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Buchkritik: Hans-Peter Breßler – Ethische Probleme der Mensch-Tier-Beziehung

Darf man Tiere töten? Sind Tierversuche erlaubt? Haben wir eine Fürsorgepflicht für freilebende Tiere? Dürfen Tiere gentechnisch verändert werden?
Hans-Peter Breßler untersucht in seiner Dissertation diese vier ethischen Problemfelder der Mensch-Tier-Beziehung unter der Berücksichtigung zeitgenössischer philosophischer Positionen.

Inhalt

Der moralische Status der Tiere ist nicht geklärt. Dies gilt innerhalb des philosophischen Umfelds nicht weniger als in der Gesellschaft. Breßler weist zu Beginn der Arbeit auf den Umstand hin, dass sich einige besonders umstrittene Bereiche in der Tierethik herauskristallisiert haben. Andererseits gibt es aber auch Gebiete, in denen ein gewisser Konsens herrscht.

So wird beispielsweise die Leidensfähigkeit den Tieren grundsätzlich zugesprochen, Tierquälerei aus niederen Beweggründen (wie z. B. Sportangeln, Pelztierzüchtung) wird weitgehend abgelehnt. Auch im Bereich der Vivisektion werden Versuche für triviale menschliche Interessen (wie z. B. Kosmetikforschung) überwiegend abgelehnt.
Breßler stellt somit fest, dass sich zumindest der von Rachels konzipierte Begriff des »Milden Speziesismus« innerhalb der Tierethik als Mindestnorm durchgesetzt hat.

Die offenen Fragen und Problembereiche werden von Breßler nun näher untersucht. Hierzu befasst er sich mit der ethischen Problematik des Tierversuchs, der Frage nach der Legitimität und Illegitimität der Tötung von Tieren, die Frage nach der Fürsorgepflicht für freilebende Tiere und die Frage nach den möglichen ethischen Grenzen der Veränderung von Tieren.

Die Positionen verschiedener zeitgenössischer Philosophen (wie z .B. Singer, Regan, Nelson, Schweitzer, Horkheimer) zu den Problembereichen werden dargestellt und entweder von Breßler selbst oder von einem anderen Philosophen einer Kritik unterzogen. Die Schwachstellen der bisher vorliegenden Argumentationen werden so aufgezeigt.

Breßler versucht nun nach der Prüfung der unterschiedlichen Argumente unter Berücksichtigung ihrer Stärken und Schwächen Lösungen anzubieten, welche gewissermaßen einen Konsens herstellen sollen.

Im Bereich »Tierversuche« sieht Breßler keine »unabdingbare Notwendigkeit«. »Tierversuche erlauben keine gesicherten Rückschlüsse auf humanmedizinische Fragestellungen und sind kaum geeignet, die Leiden der Menschen wirksam zu verhindern.« Breßler weist zudem darauf hin, dass alternative Verfahren die Tierversuche ersetzen könnten. Entscheidend ist für ihn vor allem, dass »wir von der krankmachenden Lebensweise, auf die wir uns größtenteils eingelassen haben, wegkommen.«

Bei der ethischen Problematik einer Fürsorgepflicht für freilebende Tiere unterscheidet Breßler zwischen einer Fürsorge im großen Stil, einer Fürsorge im Einzelfall und einer Fürsorge für Tiere, deren Leid durch menschliche Schuld verursacht wurde. Der erste Fall sei moralisch nicht geboten (klassisches Beispiel: Tofuburger für Löwen), da er nicht absehbare Folgen für Menschen, Tiere und die Natur hätte.
In Einzelfällen sei aber Hilfe moralisch angezeigt (Bsp.: Förster findet schwerverletztes Reh). Dies gelte insbesondere dann, wenn das Leiden des Tieres durch menschliche Schuld verursacht wurde. Hierzu zählen auch die Folgen der Gesellschaft als ganzes (z. B. Hilfe für ölverschmutzte Seevögel).

Bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung von Tieren stellt Breßler einen auffälligen Dissens innerhalb der Tierethiker fest. Angesichts dessen hält er einen Kompromiss für nötig, welcher, wie beim Verbot der Leidenszufügung, von einer wesentlichen Gemeinsamkeit von Mensch und Tier ausgeht.
Breßler schlägt das »biologisch programmierte Weiterlebenwollen« als Begründung für das Tötungsverbot vor. Der Tod sei »für die bewusstseinsbegabten Tiere ein Übel (…), auch wenn sie ihm ahnungslos entgegengehen, da sie, wie wir Menschen, am Leben hängen.«
Zudem gibt es gewichtige indirekte Gründe gegen die Tötung von Tieren, wie z. B. die ökologischen oder gesundheitlichen Folgen.
Es spricht somit viel »für ein absolutes Tötungsverbot von Tieren zu Zwecken der Fleischgewinnung und wohl auch zu Zwecken der »verbrauchenden« Forschung.«

Eingriffe in das artspezifische Wesen der Tiere hält Breßler unvereinbar mit der Würde der Tiere. Er plädiert für »Forschungsbeschränkungen, wie sie in bezug auf Eingriffe am Menschen geplant oder schon in Kraft sind, in gleicher oder abgewandelter Form auch auf Tiere anzuwenden.«
Eine Instrumentalisierung von Tieren lehnt Breßler ab, wenn das artspezifische Verhalten so eingeschränkt ist, dass »von einem Selbstzweck der Tiere nicht mehr gesprochen werden kann.« Dies ist der Fall, wenn die Tiere auf bloße Nahrungsaufnahme, Verdauung und Wachstum reduziert sind.

