Helmut F. Kaplan stellt in »Tierrechte« die philosophischen Grundlagen der Tierrechtsbewegung allgemeinverständlich dar.
Inhalt
In der Einleitung seines Buches beschreibt Kaplan kurz die geschichtliche Entwicklung der Tierrechtsbewegung. Die historische Wende sieht er in der Veröffentlichung von Peter Singers »Animal Liberation« im Jahre 1975:
»Alle vorangegangenen Initiativen zur Verbesserung des Loses der Tiere – der gesamte traditionelle Tierschutz – hatten stets, zumindest auch, religiöse, ideologische oder esoterische Wurzeln. Das hatte einen wichtigen Nebeneffekt mit verheerenden Folgen: Alle Thesen, Diskussionen und Forderungen wiesen einen erheblichen Glaubensanteil auf und waren daher entsprechend angreifbar.«
Seit 1975 gibt es nun eine ausdrücklich rationale Auseinandersetzung mit dem moralischen Status von Tieren: »Tierrechte sind heute Gegenstand philosophischer Vorlesungen und Seminare auf Universitäten in der ganzen Welt.«
Im ersten Kapitel stehen die faktischen biologischen Voraussetzungen der Tierethik im Vordergrund. Kaplan zeigt Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier in ethisch relevanten Eigenschaften auf: »Biologische und psychologische Forschungsergebnisse sowie logische Erwägungen ergeben, daß Tiere uns in wesentlicher und vielfältiger Hinsicht ähnlich sind: Sie sind wie wir leidensfähige, intelligente, soziale und moralfähige Wesen.«
Als globale Konzepte der Tierrechtsbewegung werden die Theorien von Peter Singer und Tom Regan vorgestellt.
Bei Singer hebt Kaplan hervor, dass sein Gleichheitsprinzip schlüssig angibt, worauf sich dieses fundamentale ethische Prinzip beziehen soll, nämlich auf Interessen.
Kritisch sieht Kaplan allerdings Singers engen Zusammenhang zwischen Gleichheitsprinzip und Utilitarismus.
Dieser Zusammenhang ist für Kaplan ein Rätsel: »Meines Erachtens besteht zwischen Gleichheitsprinzip und Utilitarismus nicht nur kein zwingender positiver Zusammenhang, sondern überhaupt kein positiver Zusammenhang. Vielmehr schließen sich Gleichheitsprinzip und Utilitarismus in vielen Fällen sogar aus!«
Sehr ausführlich geht Kaplan auf Regans Ansatz ein. Zum einen scheint dies wegen der Komplexität des Ansatzes angebracht, zum anderen gibt es von Regan noch wenig Material in deutscher Sprache.
Wegen der massiven Probleme im Zusammenhang mit dem Utilitarismus hält Regan einen Perspektivenwechsel für notwendig, den Kaplan folgendermaßen zusammenfasst: »Wir dürfen den Blick nicht immer nur auf die Erlebnisse von Individuen richten und diesen einen Wert zuschreiben, sondern wir müssen vielmehr die Individuen selbst hinreichend ernst nehmen und ihnen einen Wert zuschreiben.«.
