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Buchkritik: Claudia Heinzelmann – Der Gleichheitsdiskurs in der Tierrechtsdebatte

Claudia Heinzelmann untersucht in ihrer Arbeit Peter Singers Forderung nach Menschenrechten für Große Menschenaffen. Um dieses sog. »Great-Ape-Project« kritisch beurteilen zu können, setzt sie sich ausführlich mit der Gleichheitsthematik auf der Folie der Gleichheitsdebatte in der feministischen Theorie auseinander. Sie spürt den geistesgeschichtlichen Wurzeln der kategorialen Trennung von Mensch und Tier nach und analysiert anschließend die tierrechtliche Argumentation von Peter Singer im Gesamtzusammenhang seiner präferenz-utilitaristischen Moraltheorie.

Was steht drin?

Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist für Claudia Heinzelmann ein als politisches Manifest präsentierter Aufsatzsammelband des »Great Ape Project« (kurz: »GAP«), welcher Menschenrechte für die Großen Menschenaffen (hierzu gehören: Menschen, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans) fordert. Die radikalen Schlussfolgerungen dieses Projekts waren für die Autorin der Anlass, sich intensiv mit der Problematik der Gleichheitsdebatte auseinanderzusetzen.

Zu Beginn untersucht Heinzelmann mit Rückgriff auf die feministische Theorie, welche Bedeutung dem Argument der Gleichheit generell in Befreiungsbewegungen zugemessen werden kann. Die Diskussion der feministischen Theorie zeigt für sie folgendes auf: »Eine pauschal postulierte Gleichheit negiert bestehende Verschiedenheiten und strukturelle Ungleichheiten. Eine Überbetonung der Differenz birgt die Gefahren von Verabsolutierung, Partikularisierung, Dichotomisierung und Hierarchisierung.«

Diese Erkenntnisse führen zu folgenden Punkten im kritischen Umgang mit Gleichheitspostulaten:
– Der Maßstab, an dem die Gleichheit festgemacht wird, ist kritisch zu prüfen.
– Differenz bedeutet nicht gleichzeitig Ungleichwertigkeit.
– Bei Dichotomien (Gegensatzbestimmungen) ist das Augenmerk auf die Kontinuitäten und Vermittlungen zu richten.
– Die Grenzen der Verallgemeinerbarkeit sind auch am historisch-kulturellen Kontext zu bemessen.

Von diesem Hintergrund aus wird nun die Mensch-Tier-Dichotomie kritsch betrachtet. Heinzelmann zeigt die geistesgeschichtlichen Wurzeln der kategorialen Trennung auf und stellt die Anfechtung der Dichotomie seitens der Biologie dar.

Zusammenfassend stellt sie fest, dass »die dichotome Stellung von Mensch und Tier, die auf grundsätzlichen, identitätslogisch festgelegten Wesensunterschieden aufbaut, mit vielfältigen Problemstellungen behaftet ist.« Gleichzeitig lehnt sie aber eine »reduktionistische Gleichmacherei« ab: »Außer in einem streng biologischen Sinn sind Menschen keine Tiere.« So sei z. B. eine besonders augenfällige Differenz »die instrumentalisierende Zugriffsmöglichkeit des Menschen auf alles »nicht-menschliche.«

In bezug auf die »Deklaration über die Großen Menschenaffen« kritisiert sie die Forderung nach Menschenrechten für alle Großen Menschenaffen, also Menschen, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Die in der Deklaration formulierten Rechte beschränken sich nur auf Art. 3, Art. 5 und Art. 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Da eine Beschneidung der Rechte von Menschen nicht gefordert wird, scheint sich die Deklaration, anders als von den Autoren des »Great Ape Project« beschrieben, nur auf die nichtmenschlichen Menschenaffen zu beziehen.

Durch die Verbindung des »Great Ape Project« mit dem philosophischen Standpunkt von Peter Singer bekommt dieser vermeintliche Widerspruch für Heinzelmann aber einen gewissen Sinn. Die von Singer vertretene konsequentialistische Moraltheorie des Präferenz-Utilitarismus stehe »Rechten« grundsätzlich skeptisch gegenüber. Außerdem werde die Mensch-Tier-Dichotomie in der Theorie Singers durch eine Person-Nichtperson-Dichotomie ersetzt. Diese Dichotomie hat aber nicht nur die Konsequenz, dass bestimmten Tieren ein gewisses Recht auf Leben zuerkannt wird, sondern auch bestimmten Menschen dieses verweigert wird, z. B. Säuglingen oder schwerst geistig Behinderten.