Kritik

Das Buch bietet eine gute Übersicht über die verschiedenen Positionen innerhalb der Tierethik. Die wichtigsten Argumente zu den »Brennpunkten« der Mensch-Tier-Beziehung, aber auch die jeweiligen Schwachpunkte der Positionen werden aufgezeigt. Die Arbeit erweist sich somit als wertvolle Fundgrube für Leute, welche sich mit einem speziellen Problem in der Tierethik auseinandersetzen und hierzu unterschiedliche Positionen suchen.

Positiv fallen gerade Beiträge auf, welche in der zeitgenössischen Diskussion eigentlich keine große Rolle spielen und deswegen selten anzutreffen sind, wie z. B. die Positionen von Horkheimer und Nelson.

Breßlers eigene Schlussfolgerungen bleiben aber problematisch, wenn er versucht, aus den verschiedenen Argumenten jeweils gewissermaßen »das Beste« herauszuziehen. Bei der Kritik der Positionen bleibt zum Teil unklar, ob es sich um eine Kritik der Position selbst mitsamt ihrer übergeordneten Moraltheorie handelt oder um den Nachweis von Inkonsequenzen der Position innerhalb ihrer Moraltheorie. So bleibt die wichtige Frage nach der richtigen Moralkonzeption (deontologisch oder konsequenzialistisch?) offen. Dieser Umstand allein ist Breßler auch nicht vorzuwerfen, schließlich gibt es plausible Gründe für beide Richtungen.
Kritisch wird die Sache aber genau dann, wenn Antworten auf Problembereiche der Tierethik ohne Rückgriff auf eine bestimmte Moraltheorie beantwortet werden.

Zwar verweist Breßler darauf, dass seine Empfehlungen in gewisser Weise »Kompromisse« sind. Doch hiermit wird auch beiläufig die Stärke des Arguments aufgegeben.

Ein Beispiel: Die Frage nach dem möglichen Unrecht der Tötung.
Breßler meint, dass die direkten und indirekten Argumente für ein absolutes Tötungsverbot von Tieren zu Zwecken der Fleischgewinnung sprechen. Inwiefern aber gerade hier ein »absolutes« Tötungsverbot für (alle?) Tiere gerechtfertigt werden kann, bleibt unklar. Die Gründe, die Breßler angibt, sprechen vielmehr für ein relatives Tötungsverbot.

Ein absolutes Tötungsverbot lässt sich wohl nur aus einer deontologischen Theorie ableiten. Dann wären aber auch keine direkten oder indirekten Gründe mehr erforderlich, die dieses Tötungsverbot »verstärken« müssten. So würden wir ja auch bei einem erwachsenen Menschen als paradigmatischer Fall eines absoluten Lebensrechts innerhalb einer deontologischen Theorie nicht darüber diskutieren, ob es zusätzlich gute ökologische, gesundheitliche oder ökonomische Gründe für ein absolutes Tötungsverbot gibt.

Wenn aber verschiedene Gründe gegen die Tötung von Tieren gesucht und diese sozusagen »summiert« werden, haben wir es mit einer konsequenzialistischen Richtung zu tun. Innerhalb dieser Konzeption kann die Bedenklichkeit der Tötung von Tieren zur Fleischgewinnung deutlich gemacht werden, unter Umständen lässt sich hier auch aus pragmatischen Gründen ein praktisches Tötungsverbot begründen. Ein »absolutes« Tötungsverbot scheidet hier aber definitv aus.

Dieser etwas fahrlässige Umgang mit der sauberen Argumentation fällt öfters ins Auge. Es ist Breßler anzumerken, dass er der Tierrechtsbewegung sehr positiv gegenübersteht. Dieser Punkt ist ja auch normalerweise erfreulich.
Leider entsteht aber hierdurch ein parteiischer Beigeschmack, welcher in einer wissenschaftlichen Arbeit möglichst vermieden werden sollte.

Fazit

Breßlers Buch bietet die wichtigsten Positionen und Argumente zu den Problembereichen der Tierethik und empfiehlt sich auf diese Weise als Nachschlagewerk.
Für weitergehende Überlegungen und neuen Lösungsansätzen fehlt der Arbeit aber in weiten Teilen die nötige Stringenz.

Thorsten Ullrich

Hans-Peter Breßler
Ethische Probleme der Mensch-Tier-Beziehung
Eine Untersuchung philosophischer Positionen des 20. Jahrhunderts zum Tierschutz
Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main, 1997
ISBN 3-631-31484-1
Preis: 33,20 Euro
(Dieser Titel ist im Online-Buchhandel nicht erhältlich. Sie können ihn jedoch eventuell bei Ihren lokalen Buchhändler und in jedem Fall auf der Website www.buchhandel.de oder direkt über den Verlag unter www.peterlang.de erwerben.)

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