Zudem bezeichnet Kaplan es als »eines der größten Verdienste Regans«, auf den wichtigen Punkt hingewiesen zu haben, dass es »neben dem Leiden auch noch andere Übel gibt, die beachtet und bekämpft werden müssen: Es muß nicht alles wehtun, was schadet.«
Für Regans Ansatz spricht laut Kaplan vor allem, dass »das Subjekt-eines Lebens-Kriterium in der Tat ein angemessenes, vernünftiges, weil kategoriales Wertkonstituierungskriterium zu sein scheint – jedenfalls ein viel plausibleres als die Eigenschaft, zur Spezies Homo sapiens zu gehören.«
Nach einem kurzen Exkurs über die Rolle von Fakten beim ethischen Werten (Stichwort: »naturalistischer Fehlschluss«), befasst sich Kaplan mit dem Phänomen des »Speziesismus«. Neben einer begrifflichen Bestimmung und historischen Einordnung geht es vor allem um die philosophischen Rechtfertigungsversuche des Speziesismus. Kaplan zieht hier ein eindeutiges Fazit: »Alle aufgezeigten Denkfehler dienen im Grunde einem Zweck: der Verdrängung der Tatsache, daß unser Umgang mit Tieren letztlich auf reinem Machtmißbrauch beruht.«
Kritik
Wer eine erste allgemeinverständliche und preiswerte Einführung in die Tierethik sucht, liegt hier richtig. Besonders im Gegensatz zu Kaplans »Leichenschmaus« fällt angenehm auf, dass das Buch eine klare Struktur aufweist und ausführlich auf weiterführende Literatur verweist.
Positiv hervorzuheben ist die Darstellung der Konzeption von Tom Regan. Es scheint die erste sorgfältige Einführung in Regans Denken in einem günstigen Sachbuch in deutscher Sprache zu sein.
In einem Land, in dem die Philosophie traditionell kantianisch geprägt ist, ist das Bekanntwerden der zweiten tragenden Säule der Philosophie der Tierrechtsbewegung immens wichtig.
Singers Ansatz wird ja zumeist wegen der ethischen Grundkonzeption des Präferenz-Utilitarismus abgelehnt. Mitunter scheint schon fast die Überzeugung vorzuherrschen, eine herausfordernde Tierethik ließe sich nur utilitaristisch begründen. Mit Regan ist es mit dieser bequemen Sichtweise vorbei.
Bisweilen unangenehm fällt Kaplans »laute« Sprache auf. Es ist fraglich, ob dies in einem Buch, welches ja zum Nachdenken anregen soll, besonders klug ist, oder ob es eher störend wirkt (vom mehr als peinlichen Vorwort, in dem Kaplan mit seiner Ex-Frau »abrechnet«, ganz abgesehen).
Der größte Kritikpunkt an Kaplans Ausführungen bleibt die Frage nach dem Tötungsverbot, welche wiederholt unzureichend behandelt wird.
Bei der Darstellung des Konzeptes von Peter Singer wird die Tötungsproblematik einfach ausgeklammert. Kann man aber wirklich ein »globales Konzept« zur Tierethik angemessen darstellen, ohne diesen Punkt zu behandeln? Ist nicht gerade die Frage, welche Tiere unter welchen Umständen mit welcher Rechtfertigung getötet werden dürfen die brisante und umstrittene Frage der Tierethik?
Zwar ist »mildernd« anzumerken, dass Singer selbst die Leidensfähigkeit in den Vordergrund rückt und allein auf dieser Basis auf der praktischen Ebene eine Verpflichtung zum Vegetarismus ableitet. Dieser Punkt wird oft genug übersehen. Meist wird eine Verpflichtung zum Vegetarismus fälschlicherweise mit einem absoluten Tötungsverbot verknüpft.
Heikel wird die Sache aber, wenn Kaplan Singers Utilitarismus kritisiert, und zwar hauptsächlich im Bereich der Tötungsproblematik, ohne diese Position überhaupt ausreichend beschrieben zu haben. Um hier aufzuzeigen, wie »gut« das Gleichheitsprinzip in der praktischen Anwendung ist, wie unakzeptabel dagegen der Utilitarismus, geht Kaplan sogar unnötigerweise kurz auf die Euthanasie-Debatte ein:
»Im ersten Fall kann ich zum Schluß kommen, daß der Behinderte aufopfernd gepflegt werden soll, im zweiten Fall, daß er umgebracht werden soll!«
Kein Wort davon, dass es bei der Euthanasie-Debatte ein entscheidender Punkt ist, dass es um Neugeborene geht und um deren moralischen Status, nicht um den von behinderten Menschen. Völlig unverständlich, denn Kaplan hat z. B. in dem Artikel »Euthanasie und Emotion – Warum Peter Singers Thesen die Gemüter erhitzen« durchaus die Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung bewiesen und dies auch von anderen eingefordert. Kurz auf die Euthanasie-Debatte eingehen, quasi nebenbei, das muss schiefgehen. Und das müsste Kaplan eigentlich auch selbst wissen.
