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Buchkritik: Peter Singer: Henry Spira und die Tierrechtsbewegung

Peter Singer erzählt die inspirierende Geschichte eines Menschen, dessen kreatives und umsichtiges Handeln die amerikanische Tierrechtsbewegung im 20. Jahrhundert prägte.

Henry Spira, 1927 als Sohn jüdischer Eltern in Belgien geboren, verließ bereits als Teenager sein Zuhause und arbeitete auf Handelsschiffen. Seine Kindheit war geprägt von familären Konflikten und schwierigen sozialen Verhältnissen.

Schon frühzeitig interessierte sich Spira für Politik. Er wurde Mitglied in der Gewerkschaft der Seeleute und kämpfte mit Reformern gegen korrupte Funktionäre. Neben literarischen Werken beeinflussten ihn vor allem die Enthüllungen über den Genozid der Nationalsozialisten. Es beunruhigte ihn, dass solche Verbrechen geschehen konnten, weil viele Menschen nichts dagegen unternommen hatten.

So formte sich nach und nach Spiras ethische und politische Einstellung und seine Überzeugung, selbst aktiv zu werden, »um die Welt für andere zu einem besseren Ort zu machen.«
Neben den Tätigkeiten in der Gewerkschaft engagierte er sich in den Vereinigten Staaten für die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Zudem trat er für eine faire Behandlung des frühen sozialistischen Kubas ein. Dies alles bescherte ihm eine dicke FBI-Akte, aber Gesetzesverstöße wurden ihm nie nachgewiesen.

Mitte der sechziger Jahre wurde Spira Lehrer in New York. Er arbeitete weiterhin für Gewerkschaften, doch einige Jahre später weckte eine andere ausgebeutete Gruppe sein Interesse: die nichtmenschlichen Lebewesen.

Peter Singer schrieb 1973 seinen ersten Artikel über Tierbefreiung in der »New York Review of Books« und hielt ein Jahr später einen Abendkurs über die »Befreiung der Tiere«. Spira war beeindruckt von Singers Argumentation und in ihm reifte der Entschluss, sich praktisch für die Belange der Tiere einzusetzen

Dass die traditionelle Anti-Vivisektion-Bewegung trotz jahrzehntelanger Proteste noch keinen Erfolg erringen konnte, konnte Spira nicht entmutigen. Er hatte sich durch die jahrelangen Aktivitäten in der Menschenrechtsbewegung die notwendigen Kenntnisse für die Durchführung einer Kampagne erworben und wusste: »Strategie« und »Angriffsziel« waren die entscheidenden Faktoren.

Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. 1977 gelang die Abschaffung der Experimente an Katzen am Naturgeschichtlichen Museum in New York. Auf diesem Sieg aufbauend brachte er die Konzerne Revlon und Avon dazu, ernsthaft nach Alternativen für den Draize-Test (ein Kosmetiktest an den Augen nicht narkotisierter, fixierter Kaninchen) zu forschen und so konnte letztlich vielen tausend Tieren dieses Schicksal erspart werden. Weitere große Fortschritte ließen sich beim Kampf gegen den LD50-Test erzielen.
Natürlich waren an diesen Aktionen auch noch viele andere Menschen beteiligt (die Koalition der Revlon-Kampagne umfasste über 400 Organisationen mit Millionen von Mitgliedern), doch die wichtigen strategischen Entscheidungen traf Spira selbst.

Nachdem im Bereich der Tierversuche einige wichtige Verbesserungen gelungen waren, richtete Spira sein Auge zunehmend auf die Zustände in der industriellen Tierhaltung. Er bereitete Kampagnen gegen den Hühnerbaron Frank Perdue vor und kämpfte erfolgreich gegen verschiedene staatliche Richtlinien (z. B. Brandzeichen im Gesicht von Rindern) Auch die »Fast-Food«-Kette mit dem »Big Mac« musste sich mit Spira auseinandersetzen. Seine Kreativität blieb auch in dieser Zeit ungebrochen. Große Aufmerksamkeit erweckte beispielsweise eine Zeitungsanzeige gegen Perdue mit dem Slogan »Ein Huhn ohne Risiko gibt es nicht«, auf dem ein in ein Kondom gepackter Hühnerleichnam abgebildet war.

