Rousseau: Tropics
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Sina Walden: Aus dem Wörterbuch des Untiers

Schon das Wort »human«, menschlich, verrät, wie der Mensch sich selbst per definitionem einschätzt, nämlich edel, hilfreich und gut. Das Gegenteil bekommt die Bezeichnung »bestialisch«, also tierisch.

»Animalisch« werden alle »niederen« Instinkte genannt, besonders alle körperlichen Funktionen wie Nahrungsaufnahme und -ausscheidung, Sexualität, Triebhaftigkeit, Sinnlichkeit und darüber hinaus alles, was man für »unvernünftig« erklärte. Sigmund Freuds Psychoanalyse ist eine Fundgrube dafür, wie die Abgrenzung vom Tier in die moderne Begriffswelt hineinreicht. Unsere Sprache ist durchsetzt von solchen willkürlichen Gegenüberstellungen. »Bestialische« Mörder geistern durch die Boulevardpresse und begehen Taten, die nur Menschen fertig bringen, »viehische« Schergen üben Grausamkeiten, die keinem Tier je einfallen würden, ein verkommener Mensch »vertiert«, als ob ein Tier ohne menschliche Nachhilfe je »verkommen« könnte.

Irgendwann einmal, als die Sprachen entstanden, müssen Menschen genauer beobachtet haben: Das Wort »animale« leitet sich von »animal«, die Seele, ab, und das deutsche Wort »Tier« bedeutet nach seiner indogermanischen Wurzel überraschenderweise dasselbe: atmendes Wesen, beseeltes Geschöpf. Die Sprache in ihrer Anpassung an Denkinhalte trägt auf Schritt und Tritt dazu bei, die Tiere herabzuwürdigen. Ein Tier ißt nicht, sondern »frißt«. Es stirbt nicht, sondern »krepiert«, »verreckt« oder »verendet«, Tiere gebären nicht, sondern »werfen«, ihr Leichnam ist »Aas« oder »Kadaver«. (Umgekehrt heißt es euphemistisch »einschläfern« statt ermorden.) Fast erstaunlich, daß ihre Augen Augen heißen (wenn nicht »Lichter«, wie in der begreiflicherweise besonders um Abgrenzung bemühten Jägersprache), daß man nicht einmal diesen verbalen Schutzmechanismus braucht, um beim Verätzen und Zerschneiden von Augen keine Hemmungen zu empfinden.

Für Beschimpfungen gibt es noch immer nichts Besseres als Tiernamen. Das saubere sensible Schwein wurde zum Symbol aller menschlichen Niedrigkeit.

Nänie auf ein paar nager

Selbst meine freunde
verwenden ihren namen als schimpfwort
: diese lausigen ratten:

die unterwühler
die fundamente-zerfresser
die sich durchbeißen müßen
das subversive gesindel
das vernünftige von bord geht
bevor der kahn absäuft

ach ihr lausigen ratten
von der pest auf die straße geschickt
auf zierlichen pfoten
um da als erste zu sterben
mit blut aus der schnauze
& todesschweiß-nassem fell

ich wünschte ich könnte euch retten
vor krankheit vor köder
& vor dem falschen vergleich

Yaak Karsunke

Selbst Menschen, die Schweres durchgemacht haben, öffnet das eigene Leid nicht die Augen für das Leid der anderen Gequälten. »Wie Tiere« behandelt zu werden, also wie diese normalerweise behandelt werden, erscheint ihnen als die schlimmste Erniedrigung. Die politische Literatur unseres Jahrhunderts wimmelt von Ausdrücken wie: »Man hat sie verladen wie Vieh«, »Wir wurden zusammengepfercht wie Schafe«, »Man hat ihn erschossen wie einen Hund« (eine Lieblingsformulierung von Sartre). Und das »Versuchskaninchen«, im Immobilisierungsapparat festgespannt, Säure in den Augen, Nagellack in der Kehle, muß als Vergleich herhalten, wenn ein fröhliches junges Mädchen eine neue Eissorte im Ausflugscafé ausprobiert.

Sina Walden

Aus dem Buch »Endzeit für Tiere« von Sina Walden und Gisela Bulla, Rowohlt, Hamburg 1984

Zum Umgang mit den Tieren in der menschlichen Sprache siehe auch: »Protest einer ewig jungen Sau« von George Tabori und »Aus der Sprache der Mäster und Metzger« von Hannelore Jaresch.

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