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Buchkritik: Peter Singer Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere

»Dieses Buch ist kein sentimentaler Aufruf zur Sympathie gegenüber »niedlichen Tieren«. Es handelt von der Gewaltherrschaft des Menschen über die Tiere. Es ist ein Versuch, gründlich, sorgfältig und konsequent darüber nachzudenken, wie wir eigentlich mit Tieren umgehen …«
Peter Singer

Inhalt

Dem Inhaltsverzeichnis des Buches ist hier nichts hinzuzufügen:

1. Alle Tiere sind gleich
oder warum das ethische Prinzip, auf dem die Gleichheit der Menschen beruht, von uns fordert, die gleiche Berücksichtigung auch auf Tiere auszudehnen

2. Werkzeuge für die Forschung
Wozu Ihre Steuergelder auch verwendet werden

3. In der Tierfabrik
oder wie es ihrem Abendessen erging, als es noch ein Tier war

4. Die Entscheidung für eine vegetarische Lebensweise
oder wie wir weniger Leid und mehr Nahrung erzeugen und zugleich den Schaden für die Umwelt verringern können

5. Die Herrschaft des Menschen
Eine kurze Geschichte des Speziesismus

6. Speziesismus heute
Abwehr, Rationalisierungen und Einwände gegen die Befreiung der Tiere und die Fortschritte bei deren Überwindung

Kritik

Nicht einfach, ein Buch zu besprechen, welches als Erstausgabe bereits 1975 erschien und die zeitgenössische Diskussion um den moralischen Status der Tiere entfachte. Eine wahre Flut von Publikationen folgte der Veröffentlichung von »Animal Liberation«, die Tierethik wurde zu einem wichtigen Feld der angewandten Ethik.

Aufgrund der Geschichte des Buches und der unzähligen Reaktionen erübrigt sich auch eine detaillierte Kritik (Eine ausführliche Darstellung und Kritik der Position Singers findet sich z.B. in: Flury: »Der moralische Status der Tiere«).

Trotz möglicher Angriffspunkte in Singers Konzept traf die Kernidee des Buches, die »Kritik des Speziesismus« den Nagel auf den Kopf. In der leidenschaftlichen und trotzdem bestechend rationalen Verteidigung der ethischen Sichtweise, dass die Spezieszugehörigkeit »an sich« nicht moralisch relevant ist, entzündet sich die ganze brisante Sprengkraft von »Animal Liberation«.

Immer wieder erstaunlich ist, wie einfach und knapp eigentlich Singers ethische Begründung im ersten Kapitel ausfällt. Man ist gewillt, die Geschichte der Philosophie zu fragen: »Wieso hat das niemand vorher gesehen?«
Insofern muss man Kaplan`s Bemerkung zustimmen, dass mit Singer die »jahrtausendelange Blindheit und Schande der Ethik« beendet wurde.

Was bedeutet der so populär gewordene Begriff »Speziesismus« nun eigentlich genau?
Im »Oxford English Dictionary« findet sich die Definition: »Diskriminierung oder Ausbeutung bestimmter Tierarten durch den Menschen aufgrund eines angenommenen Vorrangs des Menschen.«
Ein ethisches Konzept, indem die Spezieszugehörigkeit eine wichtige Rolle spielt, kann somit als nicht mehr vorurteilsfrei, weil »speziesistisch« kritisiert werden. Wie aber der richtige Umgang mit Menschen und anderen Tieren in einer speziesismusfreien Ethik konkret aussieht, wird nicht beantwortet. Hier kann erst die Anschlussfrage Klarheit bringen. Sie lautet: »Aber was ist denn dann moralisch relevant?«

Singer vertritt in diesem Zusammenhang eine Position (ausführlicher in seinem Buch »Praktische Ethik«), welche die Empfindungsfähigkeit als notwendige Bedingung für einen direkten moralischen Status eines Lebewesens und das Selbstbewusstsein als hinreichende Bedingung für das Lebensrecht als relevante Kriterien hervorhebt. Die Konklusion »Nicht alle Mitglieder der Spezies Homo Sapiens sind Personen, und nicht alle Personen sind Mitglieder der Spezies Homo Sapiens« erfuhr in Deutschland heftige Ablehnung.
Behindertenorganisationen und linke Gruppierungen waren sich mit christlichen Fundamentalisten einig, dass solche Standpunkte gar nicht erst gedacht werden dürfen, und verhinderten, teils unter Androhung von Gewalt, Vorträge von Peter Singer. Selbst Uni-Seminare mit Singers Thesen als Diskussionsgrundlage mussten abgesagt oder abgebrochen werden. Klar wurde durch diese faktischen Denkverbote aber nur, dass die Aufklärung in Deutschland wohl definitiv gescheitert ist.