Erst durch eine schwere Krebserkrankung im Jahre 1996 wurde Spira gezwungen, seine Aktivitäten einzuschränken. Auf die Frage eines Reporters, was einmal auf seinem Grabstein stehen sollte, antwortete er augenzwinkernd: »Er hat den Kieselstein ein Stückchen weitergerollt.«

Henry Spira starb 1998, kurz nachdem die Originalausgabe des Buches erschienen war.

Peter Singer schreibt über Spiras Lebensgeschichte:
»Henrys Arbeit kann uns lehren, wie wir aus unseren ethischen Auffassungen mehr machen können als Worte – wie wir sie in die Tat umsetzen können, so daß sie die Welt verändern. Es dürfte schwierig sein, sich etwas Wichtigeres vorzustellen.«

Kritik

Mit diesem Buch ist es Peter Singer gelungen, eine gewiss in dieser Form einmalige Geschichte festzuhalten. Die Biographie von Henry Spira liest sich stellenweise wie ein aufregender Roman. Sein Lebensweg war so eng mit vielen wichtigen Momenten der amerikanischen Geschichte verknüpft, dass man sich teilweise ein bisschen an »Forrest Gump« erinnert fühlt.

Doch Spiras Leben war kein guter Kinofilm, es war real. Das zeigen nicht nur die beeindruckenden Fotos seines Lebens und seiner Aktionen im Mittelteil des Buches, sondern vor allem seine Erfolge, die ja immer noch tagtäglich vielen Tieren Schmerzen und Leiden erspart.
Das Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass viele prinzipielle Fragen zur Tierrechtsbewegung (wie z. B. zur Gewaltanwendung) sorgfältig behandelt werden, die Erzählung aber trotzdem immer erfrischend bleibt und bisweilen auch komische Momente enthält. Die Beschreibung der Szene, in der ein passendes Kondom für den Perdue-Vogel gesucht wird, ist hierfür ein schönes Beispiel.

Welche Erkenntnisse kann die deutsche Tierrechtsbewegung aus diesem Buch gewinnen? Ich denke, zwei wichtige Aspekte sollten hier hervorgehoben werden:

Zum einen haben wir es hier mit einem wertvollen Lehrbuch zu tun, welches Einblick in die Strategien, Erfolge und Probleme der Tierrechtsbewegung bietet. Es ist immer wieder verblüffend, mit welchem Geschick und Ideenreichtum Spira vorging und wie er eine Kampagne immer mit einem realistischen Ziel verband.
Wie zu lesen ist, machte sich Spira mit dieser Strategie nicht nur Freunde. Viele Aktivisten sahen hier einen Verrat an der Tierrechtsidee, welche nicht Reform, sondern die Abschaffung jeglicher Tierausbeutung verlangte. Doch die Erfahrungen aus der Menschenrechtsbewegung sagten ihm, dass Wandel nur schrittweise möglich ist und es ohne Reform auch keine Abschaffung gibt.

Spira ging es nicht um seine moralische Reinheit, sondern um reale Veränderungen. Seine nicht bestreitbaren Erfolge sollten die Seite derer, welchen es nicht immer um alles (und damit letztlich um nichts) geht, Auftrieb verleihen.

Der andere Aspekt könnte sich für die deutsche Tierrechtsbewegung als noch bedeutender erweisen. Eine wichtige Grundüberzeugung Spiras lautete: Teile die Welt nicht in Heilige und Sünder ein. Gemäß diesem Grundsatz hatte er auch keine »Berührungsängste«, mit Vertretern von Kosmetik- oder Fast-Food-Firmen zu sprechen. Dies mag zwar auch taktisch durchaus klug gewesen sein, in erster Linie aber kam hier Spiras Lebensphilosophie zum Ausdruck: »Menschen können sich ändern. Ich habe früher Tiere gegessen und mich dabei nie als Kannibale gefühlt.«

Wie weit sich manche Teile der deutschen Tierrechtsbewegung in diesem Punkt von Spira unterscheiden, zeigt sich leider oft schon im Umgang »untereinander«, wenn die Aufteilung »Heilige und Sünder« schon bei der Beurteilung des Mitmenschen nach seiner »veganen Weste« beginnt.

