikation mit Menschen suchen, kann die völlige Trennung von Tier- und Menschenwelt nicht das Ziel sein. Im Gegenteil: Die reiche Erfahrung mit Haustieren wie Hund oder Katze, Pferd oder Vogel zeigt, dass Verstehen, Gefühlsaustausch und innige Bindung zwischen den Wesen verschiedener Spezies möglich ist. Diese Erfahrungen haben viele Menschen auch mit nicht domestizierten Wildtieren. Dass solche von Verständnis und Liebe getragenen Beziehungen das Leben beider Partner bereichern und ein großes Glück bedeuten, ist eine der wichtigsten Botschaften, die Katze Schoscha und ihre »mit dem dritten Ohr hörende« Lebensgefährtin weitergeben.

Sina Walden

Hanna Rheinz
Tiere Frauen Seelenbilder.
Die neue Tierpsychologie

Broschiert – 198 Seiten
Verlag Frauenoffensive, München, 2000
Preis: 16,40 Euro
ISBN 3-88104-329-2

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