Überhaupt bleibt Kaplans Kritik am Utilitarismus halbherzig, da er selbst in vielen Büchern ein auf Interessen basierendes Gleichheitsprinzip vertritt. Im Gegensatz zum Utilitarismus vertritt aber Kaplan ein Gleichheitsprinzip, welches nicht die Interessensbefriedigung maximiert, sondern sich am einzelnen Betroffen orientiert.
Wie das aber letztlich gehen soll, bleibt sein Geheimnis. Bedeutet dies nun, dass der Betroffene mit dem »größten« Interesse bevorzugt werden soll, egal, wer sonst noch alles betroffen ist? Und wenn es so ist, bedeutet das nun, dass das Überlebensinteresse jedes Tieres (und jedes Menschen?) gleich hoch zu bewerten ist? Hier stapeln sich die Fragen.
Kaplans »notwendige Präzisierungen« hinsichtlich der Anwendungsbedingungen des Gleichheitsprinzips (»Größere Interessen sollen eine größere Rolle spielen« – »Kleinere Interessen sollen eine kleinere Rollen spielen«) »riechen« jedenfalls auch stark nach Maximierung (Kaplan: »Wir addieren die Interessen der Betroffenen …«) und sind eigentlich völlig überflüssig.
Es ist zwar durchaus möglich, eine interessensorientierte Moralkonzeption zu vertreten, welche keine utilitaristische Grundlage besitzt – dies ist z. B. bei Norbert Hoerster der Fall (siehe z. B. in »Abtreibung im säkularen Staat«). Aber selbst Hoerster geht für das Lebensrecht von einem »gewichtigen Überlebensinteresse« aus, welches letztlich ein gewisses Selbstbewusstsein des Lebewesens voraussetzt und kommt somit im Endeffekt zu ähnlichen Ergebnissen wie Singer.
Was die Sache noch bizarrer macht: Eine interessensorientierte Moralkonzeption könnte für nicht selbstbewusste Lebewesen eine gewisse »Ersetzbarkeit« vertreten (dieses Argument könnte unter der zweifelhaften Prämisse, dass Schweine sich nicht ihrer selbst bewusst sind, beispielhaft lauten: »Das Schwein hat das größte Interesse an Schweinefleisch. Wären alle Juden, gäbe es überhaupt keine Schweine.«). Unter Umständen könnte also auch mit Kaplans Ansatz »biologische Tierzucht« gerechtfertigt werden. Eine Alternative, die Kaplan aber an anderer Stelle als »geballten Wahnsinn« ablehnt.
Kaplan müsste hier endlich mal Farbe bekennen und darstellen, wie er sich das Gleichheitsprinzip speziell in der Tötungsproblematik vorstellt. Ansonsten bleibt »sein« Gleichheitsprinzip an einer entscheidenden Stelle inhaltslos.
Kaplans beliebtes »Totschlagargument« in verschiedenen Variationen »Stellen wir uns vor, es wären Menschen …« reicht auf die Dauer jedenfalls nicht. Es ist ja gerade »der Witz«, dass nichtmenschliche Tiere eben keine Menschen sind.
Fazit
Trotz kleinerer »Aufreger« für eine erste günstige Einführung durchaus geeignet. Leider werden aber die unbequemen Fragen der Tierethik (des lieben Friedens willen?) ausgespart.
Thorsten Ullrich
Helmut F. Kaplan
Tierrechte
Die Philosophie einer Befreiungsbewegung
Broschiert, 160 Seiten
Echo Verlag, Göttingen, 2000
Preis: 9,70 Euro
ISBN 3-92691-435-1