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Buchvorstellung: Johann S. Ach: Warum man Lassie nicht quälen darf

»Sind Tiere nichts weiter als »Ressourcen« für menschliche Zwecke, die als »Stellvertreter« oder als »Modell« eingesetzt werden können, wann immer dies im Interesse des Menschen ist? Oder kommt ihnen eine eigene moralische Schutzwürdigkeit zu?«
Dieser Frage geht Johann S. Ach in seiner Dissertation auf den Grund und nimmt dabei besonders das Thema Tierversuche unter die Lupe.

Inhalt

Ach geht in seiner Untersuchung von der Annahme aus, dass »Tierexperimente zumindest im instrumentellen Sinne notwendig sind und darüber hinaus Zwecken dienlich sind oder doch sein können, die wesentliche oder vitale menschliche Interessen befördern.« Dieser Umstand macht die Problematik der Tierversuche deutlich, denn »anders als in allen anderen speziesistischen Praktiken, also dem Fleischessen, dem Jagd»sport«, der Ausstellung von Tieren in sogenannten »zoologischen Gärten« etc. stehen sich im Falle von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung vitale tierliche und menschliche Interessen unmittelbar gegenüber.«

Theoretisch steht das Prinzip des Moralischen Individualismus, das »Kernprinzip einer interessenorientierten Moralkonzeption« im Mittelpunkt der Untersuchung. Die unterschiedlichen Argumente von Nelson, Feinberg, Bentham und Singer zeigen für Ach, »dass im Rahmen einer interessenorientierten Moralkonzeption die Entscheidung für einen pathozentrischen bzw. einen sentientistischen Ansatz zumindest naheliegt.«

Der Zusammenhang zwischen dem Kriterium der Empfindungsfähigkeit und der Zuschreibung von Interessen bleibt jedoch bei allen der genannten Autoren in verschiedener Weise unklar.
Aufgrund dieses Problems hält Ach eine Erweiterung des Interessen-Prinzips für notwendig. Mit Hilfe der »These der präsupponierten Empathiemöglichkeit« ist es möglich, zwischen moralisch relevanten Interessen einerseits und moralisch irrelevanten Interessen andererseits zu unterscheiden, denn »wir können nur solchen Wesen gegenüber moralisch handeln, in die wir uns – in welch rudimentärer Weise auch immer – einfühlen können und von denen wir – in welch rudimentärer Weise auch immer – verstehen können, worin ihr Wohl und Wehe besteht.« Es entzieht sich nämlich völlig unserem Vorstellungsvermögen, worin ein Individualwohl für ein Wesen bestehen sollte, welches nicht empfinden kann.
Somit kommt für Ach allen Entitäten ein moralischer Status zu, »sofern sie Wunschsubjekte waren, sind oder sein werden.«

Von diesen Überlegungen aus ist es nun möglich, speziesistische Moralkonzeptionen zu deplausibilisieren. Die Versuche, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen eine »differentia specifica« zu behaupten (wie z. B. Vernunft, Moralfähigkeit, Sprachfähigkeit) stellen sich »entweder als empirisch falsch, als in moralischer Hinsicht irrelevant oder als beides zusammen heraus.«
Der Speziesismus erweist sich somit als unhaltbar: »Die Zugehörigkeit zur biologischen Gattung ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für einen moralischen Status überhaupt. Sie ist aber auch weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine moralische Ungleichbehandlung innerhalb der moralischen Gemeinschaft.«

Befürchtungen, dass der Antispeziesismus zu einer »Anpassung nach unten« für den Menschen führt, werden zurückgewiesen. Zu diesem Zweck unterscheidet Ach zwischen einem (nicht haltbaren) Justifikationskonzept und einem (unverzichtbaren) Deklarationskonzept der Menschenwürde.

Ach kommt somit zu dem Schluss, dass es dieselben Gründe sind, die es verbieten, Tiere wie Menschen zu quälen bzw. zu töten. Je nach Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums kann aber eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt werden.
Bei der Frage nach dem Tötungsverbot unterscheidet Ach zwischen bloß-empfindungsfähigen und selbstbewussten Lebewesen. Im Gegensatz zu Singer kommt er aber mit Hilfe des erweiterten Interessen-Prinzips zu der Folgerung, dass es ebenfalls ein direktes Unrecht ist, ein bloß-empfindungsfähiges Wesen zu töten. Da bei den selbstbewussten Lebewesen aber zusätzlich auch zukunftsbezogene Interessen durchkreuzt werden, ist das Töten solcher Lebewesen ein weitaus größeres Unrecht. Ihnen spricht Ach somit auch ein Recht auf Leben zu.

