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Buchkritik: Manuela Linnemann (Hg.): Brüder, Bestien, Automaten – Das Tier im abendländischen Denken

Das Buch bietet eine unkommentierte Sammlung von Äußerungen europäischer und amerikanischer Philosophen, Theologen und Literaten über das Tier im Hinblick auf seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft. Die Auswahl reicht von der Antike bis in die Gegenwart und enthält größere Abhandlungen wie auch einzelne Aussagen und Gedankensplitter, etwa aus Briefen.
Die Sammlung ist sehr reichhaltig, sie berücksichtigt über hundert – meist berühmte – Namen wie Platon, Thomas von Aquin, Leonardo da Vinci, Voltaire, Darwin, Schopenhauer, Siegmund Freud, Rosa Luxemburg, Karl Kraus, Albert Schweitzer, Theodor W. Adorno oder Elias Canetti. Wie die Herausgeberin im Vorwort selbst erklärt, richtet sich diese Anthologie in erster Linie »an ein breites Publikum, … das auf das Spektrum der Fragestellungen im Zusammenhang mit der Bestimmung des Tieres aufmerksam gemacht werden soll«.

Besprechung

Dem Harald Fischer-Verlag und der Herausgeberin gebührt Dank für diese saubere Edition philosophischer Texte zum Thema, die sonst weit verstreut und schwer auffindbar sind. Die übersichtliche (chronologische) Anordnung und der Verzicht auf Fußnoten und Anmerkungen macht das Lesen leicht, während denjenigen, die ihr Wissen vertiefen möchten, im Anhang ein umfangreiches Literaturverzeichnis angeboten wird. Für die Praxis ist es nützlich, daß viele der innerhalb der Tierschutz-/Tierrechtskreise herumgeisternden Äußerungen namhafter Gesinnungsfreunde und -feinde endlich einmal sorgfältig im Wortlauf zitiert zu finden sind und richtig zugeordnet werden können. Darüber hinaus enthält die Anthologie relativ unbekanntes Material zum Thema, etwa die Ausführungen des in Deutschland wenig gelesenen englischen Dichters Percy B. Shelley, der für die Frühzeit der angelsächsischen Tierrechtsbewegung von unschätzbarer Bedeutung ist, oder die witzig-aggressive Abrechnung Mark Twains mit der Selbsteinschätzung der menschlichen Vernunft im Vergleich zum Tier. KennerInnen werden vielleicht einige Namen, wie Tolstoi oder Henry More, vermissen, doch absolute Vollständigkeit kann eine Auswahl nicht bieten. Repräsentativ aber ist die hier vorgelegte durchaus zu nennen.

Positiv zu bewerten ist auch die Aufnahme von Gegenpositionen (wie die der Kirchenväter oder Hegels) und von gedanklichen Mischkonstruktionen , Halbherzigkeiten und widersprüchlichen Äußerungen (wie etwa bei Nietzsche). Das bewahrt vor Wunschdenken und fordert zur Auseinandersetzung mit unerfreulichen, aber immer noch wirkungsstarken Anschauungen heraus. Für die Selbstschulung und für die Argumentation mit Andersdenkenden lassen sich eine Menge Anregungen finden.

Merkwürdig bleibt allerdings, warum die wichtigen TierrechtsdenkerInnen unserer Zeit (und ihre GegnerInnen) ausgeklammert bleiben – kein Peter Singer, kein Tom Regan, keine feministische Theoretikerin wie Carol Adams. Auch in der für den historischen Bereich dankenswert gründlichen Bibliographie ist die Moderne nur spärlich vertreten. Es steht zu hoffen, daß der Verlag ein zweites Buch dieser Art plant, das die jüngsten Positionen in Originalaussagen vorstellt, von denen es seit Beginn der neuen Tierrechtsbewegung der letzten zwei, drei Jahrzehnte allerdings eine solche Fülle gibt, daß 340 Seiten kaum für die wichtigsten ausreichen dürften. Schon diese Überlegung zeigt, wie dürftig das Feld in den letzten zwei, drei Jahrtausenden bestellt war. Umso bewundernswerter sind die unkonformistischen VordenkerInnen, die Manuela Linnemann vorstellt, umso aufschlussreicher die Begründungen der tierverachtenden »Geistesriesen«, denen zu einem großen Teil die Tiere ihr Schicksal verdanken.

In dieser Textsammlung ist ein gutes Stück abendländischer Philosophiegeschichte enthalten. Durch die Fokussierung auf das Tier wird die Spekulation über das Wesen des Menschen immer mitgespiegelt, da »das Tier« im Verlauf der historischen Denkanstrengungen nur allzu oft als Gegenbild »des Menschen« dient. Deshalb ist das Buch auch von solchen philosophisch Interessierten, denen Tiere eher als Nebensache erscheinen, mit Gewinn zu lesen. Dadurch, daß der Blick gezielt auf die so leichthin übersehenen Opfer mancher Denkkonzepte gelenkt wird, kann deren ganzes auf dem scheinbaren Gegensatz Mensch – Tier beruhendes Fundament ins Wanken geraten, ihre grundsätzliche Fehlerhaftigkeit zutage treten. Für alle die aber, die sich darum bemühen, die Tierfragen aus ihrer philosophischen Randständigkeit in die ernsthafte rationale Diskussion zu bringen, wird »Brüder Bestien Automaten« ohnehin zu einem unerläßlichen Lehrbuch und Nachschlagewerk werden.

Sina Walden

Manuela Linnemann
Brüder – Bestien – Automaten
Das Tier im abendländischen Denken
Taschenbuch – 380 Seiten
Harald Fischer Verlag, 2000
Preis: 24 Euro
ISBN 3-89131-401-9

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