Wie absurd dies ist, kann man sich an folgender Analogie verdeutlichen:
Eine Frau setzt sich stark für Menschen in der sog. »Dritten Welt« ein. Sie konzentriert sich vor allem auf die Schaffung von Arbeitsprojekten, deren Produkte erfolgreich in »Dritte-Welt-Läden« verkauft werden.
Ein paar Leute, die sich auch in diesem Bereich engagieren, trafen sich mit dieser Frau in einem Restaurant. Als die Leute ankamen, stellten sie entsetzt fest, dass sich die Frau einen Kaffee bestellt hatte. Der Gruppe war sofort klar, dass dies mit Sicherheit ein »Ausbeuter-Kaffee« war und konnten unter diesen Umständen nicht mit dieser Frau zusammenarbeiten.

Dies ist natürlich eine Geschichte, die in der Wirklichkeit nicht vorkommt, eine ähnliche Variante übersetzt in die Tierrechtsbewegung wäre aber völlig normal. Das Beispiel ließe sich wohl eher noch verschärfen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich ist es wichtig, so gut es geht die Nachfrage nach tierlichen »Produkten« zu vermindern und die Alternativen zu fördern, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses gesellschaftliche Ziel etwas aus den Augen geraten ist und es nur noch um persönliche Reinheit geht. Veganismus wird so zur Glaubensfrage und zur Ersatzreligion.

Zwei fatale Auswirkungen bringt dieser dogmatische Veganismus zwangsläufig mit sich:
Zum einen werden Mitmenschen nur noch über bestimmte Eigenschaften und »Leistungen« definiert und damit auf einen Teil ihrer Persönlichkeit reduziert.
Zum anderen schaufelt sich die Tierrechtsbewegung ihr eigenes Grab, da sie auf diese Weise niemals ihrem eigenen Anspruch gerecht werden kann und somit notorisch angreifbar und widersprüchlich bleibt. Auch wenn die »Inhalts-Stoffe«-Grenze eine augenscheinliche ist, so ist sie letztlich dennoch dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt. Weshalb gerade hier die »entscheidende« Grenze ziehen, weshalb genau hier stehenbleiben?

Würde die Tierrechtsbewegung sich offener mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass es um das Wesentliche geht (und es letztlich auf der praktischen Ebene auch nur um das Wesentliche gehen kann), ließen sich auch Angriffe auf die vermeintlichen Inkonsequenzen des Veganismus auf einer ganz anderen Ebene beantworten.

Eine phantasievolle, undogmatische, fair miteinander kommunizierende und zugleich selbstkritische Tierrechtsbewegung könnte die Tierrechtsidee in Deutschland neu beleben, um die es auf der theoretischen und praktischen Ebene eher ruhig geworden ist.

Ein über zwanzig Jahre altes Foto, auf dem, neben Spira selbst, die Philosophen Singer, Regan, Rachels und Clark zu sehen sind, verbildlicht diese Einigkeit und Aufbruchstimmung, in der die Grundidee, trotz verschiedener Ansichten zu einzelnen Dingen, allen gemeinsam ist.

Fazit

Zweifellos ist »Henry Spira und die Tierrechtsbewegung« das richtige Buch zur richtigen Zeit. Nun liegt es an jeder und jedem einzelnen von uns, was mit Spiras Kieselstein passieren wird.

Thorsten Ullrich

Peter Singer
Henry Spira und die Tierrechtsbewegung

Broschiert – 294 Seiten
Harald Fischer Verlag, Erlangen, 2001
Preis: 18,50 Euro
ISBN 3-89131-404-3

 

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