Weitaus ausführlicher wird die Problematik der Tierversuche untersucht.
Das von Ach bevorzugte interessenorientierte Modell bietet in der humanexperimentellen Forschung ein qualifiziertes Abwägungsprinzip, dass sich auf die tierexperimentelle Forschung übertragen lässt. Welche Versuche zulässig sind, ist nach dem interessenorientierten Modell eine grundsätzlich offene Frage. Drei Aspekte werden hierfür in einem Entscheidungsmodell genauer betrachtet: Die wissenschaftliche Qualität der Forschung, die Wahrscheinlichkeit wichtiger biomedizinischer Erkenntnisse und die Belastungen der betroffenen Tiere.

Das Modell schließt Tierversuche ebensowenig wie Humanexperimente grundsätzlich aus, legt die Messlatte jedoch sehr hoch: »Als moralisch akzeptabel können allenfalls solche Eingriffe qualifizierte werden, bei denen der prospektive wissenschaftlich-medizinische Nutzen erheblich, die wissenschaftliche Qualität des Experiments nachgewiesen und die für die Versuchstiere mit dem Eingriff verbundenen Belastungen und Risiken minimal sind.«

Kritik

Der Titel lässt es nicht unbedingt vermuten. Hinter »Warum man Lassie nicht quälen darf« steckt kein Buch für Kinder über den richtigen Umgang mit Haustieren, sondern eine übersichtliche, höchst plausible und spannende Untersuchung über die moralische Zulässigkeit von Tierversuchen.

Zwei Aspekte der Arbeit sind besonders hervorzuheben:

Zum einen ist hier die ausführliche Untersuchung des Interessenbegriffs zu nennen. Die These der präsupponierten Empathiemöglichkeit verschafft der Tierrechtsbewegung neue Argumentationslinien (wenn auch der Fachterminus selbst etwas umständlich und vielleicht auch nicht unbedingt nötig scheint). Hierdurch wird der gewichtige Einwand von Frey (siehe z. B. in »Naturethik«; Krebs, A.) zurückgewiesen, dass der Interessenbegriff von Singer entweder zu weit gefasst ist, und somit auch Artefakte und unbelebte Objekte miteinschließt (paradigmatischer Satz: X ist in As Interesse) oder aber zu voraussetzungsreich, um auf nicht-menschliche Tiere Anwendung finden zu können (paradigmatischer Satz: A hat ein Interesse an X). Außerdem kann durch Achs Erweiterung des Interessen-Prinzips auch das Töten von bloß-empfindungsfähigen Lebewesen als direktes Unrecht eingestuft werden.

Zum anderen beeindruckt Achs Kritik am Speziesismus. Vor allem die Übersichtlichkeit und Stringenz der Argumentation fallen positiv auf. Nacheinander werden Argumente für die moralische Relevanz der Spezieszugehörigkeit, die Suche nach der »differentia specifica«, aber auch die Ad-hoc-Argumente für eine Aufnahme der sog. »human marginal cases« (Föten, Neugeborene und schwer geistig geschädigte Menschen) bei gleichzeitigem Ausschluss der Tiere aus der »moral community« regelrecht auseinandergenommen.
So kontert Ach z. B. auf einen Einwand von Fox (der inzwischen seine Meinung revidiert hat), dass durch die Abkehr vom Speziesismus eine »schiefe Ebene« drohe, welche zu faschistischen Strukturen führen könnte, verblüffend provokant zurück: » … ist unser Umgang mit solchen nicht-menschlichen Tieren nicht von der Art, daß er den Vergleich mit den »Nazilike genocidal campaigns« nicht zu scheuen braucht?«

