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Buchkritik: Nan Mellinger – Fleisch

Ursprung und Wandel einer Lust

Damit sich niemand irrt: Es handelt sich nicht um ein Kochbuch. Dies zu bemerken scheint notwendig, da der kulinarische und ernährungsfachliche Aspekt von »Fleisch« in unserer Zeit derart flächendeckend behandelt wird, daß seinem gewohnheitsmäßigen »Verbraucher«- wie er im Zeichen der BSE-Krise neuerdings wieder besonders gehätschelt wird – kaum der Gedanke kommt, daß es auch andere Betrachtungsweisen gibt. Das Buch der Berliner Kulturwissenschaftlerin Nan Mellinger hingegen befaßt sich mit den vielfältigen Gründen für die »Lust« an tierlicher Nahrung, ihren soziologischen, ökonomischen, machtpolitischen, religiösen, kulturellen Bezügen und ihrem Wandel im Lauf der Zeiten. Besonders in dem reichen Verzeichnis der ausgewerteten neueren Literatur stößt man – mehr noch als im eigentlichen Text – auf eine Fundgrube für ungewohnte Sichtweisen. In zahlreichen Büchern und wissenschaftlichen Aufsätzen finden sich überraschende Fakten, Überlegungen und Einsichten, die mit dem Fleischessen zusammenhängen – etwa in Untersuchungen über die Geschichte der Nahrungsgewohnheiten, über den »gesellschaftlichen Stoffwechsel«, über die Idee des Opfers, über religiöse Speiseverbote, über das Fleisch als Machtsymbol, als Ordnungsfaktor zwischen den Geschlechtern, als identitätsstiftendes Element bestimmter sozialer Schichten oder beispielsweise über die Magersucht als weibliche Notwehr (schon im Mittelalter). In den verschiedensten Disziplinen wird vermehrt und neu über das Essen von Tieren nachgedacht. Allein dieses Literaturverzeichnis gibt denk- und diskussionsbereiten Leser/ innen eine Fülle von Hinweisen an die Hand, die scheinbare Selbstverständlichkeit des Fleischessens in Frage zu stellen und sich gegen platte Behauptungen wie »Das hat es immer gegeben und das wird es immer geben« zu wappnen.

Die Autorin verarbeitet die diversen Aspekte zu einer kulturanthropolologischen Betrachtung über die Gründe der Gier nach Fleisch und die Sonderstellung des Fleischs in der menschlichen Ernährung. Sie spannt den Bogen von der Urzeit bis zu unserer Epoche der industriellen Fertigprodukte, von dem Opfer für die Götter, dem Privileg der Herrschenden bis zum Konsumartikel für die Massengesellschaft. Besondere Beachtung schenkt sie dem unterschiedlichen Stellenwert von Fleisch bei Männern und Frauen. Der feministische Blickwinkel ist unverkennbar. Ein Kapitel mit der Überschrift »Das Fleisch der Frauen« macht dies besonders deutlich, noch zugespitzt in der Formulierung »Der Mann isst Fleisch, die Frau ist Fleisch«. Dagegen spielt der tierrechtlerische Ansatzpunkt nur eine untergeordnete Rolle. Vegetarismus wird im Kontext der historischen Ausführungen ohne Bewertung abgehandelt, wie sich die elegante Darstellung überhaupt mit Wertungen und Kritik zurückhält. Reich an Daten, Details und Anekdoten bietet sie auf ca. 150 (gut lesbaren ) Seiten einen zivilisationsgeschichtlichen Überblick.

Besprechung

Nan Mellingers Essay verführt dazu, ihn in einem Zug zu lesen, dank eines lockeren, erzählerischen Stils und viel spannender Information aus unterschiedlichen Fachgebieten. Ein interessantes Buch über ein interessantes Thema – aber es empfiehlt sich, der Verlockung zum Schnelllesen zu widerstehen und eine kritische Distanz zu bewahren. Denn die Aufbereitung der zugrundeliegenden Fleißarbeit ist keineswegs so »objektiv« wie sie sich gibt. Sie orientiert sich fast ausschließlich an der »ökonomischen Basis«, den geoökologischen und soziologisch – politischen Bedingungen, mit deren Wandel auch der Konsum von Fleisch als kultureller »Überbau« einhergeht.

Der Autorin muß man nicht ankreiden, daß in ihrem Schema die primär Betroffenen, die Tiere, praktisch nicht vorkommen und ethische Fragen ausgeklammert bleiben, ebenso wie philosophische und psychologische.

Das ist nicht ihr Thema. Aber diese Leerstellen sind verräterisch, da sie eine unbeteiligte Haltung zu diesem Teil der Gesamtthematik spiegeln und die moralische Abstinenz ihrerseits die Auswahl der Belege für die (verborgene) eigene Meinung bestimmt. Deshalb empfiehlt es sich, auch nicht alle »wissenschaftlich beglaubigten« Aussagen einfach als gut recherchierte Tatsachen hinzunehmen, so plausibel sie auch in dem konstruierten Zusammenhang erscheinen. In besonderem Maß gilt das für die Prähistorie. Aus jedem Knochenfund, jeder ethnologischen Beobachtung lassen sich Schlüsse ziehen, die nicht selten auf blühender Phantasie beruhen und die (bewußte oder unbewußte) Weltanschauung der jeweiligen Forscher/innen bestätigen müssen. Manche der bunt zusammengewürfelten Interpretationen erscheinen im Licht neuerer Untersuchungen auch als schlicht veraltet oder überzeugend widerlegt, etwa die »Jagdhypothese«, wonach der Mensch ein geborener Jäger sei (Vgl. etwa das von der Autorin- wohlweislich? – nicht einmal angeführte großartige Buch »Tod im Morgengrauen« von Matt Cartmill, Professor für biologische Anthropologie in USA, Verlag Artemis-Winkler Zürich / München 1993, später als rororoTaschenbuchausgabe unter dem Titel »Das Bambi-Syndrom« bei Rowohlt, derzeit nur in der englischsprachigen Ausgabe erhältlich.)

