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»Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka« – Danksagung für ein ehrliches Buch

Das selbe Buch zweimal besprechen? Liebend gern. Tatsächlich drängt es mich, zu diesem Werk, das schon im Titel Ungeheuerliches behauptet und doch bloß die Wahrheit spricht, noch einiges anzumerken. Ergänzend zu meiner ersten Rezension hier nun ein Plädoyer, das »Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka« als Pflichtlektüre für Jedermann auszuweisen sucht und deshalb mit zwei, drei persönlichen Überlegungen der Rezensentin gepolstert ist.

Über den Autor: Charles Patterson ist Historiker, lehrt Geschichte, arbeitet als Psychotherapeut, hat u. a. ein Buch über Antisemitismus und den Holocaust geschrieben, das an amerikanischen Universitäten unterrichten hilft, und verfaßt seit zwei Jahrzehnten Rezensionen für Martyrdom and Resistance, eine von der International Society in Yad Vashem herausgegebene Zeitschrift.

Über sein Buch: Obwohl kein Niemand, mußte Patterson Jahre nach einem Verleger suchen, bevor er Eternal Treblinka doch noch durchsetzen konnte; es ist dem Schriftsteller und Vegetarier Isaac B. Singer (1904 – 1991) gewidmet, weil dieser in seinen Werken unermüdlich auf die Mißachtung der Tiere zu sprechen kam. Der Titel der deutschen Ausgabe »Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka« zitiert den Kern einer Textpassage Singers, die dem Buch als Leitwort vorangestellt ist.

In Teil I und II zeigt Patterson auf, wie jene Denkweise, die vor rund 11.000 Jahren zur Unterwerfung der Tiere (euphemistisch: Domestikation) und zur Optimierung der Zucht durch Selektion, Kastration und Tötung führte, stets auch das Urteil vermeintlich überlegener Menschen über ihre Mitmenschen beherrscht hat: Seit ewigen Zeiten neigt der Mensch dazu, einen Teil seiner Artgenossen als tierähnlich bzw. ´untermenschlich´ zu brandmarken und somit jeglicher Form der Ausbeutung und Vernichtung den Anschein von Berechtigung zu geben. Im Lauf der Jahrtausende hat sich dieser Überlegenheitswahn nicht etwa gebessert, sondern eingeübt. Bekanntlich hegten die Anhänger der Eugenik den Wunsch, die Erbeigenschaften der Bevölkerung zu verbessern. »Diese Bestrebungen, deren Grundlage und Leitmotiv die Tierzucht war – nur die erwünschtesten Exemplare dürfen sich fortpflanzen, alle anderen werden kastriert oder getötet -, führten in den Vereinigten Staaten zur Zwangssterilisation und in Nazideutschland zu Zwangssterilisation, Euthanasie und Völkermord.« Die schauerliche Effizienz der Nazis war in Schlachthöfen abgeschaut.

Im dritten Teil des Buchs macht Patterson seine Leser mit etlichen jüdischen Tierrechtlern bekannt, die als ehemalige Verfolgte bzw. als Nachkommen von Verfolgten Partei für die Schwächsten ergreifen: »Uns ging es genauso« heißt das Kapitel, Die Anwälte der Tiere. Jedes dieser (teils leider sehr kurzen) Porträts ist spannend zu lesen, aus den meisten möchte man zitieren.

Alex Hershaft, Gründer und Präsident der Tierrechtsorganisation FARM, hat einen Teil seiner Kindheit im Warschauer Ghetto verbracht. Nach seiner Flucht verbarg er sich bis Kriegsende auf dem Land. Es folgten fünf Jahre Lagerdasein als Displaced Person. Im Alter von 16 Jahren emigrierte er in die USA. In seiner Rezension von Gail Eisnitzs Buch Sloughterhouse schrieb Hershaft: »Inmitten unseres hoch technisierten, protzigen, hedonistischen Lebensstils, zwischen all den strahlenden Monumenten unserer Geschichte, Kunst, Religion und Wirtschaft, gibt es die ´Black Boxes´. Das sind die biomedizinischen Forschungslabors, die Tierfabriken und Schlachthöfe – gesichtslose, geschlossene Bereiche, in denen die Gesellschaft ihr schmutziges Geschäft der Mißhandlung und Ermordung unschuldiger, fühlender Wesen abwickelt. Das sind unsere Dachaus, unsere Buchenwalds, unsere Birkenaus. Wie die braven deutschen Bürger haben wir eine ziemlich gute Vorstellung davon, was dort geschieht, aber wir wollen es lieber nicht so genau wissen.«

Hershaft sagt auch: »Ich fand es schon immer moralisch und ästhetisch obszön, ein schönes, empfindungsfähiges Tier auf den Kopf zu schlagen, in Stücke zu schneiden und mir diese Stücke in den Mund zu stopfen.«

