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Buchkritik: Fleischeslust von T.C. Boyle

Von Fleischeslust im Sinne von Lust auf Fleischessen handelt nur eine der fünfzehn Erzählungen, die in diesem Band vereint sind. Aber für uns, die wir die literarischen Neuerscheinungen auf das Tierthema hin durchforsten, die interessanteste. Im Mittelpunkt steht ein junger Amerikaner, alles in allem ziemlich durchschnittlich, der auch zu Tieren eine durchschnittliche Einstellung hat. Als er friedlich am Strand eindöst, wird er von einem Hund angepinkelt und regt sich darüber so auf, daß Mordgedanken in ihm aufsteigen. Doch dann erblickt er die Besitzerin des Hundes und verliebt sich, wie vom Blitz getroffen, in das schöne Mädchen Alena. Alena läßt sich problemlos mit ihm ein und im Rausch der Liebe liefert er sich ihr völlig aus: er isst kein Fleisch mehr, macht aktiv bei Demonstrationen mit und schließlich sogar bei einer gefährlichen Tierbefreiung – denn Alena ist eine kompromißlose Tierrechtlerin. Sie bestimmt sein Tun und Denken so vollständig, daß er ihr wie in Trance folgt.

Besprechung

Die Geschichte ist glänzend erzählt, keine Frage. Alena wird jede/r von uns wiedererkennen – Tierrechtsaktivist/inne/n scheinen sich überall auf der Welt zu gleichen.

Die Unbedingtheit ihrer Gedanken, die Schreckensbilder und -berichte, mit denen sie den unbedarften Werbetexter Jim beeindruckt, die lautstarken Demos, an denen die Passanten vorbeihasten, das ist alles nach dem Leben gezeichnet. Mit leichter Hand skizziert der Autor – vermutlich erstmals in der Literaturgeschichte – die Tierrechtsszene, nicht journalistisch, nicht böswillig verzerrt oder verständnislos, nicht mit erhobenem Zeigefinger gegen die »Militanten«, aber – und das wird manche, die sich der Szene zugehörig fühlen, ärgern – auch nicht aus ihrer eigenen Sicht. Sondern aus der Sicht eines »Normalos«, der da zufällig hineingerät. Der, als ein durchschnittlich »anständiger Mensch«, natürlich keine Rechtfertigung für die Abscheulichkeiten findet, mit denen er unerwartet konfrontiert wird, der aber einen inneren Vorbehalt gegen die radikale Verwerfung alles dessen, was ihm bisher als selbstverständlich erschienen war, nicht ganz los wird. Und der, so rasch er sich auch überzeugen läßt, seiner alten Welt verhaftet bleibt, von der immer wieder mal ein Flash auf die neue Sache fällt, auf die er sich eingelassen hat. Damit hat der kluge Autor eine Konstellation erfunden, die unweigerlich Komik produziert. Etwa, wenn Jim beim Stichwort »Thanksgiving day« daran denkt, seine schöne Freundin zu seiner Mutter einzuladen, ihm dann aber bei der Vorstellung des mit Austern gefüllten »in einer leckeren Bratensoße schwimmenden Truthahns« auf Mutters Tisch einfällt, daß das wohl keine gute Idee wäre, und er sich parallel zu diesen heimlichen Gedanken mit Alena zu einem Einbruch in eine Truthanfabrik verabredet. Oder wenn er, während er aufgeregt und subjektiv total engagiert, bei einer Anti-Pelz-Demo Slogans brüllt und dabei wahrnimmt, daß niemand sie beachtet.

Jim läßt sich zusammenschlagen, steht Todesangst aus bei der Truthahnbefreiung, wird verletzt, fühlt sich als Öko-Guerillero, als Kämpfer für die gute Seite, und gleichzeitig als die lächerliche Figur, als die er den »anderen«, den »Normalmenschen« und also sich selbst erscheinen muß, da er im Grund noch immer zu ihnen gehört. Ein auf komische Weise Zerrissener. Ein Don Quijote, der neben sich selbst steht.