Das Prinzip der präferenz-utilitaristischen Interessensabwägung führt für Heinzelmann zu einer »Werthierarchie, in der Lebewesen nach ihrem Nutzen für die »Glückssumme« der Allgemeinheit beurteilt würden und in der selbst für die »Personen« kein absolutes Lebensrecht mehr bestehen würde.«

In ihrer Stellungnahme zum grenzüberschreitenden Konzept von Peter Singer kritisiert Heinzelmann die Schieflage einer Moraltheorie, welche Selektion befürwortet und mit Gleichberechtigung und Menschenrechten argumentiert.
Eine Selektion von Lebewesen nach Maßgabe eines Gesamtnutzens, »der in seiner Vagheit Manipulierbarkeit nicht ausschließt,« weist sie eindeutig zurück.

Neben der generellen Ablehnung dieser Theorie versucht Heinzelmann aber auch, grundlegende Fehlschlüsse von Peter Singers Theorie offenzulegen. In diesem Kontext kritisiert sie vor allem Singers »universalen Standpunkt des unparteiischen Beobachters« und seinen »reduzierten Emanzipationsbegriff«. Weiterhin zeigt sie Defizite in der Grundlage der verschobenen Dichotomie auf, nämlich »die Abwehr von Emotionalität«, »das Ideal der Beziehungslosigkeit« und »das Absehen von sozialen Kontexten«.

Aufgrund ihrer Analyse kommt Heinzelmann zu dem Schluss, dass »sowohl die Ausgangsargumentation als auch die Forderung nach »Menschenrechten« für die Mitglieder der sogenannten »Gemeinschaft der Gleichen« zurückzuweisen ist.«

Für den Umgang mit Tieren müsse eine neue Konvention gefunden werden, in der die Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber anderen Lebewesen ernst genommen wird.

Kritik

Ein Grundproblem durchzieht die ganze Analyse von Claudia Heinzelmann. Das Verständnis von Gleichheit, welches sie auf der Grundlage der feministischen Theorie herausarbeitet, unterscheidet sich fundamental von der Gleichheit als Prinzip der gleichen Interessenserwägung. Heinzelmann ist sich zwar dieser Differenz bewusst, geht aber gleichzeitig selbstverständlich davon aus, dass der Gleichheitsbegriff von Singer von vorneherein abzulehnen ist.

Heinzelmann fragt sich vor allem, worauf Singers Position »hinausläuft« und untersucht, wie man überhaupt zu einem »derart problematischen moralischen Standpunkt« kommen kann. Dies hört sich etwas merkwürdig an. Man könnte den Eindruck gewinnen, es gäbe eine ethische Theorie, welcher alle Menschen grundsätzlich zustimmen. Singer untergräbt diese vermeintliche Einigkeit mit dem schillernden und faszinierenden »Great Ape Project«, die Schattenseiten seiner Theorie werden den Menschen unauffällig untergeschoben. Diese Art der Argumentation ist zumindest für eine wissenschaftliche Arbeit befremdlich. In der Moralphilosophie ist es eine völlig offene Frage, ob sich die Menschheit eher an einer deontologischen oder an einer konsequentialistischen Theorie orientieren soll.

Wenn man sich vor Augen führt, dass Singer wohl einen Präferenz-Utilitarismus Harescher Prägung vertritt, welcher auch moralische Intuitionen, Loyalität, Rechte und Gerechtigkeit ernst nimmt, ist es verwunderlich, dass diese Theorie, welche zumindest in der angelsächsischen Moralphilosophie eine bedeutende Rolle spielt, so kategorisch abgelehnt wird.
Es mag Claudia Heinzelmann zugestanden sein, konsequentialistischen Theorien nicht zu folgen. Diese persönliche Ablehnung beinhaltet aber nicht automatisch die Konsequenz, den Utilitarismus in den Bereich abwegiger Außenseitertheorien zu schieben.

Die Neigung zur Voreingenommenheit gegen Singers Sicht führt dann auch zu einigen unsauberen Stellen in ihrer Kritik, welche die Gesamtargumentation nur schwächt. So wundert sie sich z. B., dass Singer die potentiellen Interessen zukünftiger Generationen berücksichtigt, die potentiellen Interessen des Fötus aber nicht. Diesen Punkt legt sie als Widerspruch aus.
Es ist aber kein Widerspruch, potentielle Interessen zu berücksichtigen, wenn diese auch einmal verwirklicht werden (es wird wohl mit relativ großer Sicherheit zukünftige Generationen geben), und potentielle Interessen nicht zu berücksichtigen, wenn diese Interessen (hier das Überlebensinteresse des abgetriebenen Fötus) nie entstehen werden.

