Henri Rousseau : Portrait of Monsieur X (Pierre Loti - 1907)
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Tom Regan: Die Philosophie der Tierrechte

Die anderen Tiere, die von Menschen gegessen, in der Wissenschaft benutzt, gejagt, gefangen und auf vielerlei andere Art und Weise ausgebeutet werden, führen ein eigenes Leben, welches für sie von Bedeutung ist, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für uns. Sie sind nicht nur in dieser Welt, sie sind sich auch dessen bewusst. Und was ihnen widerfährt, ist wichtig für sie. Jedes Tier hat ein Leben – und dieses Leben kann erfahrungsgemäß besser oder schlechter sein. Die Tiere sind nicht unsere »Werkzeuge«, nicht unsere »Modelle«, nicht unsere »Ressourcen«, nicht unsere »Waren«. Sie gehören »uns« absolut nicht. Sie sind- so wie wir – jemand, nicht etwas. Und deshalb muss die Ethik unseres Umgangs mit ihnen auf denselben fundamentalen moralischen Prinzipien beruhen wie die Ethik unseres Umgangs mit uns Menschen.

Eine aufgeklärte menschliche Ethik beruht letztlich auf dem Eigenwert jedes Individuums: Der moralische Wert eines menschlichen Lebewesens darf nicht daran gemessen werden, wie nützlich es für die Erfüllung der Interessen anderer ist. Wenn man beim Umgang mit menschlichen Lebewesen ihren Eigenwert ignoriert – sie z.B. als »Werkzeuge«, »Modelle« oder »Waren« behandelt -, verletzt man das grundlegendste moralische Recht: das Recht jedes einzelnen von uns, mit Respekt behandelt zu werden.

Die Philosophie der Tierrechte verlangt lediglich, dass diese logische Konsequenz stets beachtet wird. Jedes Argument, das plausibel den unabhängigen Wert menschlicher Lebewesen erklären kann, führt dazu, dass auch nichtmenschliche Lebewesen denselben Wert besitzen, und zwar gleichermaßen. Und jedes Argument, das plausibel erklärt, warum wir Menschen mit Respekt behandeln sollen, liefert die Gründe dafür, dass auch andere Lebewesen dasselbe Recht haben, und zwar in gleichem Maße.

Ist diese Wahrheit einmal anerkannt, so ist es offensichtlich, warum die Philosophie der Tierrechte kompromisslos gegenüber jeder Ungerechtigkeit ist, die anderen Tieren angetan wird. Die Gerechtigkeit verlangt z.B. nicht größere, sauberere Käfige für die Tiere, die in der Wissenschaft benutzt werden, sondern leere Käfige. Sie verlangt keine »traditionelle« Tierhaltung in der Landwirtschaft, sondern das vollständige Ende der kommerziellen Handels mit dem Fleisch toter Tiere. Sie verlangt keine »humaneren« Jagdmethoden und Fallen, sondern die totale Ausrottung dieser barbarischen Praktiken.

Denn wenn ein Unrecht absolut ist, muss man sich ihm absolut entgegenstellen. Die Gerechtigkeit hat keine »Reform« der Sklaverei gefrodert, keine »Reform« der Kinderarbeit, keine »Reform« der Unterdrückung der Frau. In jedem dieser Fälle war die moralisch einzig angemessene Antwort ihre Abschaffung. Wenn man eine absolute Ungerechtigkeit reformiert, verlängert man diese Ungerechtigkeit nur.

Die Philosophie der Tierrechte verlangt dieselbe Antwort auf die ungerechte Ausbeutung anderer Tiere: nämlich ihre Abschaffung. Es sind nicht die Details der Ausbeutung, die geändert werden müssen. Die ungerechte Ausbeutung selbst muss beendet werden, unabhängig davon, ob sie z.B. in der Landwirtschaft, im Labor oder in der freien Natur stattfindet. Die Philosophie der Tierrechte verlangt nicht mehr als das, aber sie wird sich auch nicht mit irgendetwas Geringerem zufrieden geben.

Tom Regan ist Professor für Philosophie an der North Carolina State University in den USA. Sein Buch »The Case for Animal Rights« ist eines der grundlegenden Werke der modernen Tierrechtsbewegung.

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