Nicht minder auf den Punkt: Albert Kaplan, Sohn russischer Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA einwanderten, Anlageberater und Kosmopolit. Wohl jeder Vegetarier und Veganer zensiert sich manchmal selbst, schluckt Vorwürfe gegen Tiernutzer hinunter, die zwar sachlich zutreffend wären, aber strategisch falsch. Kaplan scheint diese Sorge kaum zu kennen (vgl. seine Anmerkung über Vivisektoren im Anhang S. 274), weshalb er so erfrischend wie kritisch wirkt, seine Polemik ein Tonikum für lädierte tierrechtsbewegte Seelen. In London gehörte Kaplan zu den ersten Mitgliedern der Jewisch Vegetarian Society, trat aber wieder aus, weil »nicht der Vegetarismus die Lösung ist, sonder der Veganismus.« Eine Frotzelei über seine ehemaligen Mitstreiter ist der deutschen Übersetzung zum Opfer gefallen. (Insgesamt, das ganze Buch betreffend, hat Zweitausendeins mehr kürzen lassen, als mir einleuchten will. Mit Recht entfernt: Ein vermeintliches oder tatsächliches Adorno-Zitat – »Auschwitz beginnt da, wo jemand im Schlachthof steht und denkt: Es sind ja nur Tiere« -, das Adorno offenbar nicht nachzuweisen ist.)

Den genannten Kurzporträts folgt ein ausführliches Kapitel mit Auszügen aus Erzählungen, Romanen und Selbstzeugnissen Singers, die die Tyrannei des Menschen über die Tiere beim Namen nennen, sowie ein Kapitel mit Porträts überwiegend nichtjüdischer Tierrechtler (»Es beginnt im Kleinen …« Deutsche Stimmen für die Tiere); u. a. sind es Christa Blanke, Gründerin und Geschäftsführerin der Animals` Angels, sowie der Philosoph Helmut F. Kaplan, die dort ihre Überzeugungen schildern.

Zu den Ursprüngen meiner Dankbarkeit: An dieser Stelle sei mir erlaubt, ein paar Bemerkungen anzufügen, warum ich Pattersons Buch nur begrüßen kann und mit Nachdruck als überfällig bezeichnen möchte. Persönlicher formuliert: Endlich existiert – Patterson, Lantern Books und Zweitausendeins sei gedankt – DAS Buch pro Tierrechte, nach dem ich mich schon längst vergeblich gesehnt hatte.

Ich bin kein gläubiger Mensch, aber vor einer Weile, nicht zum ersten Mal, besuchte ich eine evangelische Andacht zum Thema Tierschutz, um zu sehen, wie die versammelten Christen die Hürden nehmen würden. Die Botschaft der Andacht war nicht weiter ungewöhnlich: Man müsse beileibe kein Vegetarier werden, o nein! Statt dessen sei es Christenpflicht, die Tiere mit Respekt zu behandeln und am Ende würdig zu schlachten. Auch könnten und sollten wir von fernen Kulturen lernen, im Nachhinein dem Schlachttier Dank auszusprechen.

Zwei, drei Verständnisfragen meinerseits. Liebe Mitmenschen, die Sie ebenso denken: Bitte erklären Sie mir, wie man jemanden, der ganz und gar nicht einverstanden ist, würdig zu Tode bringt. Erläutern Sie mir auch, wie Sie einem Tier respektvoll begegnen, es zeitgleich zur Schlachtbank schleifen und in Gedanken schon an seiner Kehle säbeln, bloß weil der Braten gut schmeckt. Und wie lauten Ihre Dankgebete? Vielen Dank, liebes Schwein – du warst zwar nicht einverstanden, aber wir preisen dich trotzdem für den leckeren Sonntagsbraten? Was hat denn das Schwein davon?

Solchen Dummheiten – oder ist es Heuchelei? – begegnet man selbstverständlich nicht nur in christlichen Kreisen; statt dessen sind sie allgegenwärtig. Auch die Argumente der intelligentesten, der Intellektuellen unter den Fleischessern übertreffen nie das lausige Niveau von: »Es schmeckt doch so gut!«, »Es war schon immer so!«, »Fressen und gefressen werden!«. Manchmal gewinnt man den Eindruck, die Befürworter stellen sich dumm. Denn so dumm können sie ja nicht sein; sonst wären sie alle miteinander nach der vierten Schulkasse nur noch sitzengeblieben. Die Fadenscheinigkeit ihrer Argumente pro Fleischgenuß versetzt mich in einen Zustand chronischer Verspanntheit, den ich als schmerzhaft erlebe. Doch alle Jubeljahre mal begegnen mir Bücher, die kraft des hellen Verstands und der klaren Ausdrucksweise ihrer Autoren bzw. Protagonisten erheblich schmerzlindernd wirken.

»Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Islam«, herausgegeben von Wolf-Rüdiger Schmidt, gehört in Auszügen ebenfalls dazu. 1996 zeigte das ZDF einen über die Maßen sehenswerten Vierteiler ähnlichen Namens. Leider nur im Buch zur Serie: ein von Hanna Rheinz geführtes Interview, in dem der Professor für Judaistik und Katzenhalter Rabbi Dan Cohn-Sherbok dafür warb, mit Tieren Freundschaft zu schließen und sie nicht mehr zu essen. Im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes hatte Cohn-Sherbok gemeinsam mit christlichen Kollegen den Segen über Schlachttiere im Hafen von Dover gesprochen und von einem »Holocaust der Tiere« gesprochen. Massive Anfeindungen waren das Ergebnis. Cohn-Sherbok im Interview: »In meinen Augen sind diese Produktionsstätten zur Züchtung von Fleisch den Konzentrationslagern vergleichbar. (…) Diese heftigen Reaktionen von jüdischer Seite haben mich tief erschüttert. Denn mit meinem Vergleich wollte ich ja keineswegs die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage stellen, sondern auf den Skandal hinweisen, daß vergleichbare Praktiken immer noch gang und gäbe sind, ja geradezu Normalität geworden sind.« Der Rabbi erklärte, gemeinsam mit einem christlichen Kollegen schreibe er an einem Buch, »um diese Parallelen zwischen dem Holocaust der Menschen und dem Holocaust der Tiere nachzuweisen«. Ihm sei bewußt, daß das Buch einen Aufschrei nach sich ziehen werde.

Diese Ausführungen habe ich seitdem immer mal wieder gelesen, tief beeindruckt von den Ansichten Cohn-Sherboks. Das in Aussicht gestellte Werk ließ ich wiederholt erfolglos von meinem Buchhändler suchen. Inzwischen weiß ich: Animal Holocaust von Rabbi Dan Cohn-Sherbok & Reverend Andrew Linzey existiert zwar als Titel im Internet, samt Verlagsname und Erscheinungsdatum – aber nicht als Buch. Es sei, erklärte mir der Rabbi per Mail, nicht geschrieben worden. Ein bemerkenswert später Verzicht. Das Thema zu heikel, als daß es sich hätte verwirklichen lassen?

Abschließend noch zu einem Wettbewerb. »Genutzt – geliebt – getötet. Tiere in unserer Geschichte«, so lautete das Thema des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte 2000/2001, ausgeschrieben von der Hamburger Körber-Stiftung und Johannes Rau. Knapp 7000 Kinder und Jugendliche nahmen teil und reichten 1655 Beiträge ein. Überflüssig zu erwähnen, daß der Wettbewerb zur Mündigkeit anstiften soll.

Wieviel Mündigkeit herauskam, unter Anleitung erwachsener Tutoren, zeigt ein Pressetext der Körber-Stiftung, der die Arbeiten der Schüler wie folgt bilanziert: »Das Mensch-Tier-Verhältnis, das machen die regionalgeschichtlichen Fallbeispiele der Schülerbeiträge deutlich, spitzt sich in Geschichte und Gegenwart oftmals auf die Frage zu, wie die Bedürfnisse des Menschen gegenüber denen der Tiere abzuwägen sind. Die meisten Jugendlichen glauben an die Notwendigkeit bestimmter Tierversuche, sie wollen weiterhin Tiere im Zoo besuchen, ein Schmusetier haben und – mehrheitlich zumindest – ab und zu ein Schnitzel essen. Im Gegensatz zu den öffentlichen Debatten zeigen sich die Jugendlichen pragmatisch: Es geht ihnen weniger um abstrakte ethische Fragen als vielmehr um konkrete Verbesserungen in der Tierhaltung. Im Falle des Schnitzels heißt das: Wenn das Tier, von dem es stammt, zu Lebzeiten artgerecht gehalten wurde, muß auf Fleisch auch nicht verzichtet werden. Die Schüler sind sich weitgehend darin einig, daß die Rechte des Menschen – und dazu gehört auch das Recht auf ein ´gutes Leben´ – vor den Rechten des Tieres stehen. Aber auch die Tiere haben Anspruch auf Respekt und Würde.«

Respekt und Würde – ach so.

Mit Nachdruck noch die Anmerkung, daß dieser Aufsatz nicht als Angriff auf gläubige Menschen gedacht ist. Atheisten und Agnostiker sind ja auch nicht besser. Außerdem sei versichert, daß ich selber viel zu lange Fleischesserin war und schon deshalb jedem zugestehen muß, nur langsam zur Einsicht zu kommen. Unverzeihlich aber wäre es, wenn wir das Wegsehen weiter kultivieren würden – wie bisher. So sollte niemand Pattersons Buch als Zumutung von sich weisen.

»Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka« – ein Buch mit Erlösungscharakter. Die Wahrheit über die Wahnsinnstaten des Menschen gegen die Tiere, zwischen zwei Buchdeckeln, denn beim Lesen denkt und fühlt man: Genau so ist es doch.

Charles Patterson
»Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka«
Über die Ursprünge des industrialisierten Tötens
Deutsch von Peter Robert
307 Seiten
Zweitausendeins Verlag 2004
Preis: 16,90 Euro

© Ute Esselmann

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