Ihre Kritik an Singers Abwehr von Emotionalität bei der Lösung von ethischen Konfliktfällen ist ebenfalls problematisch zu sehen. Gerade aus tierrechtlerischer Sicht überrascht dieser Einwand, war es doch gerade das Verdienst von Singer, eine rationale Tierethik zu entwickeln, welche eben nicht von Gegnern damit abgetan werden konnte, dass es sich hier um einen Spleen eines »Tiernarren« handelt. Es waren rationale Argumente von Singer und Regan, welche überhaupt die zeitgenössische Tierrechtsdebatte entfachte.

Es ist Heinzelmann zuzustimmen, dass es sich gerade bei den Themen Abtreibung und Euthanasie um hochgradig emotionale Bereiche handelt, aber warum sollen rationale Argumente nicht helfen, mit diesen Problemen auf einer festeren moralischen Ebene umzugehen?
Gerade in neueren Schriften (z. B. in »Leben und Tod«) zeigt auch Singer eine neue Rücksicht auf die Frage des emotionalen Umgangs mit existentiell dilemmatischen Erfahrungen. Eine konsequente, widerspruchsfreie und rationale Ethik ist aber auch in diesen sensiblen Bereichen nicht ersetzbar. Eine von der »Emotion« geprägte Ethik würde sich immer dem Vorwurf der Willkür aussetzen.
Welchen Stellenwert Heinzelmann Emotionen bei einer moralischen Beurteilung wirklich beimisst, wird klar, wenn sie die Beschreibungen der »emotional anrührenden« Begegnungen mit Menschenaffen kritisiert, die den Leser des GAP-Buches zusätzlich überzeugen sollen.

Aus der Kritik Heinzelmanns am »Great-Ape-Project« wird also bei genauer Betrachtung eine Kritik des Präferenz-Utilitarismus. Wenn sie vor den Gefahren dieses Projekts warnt, übersieht sie, dass nicht das GAP vermeintliche Gefahren mit sich bringt, sondern der Präferenz-Utilitarismus.
Das GAP lässt sich aber auch mit anderen Theorien verteidigen, z. B. mit der deontologischen Theorie von Regan. Die Tatsache, dass Regan (selbst ein scharfer Kritiker des Utilitarismus) beim GAP mitwirkt, zeigt deutlich, dass zwischen GAP und Utilitarismus kein notwendiger Zusammenhang bestehen muss.

Es bleibt also eine offene Frage, ob mit der Ablehnung des Präferenz-Utilitarismus auch die Forderungen des GAP abgelehnt werden können. Heinzelmann zieht zwar diesen Schluss, dieser ist aber nicht zwingend.

Natürlich möchte Heinzelmann auch Tiere nicht als »bloßes »Mittel« für den Menschen« einstufen, ihre Empfehlungen (z. B. strikte Einschränkung quälerischer Experimente) erschöpfen sich aber in den üblichen gewohnten Phrasen. Es liegt auf der Hand, dass solche Forderungen pikanterweise gerade der Kritik Heinzelmanns an Singer sehr ähnlich sind, denn »Vorschriften« dieser Art schließen in ihrer Vagheit Manipulierbarkeit ebenso nicht aus. Erfahrungsgemäß öffnen sie sogar Tür und Tor für jede Art von Tierausbeutung, welche irgendwie gerechtfertigt werden kann.

Fazit

Insgesamt betrachtet enthält Heinzelmanns Analyse einige wertvolle kritische Gedanken, welche gerade die Tierrechtsbewegung ernst nehmen muss, so z. B. die Einsicht, dass auch eine »universale« oder »pathozentrische« Ethik letztlich auf einer anthropozentrischen Grundlage beruht.
Mit ihren Schlussfolgerungen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen wird sich aber die Tierrechtsbewegung (hoffentlich) nicht zufrieden geben.

Thorsten Ullrich

Claudia Heinzelmann
Der Gleichheitsdiskurs in der Tierrechtsdebatte – Eine kritische Analyse von Peter Singers Forderung nach Menschenrechten für Große Menschenaffen

Gebundene Ausgabe – 122 Seiten
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