Es ist sicherlich möglich, Alternativen zu Singers Personenkonzept zu entwickeln. Leider wird aber diese durchaus heikle Diskussion in der Tierrechtsbewegung eher marginal geführt.
Stattdessen gibt man sich entweder mit einfachen Parolen zufrieden (»Alle Tiere haben ein Lebensrecht«), ohne deren Implikationen sorgfältig zu durchdenken, oder man fällt im Zweifelsfall bequemerweise doch wieder ins speziesistische Denkmuster zurück (»Kantianismus für Menschen, Utilitarismus für Tiere«).

Eine Bemerkung von Schnabel in »Die Zeit« bringt die Problematik, wenn auch leicht übertreibend, auf den Punkt: »Der Einzige, der den Gedanken von der Aufhebung der Artgrenzen konsequent zu Ende denkt, ist wohl Peter Singer selbst.«

Solange dieser nicht ganz ungerechtfertigte Eindruck bestehen bleibt, wird die Tierrechtsbewegung zwar möglicherweise weniger angegriffen, aber dafür auch noch weniger wahrgenommen.

Selbst der Begriff »Speziesismus« hat eine gewisse »Zweckentfremdung« erfahren und wird gelegentlich der Einfachheit halber einer (!) Moralkonzeption zugeordnet. Hier liegt wohl auch der Grund mancher unsinniger und missverständlicher Debatten, welches konkrete Verhalten denn nun »speziesistisch« ist und welches nicht. Die Reichweite nicht-speziesistischer Konzepte ist mit den Jahren sehr breit geworden. Sie reicht von holistischen Ansätzen, die auch der unbelebten Natur einen Eigenwert zuschreiben, bis zu interessensorientierten Ansätzen, welche unter gewissen Umständen sogar Fleischkonsum erlauben. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass jeder Ansatz die gleiche Gesamtplausibilität besitzt, aber es macht deutlich, dass der Begriff »Speziesismus« mit einer gewissen Sorgfalt benutzt werden muss.

Bemerkenswerterweise zeigt Singer selbst in der zweiten, überarbeiteten Ausgabe von »Animal Liberation«, wie radikal sich das Verständnis für Argumente (auch unter nicht-speziesistischen Prämissen) ändern kann.
In der Originalausgabe kommentierte Singer den Einwand gegen den Vegetarismus »Man täte den Tieren einen Gefallen damit, sie zu essen, denn sonst würden sie nie existieren« mit den Worten: »Diese Verteidigung des Fleischverzehrs … hat etwas Lächerliches an sich, doch einige von den Leuten, die sie vorbringen, erscheinen ganz ernsthaft.«

Einwände des Philosophen Derek Parfit brachten Singer (schon im Jahre 1976) zu einer Korrektur in der Frage, ob nicht-selbstbewusste Tiere ersetzbar sein könnten. Zwar ändert dieser Punkt nichts wesentliches in Singers Argumentation in bezug auf die Verpflichtung zum Vegetarismus, weil er das Ersetzbarkeits-Argument in diesem Bereich aus praktischen und psychologischen Gründen ablehnt.

Exakt dieser Standpunkt entfachte aber die Euthanasie-Debatte und ist der am heftigsten kritisierte in Singers Gesamtkonzept. Denkt man daran zurück, dass Singer selbst in der Erstausgabe von »Animal Liberation« über diese These den Kopf schüttelte, lassen sich die haarsträubenden Ereignisse während Singers Aufenthalt in Deutschland zumindest besser erklären. Entschuldigen lassen sie sich nicht.

Fazit

»Animal Liberation« ist und bleibt der Klassiker der Tierrechtsbewegung. Wohl selten veränderte ein Buch den »ethischen Blickwinkel« vieler Leserinnen und Leser so fundamental. Niemand kann nach »Animal Liberation« noch behaupten, er hätte von der ethischen Bedeutsamkeit unseres Umgangs mit anderen Tieren »nichts gewusst«.

Thorsten Ullrich

Peter Singer
Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere
Taschenbuch – 415 Seiten
Preis: ca. 8 Euro
rororo, 1996

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