Vielen Tierrechtlerinnen wird es wohl nicht gefallen, dass in dieser Arbeit Tierversuche nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Eine gewisse Paradoxie ist hier nicht zu leugnen: Während Ach davon ausgeht, dass Tierversuche nützlich sein können, wird gerade dieses Argument von Teilen der Tierrechtsbewegung angegriffen (siehe z. B. »Mythos Tierversuch«; Rambeck, B.).
Wer aber in erster Linie auf der methodischen Ebene gegen Tierversuche argumentiert, muss beim Beweis des Gegenteils den Tierversuch befürworten (ansonsten würde das methodische Argument ja sinnlos werden).
Nur unter der Prämisse, dass Tierversuche vitalen menschlichen Interessen dienen könnten, kommt für Ach überhaupt eine Interessensabwägung in Frage. Dies wird daran deutlich, dass er bei anderen speziesistischen Praktiken wie z. B. beim Fleischessen überhaupt keinen ernsthaften Interessenkonflikt für den Menschen sieht.
Selbst unter Experten wird die Frage, ob Tierversuche nützlich sein könnten, wohl notorisch umstritten bleiben. Umso gewichtiger und wertvoller ist deshalb eine Argumentation, welche allein auf der ethischen Basis einen sehr großen Teil der Tierversuche verbietet, selbst wenn sie nützlich sein würden.
So wird die Beweislast völlig umgedreht: Nicht der Unsinn oder die Gefährlichkeit eines Tierversuchs muss bewiesen werden, sondern seine Zulässigkeit muss gerechtfertigt werden.

Dass die Abkehr vom Speziesismus nicht per definitionem bedeutet, Tiere unter keinen Umständen für menschliche Zwecke zu verwenden, ist zwar in dieser konsequenzialistischen Moralkonzeption unvermeidlich. Dieser Umstand ergibt sich aber allgemein aus dem Prinzip des Moralischen Individualismus, welches genauso auf die Menschen angewandt wird: »Die Standards unserers Umgangs mit anderen Lebewesen, seien sie nun tierlicher oder menschlicher Herkunft, sind entweder wohlbegründet – oder sie sind es nicht. Der bloße Speziesunterschied macht dabei prima facie keinen Unterschied.«

Diese Erkenntnis wird an der Schlussfrage von Ach nochmals deutlich:
»Wie »vernünftig« aber muß ein Grund sein, daß wir auch dazu bereit wären, menschliche Lebewesen mit vergleichbaren Fähigkeiten und Eigenschaften zu verwenden? Von welcher Art muß die »Notwendigkeit« einer Erkenntnis sein, damit wir auch bereit wären, Angehörige der eigenen menschlichen Spezies für die entsprechenden Experimente einzusetzen?«

Ach macht mit einem Seitenblick auf die weiteren Probleme der Bioethik wie z. B. Abtreibung zurecht deutlich, dass die Tierethik, wie Jean-Claude Wolf es schon ausgedrückt hat, »kein Anhängsel, kein Nebenzweig der Ethik, sondern eine zentrale Weichenstelle für die Art der Begründung in der Ethik überhaupt« ist.
Die vermeintliche Auszeichnung, die hier die Tierethik erhält, hat aber einen bitteren Beigeschmack, denn gerade dieser Fakt erschwert eine vernünftige Diskussion über Tierrechte. Dies zeigt schon ein kurzer Blick auf das bisher vorherschende Niveau der »Singer-Debatte« selbst innerhalb der Tierrechtsbewegung.

Eine Bemerkung noch am Rande: Ach folgt in seiner Arbeit keiner einheitlichen Sprachregelung. So wird in loser Abwechslung das männliche und weibliche Genus verwendet. Eine weitaus elegantere Lösung als umständliche Konstruktionen à la »eineR« oder »der / die TierrechtlerIn« die hoffentlich viele Nachahmerinnen findet.

Fazit

Prädikat: Besonders wertvoll.
Die Luft für die Speziesisten wird (zumindest in der Philosophie) zusehends dünner. Achs Arbeit unterstreicht auf beeindruckende Weise, auf welch starken philosophischen und logischen Stützen die Tierrechtsbewegung steht.

Thorsten Ullrich

Johann S. Ach
Warum man Lassie nicht quälen darf
Tierversuche und moralischer Individualismus

Broschiert – 294 Seiten
Harald Fischer Verlag, Erlangen, 1999
Preis: 29,- Euro
ISBN 3-89131-119-2

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