So fällt in Mellingers Buch zum Beispiel auf, wie gern sie sich auf den unseligen amerikanischen Autor Marvin Harris stützt, zu dessen Glaubenssätzen die genetische Anlage des Menschen zum Fleischfresser zählt. Gleich in den ersten Sätzen wird er mit dem Beispiel bemüht, daß es schon manche (!) Affen im Amazonasgebiet mehr auf die Kerbtiere in Früchten abgesehen hätten als auf die Früchte selbst; später u.a. mit einer geradezu romanhaften Schilderung jagender Steinzeitfrauen – als wäre er dabeigewesen. (Seltsamerweise schließt die Autorin dann aber ihr Buch, das eine hauchdünne Aussicht auf ein Ende der Fleischeslust durch den wachsenden Einfluß der Frauen auf die Gesellschaft andeutet, mit dem Satz »denn bekanntlich jagt die Frau kein Fleisch«.) Umgekehrt nutzt Mellinger z.B. den namhaften Ernährungshistoriker Massimo Montanari nur für einige Bestätigungen der heuchlerischen Fleischabstinenz von Mönchen, während sie keinen Gebrauch von dem macht, was er von den republikanischen alten Römern (samt ihren Soldaten) berichtet: daß nämlich ihre Ernährungsweise fast ausschließlich auf Getreide, Gemüse, Olivenöl und etwas Ziegenkäse beruhte und sie sich über die bluttriefende Nahrung der von ihnen eroberten Germanenstämme entsetzten oder lustig machten. (Montanari, in »Römer und Barbaren«, Beck-Verlag, 1997).

Bei der zwanghaften Durchführung der Behauptung, daß alle Menschen zu allen Zeiten einen unwiderstehlichen Drang zum Fleisch befolgten und alle »Entsagung«, selbst ganzer Völker, Kasten oder Religionsgemeinschaften, auf Armut und Unterdrückung zurückgeführt oder als inkonsequent angeschwärzt wird, erscheinen selbst hochbewußte Freunde der Tiere und erklärte Vegetarier wie Canetti, Gandhi oder Lord Byron irgendwie als Zeugen für die Fleischlust; und sogar von Pythagoras, (der bekanntlich an die Seelenwanderung glaubte und schon von daher die Tötung von Tieren als Mordtat sehen mußte,) wird die verleumderische Legende kolportiert, er habe aus Freude über die Entdeckung seines mathematischen Lehrsatzes Ochsen schlachten lassen… Fastenregeln oder die Tabuisierung von eßbaren Tieren werden mit wirtschaftlichen Zwängen begründet. Von Buddha weiß die Autorin, daß er in einer Epoche, in der sich die Lebensverhältnisse durch Kriege und Überschwemmungen (angeblich) rapide verschlechtert hätten, »mit dem Verhängen eines Schlachtverbots (für Opfertiere) für ein wirksames Krisenmanagement sorgte«. (Als wäre er ein regierender Herrscher gewesen…) Andere als materielle, ökonomische Gründe für die Enthaltung vom Fleisch werden nicht zugelassen. Die Abwehr psychologischer oder spiritueller Komponenten schlägt sich auch in einer auffallend konfusen Vermischung alttestamentarischer und christlicher Lehren nieder (S.84 f).

Als Korrektiv zu dem – trotz solcher grundsätzlichen oder konkreten Einwände lesenswerten – Buch von Nan Mellinger sei dringend angeraten, ein anderes mit dem gleichen Titel und Thema zur Hand zu nehmen : »Fleisch – Symbol der Macht« von Nick Fiddes, in 2. Auflage 1998 bei Zweitausendeins erschienen. Der Vergleich mag ein wenig unfair sein, da die Arbeit des Anthropologen Fiddes sehr viel umfangreicher und gründlicher ist, aber er zeigt auf exemplarische Weise, wie unterschiedlich die zum Teil gleichen Quellen genutzt, die zum Teil gleichen Fakten bewertet werden können, wenn eine andere Grundeinstellung gegeben ist. Ohne daß einem der beiden Autoren böswillige Verzerrungen oder Unaufrichtigkeiten zu unterstellen wären, kommen sie in den meisten Einzelheiten und Schlußfolgerungen oft zu geradezu entgegengesetzten Ergebnissen. Während Mellinger bis zum Schluß nicht aus dem Bann ihrer These herauskommt, nach der das Fleischessen ein naturgegebener Zwang sei, und der alten Jägerschule zuneigt, wonach die Menschwerdung überhaupt erst mit der Jagd /dem Fleisch begonnen habe, erklärt Fiddes diese retrospektiven Hypothesen zu reinen Vermutungen, die der Rechtfertigung heutiger eingefahrener Geschmacksprägungen dienen sollen. Auch in ihren Prognosen unterscheiden sich die Autoren. N.M. hält sich da sehr bedeckt, zumal sie die Menschheit im Stadium des »Paläogenetikums« (also dem Beginn eines neuen, von der Gentechnik bestimmten, Zeitalters) wähnt, dessen Entwicklung noch nicht absehbar ist, während Fiddes es für möglich hält, daß das Fleischessen »schon in einigen Jahren das Image einer relativ vulgären, ungesunden und antisozialen Leidenschaft« bekommt.

Sina Walden

Nan Mellinger
Fleisch
Hardcover – 199 Seiten
Campus Verlag, 2000
Preis: 24,90 Euro
ISBN 3-593-36641-X
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