Die originelle Geschichte des bekannten amerikanischen Erzählers steuert auf eine Pointe zu, die das Unterfangen der Tierbefreier/innen tatsächlich als eine Don Quijoterie erscheinen läßt, als einen hilflosen Akt des romantischen Idealismus. Aber T.C. Boyle ist kein Zyniker. Seine message ist nicht, daß man dem Lauf der Welt nicht in den Arm fallen könne. Als guter Schriftsteller versendet er überhaupt keine eindeutige moralische Nutzanwendung. Vielmehr zeigt er Menschen, die, von Liebe oder Gerechtigkeitssinn oder Mitleid oder Hunger oder Genußsucht angetrieben, ihre Dinge tun, und die es meist nicht in der Hand haben, was dabei herauskommt.

Durch Jim gehen die Motivketten, die das Verhältnis Mensch-Tier bestimmten, mitten hindurch, er ist gutwillig und schwach, emotional berührbar vom Leid der Tiere und verführbar von dem Wohlgeschmack des Fleisches, er ist ein Mensch in seinem Widerspruch, angesiedelt in einer neuartigen Konfliktsituation unserer Zeit. Auch Alena und ihre Freunde werden nicht karikiert. Der Verlag tut seinem Autor Unrecht, wenn er im Klappentext von »fanatischen Tierschützern« und bizarren Personen spricht. Der Autor selbst nimmt seine Figuren in all ihrer Unvollkommenheit und Fehlbarkeit ernst, auch wenn er dabei den humoristischen Blickwinkel wählt.

Daß T.C. Bolye auch die Tiere ernst nimmt, zeigt die erste Erzählung in dem Band, die unter dem ironischen Titel »Großwildjagd« einen plumpen reichen Immobilienmakler und seine hirnlose Frau schildert, die in einem für solche Leute eingerichteten Gehege auf Jagd nach ausrangierten alten Zoo- und Zirkustieren gehen. Wie diese beiden Repräsentanten der Krone der Schöpfung (samt ihrer »coolen« dreizehjährigen Tochter) gezeichnet sind oder der geldgierige Betreiber des nachgestellten afrikanischen Buschs, der ihnen Wasserbüffel und Onyx-Antilopen und lahme Löwinnen zum Abschuß anbietet, grenzt tatsächlich an Satire. Aber es steht zu befürchten, daß der Autor ein ganz realistisches Bild derartiger Einrichtungen bietet. Es gibt sie ja wirklich, und ihre Nutzer können nicht sehr viel anders aussehen. (Das Abknallen gezüchteter Fasane und Rehe in deutschen Gehegen ist auch nicht so weit davon entfernt.) Jäger kann man vermutlich gar nicht karikieren, weil sie ihre eigene Karikatur verkörpern. Als der Angeber darauf besteht, unbedingt einen Elefanten erschießen zu wollen und 18.000 Dollar für die uralte Elefantenkuh Bessie Bee hinblättert, nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Es sei nur so viel verraten, daß Liebhader der »Kleinen Mordgeschichten für Tierfreunde« von Patricia Highsmith ihre Freude daran haben werden… Dabei ist das Ende der Erzählung nicht einmal unwahrscheinlich. Es könnte durchaus auf einer tatsächlichen Begebenheit beruhen. Und wenn sie nicht wahr ist, dann ist diese Safari jedenfalls sehr gut erfunden.

Wer gern gute Geschichten liest, sollte auch die anderen in diesem Band lesen, auch wenn sie nichts mit Tieren zu tun haben, und sich den Autor merken. Vielleicht geht er auch in Zukunft nicht an dem Thema vorbei, wie bisher die meisten seiner Zunftgenossen, die animal rights noch nicht als literarischen Stoff entdeckt haben.

Sina Walden

Tom Coraghessan Boyle
Fleischeslust
Gebunden – 293 Seiten
Carl Hanser Verlag, München, 1999
Preis: 19,90 Euro
ISBN 3-446-19772-9

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